T 0199/84 () of 18.12.1986

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1986:T019984.19861218
Datum der Entscheidung: 18 Dezember 1986
Aktenzeichen: T 0199/84
Anmeldenummer: 79104477.9
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Herstellung von p-tert.-Butyl- benzaldehyd und dessen am Kern durch Halogen substituierten Derivaten
Name des Anmelders: Hoechst
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit (verneint)
Ausbeuteverbesserung qualitativ nicht quantitativ
Standardverfahren/Anwendung auf ein bekanntes Substrat
Obvious to try
inventive step (no)
improved yield (qualitatively)
standard process/application to a known substrate
obvious to try
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0021/89

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung 79 104 477.9, die am 13. November 1979 unter Inanspruchnahme der deutschen Prioritäten vom 16. November 1978 und 22. März 1979 angemeldet worden war, wurde am 10. Februar 1982 das europäische Patent 11 281 auf der Grundlage von sieben Ansprüchen erteilt.

II. Gegen das Patent haben die Firmen Bayer AG, Leverkusen (DE) und BASF AG, Ludwigshafen (DE) Einspruch erhoben und Widerruf des Patents wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit beantragt.

Zur Stützung ihres Vorbringens haben die Einsprechenden auf zahlreiche Druckschriften hingewiesen, darunter

(1) Organikum, VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, 5. Auflage 1965, Seite 154 - 155;

(12) Organic Synthesis, Coll. vol. 2, John Wiley and Sons, Sixth printing, 1950, (fälschlich 1943) Seite 89 - 91;

(18) R. Adams et. al., Journal of the Amer. Chem. Soc., Vol. 40 (1918), Seite 1732 - 1745

III. Durch Entscheidung vom 4. Juli 1984 hat die Einspruchsabteilung die Einsprüche zurückgewiesen. Die Neuheit - so wird dort ausgeführt - sei unbestritten; die erfinderische Tätigkeit ergebe sich aus der überraschenden, sprunghaften Verbesserung der Ergebnisse des Verfahrens nach dem Streitpatent gegenüber dem Stand der Technik.

IV. Gegen die Entscheidung hat die Firma Bayer AG am 29. August 1984 und die Firma BASF AG am 1. September 1984, unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr, Beschwerde eingelegt und diese am 27. Oktober 1984 bzw. 5. November 1984 begründet. Es wird geltend gemacht, daß die Einspruchsabteilung bei der Beurteilung der besseren Ausbeute nicht vom nächstliegenden Stand der Technik, (12) und (18), ausgehe, sondern diese unzulässigerweise aus dem weiter entfernten Dokument (1) ableite. Von einer sprunghaften Verbesserung könne keine Rede sein, allenfalls handle es sich um eine Optimierung, die sich automatisch dadurch einstelle, daß ein bekanntes Verfahren erstmals auf ein bekanntes Substrat übertragen werde. Wenngleich Ausbeuten bei gleicher Verfahrensweise substratbedingt seien, so sei im vorliegenden Fall die aufgabengemäß anvisierte Ausbeuteverbesserung beim Ersatz der Chlorierung durch eine Bromierung vorauszusehen gewesen, weil der Fachmann wisse, daß Brom das wesentlich selektivere Halogenierungsmittel sei.

Die Beschwerdegegnerin betont hingegen weiterhin, daß im Vergleich zum nächsten Stand der Technik eine sprunghaft verbesserte Ausbeute erzielt werde und, daß ein derart optimales und gegenüber allen vergleichbaren Literaturbeispielen wesentlich verbessertes Ergebnis auch aufgrund des Selektivitätsunterschieds von Chlor und Brom in keiner Weise zu erwarten war.

Am 14. Juni 1985 hat die Firma BASF AG ihre Beschwerde zurückgezogen.

V. In der am 18. Dezember 1986 durchgeführten mündlichen Verhandlung, zu der die ordnungsgemäß geladene zweite Einsprechende (BASF AG) nicht erschienen ist, war folgendes zwischen den Parteien unstreitig:

(i) Die Benzaldehydherstellung durch Verseifung von Benzalchlorid und -bromid ist dem allgemeinen Fachwissen zuzurechnen;

(ii) Es ist dem Fachmann bekannt, daß die Verseifung von Benzalchlorid und -bromid mit nahezu quantitativ abläuft;

(iii) Als radikalisches Halogenierungsmittel ist Brom selektiver als Chlor;

Auf Befragen der Kammer hat die Beschwerdegegnerin auch eingeräumt, daß bei der Herstellung von p-tert.- Butylbenzaldehyd durch Halogenierung von p-tert.-Butyltoluol und nachfolgende Hydrolyse aufgrund allgemeinen Fachwissens die Tendenz einer Ausbeuteverbesserung beim Übergang von der Chlorierung zur Bromierung unverkennbar war.

In Anbetracht dieser Sachlage verzichtete die Beschwerdeführerin auf die Erläuterung der Dokumente, die diese Tatsachen belegen.

