T 0474/90 () of 25.3.1991

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1991:T047490.19910325
Datum der Entscheidung: 25 März 1991
Aktenzeichen: T 0474/90
Anmeldenummer: 87730007.9
IPC-Klasse: B21B 41/06
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schlingenwagenantrieb
Name des Anmelders: Mannesmann AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Inventive step (yes)
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0002/83
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 27. Januar 1987 angemeldete und am 23. September 1987 veröffentlichte Patentanmeldung Nr. 87 730 007.9 wurde durch Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 20. Dezember 1989 zurückgewiesen.

II. In der Entscheidung, der der mit Eingabe vom 22. September 1989 eingereichte einzige Patentanspruch zugrunde lag, kommt die Prüfungsabteilung zu dem Ergebnis, daß dessen Gegenstand keine patentwürdigen Merkmale beinhalte, weil sich dieser aus dem Stand der Technik, nämlich

(D1) "Die Hebezeuge", H. Ernst, Bd. I, Grundlagen und Bauteile, 7. Auflage, 1965, Friedrich Vieweg & Sohn, Braunschweig, insbes. S. 40 bis 42, Bild 54 und 59 und

(D2) gemäß S. 1, Z. 16 bis 31 der europäischen Patentanmeldung Nr. 87 730 007.9, veröffentlicht als EP-A1- 0 238 436, in naheliegender Weise ergebe.

III. Mit dem am 29. Januar 1990 eingegangenen Schriftsatz hat die Beschwerdeführerin (Anmelderin) gegen diese Entscheidung unter gleichzeitiger Bezahlung der Gebühr Beschwerde eingelegt und diese am 23. April 1990 begründet. Es wurde vor allem darauf verwiesen, daß der Fachmann gemäß (D2) nicht auf dem Gebiet der (D1) zuhause sei, so daß eine Übertragung von Elementen aus diesem Gebiet auf den Gegenstand der (D2) nicht naheliegend sei, zumal es bei Hebezeugen nicht darum ginge Fesselseile vorzusehen, vielmehr sei in dieser Technologie nur ein Seil üblich, so daß es nicht zu einer Differenzierung in Haupt- oder Zugseil und Fesselseil komme.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragt somit die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung des Patents auf der Basis folgender Unterlagen:

- Beschreibung S. 1 bis 3 in der ursprünglichen Fassung;

- Patentanspruch eingereicht mit Schreiben vom 22. September 1989;

- Zeichnungen Bl. 1/3 bis 3/3 in der ursprünglichen Fassung.

Der geltende Patentanspruch hat folgende Fassung:

"Schlingenwagen mit einer Vorrichtung zum Antrieb des Schlingenwagens, bei dem der Schlingenwagen das zu führende Band hält und durch eine mit einem Antrieb verbundene Umlenkrollen aufweisende Seilanordnung in Längsrichtung des Bandes vor- und zurückbewegbar und dabei gleichzeitig gefesselt ist und wobei das Zug- sowie auch das Fesselseil an vom Antrieb abgewandten Ende verankert sind und zwar das Zugseil an einem in der Länge verstellbaren Festpunkt und das Fesselseil an einem Spannzylinder, gekennzeichnet durch, einen an sich bekannten Treibscheibenantrieb mit zwei im Abstand angeordneten Seilumlenkrädern (1, 2), von denen ein Rad (1) gegenüber dem anderen Rad (2) derart schräggestellt ist, daß das Zug- und gleichzeitige Fesselseil (3) durch das schräggestellte Rad (1) im Scheitelbereich des anderen Rades (2) in unterschiedliche Nuten aufgelegt bzw. abgezogen wird und daß durch den Treib-scheibenantrieb das Zug- und gleichzeitige Fesselseil geführt sind."

Hilfsweise beantragt die Beschwerdeführerin mündliche Verhandlung.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie der Regel 64 EPÜ; sie ist zulässig.

2. Der geltende Anspruch gemäß Eingabe vom 22. September 1989 entspricht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ, da der ursprüngliche Anspruch lediglich umformuliert worden ist. Substantielle Änderungen wurden hierbei nicht vorgenommen.

3. Gattungsnächster Stand der Technik ist der druckschriftlich nicht belegte Stand der Technik gemäß (D2), wie er in der Streitanmeldung in der Ursprungsfassung S. 1, Z. 16 bis 31 als bekannt vorausgesetzt wird.

