T 0505/88 () of 14.5.1990

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1990:T050588.19900514
Datum der Entscheidung: 14 Mai 1990
Aktenzeichen: T 0505/88
Anmeldenummer: 83103881.5
IPC-Klasse: A61N 1/05
H01B 11/18
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Mehrpolige koaxiale Leitung
Name des Anmelders: Siemens-Elema
Name des Einsprechenden: Biotronik GmbH
Kammer: 3.4.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: inventive step - problem - long standing
state of the art
erfinderische Tätigkeit (nein)
kein langer Zeitraum aufgrund nicht anwendbaren
Standes der Technik
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0570/18
T 1054/18

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdegegnerin ist Inhaberin des europäischen Patents 0 092 798 (Anmeldenummer 83 103 881.5) Anspruch 1 dieses Patents lautet:

"1. Mehrpolige koaxiale Elektrodenleitung (1) für einen implantierbaren Herzschrittmacher mit durch jeweils mindestens eine Isolierschicht (4) voneinander getrennten, koaxial verlaufenden elektrischen Leiterwendeln (2.5) sowie mit einer zentralen Öffnung (3) für einen Führungsdraht, wobei die innerste Leiterwendel (2) aus Draht besteht dadurch gekennzeichnet, daß die auf diese innerste Drahtwendel aufgebrachte(n) Leiterwendel(n) (5) aus Metallband besteht (bestehen).

Die übrigen Ansprüche 2 bis 4 sind auf Anspruch 1 rückbezogen.

II. Die Beschwerdeführerin hat gegen die Patenterteilung unter Hinweis auf Art. 100 (a) EPÜ wegen mangelnder Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 im Hinblick auf das Dokument:

D1: EP-A-0 022 556 Einspruch erhoben, wobei sie zur Stützung ihrer Auffassung, daß die in Dokument D1 verwendeten Leiter als "Flachdrähte" anzusprechen seien, ferner auf folgendes Dokument verwies:

D3: Klein: "Einführung in die DIN-Normen", B. G. Teubner, Stuttgart, sowie Beuth Verlag, Berlin und Köln, 1980, Seite 588.

III. Der Einspruch wurde zurückgewiesen.

Die Einspruchsabteilung hat den Einspruch im wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, daß die Verwendung des Begriffes "Draht" gemäß Dokument D3 nicht in das Fachgebiet der Leitungen für Herzschrittmacher allgemein Eingang gefunden habe und zusätzlich unter Würdigung der Beschreibung des Streitpatents unter einem "Draht" ein Gebilde mit kreisrundem Querschnitt und unter einem "Metallband" ein Gebilde mit flachem rechteckigen Querschnitt zu verstehen sei. Überdies gebe der Stand der Technik keine Anregung, in der aus Dokument D1 bekannten, ausschließlich Metallbänder verwendenden Elektrodenleitung, den innersten Koaxialleiter durch eine Leiterwendel aus einem Draht mit kreisrundem Querschnitt zu ersetzen, um Schwierigkeiten bei der Einführung eines Führungsdrahtes in die - vom innersten Koaxialleiter eingeschlossene -zentrale Öffnung zu beseitigen.

IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) Beschwerde erhoben. Sie beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents, hilfsweise mündliche Verhandlung.

V. In einem Bescheid gemäß Art. 110 (2) EPÜ äußerte die Kammer gestützt auf Art. 114 (1) EPÜ unter anderem Bedenken hinsichtlich einer dem Gegenstand des Anspruchs 1 zugrundeliegenden erfinderischen Tätigkeit. Bei der Verwendung der aus Dokument D1 bekannten bandförmigen Leiterwendeln in einer Elektrodenleitung mit Leiterwendeln aus ausschließlich kreisrunden Drähten, wie sie aus dem in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents genannten Dokument D2: DE-A-2 820 867 bekannt ist, könnte es nämlich als naheliegend erachtet werden, die Durchmesserverringerung durch den Austausch gegen eine bandförmige Leiterwendel auf die äußeren Leiterwendeln zu beschränken, wenn sich aus der Praxis ergibt, daß eine innerste Leiterwendel aus Draht für die Einführung eines Führungsdrahtes vorteilhafter ist.

VI. In ihrer Erwiderung auf diesen Bescheid hielt die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) ihren Antrag, das Streitpatent in der erteilten Fassung unverändert aufrechtzuerhalten, aufrecht und stützte ihn im wesentlichen auf folgende Argumente:

a) Die der Erfindung zugrundeliegende Aufgabe bestünde keineswegs nur in der sicheren Einführung eines Führungsdrahtes sondern sei vielmehr insgesamt darin zu sehen, unter Beibehaltung hoher Flexibilität und Dauerbiegefestigkeit sowie eines geringen Totaldurchmessers, die sichere Einführung eines Führungsdrahtes ohne zusätzliche Maßnahmen zu ermöglichen; vgl. das Streitpatent, Spalte 1 Zeilen 47-54.