VI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Die Erfindung betrifft ein Verfahren zur Herstellung von p-tert.-Butylbenzaldehyd und dessen am Kern durch Halogen substituierten Derivaten. Wie in der Beschreibungseinleitung zum vorliegenden Patent (Spalte 1, Zeilen 6 - 58) ausgeführt, sind solche Verfahren bereits bekannt. Zum Beispiel ist aus (31) - DE-A-2 044 832 - die Herstellung des p-tert.- Butylbenzaldehyds durch Verseifung von p-tert.- Butylbenzalchlorid mit Wasser und in Gegenwart eines Katalysators bekannt (vgl. (31), Seite 14, Beispiel 4 und Seite 15, Ausgangsmaterial (12)). Zwar werden dort keine Angaben über die Ausbeute gemacht, es gehört jedoch unstreitig zum allgemeinen Fachwissen, daß diese Art der Hydrolyse mit nahezu quantitativer Ausbeute abläuft.

Ein darauf basierendes Gesamtverfahren ist trotz der hohen Ausbeute in der Hydrolysestufe wirtschaftlich unbefriedigend, da bei der notwendigerweise vorausgehenden Herstellung des p-tert.-Butylbenzalchlorids etwa im Sinne der Vorstufe nach Beispiel 8 von (31) durch radikalische Chlorierung von p-tert.-Butyltoluol Nebenprodukte erhalten werden, deren organisch gebundenes Chlor nur zum Teil wieder abgespalten werden kann, was die Gesamtausbeute des Zweistufenverfahrens verringert.

3. Diesem nächsten Stand der Technik gegenüber ist daher die patentgemäß bestehende technische Aufgabe darin zu sehen, ein ökonomisches Verfahren zur Herstellung von p-tert.- Butylbenzaldehyd bereit zu stellen, das wesentlich erhöhte Gesamt-ausbeuten ermöglicht.

Diese Aufgabe wird verkürzt dargestellt dadurch gelöst, daß man das aus dem Stand der Technik bekannte Verfahren in analoger Weise mit Brom statt mit Chlor durchführt.

Es ist auch glaubhaft, daß diese Aufgabe tatsächlich gelöst wird, vgl. Beispiel 1 und das Vergleichsbeispiel. Durch die Verwendung von Brom wird die Ausbeute an p-tert.- Butylbenzaldehyd von ungefähr 66 % auf 92,5 % erhöht.

4. Ein derartiges Verfahren ist - wie die Prüfung der vorliegenden Druckschriften durch die Kammer ergeben hat - nicht vorbeschrieben, also neu. Im einzeln braucht die Neuheit des Verfahrens gemäß Anspruch 1 nicht begründet zu werden, da diese von der Beschwerdeführerin nicht bestritten worden ist.

5. Es ist daher zu untersuchen, ob es für den Fachmann angesichts der Aufgabe -ein ökonomisches Verfahren zur Herstellung von p-tert.-Butylbenzaldehyd vorzuschlagen, das wesentlich höhere Ausbeuten ermöglicht - nahelag, hierfür das Verfahren nach dem Streitpatent vorzuschlagen.

5.1. Das Verfahren, so wie es im Streitpatent beansprucht ist, ist zugegebenermaßen in seine beiden Stufen und mit allen dort enthaltenen Merkmalen dem allgemeinen Fachwissen zuzurechnen.

5.2. Es ist ferner unstreitig, daß die hier interessierende Bromierung erwartbar selektiver abläuft als die Chlorierung; dieses allgemeine Fachwissen wird auch dadurch bestätigt, daß - wie von der Beschwerdeführerin eingeräumt - die Seitenkettenhalogenierung der Grundsubstanz Toluol beim Übergang von der Chlorierung zur Bromierung eine Ausbeuteverbesserung von ungefähr 70 % auf ca. 80 %, d.h. um etwa 10 %, mit sich bringt. Die Beschwerdegegnerin räumt auch durchaus ein, daß dieses Ergebnis aus fachmännischer Sicht auf die nächsthöheren Homologen, wie das p-tert.-Butyltoluol verallgemeinert werden kann. Demnach war die Tendenz einer Ausbeuteverbesserung beim Übergang von der Chlorierung zur Bromierung für den Fachmann klar zu erkennen.

5.3. Indes macht die Beschwerdegegnerin geltend, daß das Ausmaß der tatsächlich gefundenen Ausbeuteverbesserung überraschend sei und dieser Effekt die erfinderische Tätigkeit des Verfahrens nach dem Streitpatent trage.

Sie betont weiter, daß Brom wesentlich teurer als Chlor sei (vgl. (1), Seite 154, Absatz 1) und allein schon deshalb vom Fachmann angesichts der Aufgabe, ein ökonomisches Verfahren anzugeben, nicht in Betracht gezogen worden wäre.

5.4. Es ist unstreitig, daß der Fachmann auf dem Gebiet der Chemie mangels theoretischer Erkenntnisse und mangels gesicherter wissenschaftlicher Zusammenhänge in der Regel keine verläßlichen quantitativen Voraussagen über Ausbeuten machen kann. Vielmehr ist er diesbezüglich regelmäßig aufs Experiment angewiesen.

