European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1990:T002189.19900627 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 27 Juni 1990 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0021/89 | ||||||||
Anmeldenummer: | 81102900.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | C07C 21/24 | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | p-tert.-Butylbenzalbromid und dessen am Kern durch Halogen substituierte Derivate | ||||||||
Name des Anmelders: | Hoechst AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Bayer AG | ||||||||
Kammer: | 3.3.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | inventive step - intermediates - obvious try decision - binding nature - similar case erfinderische Tätigkeit (nein) Zwischenprodukt - naheliegender Versuch Bindungswirkung einer früheren Entscheidung in einem ähnlich gelagerten Fall (nein) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent 34 837 wurde auf die europäische Patentanmeldung 81 102 900.8 erteilt, die als Teilanmeldung aus der früheren Anmeldung 79 104 477.9 am 15. April 1981 eingereicht worden ist. Die Stammanmeldung wurde am 13. November 1979 unter Beanspruchung der Priorität zweier Voranmeldungen in der Bundesrepublik Deutschland vom 16. November 1978 und 22. März 1979 eingereicht. Der Hinweis auf die Patenterteilung wurde am 15. Dezember 1982 im Patentblatt 82/50 veröffentlicht.
II. Das europäische Patent enthält einen einzigen Patentanspruch, der auf 4-tert-Butylbenzalbromid und dessen am Kern durch Halogen substituierte Derivate der Formel I
(FORMULA) worin X Wasserstoff, Fluor, Chlor, Brom, Jod, vorzugsweise Wasserstoff, Fluor, Chlor, Brom, insbesondere Wasserstoff bedeutet, gerichtet ist.
Diese Verbindungen sind Zwischenprodukte in dem in der Stammanmeldung verbliebenen Verfahren zur Herstellung von 4-tert-Butylbenzaldehyd und dessen am Kern durch Halogen substituierten Derivaten. Die Stammanmeldung hat zum europäischen Patent 11 281 geführt, das im Einspruchsbeschwerdeverfahren wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit widerrufen worden ist (Entscheidung T 199/84 vom 18. Dezember 1986).
III. Gegen die Patenterteilung wurden am 21. Juli und 25. August 1983 zwei Einsprüche eingelegt, mit denen der Widerruf des Patents wegen Fehlens der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit beantragt wurde. Die Einsprüche wurden auf zahlreiche Druckschriften gestützt, darunter
(1) J. Chem. Soc. (London) (1936), S. 300-301; Der Einspruch vom 25. August 1983 wurde am 12. Juni 1985 zurückgenommen.
IV. Mit Entscheidung vom 2. November 1988 hat die Einspruchsabteilung das Patent widerrufen. Zwar sei - so wird sinngemäß ausgeführt - der Gegenstand des Streitpatents neu, da in keiner der Entgegenhaltungen die systematische Bezeichnung oder die Strukturformel einer Verbindung der Formel I genannt werde und auch eine implizite Beschreibung durch Angabe eines Herstellungsverfahrens, das eine solche Verbindung als alleiniges Produkt oder wenigstens Hauptprodukt liefere, nicht vorliege. In (1) sei lediglich ein Verfahren beschrieben, bei dem neben 4-tert-Butylbenzylbromid als Hauptprodukt auch in untergeordneter Menge 4-tert- Butylbenzalbromid als Nebenprodukt entstehe.
Die Verbindungen des Streitpatents seien jedoch keine "Schlüsselsubstanzen" in einem erfinderischen Verfahren zur Herstellung bekannter und begehrter Endprodukte, etwa im Sinne der Entscheidung "Bis-Epoxy-Ether" (T 22/82, ABl. EPA, 1982, 341). Das Verfahren, in dem sie eingesetzt würden, sei mit demjenigen der Stammanmeldung identisch, von dem gemäß der Entscheidung T 199/84 feststehe, daß es nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Da diese Entscheidung rechtskräftig sei, könne die Einspruchsabteilung nicht von ihr abweichen. Des weiteren seien andere Eigenschaften oder Strukturmerkmale, die gegen ein Naheliegen dieser Verbindung sprechen könnten, nicht ersichtlich, so daß die erforderliche erfinderische Tätigkeit fehle.
