T 0650/88 () of 22.5.1990

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1990:T065088.19900522
Datum der Entscheidung: 22 Mai 1990
Aktenzeichen: T 0650/88
Anmeldenummer: 81100887.9
IPC-Klasse: C08L 97/02
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Herstellung von Holzwerkstoffen mit sehr geringer Formaldehydabgabe
Name des Anmelders: VEB Leuna-Werke
Name des Einsprechenden: BASF Ak
Kammer: 3.3.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: Novelty - Disclaimer
Inventive step yes
Neuheit - Disclaimer
Erfinderische Tätigkeit ja
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0170/87
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Am 12. Juni 1985 wurde das europäische Patent Nr. 0 037 878 auf die Anmeldung Nr. 81100887.9 erteilt, die am 9. Februar 1981 eingereicht worden war und die Priorität der DDR- Anmeldung Nr. 219 127 vom 19. Februar 1980 beanspruchte.

II. Mit Telex vom 11. März 1986, das vorschriftsmäßig schriftlich bestätigt wurde, legte die Beschwerdeführerin Einspruch wegen mangelnder Neuheit und/oder mangelnder erfinderischer Tätigkeit ein. Die Einsprechende stützte sich dabei insbesondere auf

(1) Chemical Abstracts 90, 39809d (1979) und (2) SU-A-496 291 (Derwent-Referat), während der Beschwerdegegner (Patentinhaber) u. a. die folgende Druckschrift heranzog:

(7) EP-A-6 486.

Verspätet erhob die Einsprechende außerdem den Einwand unzureichender Offenbarung (Art. 100 b) EPÜ).

III. In ihrer Entscheidung, die am 28. Juni 1988 mündlich erging und am 31. Oktober 1988 mit schriftlicher Begründung zur Post gegeben wurde, wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück, da keiner der Einspruchsgründe vorliege. Das Patent wurde demzufolge unverändert aufrechterhalten; der einzige unabhängige Anspruch 1 lautete, wie folgt:

"Herstellung von Holzwerkstoffen mit sehr geringer Formaldehydabgabe, vorzugsweise von Holzspanplatten, die durch Verleimung entsprechender Rohstoffe, vorzugsweise von Holzspänen, mit an sich bekannten Kondensationsprodukten aus Harnstoff und Formaldehyd, gegebenfalls im Gemisch mit anderen Aldehyden, hergestellt werden, dadurch gekennzeichnet, daß dem zu verleimenden Holzrohstoff oder dem Bindemittel Kondensationsprodukte aus Harnstoff und Formaldehyd im Molverhältnis 1,0:0,3 bis 1,0:1,0, gegebenenfalls in Verbindung mit einem formaldehydbindenden Monomeren, zugefügt werden."

IV. Gegen diese Entscheidung wurde am 24. Dezember 1988 unter Entrichtung der Beschwerdegebühr Beschwerde eingelegt; die Beschwerdebegründung wurde am 28. Februar 1989 eingereicht. Die Beschwerdeführerin begehrte die Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit und berief sich dabei vor allem auf die vorgenannten Entgegenhaltungen und auch auf die weitere Druckschrift

(10) DE-A-2 745 951.

V. Am 8. März 1990 erging eine Mitteilung an die Beteiligten, in der die Beschwerdekammer feststellte, daß sie die Entgegenhaltung (10) wegen ihrer offensichtlichen Relevanz voraussichtlich zulassen werde und durch sie die Neuheit der strittigen Erfindung in Frage gestellt sehe, da sie als Zusatz zu einer Holz-Leim-Mischung ein Gemisch offenbare, das sich von dem beanspruchten nur dadurch unterscheide, daß es zusätzliches Alkalimetallchlorid enthalte, dessen Zugabe durch den Anspruch des Streitpatents aber nicht ausdrücklich ausgeschlossen werde. In der Mitteilung wurden auch Zweifel an der Klarheit des Anspruchs (auf die bei einer etwaigen Änderung zu achten wäre) und am erfinderischen Charakter des beanspruchten Verfahrens gegenüber den Entgegenhaltungen geäußert.