3.1. Danach ist ein Schlingenwagen bekannt, an dem zwei Seile angreifen, nämlich einerseits ein Zugseil und andererseits ein Fesselseil. Beide Seile werden über Umlenkrollen geführt und von einer Seilwinde auf- oder abgewickelt, je nach Bewegungsrichtung der Seilenwinde bzw. des Schlingenwagens. Bei dieser Art von Schlingenwagen-Antrieb fällt auf, daß der Schlingenwagen gefesselt geführt ist d. h. selbst bei Bandriß können keine ungebremsten Bewegungen des Schlingenwagens entstehen.

3.2. Von dem Stand der Technik gemäß (D2) ausgehend, liegt der Erfindung die Aufgabe zugrunde, vgl. S. 1, Z. 33 bis S. 2, Z. 1 der ursprünglichen Beschreibung, einen Schlingenwagenantrieb zu schaffen, der sich durch einen vereinfachten Aufbau auszeichnet und bei dem dennoch der Schlingenwagen gefesselt geführt werden kann, wobei erkennbar als Randbedingung ein Seilversatz, wie er Seilwinden inhärent ist, zu vermeiden ist.

3.3. Gelöst ist diese Aufgabe mit den Merkmalen des vorliegenden Anspruchs d. h. bei einem als Stand der Technik anerkannten Schlingenwagen gemäß (D2) ist ein "Treibscheibenantrieb" im Sinne des Anspruchskennzeichens vorgesehen.

3.4. Damit wird erreicht:

a) Wegfall der Seilwinde; b) Antrieb des Schlingenwagens unter Reibschluß anstelle von wesentlichen Seilablenkungen; c) Schaffung eines konstruktiv einfachen und preisgünstigen Antriebssystems und e) Rückführung des Schlingenwagenantriebes auf nur ein einziges Seil.

4. Die Neuheit des beanspruchten Schlingenwagens ist unstrittig, so daß sich diesbezüglich weitere Ausführungen erübrigen.

5. Die Prüfung, ob der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs durch den Stand der Technik im Sinne von Artikel 56 EPÜ nahegelegt wird, führt zu folgendem Ergebnis:

5.1. Der geltende Anspruch stellt den Treibscheibenantrieb als "an sich bekannt " heraus. Von der Prüfungsabteilung wurde in diesem Zusammenhang auf das Fachbuch (D1) verwiesen, das einen solchen Treibscheibenantrieb, also Reibschlußantrieb mit geringer Seilumlenkung zeigt, und daraus gefolgert, daß der Gegenstand des geltenden Anspruchs nicht erfinderisch sei.

5.2. Die Kammer vermag diese Auffassung nicht zu teilen und zwar aus den nachfolgend genannten Gründen:

Die Literaturstelle (D1) betrifft Hebezeuge, während Schlingenwagen in Bandbe- und Bandverarbeitungsanlagen (Durchlaufglühen, Bandwalzanlagen, Bandbeizanlagen, Bandschweißanlagen usw.), vgl. Eingabe vom 23. April 1990, S. 1, Z. 8/7 v. u., Einsatz finden. Damit liegen die technischen Gebiete erkennbar so weit auseinander, daß der Fachmann des einen Gebiets sich nicht auf dem weit entfernten anderen Gebiet umsehen würde. Ein Indiz hierfür ist auch der Recherchenbericht, der ganz auf das Bandwalzen abgestellt ist, nicht aber auf das Gebiet "Hebezeuge".

Die Erfindung, wie sie im geltenden Anspruch definiert ist, ist aus der Sicht des nächstliegenden Standes der Technik (Anspruchsoberbegriff) auf das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen erfinderischer Tätigkeit zu beurteilen.

Aus dem Stand der Technik, der die Oberbegriffsmerkmale des Anspruchs abdeckt, führt kein direkter Weg zum Treibscheibenantrieb als dem einzig möglichen Merkmal zur Lösung der objektiv verbleibenden technischen Aufgabe, da für den Fachmann, der die Nachteile bzw. Gegebenheiten des Schlingenwagens gemäß (D2) studiert, sich eine ganze Reihe von Lösungswegen anbieten:

Als erste Lösungsmöglichkeit, den nachteiligen Seilversatz zu verringern, bietet sich die Vergrößerung des Abstandes "Seilwinde zu letzter Umlenkrolle des Zug- bzw. des Fesselseiles" an, da dann die Seilablenkung (Seilversatz gemäß S. 1, Z. 8 bis 11 der Beschreibung) verkleinert wird, was wiederum günstig für die Seilaufwicklung ist.