V. Gegen diese Entscheidung wurde am 30. Dezember 1988 unter gleichzeitiger Zahlung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben. Am 8. März 1989 ist eine Beschwerdebegründung eingegangen. Am 27. Juni 1990 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden.
VI. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat dargelegt, daß für das anhängige Verfahren die Entscheidung T 199/84, nach der das Verfahren, in dem die Verbindungen gemäß Streitpatent Verwendung finden, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, nicht bindend sei.
Unter Bezugnahme auf einige Druckschriften, die auch im Verfahren T 199/84 genannt worden waren, insbesondere
(5) DE-A-2 044 832
(6) Organikum, 5. Auflage (VEB Verlag der Wissenschaften, 1965) S. 154-155
(8) Recueil des Traveaux Chimiques des Pays-Bas 73 (1954), 269-276 hat sie außerdem vorgetragen, daß Druckschrift (5) kein technisch brauchbares Verfahren zur Herstellung von 5-tert.-Butylbenzaldehyd beschreibe und daher nicht als nächster Stand der Technik in Betracht käme. Bisher sei 4-tert-Butylbenzaldehyd nicht über die Benzalhalogenide hergestellt worden, sondern nach anderen üblichen Methoden zur Herstellung aromatischer Aldehyde, siehe Streitpatent, Seite 2, Zeilen 6-22. Dies sei der nächste Stand der Technik.
Beim Reaktionsweg über das 4-tert.-Butylbenzalbromid anstelle des entsprechenden Chlorids sei auch nicht tendenziell mit einer besseren Ausbeute an 4-tert.- Butylbenzaldehyd zu rechnen gewesen, wovon in der Entscheidung T 199/84 ausgegangen worden sei. Aus (6) und (8) hätte sich nämlich abschätzen lassen, daß das zweite Bromatom etwa gleich häufig in die Brommethylgruppe des intermediär gebildeten 4-tert.-Butylbenzylbromids und eine der Methylgruppen des tert.-Butylrests eintreten würde. Es sei daher nicht naheliegend gewesen, mit Hilfe der Verbindungen des Streitpatents ein technisch brauchbares Verfahren zur Herstellung von 4-tert.-Butylbenzaldehyden zu realisieren. Zumindest aber sei das Ausmaß der gegenüber (5) erzielten Verbesserung völlig überraschend, was sich auch aus den entsprechenden jüngeren Patentanmeldungen der Einsprechenden und jetzigen Beschwerdegegnerin ergebe. Insbesondere sei die hohe Selektivität, mit der die Bromierung der Methylgruppe des 4-tert.-Butyltoluols erfolge, nicht vorauszusehen gewesen. Die Verbindungen der Formel I seien daher keineswegs das vorhersehbare Ergebnis planmäßigen Handelns und beruhen daher auf erfinderischer Tätigkeit. Dies ergebe sich - unabhängig von der erfinderischen Tätigkeit des Verfahrens gemäß dem Stammpatent - auch aus den Grundsätzen der Entscheidung T 22/82, siehe Leitsatz I, 2. Absatz. Weiterhin sei die erfinderische Tätigkeit der Verbindungen gemäß Streitpatent auch darin zu sehen, daß sie einen eleganten Weg zu den entsprechenden Benzaldehyden eröffnet hätten, der von der Fachwelt nicht in Betracht gezogen worden sei, obwohl das Bedürfnis nach einem solchen Weg bestand.
VII. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat demgegenüber daran festgehalten, daß angesichts der Tatsache, daß das 4-tert.-Butylbenzalbromid unstreitig in dem Verfahren zur Herstellung des entsprechenden Benzylbromids nach (1) als Nebenprodukt gebildet werde, dem Gegenstand des Streitpatents die Neuheit fehle. Eine genaue Analyse der Herstellungsvorschrift für das 4-tert.-Butylbenzylbromid in (1) zeige, daß dabei das entsprechende Benzalbromid zwar nicht wörtlich genannt, aber eindeutig als abzutrennende Verunreinigung identifiziert worden sei. Die erfinderische Tätigkeit der Verbindungen gemäß Streitpatent könne nicht aus dem Verfahren hergeleitet werden, das Gegenstand der Entscheidung T 199/84 war, da rechtsverbindlich feststehe, daß dieses Verfahren selbst nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. In dieser Hinsicht seien seitens der Beschwerdeführerin keine Gesichtspunkte vorgetragen worden, die nicht in dem das auf die Stammanmeldung erteilte Patent betreffenden Beschwerdeverfahren bereits berücksichtigt worden seien. Insbesondere könne aus (6) und (8) nicht hergeleitet werden, daß der Fachmann die Bereitstellung des 4-tert.- Butylbenzalbromids und seiner kernhalogenierten Derivate nicht als erfolgversprechend angesehen hätte. Die Kammer sei nicht berechtigt, diese in der Entscheidung T 199/84 getroffenen Feststellungen, die nach den Grundsätzen der Entscheidung T 22/82 auch für die erfinderische Tätigkeit der Verbindungen gemäß Streitpatent zuträfen, in Zweifel zu ziehen. Schließlich sei im Beschwerdeverfahren T 199/84 schon dargelegt worden, daß auch das Ausmaß der Ausbeuteerhöhung nicht überraschend sei.