VI. Am 22. Mai 1990 fand eine mündliche Verhandlung statt.

VII. In ihrem mündlichen und schriftlichen Vorbringen behauptet die Beschwerdeführerin, die Erfindung sei nicht neu, da das Dokument (10) jedes der Merkmale des Anspruchs 1 des Streitpatents und insbesondere den Zusatz eines zweiten Harnstoff-Formaldehyd-Kondensationsprodukts offenbare, bei dem einem Beispiel der Entgegenhaltung zufolge das Verhältnis von Harnstoff zu Formaldehyd 1:1 betragen könne. Bezüglich der erfinderischen Tätigkeit machte die Beschwerdeführerin geltend, daß das Problem der Formaldehydabgabe aus Spanplatten ebenso bekannt sei wie seine Lösung, die darin bestehe, zusätzlichen Harnstoff zuzugeben, der dann überschüssigen Formaldehyd binden könne.

VIII. Der Beschwerdegegner machte demgegenüber geltend, die Lehre des Dokuments (10) unterscheide sich sowohl von der Zielsetzung als auch vom Verfahren her grundlegend von der Erfindung, da sich das Dokument maßgeblich auf einen hohen Alkalimetallhalogenidanteil im hinzugefügten Gemisch stütze. Das Gemisch werde nicht zur Verringerung der Formaldehydabgabe, sondern vielmehr als Katalysator zugesetzt, der die Reaktion des Harnstoffs mit dem Formaldehyd im Grundleim beschleunigen solle. Der Beschwerdegegner erklärte, er sei bereit, die Patentansprüche zu ändern, um klarzustellen, daß der Zusatz eines solchen Halogenids nicht Bestandteil der Erfindung sei. Im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit argumentierte er, die Erfindung zeige, wie man Spanplatten mit besonders niedriger Formaldehydabgabe herstellen könne, indem man ein Kondensationsprodukt aus Harnstoff und Formaldehyd mit geringem Formaldehydanteil zusetze. Bisher sei Harnstoff zugesetzt worden, was jedoch den Nachteil habe, daß die Formaldehydabgabe zwar verringert werde, gleichzeitig aber eine unerwünschte Verschlechterung der mechanischen Eigenschaften eintrete.

IX. Die Beschwerdeführerin beantragte den Widerruf des Patents, der Beschwerdegegner dagegen seine Aufrechterhaltung in unveränderter Form (Hauptantrag) oder in der nachstehend wiedergegebenen geänderten Fassung, in der dieEinfügungen unterstrichen sind (Hilfsantrag).

"Herstellung von Holzwerkstoffen mit sehr geringer Formaldehydabgabe, vorzugsweise von Holzspanplatten, die durch Verleimung entsprechender Rohstoffe, vorzugsweise von Holzspänen, mit an sich bekannten Kondensationsprodukten aus Harnstoff und Formaldehyd als Bindemittel, gegebenenfalls im Gemisch mit anderen Aldehyden, ohne Zusatz von Alkalimetallhalogeniden, hergestellt werden, dadurch gekennzeichnet, daß dem zu verleimenden Holzrohstoff oder dem Bindemittel Kondensationsprodukte aus Harnstoff und Formaldehyd im Molverhältnis 1,0:0,3 bis 1,0:1,0, gegebenenfalls in Verbindung mit einem formaldehydbindenden Monomeren, zugefügt werden."

X. Am Schluß der mündlichen Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.

2. Allgemeines Die Erfindung betrifft Holzgemische der als Holzspanplatten bekannten Art und vergleichbare Erzeugnisse. Zur Herstellung solcher Erzeugnisse wird Holz zu Spänen oder zu Holzbrei zerkleinert und dann zu Platten der gewünschten Form und Größe verleimt. Harnstoff-Formaldehyd-Harze sind als Leim besonders gut geeignet und werden viel für diesen Zweck verwendet. Sie haben jedoch den Nachteil einer unerwünschten Formaldehydabgabe.