Eine weitere denkbare Lösung wäre der Ersatz der Seilwinde durch ein lineares Antriebssystem, z. B. in Form von hydraulischen oder pneumatischen Kolben-Zylindereinheiten oder z. B. elektromagnetischer Art in Form von Linearmotoren. Es liegt in diesem Zusammenhang auf der Hand, daß der Hub eines solchen linearen Antriebssystems begrenzt ist, zumindest dann, wenn hydraulische oder pneumatische Kolben-Zylindereinheiten als Antriebssystem Einsatz finden. Andererseits hat es der Konstrukteur aber in der Hand durch die Realisierung von einer Vielzahl von Band-Schlaufen den Hubweg des Schlingenwagens nahezu beliebig zu reduzieren, so daß der Hub hydraulischer/pneumatischer Linearantriebe ausreichend ist.

5.3. Für die Kammer ist es zweifelhaft, ob der Fachmann, der vor der Lösung der vorstehend genannten Aufgabe steht - ohne Kenntnis der Erfindung gemäß geltendem Anspruch - auch auf den Treibscheibenantrieb gekommen wäre.

5.4. Zunächst mußte der Fachmann erkennen, daß ein Seilwindenantrieb in Verbindung mit einem Schlingenwagen nicht zur Behebung der nachteiligen Wirkungen wie große Seilablenkung beim Seilaufwickeln bzw. -abwickeln, führen kann. Hierfür ist im vorliegenden Verfahren keinerlei druckschriftliche Stütze gegeben, da die Hinweise zum vorbekannten Stand der Technik in der Beschreibung der Streitanmeldung, vgl. S. 1, Abs. 1 und Z. 16 bis 31, eine Seilwinde als Antrieb des Schlingenwagens ebenso als unabdingbar erkennen lassen, wie die zwei Dokumente des Recherchenberichts (Kategorie "A"), die beide einen Schlingenwagen mit Antrieb über eine Seilwinde zum Inhalt haben, vgl. Bezugszeichen "7" gemäß DE-U-6 605 698 bzw. Bezugszeichen "3" gemäß AT-B-299 103.

5.5. Der Stand der Technik gemäß (D2) bzw. S. 1, Abs. 1 der Beschreibung und gemäß Recherchenbericht führt somit den Fachmann eindeutig von der Erfindung, wie sie im Anspruch definiert ist, weg.

Wenn zudem berücksichtigt wird, daß sich dem Fachmann, der mit der zu lösenden Aufgabe konfrontiert ist, durchaus Möglichkeiten außerhalb des Treibscheibenantriebes anbieten, so stellt dies ein eindeutiges Indiz für das Vorliegen erfinderischen Tätigwerdens dar.

5.6. In Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Entscheidung T 2/83, ABl. EPA, 1984, 265 gelangt die Kammer zu der Auffassung, daß der Fachmann nicht auf die beanspruchte Aufgabenlösung gekommen wäre, weil das Gebiet der (D1) vom beanspruchten Gebiet weit entfernt ist und weil ohne Kenntnis der Erfindung der Treibscheibenantrieb sich einem mit der Lösung der vorliegenden Aufgabe beauftragten Fachmann nicht von selbst anbietet. Der Fachmann hatte von dem einschlägigen Stand der Technik der Schlingenwagenantriebe ausgehend nämlich keinerlei Veranlassung, vom Seilwindenantrieb, der mit einem Formschlußantrieb gleichzusetzen ist, abzugehen und einen Reibschlußantrieb vorzusehen. Im nachhinein mag ein Reibschlußantrieb, der unbestreitbare Vorteile in konstruktiver wie betrieblicher Hinsicht mit sich bringt und der "an sich bekannt war", als naheliegend erscheinen. Darauf kann es aber bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Schlingenwagens nicht ankommen, weil die dabei anzuwendende Betrachtungsweise nicht rück-, sondern vorwärtsschauender Natur ist, so daß das Prinzip des "hätte kommen können" im vorliegenden Falle nicht anwendbar ist.

5.7. Zusammenfassend ergibt sich, daß der verfügbare Stand der Technik nicht in eindeutiger und nachvollziehbarer Weise auf den Gegenstand des Anspruchs hinzielt, so daß dieser als das Ergebnis erfinderischen Tätigwerdens im Sinne des Artikels 56 EPÜ anzusehen und damit gewährbar ist.

6. Da im Sinne der Beschwerdeführerin zu entscheiden war, ist der hilfsweise Antrag auf mündliche Verhandlung gegenstandslos.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent auf der Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen:

- Patentanspruch gemäß Schreiben vom 22. September 1989;

- Beschreibung Seiten 1 bis 3 in der ursprünglichen Fassung;

- Zeichnungen Blatt 1/3 bis 3/3 in der ursprünglichen Fassung.

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