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs.
Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.
Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Vorschriften der Artikel 106 bis 108 EPÜ sowie der Regel 64; sie ist daher zulässig.
2. Die Verbindungen der Formel I sind neu im Sinne von Artikel 54 (1) EPÜ. Zwar ist in (1) auf Seite 301 eine Herstellungsweise für 4-tert.-Butylbenzylbromid durch Bromierung von 4-tert.-Butyltoluol beschrieben, bei der die Aufarbeitung des rohen Reaktionsgemischs analog zur für die Herstellung von 3-tert.-Butylbenzylbromid gegebenen Vorschrift erfolgt. Bei dieser Aufarbeitung wird das rohe Reaktionsgemisch "zur Entfernung von Di- oder Tribromderivaten" mit 100 %iger Ameisensäure gekocht und sodann mit Natriumcarbonat und Natriumbisulfit behandelt. Letzteres ist ein wohlbekanntes Mittel zur Abtrennung von Aldehyden aus einer organischen Phase.
Selbst wenn man zugunsten der Beschwerdegegnerin unterstellen wollte, daß der Fachmann die Anwesenheit von 4-tert.-Butylbenzalbromid als Verunreinigung in dem rohen Reaktionsgemisch als wahrscheinlich angesehen hätte, wäre damit noch keine technische Lehre gegeben, diese Verbindung als chemisches Individuum bereitzustellen. Anders als bei dem Sachverhalt, der der Entscheidung "Diastereomere" (T 12/81, ABl. EPA 1982, 296) zugrunde lag, ist in (1) keine konkrete Lehre enthalten, die dem Fachmann zwangsläufig das 4-tert.-Butylbenzalbromid in die Hand gibt. Auch der Umstand, daß diese Verbindung rein denkgesetzlich Bestandteil eines bekannten komplexen Gemisches sein kann, beeinträchtigt nach Überzeugung der Kammer ihre Neuheit nicht, da es sich dabei nicht um eine "individualisierte" Beschreibung handelt, siehe auch die Entscheidung "Enantiomere" (T 296/87, ABl. EPA 5/1990, 195), Punkt 6.5 der Entscheidungsgründe.
3. Es ist daher zu untersuchen, ob die Verbindungen der Formel I auf erfinderischer Tätigkeit beruhen. Das Ergebnis dieser Untersuchung ist nach Auffassung der Kammer nicht, wie die Beschwerdegegnerin meint, bereits durch die Entscheidung T 199/84 vorweggenommen, selbst wenn dieser früheren Entscheidung ein ähnlich gelagerter Fall und ein praktisch identischer Tatsachenvortrag zugrunde lag. Diese Entscheidung bindet nämlich weder die Einspruchsabteilung noch die Beschwerdekammer in dieser Frage. Hierzu ist folgendes auszuführen:
3.1. Wird eine Sache von einer Beschwerdekammer zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat, so ist diese Einspruchsabteilung gemäß Artikel 111 (2) EPÜ "durch die rechtliche Beurteilung der Beschwerdekammer, die der Entscheidung zugrunde gelegt ist, gebunden, soweit der Tatbestand derselbe ist". Im gleichen Umfang ist nach Überzeugung der Kammer auch die Beschwerdekammer an eine eigene erste Entscheidung gebunden, wenn sie mit dem gleichen Gegenstand der Entscheidung durch eine zweite Beschwerde ein weiteres Mal befaßt wird (sog. Selbstbindung). Wenn sich aber die tatsächliche Grundlage der Entscheidung ändert, entfällt die Bindung (Artikel 111 (2) EPÜ).
