T 0440/88 () of 13.2.1990

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1990:T044088.19900213
Datum der Entscheidung: 13 Februar 1990
Aktenzeichen: T 0440/88
Anmeldenummer: 83103262.8
IPC-Klasse: B65H 67/06
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Vorrichtung zum Aneinanderreihen von Kreuzspulen
Name des Anmelders: Maschinenfabrik Rieter
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: inventive step - neighbouring fields
erfinderische Tätigkeit (ja)
erfinderische Tätigkeit - Nachbargebiet
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0176/84
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 2. April 1983 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 20. Juli 1982 angemeldete europäische Patentanmeldung 83 103 262.8 mit der Veröffentlichungsnummer 0 099 959 wurde durch Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 15. April 1988 zurückgewiesen.

Der Entscheidung lagen die mit Eingaben vom 2. Juli 1987 vorgelegten zwei Versionen des Anspruchs 1, sowie abhängige Ansprüche 2 bis 11, zugrunde. Sie wurde damit begründet, daß die Gegenstände der beiden Varianten des Anspruchs 1, im Hinblick auf den Stand der Technik gemäß den Druckschriften

(1) DE-B-2 842 432

(2) DE-A-1 611 712

(3) GB-A-1 103 066 und

(4) DE-C-1 298 873 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.

II. Gegen die Zurückweisungsentscheidung hat die Anmelderin (Beschwerdeführerin) mit einem am 16. Juni 1988 bestätigten Telex vom 14. Juni 1988 Beschwerde eingelegt und beantragt, das nachgesuchte Patent zu erteilen oder hilfsweise eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Die Beschwerdegebühr wurde gleichzeitig entrichtet.

Mit der am 16. August 1988 eingegangenen Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin ihre Beschwerde begründet. Sie vertrat die Auffassung, daß der zurückgewiesene Anspruch 1 gemäß Variante 2 erfinderisch sei.

III. Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung hat die Kammer in einer Mitteilung vom 27. September 1989 gemäß Artikel 11 Absatz 2 der Verfahrensordnung ihre vorläufige Meinung geäußert, wonach beim Gegenstand des Anspruchs 1 nach beiden Varianten die notwendige erfinderische Tätigkeit nicht gesehen werden könne.

IV. Während der mündlichen Verhandlung, die am 13. Februar 1990 stattgefunden hat, hat die Beschwerdeführerin neue Ansprüche und eine an diese angepaßte Beschreibung eingereicht. Am 27. Februar 1990 wurde eine Reinschrift dieser Unterlagen eingereicht.

Der neue Anspruch 1 lautet nach Beseitigung von Übertragungsfehlern wie folgt:

"Vorrichtung an einer Spinnmaschine zum Wegfördern von auf der Spinnmaschine (11) bewickelten Kreuzspulen (14) mit einem Hilfstransportband (16), welches mit einem dem Wegführen der Spulen dienenden, sich längs der Spinnmaschine erstreckenden Haupttransportband (13) in einer Flucht liegt, wobei der Anfang des Hilfstransportbandes an das Ende des Haupttransportbandes angrenzt und beim Transport der Spulen (14) auf den Transportbändern (13, 16) die Spulenachsen der Spulen parallel zu ihrer Bewegungsrichtung liegen, dadurch gekennzeichnet, daß zum Steuern der Bewegungen des Hilfstransportbandes (16) zwecks Aneinanderreihens der Spulen (14) auf diesem Band ein Detektor (23, 45) vorgesehen ist, der durch die von den Transportbänderns (13, 16) bewegten Spulen (14) betätigbar ist und sich in dem Bereich befindet, in welchem die beiden Transportbänder (13, 16) aneinandergrenzen, und der beim Vorbeibewegen einer Spule (14) das Inbewegungsetzen des Hilfstransportbandes (16) bewirkt, und daß Mittel vorgesehen sind zum Anhalten des Hilfstransportbandes (16) nach einer Bewegung desselben um eine Strecke, welche wenigstens ungefähr der Hülsenlänge der Spulen (14) gleich ist, sowie Mittel (36) um nach Aneinanderreihen einer vorbestimmten Anzahl von Spulen (14) auf dem Hilfstransportband (16) zu einer Gruppe diese Spulengruppe bei stillstehenden Hilfstransportband (16) gemeinsam quer zu dessen Längsrichtung wegzufördern und in einer Reihe gemeinsam abzulegen."

Es folgen 8 abhängige Ansprüche 2 bis 8.

Die Beschwerdeführerin hat schriftlich und mündlich Argumente zum Nachweis der erfinderischen Tätigkeit beim Gegenstand des Hauptanspruchs vorgebracht und hat dabei bestritten, daß die Dokumente (2) und (4), die sich auf eine Vorrichtung zum Transport von Paketen aus Schlauchabschnitten bei der Herstellung von Säcken beziehen, als Stand der Technik in Betracht gezogen werden dürfen, weil es sich um einen anderen technischen Bereich handelt. Es wurde hier insbesondere auf die Entscheidung T 176/84 (ABl. EPA 1986, 5) verwiesen, wonach nur ein einschlägiges bzw. benachbartes Gebiet bei der Würdigung der erfinderischen Tätigkeit herangezogen werden dürfe.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Der Gegenstand des neuen Anspruchs 1 unterscheidet sich im wesentlichen dadurch vom ursprünglichen Anspruch 1, daß:

2.1. Die Vorrichtung auf eine Ausführungsform begrenzt wurde, in welcher sie Bestandteil der Spinnmaschine ist. Diese Ausführungsform ist diejenige, die allein ursprünglich detailliert beschrieben worden ist.

2.2. Folgende Merkmale sind in dem Anspruch 1 eingefügt worden und werden nachfolgend einzeln zum Zweck der Feststellung betrachtet, ob sie die Forderungen des Artikels 123 (2) erfüllen.