2.1. Wie im Streitpatent angegeben ist und durch eine Reihe weiterer im vorliegenden Fall angezogener Dokumente bestätigt wird, liegt das Molverhältnis von Harnstoff zu Formaldehyd bei den in diesem Industriezweig normalerweise verwendeten Harzen zwischen 1:1,2 und 1:1,7. Bekannt war ferner, wie den Dokumenten (7) und (8) zu entnehmen ist, daß Harze mit niedrigerem Formaldehydanteil zwar weniger Formaldehyd abgeben, dafür aber ein Abfall der Reaktionsgeschwindigkeit und eine Verschlechterung der mechanischen Eigenschaften der fertigen Platten in Kauf genommen werden müssen.

2.2. Um die Reaktionsgeschwindigkeit zwischen Harnstoff und Formaldehyd zu erhöhen, werden oft Katalysatoren zugesetzt, und zwar meistens Ammoniumchlorid.

3. Hauptantrag Die Neuheit des unveränderten Anspruchs wird unter Berufung auf das Dokument (10) bestritten. Dieses Dokument ist auf einen als neu bezeichneten Katalysator gerichtet. Vorgeschlagen wird dort, anstelle des üblicherweise verwendeten Ammoniumchlorids ein Gemisch zuzusetzen, das aus einem Alkalimetallhalogenid - als Beispiel wird Natriumchlorid genannt - in Gegenwart von Harnstoff und Formaldehyd besteht. Hervorzuheben ist, daß das Beispiel in der Tabelle V auf Seite 25 ein Gemisch aus Harnstoff und Formaldehyd im Molverhältnis von genau 1:1 offenbart.

3.1. In (10) werden somit alle Merkmale des zur Diskussion stehenden Anspruchs offenbart, nämlich - die Herstellung von Spanplatten, - die wenig Formaldehyd abgeben, - wobei als Hauptleim ein Kondensationsprodukt aus Harnstoff und Formaldehyd verwendet wird, - dem ein zusätzliches Kondensationsprodukt aus Harnstoff und Formaldehyd zugesetzt wird, - das ein Molverhältnis von 1:1 aufweist, auch wenn das zusätzliche Kondensationsprodukt einen hohen Natriumchloridanteil enthält und zu einem anderen Zweck zugegeben wird.

3.2. Da der Anspruch des Streitpatents gemäß Hauptantrag den Natriumchloridgehalt nicht ausdrücklich ausschließt, ist sein Anspruch 1 nach Auffassung der Kammer nicht neu. Daher muß der Hauptantrag zurückgewiesen werden.

4. Hilfsantrag

4.1. Mit seinem Hilfsantrag beschränkt der Beschwerdegegner den Umfang des Anspruchs in der oben im Abscnitt IX dargelegten Weise. Im einzelnen handelt es sich bei der Einfügung "ohne ... Alkalimetallhalogeniden", um einen Disclaimer, wie er u. a. zur Herstellung von Neuheit nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern zulässig ist (siehe z. B. Entscheidung T 170/87 "Heißgaskühler/SULZER", ABl. EPA 1989, 441, Abschnitt 8.4, insbesondere 8.4.1). Bei der Einfügung "als Bindemittel" handelt es sich um eine wegen der Bezugnahme auf das Bindemittel im Anspruchskennzeichen gebotene Klarstellung, die den technischen Inhalt des Anspruchs nicht verändert. Die Änderungen sind daher nach Artikel 123 (2) EPÜ zulässig. Dasselbe gilt auch im Hinblick auf Artikel 123 (3) EPÜ, da der Schutzbereich des Anspruchs gegenüber der erteilten Fassung keinesfalls erweitert wird.