3.2. Im vorliegenden Fall stellt die Einspruchsabteilung kein Organ dar, an das zurückverwiesen worden ist. Die Voraussetzungen des Artikels 111 (2) EPÜ, Satz 1 sind somit nicht erfüllt. Auch die Ausnahmebestimmung des Artikels 111 (2) EPÜ, Satz 2 ist nicht anwendbar. Außerdem unterscheidet sich die tatsächliche Grundlage der Entscheidung T 199/84 vom 18. Dezember 1986 (d. h. ein Verfahren zur Herstellung von Endprodukten unter Verwendung eines Zwischenproduktes) von dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Gegenstand (d. h. dieses Zwischenprodukt) in eindeutiger Weise.
4. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit der vorliegenden Zwischenprodukte läßt sich die Kammer von dem Grundsatz leiten, daß hierbei die gleichen Kriterien wie bei jeder anderen Stofferfindung anzuwenden sind. Dabei kommt es darauf an, ob durch die Bereitstellung der Stoffe der Stand der Technik in nicht naheliegender Weise bereichert wird, siehe auch "Alpha-Tocopherol/BASF" (T 648/88 vom 23. November 1989, Leitsätze veröffentlicht im ABl. EPA 6/1990). Somit ist auch im vorliegenden Fall die Frage zu beantworten, ob ein Fachmann diese Verbindungen zur Lösung der hier bestehenden technischen Aufgabe tatsächlich in Betracht gezogen hätte.
Diese technische Aufgabe kann im vorliegenden Fall in Übereinstimmung mit den Angaben im Streitpatent, S. 2, Z. 36-40 darin gesehen werden, "Schlüsselsubstanzen" für ein gegenüber der in (5) beschriebenen Umsetzung verbessertes Verfahren zur Herstellung von 4-tert.- Butylbenzaldehyd und dessen im Kern halogenierten Derivaten bereitzustellen.
5. Die Beschwerdeführerin hat geltend gemacht, daß man in diesem Zusammenhang nicht von (5) als nächstem Stand der Technik ausgehen könne, weil das dort beschriebene Verfahren wegen der Bildung unerwünschter Nebenprodukte für die technische Herstellung von 4-tert.- Butylbenzaldehyd nicht in Betracht käme. Nächster Stand der Technik sei die bisher allein technisch durchgeführte Sommelet-Reaktion (siehe Streitpatent, S. 2, Z. 15 bis 22). Gegenüber dieser Umsetzung der entsprechenden Benzylbromide mit Hexamethylentetramin (Urotropin) werde mit Hilfe der Verbindungen der Formel I insbesondere die Abwasserbelastung vermindert.
Die Kammer kann sich dieser Argumentation nicht anschließen. Nach ständiger Rechtsprechung ist die bestehende Aufgabe gegenüber dem objektiv nächststehenden Stand der Technik zu ermitteln. In der Chemie ist dabei im allgemeinen auf die Strukturnähe der Verbindungen des Standes der Technik zur Erfindung bzw. die Ähnlichkeit der zu vergleichenden Reaktionen abzustellen (vgl. z. B. T 181/82, ABl. EPA 1984, 401, 409 insb. Abs. 3 von unten). Da die Beschwerdeführerin die erfinderische Tätigkeit ihrer Zwischenprodukte mit überraschend hohen Ausbeuten eines über diese Produkte führenden, Bromierung und Hydrolyse umfassenden Gesamtverfahrens begründen will, qualifiziert sich als nächster Stand der Technik das über analoge Zwischenprodukte ablaufende gleichartige Verfahren gemäß (5). Die in (5) offenbarten Benzalchloride stehen als difunktionelle Verbindungen den gemäß Streitpatent beanspruchten Benzalbromiden strukturell näher als das bei der angezogenen Sommelet-Reaktion intermediär verwendete monofunktionelle Benzylbromid.
6. Zur Lösung der gegenüber (5) bestehenden Aufgabe werden gemäß Streitpatent anstelle des 4-tert.- Butylbenzalchlorids das entsprechende Benzalbromid bzw. dessen im Kern halogenierte Derivate als "Schlüsselsubstanzen" vorgeschlagen. Es ist glaubhaft und unbestritten, daß damit die bestehende Aufgabe tatsächlich gelöst wird.