b) Die innerste bandförmige Leiterwendel der aus Dokument D1 bekannten Elektrodenleitung werde von einem Hohlkern aus Kunststoff getragen; vgl. Dokument D1, Seite 8, Zeile 3, bis Seite 9, Zeile 7. Bei einem Austausch dieser innersten Wendel aus Metallband gegen eine Drahtwendel (zu dem aber keine Anregung bestünde) würde überdies die Öffnungswand für den Führungsdraht nicht durch den Draht sondern durch den Kunststoff-Hohlkern gebildet werden. Die Kombination der Dokumente D1 und D2 führe somit nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1.

c) Die Verwendung bandförmiger koaxialer Leiter auf dem Gebiet der Medizin sei auch aus dem Dokument DE-A- 2 408 707 (D4) bekannt. Ferner beschreibe das Dokument US-A-3 416 533 (D5) eine Elektrodenleitung für einen implantierbaren Stimulator mit koaxialen Drahtleitern und einer zentralen Öffnung. Bereits seit Mitte der siebziger Jahre wäre es somit theoretisch möglich gewesen, band- und drahtförmige Wendeln zu einer Koaxialleitung zu kombinieren. Trotzdem sei diese Kombination erstmals im Streitpatent vorgeschlagen worden.

Hilfsweise beantragt die Beschwerdegegnerin im Oberbegriff des Anspruchs 1 (Spalte 3, Zeile 36 der Patentschrift) nach "besteht" einzufügen "und die Wände für die Öffnung ausmacht".

VII. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) teilte mit, daß sie der im Bescheid der Kammer geäußerten Meinung zustimme, soweit diese die mangelnde erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Streitpatents beträfe.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Neuheit

2.1. Bei den zum Stand der Technik gehörenden Elektrodenleitungen bestehen alle - d. h. innerste und äußere -Leiterwendeln entweder aus Metallband (vgl. die Dokumente D1 und D4) oder aus Draht (vgl. die Dokumente D2 und D5). Gegenüber den aus den Dokumenten D1 und D4 bekannten Elektrodenleitungen unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 also durch eine "innerste Leiterwendel aus Draht", wobei der Vorinstanz darin zu folgen ist, daß das in Dokument D1 beschriebene Metallband kein Draht im Sinne des Streitpatents ist. Der Unterschied des Anspruchs 1 zu den in den Dokumenten D2 und D5 Elektrodenleitungen kommt durch die in seinem Kennzeichen definierten Merkmale zum Ausdruck, d. h. "daß die auf diese innerste Drahtwendel aufgebrachte (n) Leiterwendel (n) aus Metallband besteht (bestehen)."

2.2. Die übrigen im Verfahren befindlichen oder im Recherchenbericht genannten Druckschriften liegen vom Gegenstand des Streitpatents weiter ab und können unerörtert bleiben.

2.3. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu.

3. Erfinderische Tätigkeit.

3.1. Die Dauerbiegefestigkeit einer Elektrodenleitung ist - wie auch Dokument D1, insbesondere Seite 6, Abs. 3 und 4 erkennen läßt - primär eine Eigenschaft des verwendeten Leitermaterials. Der sachliche Inhalt des Anspruchs 1 des Streitpatents beschränkt sich hingegen allein auf die Charakterisierung der geometrischen Form der Leiter. Nur die den jeweils beanspruchten technischen Mitteln inhärente Wirkung wird jedoch nach ständiger Rechtspraxis zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin in Pkt. VI- a) ist deshalb eine Erhöhung der Dauerbiegefestigkeit nicht in die dem Streitpatent zugrundeliegende objektive Aufgabe miteinzubeziehen.

3.2. Bei der auf erfinderische Tätigkeit hin zu überprüfenden Verwendung der Lehre des Dokuments D1 in der aus Dokument D2 bekannten Elektrodenleitung mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1 verbleibt somit als die dem Streitpatent objektiv zugrundeliegende Aufgabenstellung, unter Beibehaltung einer sicheren Einführung eines Führungsdrahtes ohne zusätzliche Maßnahmen die Flexibilität der aus Dokument D2 bekannten Elektrodenleitung zu erhöhen und ihren Totaldurchmesser herabzusetzen; vgl. das Streitpatent, Spalte 1, Zeilen 47 bis 54.

3.3. Eine Weiterentwicklung des Standes der Technik unter Beibehaltung seiner vorteilhaften Eigenschaften ist ständige Arbeitspraxis eines Fachmanns. Höhere Flexibilität und geringerer Totaldurchmesser sind ferner nach Meinung der Kammer auf dem Gebiet implantierbarer Elektrodenleitungen eine bekannte Zielsetzung. Somit vermag die Formulierung der dem Streitpatent objektiv zugrundeliegenden Aufgabenstellung nicht zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit beizutragen.