4.2. Neuheit Durch Ausschluß eines Zusatzes von Alkalimetallhalogeniden hat der Beschwerdegegner den Einwand ausgeräumt, der Gegenstand der Erfindung sei angesichts des Dokuments (10) nicht neu. Auch keine der anderen Entgegenhaltungen offenbart die Kombination sämtlicher Merkmale des Anspruchs 1 (Hilfsantrag). Daher ist der Gegenstand des Anspruchs neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ.

4.3. Nächster Stand der Technik Als nächsten Stand der Technik sieht die Kammer Dokument (7) an, auf das auch die Beschreibungseinleitung verweist (Spalte 1, Zeile 32). In diesem Dokument geht es, wie Seite 3, Zeilen 34 bis 37 zu entnehmen ist, um dasselbe Grundproblem wie im Streitpatent, nämlich die Verringerung der Formaldehydabgabe bei Spanplatten. Als Lösung wird dort vorgeschlagen, auf die Oberfläche der Platten zusätzlichen Harnstoff aufzubringen, der aus dem Platteninneren freigesetzten Formaldehyd abbinden soll. Im einzigen Beispiel wird aufgezeigt, daß sich die Formaldehydabgabe durch das Verfahren dieses früheren Dokuments um 35 % senken läßt. Auf Seite 4, Zeilen 10 bis 12 heißt es zwar, daß die mechanischen Eigenschaften der Platten dadurch nicht beeinträchtigt werden; diese Behauptung wird jedoch nicht mit Zahlenmaterial untermauert.

4.4. Aufgabe Gegenüber diesem früheren Dokument kann die Aufgabe, die sich dem Patentinhaber im vorliegenden objektiv stellte, darin gesehen werden, die Formaldehydabgabe weiter zu verringern, ohne die mechanischen Eigenschaften der Platten zu beeinträchtigen.

4.5. Lösung Der Vorschlag des Streitpatents besteht darin, zwei Harnstoff-Formaldehyd-Kondensationsprodukte zu verwenden. Das eine ist ein als Hauptleim (=Bindemittel) eingesetztes Harnstoff-Formaldehyd-Kondensat und wird in den üblichen Mengen verwendet. Zusätzlich wird dem Holzrohstoff oder dem Bindemittel eine weitere Menge eines Harnstoff-Formaldehyd- Kondensationsprodukts hinzugefügt, wobei dieses zusätzliche Kondensat ein niedriges Molverhältnis von Harnstoff zu Formaldehyd aufweisen muß, das zwischen 1,0:0,3 und 1,0:1,0 liegt.

4.5.1. Beispiel 1 des Streitpatents, das dem üblichen Stand der Technik entspricht, wird dem erfindungsgemäßen Beispiel 2 gegenübergestellt. Im Verlauf der mündlichen Verhandlung stellte sich die Frage, ob Beispiel 3 unter die Erfindung fällt. Zweifel hieran kamen auf, weil der Anspruch die Zugabe des spezifizierten zusätzlichen Kondensationsprodukts fordert, Beispiel 3 dagegen auf die Zugabe eines Hauptleims und darüber hinaus eines kleinen Anteils eines Produkts Bezug nimmt, das zu 40 % aus dem Leim gemäß Anspruch 1, zu 40 % aus Harnstoff und zu 20 % aus Wasser besteht. Daher könnte man zunächst vermuten, daß es sich bei dem Zusatz um Harnstoff und nicht um ein Kondensationsprodukt handelt. Seitens des Beschwerdegegners wurde jedoch geltend gemacht und von der Beschwerdeführerin eingeräumt, daß diese Mischung in einem solchen Umfang reagieren würde, daß sie als zusätzliches Kondensationsprodukt aus Harnstoff und Formaldehyd angesehen werden kann. Demgemäß ist auch die Kammer zu der Auffassung gelangt, daß dieses Beispiel der Erfindung entspricht.