7. Zur Lösung dieser Aufgabe konnte der Fachmann auf das allgemeine Fachwissen zurückgreifen. Hierzu gehört, wie in der Entscheidung T 199/84 (Teil V) zutreffend festgestellt wurde, daß Brom generell ein selektiveres Halogenierungsmittel ist als Chlor und daß die Verseifung der Benzalbromide ebenso glatt verläuft wie diejenige der Benzalchloride.
Außer von dieser unbestrittenen Feststellung geht die Kammer davon aus, daß der Fachmann die Ursache der unbefriedigenden Gesamtausbeute des aus (5) bekannten Verfahrens, nämlich die mangelnde Selektivität der Chlorierung des 4-tert.-Butyltoluols, ohne weiteres erkannt hätte.
8. Die Beschwerdeführerin hat nicht bestritten, daß der Fachmann im Hinblick auf die gewünschte Weiterverarbeitung zum Aldehyd, bei der das zunächst eingeführte Halogen wieder abgespalten wird, den Austausch von Chlor gegen Brom als erfolgversprechende Möglichkeit zur Verbesserung der Selektivität zunächst in Betracht gezogen hätte. Sie meint jedoch, daß der Fachmann durch näheres Literaturstudium davon abgehalten worden wäre, diesen Gedanken weiterzuverfolgen, weil er in Kenntnis von (6) und (8) erwartet hätte, daß im vorliegenden Falle die Bindungsenergie der C-H-Bindungen in der Brommethylgruppe etwa gleich groß sei wie diejenige der C-H-Bindungen in der tert.-Butylgruppe. Da aber, unabhängig von der Reaktivität des angreifenden Agens, eine selektive Spaltung unterschiedlicher C-H-Bindungen nur erfolgen könne, wenn diese Bindungsenergien unterschiedlich seien, hätte er aus diesem Umstand schließen müssen, daß die wohlbekannte unterschiedliche Reaktivität von Brom- und Chloratomen hier nicht zur Verbesserung der Selektivität genutzt werden könne.
Diese Schlußfolgerungen finden jedoch in (6) und (8) keine Stütze. In (6) wird auf S. 154 eine allgemeine Arbeitsvorschrift für die Photobromierung von Alkylaromaten angegeben, nach der für die Monobromierung etwa 30 Min. bis 2 Stdn. benötigt werden. In (8) wird im Kapitel "Discussion" (S. 272 bis 273) ausgeführt, daß die Bindungsenergie der C-H-Bindungen in der tert.-Butylgruppe des tert.-Butylbenzols etwa derjenigen im Propan entsprechen sollte und demnach um 18 kcal größer sein sollte als diejenige der C-H-Bindungen des Toluols. Ferner wird festgestellt, daß eine C-H-Bindung im Toluol 4,5 mal schneller mit Chloratomen reagiert, als eine C-H-Bindung im tert.-Butylbenzol. Dieser Reaktivitätsunterschied wird im Hinblick auf die abgeschätzte Differenz der Bindungsenergien als relativ gering bezeichnet (S. 273, Z. 1-3). Aus diesen Angaben kann die Kammer lediglich entnehmen, daß zwischen Reaktivität und Bindungsenergie kein einfacher, leicht überschaubarer Zusammenhang besteht und daß somit aus der aus (6) grob abschätzbaren 4-5 mal höheren Reaktivität der C-H-Bindungen der Methylgruppe in Methylaromaten gegenüber Bromatomen im Vergleich zu den entsprechenden C-H-Bindungen in Benzylbromiden keine verläßlichen Rückschlüsse auf die Bindungsenergien gezogen werden können.