Diese Regel gilt auch hier, wenngleich mit der Einschränkung, daß der allgemeine Erfahrungssatz, wonach die Bromierung von Alkylaromaten selektiver verläuft als die Chlorierung, dem Fachmann die Aussage erlaubt, daß die Bromierung des gleichen Ausgangsstoffes - verglichen mit der Chlorierung - eine verbesserte Ausbeute zur Folge hat. Wenn die Beteiligten in diesem Zusammenhang - derzeit unwiderlegbar - übereinstimmend ausführen, man hätte aus fachmännischer Warte mit einer ca. 10%igen Ausbeuteverbesserung rechnen können, so handelt es sich hierbei nach Auffassung der Kammer nicht um eine quantifizierte Voraussage, sondern um den Versuch, eine wesentliche Ausbeuteverbesserung vorherzusagen. Nachdem nicht geltend gemacht wurde, daß mit dieser Ausbeuteverbesserung zwangsläufig eine Verschlechterung anderer wesentlicher Verfahrensparameter einher geht, so hätte der Fachmann angesichts der voraussehbaren Tendenz der wesentlichen Ausbeuteverbesserung bei dem Übergang von Chlor zum Brom (und damit unverrückbarem Ausgangsstoff) bei der Lösung der hier bestehenden Aufgabe diesem Umstand besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Unter diesen Umständen lag es für den Fachmann in der Tat nahe, die Herstellung von p-tert.-Butylbenzaldehyd durch Bromierung von p-tert.-Butyltoluol und anschließender üblicher Verseifung zu versuchen und hierbei das Ausmaß der tatsächlich erzielbaren Ausbeuteverbesserung empirisch zu ermitteln.

Wenn der Fachmann nach Durchführung solcher Routineversuche vom Ergebnis angenehm überrascht ist, kann dieser Umstand nicht die erfinderische Tätigkeit dieses Verfahrens tragen, weil er hierbei die aufgabengemäß vorgezeichnete Bahn nicht zu verlassen brauchte und das erzielte Resultat dem planmäßig und damit nicht erfinderisch Handelnden in den Schoß fallen mußte.

5.5. Die Tatsache, daß Brom wesentlich teurer ist als Chlor, hätte den Fachmann nicht davon abgehalten, die oben erwähnten Versuche durchzuführen; denn bekanntlich läßt sich Brom im Gegensatz zum Chlor - wegen der leichten Oxidierbarkeit des gebildeten Bromwasserstoffs - ohne viel Aufwand zurückgewinnen. Der Preisunterschied zwischen Chlor und Brom hätte daher die Ökonomie des Verfahrens nicht wesentlich beeinträchtigt; außerdem handelt es sich hier unstreitig um ein Produkt, das nicht in großtechnischen Mengen hergestellt wird.

5.6. Auch der im Einspruchsverfahren vorgelegte Versuchsbericht vom 18. Januar 1983 ist nicht geeignet, die erfinderische Tätigkeit des Verfahrens nach dem Streitpatent darzutun. Dieser beschreibt das Ergebnis der Bromierung von p-tert.- Butylbenzol, wobei neben unverändertem Ausgangsstoff etwa gleiche Mengen an p-Brom-tert.-butylbenzol und -Brom-tert- butylbenzol anfallen. Daraus soll hergeleitet werden, daß auch beim Verfahren des Streitpatents die gleichen unerwünschten Reaktionen, d.h. Kernbromierung und Bromierung der tert.-Butylgruppe zu erwarten waren.

Dieser Versuch ist jedoch für die hier zu beantwortende Frage nicht aussagekräftig. Die gewählte Testsubstanz besitzt zwar bromierbare kernständige Wasserstoffatome (o-Position), es fehlt jedoch eine Methylgruppe, deren Bromierung nach dem Streitpatent gerade beabsichtigt ist. Der Versuch zeigt demnach nur, daß unter übrigens recht drastischen Reaktionsbedingungen der aromatische Kern und der tert.-Butylrest in Abwesenheit der zugegebenermaßen wesentlich reaktiveren Methylgruppe angegriffen wird; er gestattet aber keine Rückschlüsse, daß die beiden Reaktionen zwangsläufig im erheblichen Ausmaß als Nebenreaktionen bei einem Molekül auftreten, bei dem diese beiden Reaktionen in Konkurrenz zu der reaktionskinetisch stark bevorzugten Bromierung der Methyl- zur Dibrommethylgruppe steht.

Aus diesem Grund wäre der Fachmann nicht den Umweg eines derartigen Vorversuchs gegangen, er hätte vielmehr in Erwartung der Ausbeuteverbesserung die Bromierung von p-tert.-Butylbenzol direkt versucht, wie unter Abschnitt 5.4 bereits dargelegt.

5.7. Demnach beruht das Verfahren nach Anspruch 1 des Streitpatents nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

5.8. Die Unteransprüche 2 bis 7, für die ein eigener erfinderischer Gehalt weder geltend gemacht wurde, noch erkennbar ist, müssen wegen mangelnder Patentfähigkeit des Gegenstands des Hauptanspruchs fallen.

6. Bei dieser Sachlage erübrigt sich eine Stellungnahme zu den weiteren von der Beschwerdeführerin im Verfahren angeführten Dokumente.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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