4.5.2. Im Vergleichsbeispiel 1 beträgt die Formaldehydabgabe 0,035 % gegenüber < 0,01 % und 0,01 % in den erfindungsgemäßen Beispielen 2 und 3. Diesen Zahlen zufolge verringert sie sich bei den erfindungsgemäßen Platten um mehr als 60 %.

4.5.3. Was die mechanischen Eigenschaften der erfindungsgemäßen Platten anbelangt, so belegen die Zahlen für die drei Tests im Beispiel 2 und die zwei weiteren Tests im Beispiel 3 nicht genau dieselben mechanischen Eigenschaften wie im Vergleichsbeispiel 1. Dennoch ist die Kammer der Auffassung, daß keine wesentlichen Unterschiede bestehen. Zwar werden in den genannten Beispielen erfindungsgemäße Platten nicht mit denjenigen gemäß (7), sondern mit solchen gemäß dem üblichen Stand der Technik verglichen. Da aber (7) seinerseits einen Vergleich mit dem üblichen Stand der Technik bringt und dabei eine um lediglich 35 % verringerte Formaldehydabgabe bei vergleichbaren mechanischen Eigenschaften erreicht, ist es für die Kammer auch ohne den normalerweise erforderlichen direkten Vergleich mit dem nächsten Stand der Technik - hier (7) - glaubhaft, daß die diesem gegenüber bestehende Aufgabe tatsächlich gelöst ist; dies zumal die angeführten Ergebnisse als solche unbestritten sind.

4.5.4. Die Beschwerdeführerin hat allerdings darauf hingewiesen, daß die mechanischen Eigenschaften bei Einsatz des erfindungsgemäßen Verfahrens nur deshalb annähernd aufrechterhalten werden konnten, weil wesentlich mehr Leim verwendet werde. Statt 8 % Leim in Beispiel 1 kamen in den Beispielen 2 und 3 folgende Leimmengen zum Einsatz:

Beispiel 2 Hauptleim Zusatzleim Insgesamt 82,310,3 82,310,3 6,62,38,9 Beispiel 3

8 2,4 10,4 7,4 2,4 9,8 Die Beschwerdeführerin hob hervor, daß schon bei den Tests mit einem Leimanteil von insgesamt 8,9 % bzw. 9,8 % etwas schlechtere mechanische Eigenschaften festgestellt wurden, was darauf hinweise, daß die Erfindung tatsächlich erhebliche Einbußen bei der Festigkeit mit sich bringe, die dadurch ausgeglichen werden müßten, daß rund 25 % mehr Leim als nach Beispiel 1 (z. B. 10,3 % statt 8 %) verwendet werde, um vergleichbare mechanische Eigenschaften zu erzielen. Somit unterscheide sich das nach der Erfindung Erzielbare nicht von den Ergebnissen nach (7), wonach die Formaldehydabgabe durch Zusatz von weiterem Harnstoff auf Kosten der mechanischen Eigenschaften der Platten verringert werden könne.

4.5.5. Die Beschwerdeführerin legte kein Zahlenmaterial vor, aufgrund dessen man beurteilen könnte, ob der Zusatz von weiterem Harnstoff zu einem herkömmlichen Harnstoff- Formaldehyd-Harz eine andere Wirkung hat als der hier zur Diskussion stehende Zusatz eines harnstoffreichen Kondensationsprodukts; ebensowenig liegen Angaben vor, anhand deren man feststellen könnte, welche zusätzliche Leimmenge für einen etwaigen Ausgleich nachteiliger Auswirkungen des Harnstoffzusatzes auf die mechanischen Eigenschaften erforderlich sein könnte. Die Beschwerdeführerin hätte den Effekt der Erfindung nur in Frage stellen können, wenn es ihr gelungen wäre nachzuweisen, daß bei der erfindungsgemäßen Verwendung von zwei Harnstoff-Formaldehyd-Kondensationsprodukten - einem mit einem höheren und einem mit einem niedrigeren Molverhältnis dieser Reaktanten - dieselbe Wirkung erzielt wird wie mit einem einzigen Kondensationsprodukt, dessen Gesamtmolverhältnis der Kombination der beiden Kondensationsprodukte entspricht. Die Beschwerdeführerin hat jedoch nicht die zur eventuellen Stützung einer solchen Feststellung erforderlichen Beweismittel vorgelegt.