3.4. Die vorstehend genannte Aufgabe wird gemäß dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 dadurch gelöst, daß die auf die innerste Drahtwendel aufgebrachte (n) Leiterwendel (n) aus Metallband besteht (bestehen). Aus Dokument D1 ist es bekannt, Leiterwendeln aus Metallband einzusetzen, um die Flexibilität einer Elektrodenleitung für einen implantierbaren Herzschrittmacher zu erhöhen und ihren Gesamtdurchmesser herabzusetzen; vgl. D1 insbesondere Seite 4, Abs. 1. Um vom Stand der Technik zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen, hat der Fachmann also in der aus Dokument D2 bekannten Elektrodenleitung die auf die innerste Drahtwendel (1) aufgebrachte Leiterwendel (2) aus Draht gegen eine aus Dokument D1 bekannte Leiterwendel aus Metallband auszutauschen. Hierin vermag die Kammer nichts zu erkennen, was über die von einem Fachmann zu erwartenden Fähigkeiten hinausgeht. Nach Auffassung de Kammer vermag ein Fachmann vorauszusehen, daß dieser Austausch die ohne weitere zusätzliche Maßnahmen mögliche Einführung eines Führungsdrahtes in die innerste Drahtwendel nicht beeinträchtigt, vielmehr aber erlaubt, die bekannte Flexibilität und Abmessungen eines Metallbandes auszunutzen.

Die Beschwerdegegnerin hat in ihrer Erwiderung auf den Bescheid der Kammer keinerlei Fakten geltend gemacht, aus denen geschlossen werden kann, daß der innerste Draht und die äußeren Metallbänder sich wirkungsmäßig zu einem nicht vorhersehbaren Gesamteffekt unterstützen. Somit bleibt nach Meinung der Kammmer die Beschränkung des Austausches, Draht gegen Metallband, auf die äußere(n) Leiterwendel(n) ein naheliegender Optimierungskompromiß, der es gestattet, die bekannten Wirkungen zweier bekannter technischer Mittel nebeneinander auszunutzen.

3.5. Das zum Geltendmachen eines die erfinderische Tätigkeit tragenden "langen Zeitraums" von der Beschwerdegegnerin in Pkt. VI-c) angezogene Dokument D4 ist sachlich nicht relevant. Zwar betrifft es Elektrodenleitungen für elektromedizinische Geräte, doch werden diese bekannten Elektrodenleitungen außerhalb des Körpers eines Patienten verlegt; vgl. D4, Seite 2, Abs. 2. Zur Implantation in den Körper eines Patienten geeignetes Metallband ist der Fachwelt erst durch Dokument D1 bekannt geworden. Aus dem Zeitraum zwischen der Veröffentlichung des Dokuments D1, Januar 1981, und der Priorität des Streitpatents, April 1982, ist nach Auffassung der Kammer kein Anzeichen für eine die normale technische Entwicklung übertreffende Leistung herzuleiten.

3.6. Zum gleichen Ergebnis kommt man übrigens nach Überzeugung der Kammer auch, wenn man der Betrachtungsweise der Beschwerdegegnerin folgend (siehe Pkt. VI-b) von Dokument D1 als nächstkommender Stand der Technik ausgeht. Für einen Fachmann ist nämlich die sich selbst stützende Struktur der innersten Drahtwendel (1) der aus Dokument D2 bekannten Elektrodenleitung ohne weiteres erkennbar. Um unter Beibehaltung der Flexibilität und der geringen Abmessungen der äußeren bandförmigen Leiterwendeln (1) der Elektrodenleitung gemäß Dokument D1 die vorteilhaften Eigenschaften der aus Dokument D2 bekannten innersten Drahtwendel zur Führung eines Führungsdrahtes auszunutzen, stellt es deshalb nach Auffassung der Kammer für einen Fachmann eine glatte Selbstverständlichkeit dar, in der aus Dokument D1 bekannten Elektrodenleitung die innerste Leiterwendel aus Metallband zusammen mit dem sie stützenden Kunstoff-Hohlkörper gegen eine Drahtwendel auszuwechseln.

4. Schließlich kann auch die von der Beschwerdegegnerin in ihrer Erwiderung vom 18. September 1989, Seite 2, Abs. 2, lediglich zur Klarstellung hilfsweise beantragte Änderung des Anspruchs 1 des Streitpatents, nämlich in Spalte 3, Zeile 36, nach dem Wort "besteht" die Wörter "und die Wände für die Öffnung ausmacht" hinzuzufügen zu keiner anderen Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit führen.

5. Wie oben in Pkt. 3.1 bis 3.6 im einzelnen dargelegt, genügt der Anspruch 1 des Streitpatents weder in der erteilten noch in der geänderten Fassung den Erfordernissen des Artikels 52 (1) in Verbindung mit Art. 56 EPÜ. Das Patent kann daher nicht aufrechterhalten werden. Mit Anspruch 1 fallen auch die von diesem abhängigen Ansprüche 2 bis 4.

6. Da somit dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin stattgegeben wird, ist ihr Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung gegenstandslos.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird aufgehoben.

2. Das europäische Patent 0 092 798 wird widerrufen.

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