9. Selbst wenn man jedoch zugunsten der Beschwerdeführerin unterstellen wollte, daß aufgrund der zitierten Angaben in (6) und (8) eine brauchbare Abschätzung von Bindungsstärken möglich wäre, so wäre dies für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit im vorliegenden Falle unerheblich. Es ist nämlich nach Überzeugung der Kammer nicht realistisch, von einem Fachmann zu erwarten, daß er in der gegebenen Situation, in der es um die Überprüfung der mit gutem Grund vermuteten praktischen Brauchbarkeit von ganz einfach mit Hilfe von gut zugänglichen Ausgangsmaterialien herstellbaren Verbindungen geht, erst eine Literaturrecherche nach Daten über relative Reaktivitäten und Bindungsstärken anstellen würde. Der Aufwand hierfür steht nach Auffassung der Kammer in keinem vernünftigen Verhältnis zu der Möglichkeit, sich durch einen einfachen, mit gängiger Laboratoriumsausstattung durchführbaren Versuch Gewißheit darüber zu verschaffen, ob die sich aufgrund des allgemeinen Fachwissens als nächstliegend anbietende Lösung der bestehenden Aufgabe durch Bereitstellung der Verbindungen der Formel I zum Erfolg führt.
Demnach steht zur Überzeugung der Kammer fest, daß der Fachmann in Anbetracht der bestehenden Aufgabe diese Verbindungen bereitgestellt hätte. Es fehlt daher an der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit.
10. Daran ändert auch der Einwand der Beschwerdeführerin nichts, jedenfalls das Ausmaß der mit Hilfe der Verbindungen der Formel I erzielbaren Verbesserung sei als überraschend anzusehen. Ähnlich wie in der Situation, die der Entscheidung "Formmassen" (T 69/82, ABl. EPA 1984, 387) zugrunde lag, mußte nämlich dieses möglicherweise quantitativ unerwartet gute Ergebnis dem Fachmann bei der naheliegenden Handlungsweise zwangsläufig in den Schoß fallen. Diese Beurteilung des Sachverhalts steht nicht, wie die Beschwerdeführerin meint, im Widerspruch zu den Grundsätzen, von denen sich die Kammer in der Entscheidung T 22/82 und erst kürzlich wieder in der Entscheidung T 648/88, in denen ebenfalls über die Patentierbarkeit sogenannter "Zwischenprodukte", entschieden worden ist, hat leiten lassen. In diesen Fällen ging es nicht um das Ausmaß der Bereicherung der Technik, sondern es war aus dem Stande der Technik nicht herleitbar, daß die Bereitstellung der dort in Betracht gezogenen Verbindungen die Technik überhaupt bereichern würde. Anders ausgedrückt, war in diesen Fällen kein Grund ersichtlich, warum ein Fachmann diese Verbindungen als mögliche Lösungen, geschweige denn als nächstliegende Lösungen der dort bestehenden Aufgaben in Betracht gezogen hätte. Diese Entscheidungen sind daher nicht so zu verstehen, daß für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit der Bereitstellung von "Zwischenprodukten" das Vorliegen eines bloß quantitativ überraschenden Effekts anders zu beurteilen sein soll als bei chemischen Stoffen, die nicht zur weiteren chemischen Umsetzung bestimmt sind (s. hierzu z. B. die bereits früher zitierte Entscheidung "Enantiomere", Punkt 8.4 der Entscheidungsgründe).
11. Auch der Einwand, daß mit der Bereitstellung der Verbindungen der Formel I ein unbestreitbar bestehendes Bedürfnis in eleganter Weise befriedigt worden ist, greift nicht durch, da nicht dargetan worden ist, daß überhaupt ein dringendes Bedürfnis über einen längeren Zeitraum bestand und dieses nicht befriedigt werden konnte, obwohl sich die Fachwelt intensiv darum bemüht hat. Zumindest ist in dem Zeitraum von etwa 7 Jahren zwischen dem Publikationsdatum von (5) und dem Prioritätstag des Streitpatents - soweit für die Kammer derzeit ersichtlich - kein Versuch bekannt geworden, das bestehende Problem zu lösen. Nichts anderes ergibt sich auch in bezug auf die gegenüber der technisch durchgeführten Sommelet-Reaktion geltend gemachte Verringerung der Abwasserbelastung. Diese Problematik ist erst kurz vor dem Prioritätstag des Streitpatents durch die weltweit verstärkten Bemühungen um die Reinhaltung der Gewässer in den Vordergrund getreten. Die Kammer kann also in diesen Sachverhalten kein Anzeichen dafür finden, daß die Fachwelt bei der Suche nach Problemlösungen, die im Zusammenhang mit der hier interessierenden Aldehyd- Herstellung stehen, über einen längeren Zeitraum an dem im Streitpatent realisierten Vorschlag vorbeigegangen wäre.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.