4.6. Erfinderische Tätigkeit Bei der Frage nach der erfinderischen Tätigkeit ist zu klären, ob für den Fachmann, der sich der unter Abschnitt 4.4 beschriebenen Aufgabe gegenübergesehen und das Dokument (7) als Ausgangsbasis gehabt hätte, die im Streitpatent vorgeschlagene Lösung nahegelegen hätte.

4.6.1. Nach Ansicht der Kammer legt die Lehre von (7) den Oberflächen der Spanplatten zusätzlichen Harnstoff zuzufügen, in keiner Weise den Gedanken nahe, der Holzmasse zwei Harnstoff-Formaldehyd-Kondensationsprodukte zuzusetzen. Die in (7) und auch im Streitpatent angegebenen Werte für die Formaldehydabgabe lassen erkennen, daß mit dem Verfahren des Streitpatents das gesetzte Ziel wesentlich besser erreicht wird als nach der Lehre des früheren Dokuments.

4.6.2. Das Dokument (10) ist zwar, wie bereits festgestellt, für die Beurteilung der Neuheit des Anspruchs gemäß Hauptantrag höchst relevant; seine Lehre betrifft jedoch den gezielten Zusatz von Alkalimetallchloriden zum Zwecke der Reaktionsbeschleunigung bei der Aushärtung von Spanplatten. Es enthält eine ganze Reihe von Beispielen, wobei nur in einem einzigen das Harnstoff-Formaldehyd-Verhältnis von 1:1 auftaucht, das am äußeren Rand des im strittigen Anspruch angegebenen Bereichs liegt. Ansonsten beziehen sich die zahlreichen Beispiele allesamt auf den Zusatz von Harnstoff-Formaldehyd-Gemischen mit einem beträchtlichen Chloridanteil und einem höheren Harnstoff-Formaldehyd- Verhältnis als 1:1. Somit enthält dieses Dokument keinerlei Anregung in Richtung auf die im Streitpatent vorgeschlagene Lösung.

4.6.3. Von den anderen für die vorliegende Beschwerde relevanten Dokumenten lehrt (1), daß sich die Formaldehydabgabe durch die Wahl geeigneter Härter und mit abnehmendem Formaldehyd- Harnstoff-Verhältnis verringern läßt. Damit enthält dieses Dokument aber noch keine Anregung zur Verwendung von zwei Harnstoff-Formaldehyd-Gemischen.

4.6.4. Auch das Dokument (2) bevorzugt für den einzigen darin vorgeschlagenen Leim ein relativ niedriges Harnstoff-Formaldehyd-Verhältnis im Bereich zwischen 1:0,9 und 1:1,35, enthält jedoch keinen Anhaltspunkt für den Einsatz von zwei Kondensaten.

4.6.5. Zusammenfassend ist zu sagen, daß keines dieser Dokumente einen Hinweis auf den Vorschlag des Streitpatents enthält, zwei verschiedene Harnstoff-Formaldehyd- Kondensationsprodukte zu verwenden. Aufgrund dieser Überlegungen gelangt die Kammer zu dem Schluß, daß der Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht zutrifft.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Der Hauptantrag des Beschwerdegegners wird zurückgewiesen.

3. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent in geändertem Umfang auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung überreichten Anspruchs (Hilfsantrag) aufrechtzuerhalten.

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