T 0572/90 (Isoliermaterial/MISSEL) of 24.6.1992

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1992:T057290.19920624
Datum der Entscheidung: 24 Juni 1992
Aktenzeichen: T 0572/90
Anmeldenummer: 83110239.7
IPC-Klasse: B32B 27/12
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 310 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Rohrförmiges Isoliermaterial
Name des Anmelders: E. Missel GmbH & Co.
Name des Einsprechenden: Hüls Troisdorf AG
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
European Patent Convention 1973 Art 123(3)
Schlagwörter: Unzulässige Abänderungen
Anspruch (nein)
Beschreibung und Zeichnungen (ja) - keine Erweiterung durch Streichung
Amendments of the claim (admissible)
Amendments of description and drawings (not admissible) - no extension by deletion of a feature
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0237/84
T 0231/89
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung Nr. 83 110 239.7 ist am 6. Juli 1988 das europäische Patent Nr. 106 328 auf der Grundlage von fünf Ansprüchen erteilt worden. Anspruch 1 lautet:

"1. Rohrförmiges Isoliermaterial, bestehend aus einem Verbund aus geschlossenzelligem Schaumstoff (2), einer Folie (3) und einer netzartigen Schutzstruktur (4, 5), dadurch gekennzeichnet, daß in Streifenform vorliegender Schaumstoff (2) zu einem Rohr (1) geformt ist, daß in die auf den Schaumstoff (2) aufkaschierte und den Schaumstoff (2) umschließende Folie (3) ein Fadengitter (4, 5) aus Polyester- oder Glasfaser integriert ist, und daß die rechteckigen, parallelogrammartigen oder rautenförmigen Einzelfelder der Gitterstruktur bei extremen Belastungen in Form von Schlägen, Quetschvorgängen und dergleichen kleinflächige Rißbegrenzungsbereiche bilden."

II. Gegen die Erteilung des Patents hat die Beschwerdegegnerin Einspruch eingelegt und den Widerruf des Patents wegen mangelnder erfinderischen Tätigkeit (Art. 100 a) EPÜ), mangelnder Offenbarung (Art. 100 b) EPÜ) und unzulässiger Abänderungen, also daß der Gegenstand des Patents über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe (Art. 100 c) EPÜ) beantragt.

III. Die Einspruchsabteilung hat das Patent widerrufen und begründet ihre Entscheidung im wesentlichen damit, daß der Gegenstand des Streitpatents über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinausgehe und somit die Erfordernisse des Artikels 123 (2) nicht erfülle.

Das Merkmal, daß in Anspruch 1 der "in Streifenform vorliegende Schaumstoff (2) zu einem Rohr (1) geformt ist", sei der ursprünglichen Anmeldung nicht zu entnehmen. Ebenso seien in der Beschreibung, Spalte 1, Zeile 62 bis Spalte 2, Zeile 2, die Passage "und unter Bildung einer Nahtstelle 6 aus einem Streifen geformt ist" und die entsprechende Änderung der einzigen Figur unzulässigerweise eingefügt worden.

Da die Einspruchsabteilung diesen Mangel im Rahmen von Artikel 123 (3) EPÜ als unheilbar betrachtet hat, hat sie die weiteren Einspruchsgründe nicht geprüft.

IV. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) Beschwerde erhoben. Im schriftlichen Verfahren wie auch in der mündlichen Verhandlung am 24. Juni 1992 hat die Beschwerdeführerin u. a. folgende Argumente vorgetragen.

In der von der Einsprechenden zitierten DE-C-2 532 406, Spalte 1, Zeilen 50 und 51, stehe bereits mit Bezug auf insbesondere für Isolationszwecke geeignete Rohre aus Schaumstoff, daß solche Rohre entweder direkt aus Schaumstoff extrudiert werden können, oder für Schaumstoffe, die sich nicht extrudieren ließen, aus Schaumstoffstreifen herstellbar seien.

Aus der in der Beschreibungseinleitung genannten DE-A- 2 618 537 sei es offensichtlich, daß ein Verbund bestehend aus geschlossenzelligem Schaumstoff, einer Folie und einer netzartigen Schutzstruktur nicht extrudierbar sei. Aus den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen sei es erkennbar, daß der in Platten-bzw. Streifenform vorliegende Schaumstoff zu einem Rohr gebildet werden könne.

Die Beschwerdeführerin hat angeboten, die oben genannten beanstandeten Passagen von der Beschreibung zu streichen und die Figur wieder auf die ursprünglich eingereichte Figur zurückzuführen.

V. Die Beschwerdegegnerin hat diesem Vorbringen widersprochen und daher folgendes geltend gemacht:

Wie die Patentinhaberin schon im Schriftsatz vom 3. Juni 1987 eingeräumt habe, sei die Bildung von einer Streifenform nicht die einzige Möglichkeit ohne die Verwendung eines Extrudierungsverfahrens ein Rohr herzustellen. Daher liegt keine "Einbahnstraße-Situation" vor und stellten die oben erwähnten Änderungen einen Verstoß gegen Artikel 123 (2) EPÜ dar. Die Beschwerdegegnerin teilte ferner die Ansicht der Einspruchsabteilung, daß dieser Mangel unheilbar sei und daher solle das Streitpatent widerrufen werden.

VI. Am Ende der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung an die Einspruchsabteilung zur Fortsetzung des Verfahrens auf Basis der Ansprüche 1 bis 5 und der Beschreibung des Patents in der erteilten Form, wobei die Passage "und unter Bildung einer Nahtstelle 6 aus einem Streifen geformt ist" (Spalte 1, Zeile 62 bis Spalte 2, Zeile 2) zu streichen ist, und der ursprünglich eingereichten Zeichnung.

Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Die gegenüber der ursprünglich eingereichten Form präzisierenden Änderungen des erteilten Anspruchs 1 werden allgemein durch die ursprünglich eingereichten Ansprüche 2, 3, 4 und 9 sowie die Beschreibung auf Seite 3, Zeilen 1 bis 3 und Seite 3, Absätze 3 und 4 gestützt.

3. Das einzige Merkmal des erteilten Anspruchs, für das sich kein direktes Gegenstück in der ursprünglichen Beschreibung bzw. den Ansprüchen findet, ist die Passage "daß in Streifenform vorliegenden Schaumstoff (2) zu einem Rohr (1) geformt ist". Es bleibt somit zu prüfen, ob diese Passage trotzdem in den ursprünglich eingereichten Dokumenten ihre Stütze findet.

3.1. Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, daß diese Änderung lediglich eine aus einer Reihe am 3. Juni 1987 eingereichten präzisierenden Änderungen beträfe (vgl. Punkt 2 oben) und daß sich die Passage implizit in Absätzen 1 und 4 auf Seite 1 der Beschreibung finde. Der Absatz 1 lautet:

"Die Erfindung betrifft ein rohr- oder plattenförmiges Isoliermaterial, das aus mit einer Folie kaschierten Schaumstoff besteht."

Absatz 4 lautet:

"Aufgabe der vorliegenden Erfindung ist es, ein Isoliermaterial, das in Schlauch-Platten oder Streifenform vorliegen kann, so auszubilden, daß bei vernachlässigbarem Mehraufwand die Festigkeit entscheidend erhöht und die Gefahr einer unkontrollierten Rißbildung im Isoliermaterial völlig ausgeschaltet wird."

3.1.1. Im Einspruchsverfahren hat die Beschwerdegegnerin argumentiert, daß es sich um einen schreibfehler handele (Gründe Abs. 2) und, daß es "Schlauch-, Platten- oder Streifenform" heißen solle. Die Einspruchsabteilung hat zu dieser Frage in der angefochtenen Entscheidung Stellung genommen und zu der Bedeutung des Begriffs "Schlauch- Platte" eingehende Überlegungen angestellt. In der Abwesenheit von anderen Beweismittel kann die Kammer der in diesem Zusammenhang im Beschwerdeverfahren vorzugetragenen Erklärung der Beschwerdeführerin folgen, d. h. daß es üblich ist, einen Schlauch ausgehend von einem Material in Streifen- oder Plattenform herzustellen. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wurde eine derartige Vorgehensweise von der Beschwerdegegnerin auch nicht dementiert (vgl. DE-A-2 532 406). Der Begriff "Schlauch-Platte" ist nach Auffassung der Kammer selbstverständlich dahingehend zu verstehen, daß hiermit eine Platte gemeint ist, aus der ein Schlauch geformt werden kann. Im übrigen ist es offensichtlich ohne daß es notwendig sei auf den Offenbarungsgehalt der DE-A- 2 616 537 hinzublicken, daß ein Schlauch bestehend aus geschlossenzelligem Schaumstoff, einer Folie und einer netzartigen Schutzstruktur nicht extrudierbar ist. Die angefochtene Passage findet somit ihre Stütze auf Seite 1, Absätze 1 und 4 der Beschreibung.

3.2. Was die Bezugszeichen in den Ansprüchen betrifft, so ist im Rahmen von Regel 29 (1) der Ausführungsvorschriften und im Hinblick auf die Entscheidung T 237/84 (ABl. EPA 1987, 309) eindeutig vorgegeben, daß solche Zeichen lediglich dazu dienen, den Anspruch verständlich zu machen und nicht zu einer einschränkenden Auslegung des Anspruchs herangezogen werden dürfen.

3.3. Die Änderungen erfüllen somit die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.

4. Im Gegensatz hierzu mußte die oben unter Punkt III erwähnte Passage der Beschreibung gestrichen werden. In der ursprünglich eingereichten Beschreibung ist eine Nahtstelle jedenfalls nirgendwo erwähnt. Es ist auch keines der Merkmale, daß ohne technische Bedeutung, in der Beschreibung bleiben könnte (vgl. T 231/89 vom 14. Juni 1991 (wird in ABl. EPA veröffentlicht)). Nach Auffassung der Kammer könnte dieses Merkmal aber für die Beurteilung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit relevant werden.

4.1. Gemäß Spalte 2, Zeile 54 der erteilten Patentschrift stellen die Zeichnung und die entsprechende Beschreibung nur ein Ausführungsbeispiel der Erfindung dar. Daher, selbst wenn die Beschreibung zur Auslegung des Anspruchs 1 herangezogen würde (Art. 69 EPÜ), würde die Streichung dieser Passage zu keiner Erweiterung des Schutzbereichs im Sinne des Artikels 123 (3) führen.

4.2. Analoges gilt für die Wiedereinsetzung der ursprünglichen Figur.

5. Die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) und 100 b) EPÜ sind bisher noch nicht von der Einspruchsabteilung geprüft worden. Die Kammer hält es daher für nicht angezeigt, beim derzeitigen Verfahrensstand diese Fragen zu prüfen und macht von ihrer Befugnis nach Artikel 111 (1) EPÜ Gebrauch, die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Auflage, das Verfahren auf der Grundlage der in vorstehendem Abschnitt VI angegebenen Unterlagen fortzusetzen.

Quick Navigation