2.2.1. "Zwecks Aneinanderreihens der Spulen auf diesem (Hilfstransportband 16)"; diese Zweckbestimmung ist auf Seite 5, Zeilen 14-15 der ursprünglichen Beschreibung wiedergegeben;

2.2.2. "sowie Mittel (36) um nach Aneinanderreihen einer vorbestimmten Anzahl von Spulen auf dem Hilfstransportband zu einer Gruppe"; dieses Merkmal findet ebenfalls auf Seite 5, Zeilen 14-16 der ursprünglichen Beschreibung seine Stütze;

2.2.3. "diese Spulengruppe bei stillstehendem Hilfstransportband (16)" abgelegt wird; diese Maßnahme ist auf Seite 7, letzte Zeile bis Seite 8, Zeilen 1 bis 3 der ursprünglichen Beschreibung offenbart;

2.2.4. "diese Spulengruppe gemeinsam quer zu dessen Längsrichtung wegzufördern"; dieses Merkmal ist der Seite 8, Zeilen 3-6 zu entnehmen;

2.2.5. "und in einer Reihe ... gemeinsam abzulegen" Diese Maßnahme geht aus der Beschreibung, Seite 8, Zeilen 13-15 in Verbindung mit den Fig. 2 und 3 hervor.

2.3. Es wird somit festgestellt, daß die im obigen Punkt 2.2 erwähnten Merkmale in Kombination mit den Merkmalen des ursprünglichen Anspruchs 1 einen Gegenstand definieren, der sich nicht über den Inhalt der ursprünglichen Veröffentlichung erstreckt. Die Forderung des Artikels 123 (2) sind deshalb erfüllt. Auch hinsichtlich der Klarheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 (Art. 84 EPÜ) bestehen keine Einwände.

3. Der Oberbegriff des Anspruchs 1 enthält alle die Merkmale, die die Erfindung mit der Vorrichtung gemäß dem Dokument DE-A-2 842 432 (Dokument 1), die ihr am nächsten kommt, gemeinsam hat, und ist daher zutreffend abgegrenzt (Regel 29 EPÜ).

Die Vorrichtung gemäß Anspruch 1 unterscheidet sich von diesem nächstliegenden Stand der Technik durch die im kennzeichnenden Teil erwähnten Merkmale. Die übrigen Entgegenhaltungen liegen weiter von der Erfindung entfernt.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist deshalb neu.

4. In der Vorrichtung gemäß dem Dokument (1) werden die Kreuzspulen, die auf einer Spinnmaschine gefertigt worden sind, entlang dieser Maschine mittels des Hauptförderbandes bis zum Ende der Spinnmaschine befördert, wo sie dem Hilfsförderband übergeben werden, das die Spulen bis zum äußeren Ende fördert und in eine Art Schacht fallen läßt, um dort die Spulen zu stapeln.

Die vorliegende Anmeldung geht davon aus, daß die Behandlung der Spulen in einer Vorrichtung gemäß dem Dokument (1) den Nachteil aufweist, daß die Kreuzspulen durch das Fallenlassen an ihren äußeren Fadenwindungen beschädigt werden können.

4.1. Dieser Nachteil war bereits erkannt worden, und es ist gemäß dem Dokument (D3) bereits eine Lösung vorgeschlagen worden, die darin besteht, die Spulen in kleineren Gruppen zu sammeln bevor sie wegtransportiert werden. Aber diese Lösung ist nicht als befriedigend empfunden worden, weil die Verwendung eines Transportbandes, welches im Betrieb unter den Spulen durchgleitet, zur Beschädigung oder Verschiebung der äußeren Schichten des Garnes auf den Kreuzspulen führen kann.

4.2. Die der vorliegenden Anmeldung zugrundeliegende Aufgabe besteht darin, ein Gerät zur Verfügung zu stellen, welches Kreuzspulen von einer Spinnmaschine übernehmen und geordnet auf schonende Weise an ein Transportmittel zur Weiterbeförderung abgeben kann. Dabei soll der zur Verfügung stehende Platz am Maschinenende effizient genutzt werden.

4.3. Diese Aufgabe wird durch die Maßnahmen gemäß dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 gelöst, insbesondere dadurch, daß das Hilfstransportband zur Bildung einer Gruppe aneinandergereihter Spulen intermittierend in Bewegung gesetzt wird, wenn eine Spule diese Zone erreicht, und nur für eine Strecke, die der Länge einer Spule entspricht, und indem der Hilfstransportband zum Stillstand gebracht wird, um die Spulengruppe seitlich in Querrichtung wegzufördern und gemeinsam in Förderbandrichtung abzulegen.

4.4. Obwohl die Art und Weise, in der das Hilfstransportband zur Gruppenbildung betätigt wird, eine einfache Lösung zu sein scheint und im übrigen aus den Druckschriften (2) und (4) an sich bekannt ist, kann nicht gesehen werden, daß eine solche Maßnahme für den Textilfachmann zur Lösung der gestellten Aufgabe auf der Hand lag.

4.5. Es kann zwar davon ausgegangen werden, daß der Textilfachmann, der mit einer fördertechnischen Aufgabe konfrontiert wird, einen Fachmann für den allgemeinen Bereich der Fördertechnik konsultieren wird, doch steht der Kammer kein Dokument aus diesem Bereich zur Verfügung. Es ist zu bezweifeln, daß der Fachmann sich auf dem speziellen Gebiet der Sackherstellung umsieht, weshalb es zweifelhaft ist, ob die Dokumente D2 und D4 überhaupt in Betracht gezogen werden können (vgl. die Rechtsgrundsätze hierzu in T 176/84, ABl. EPA 1986, 50). Doch selbst dann, wenn man die Lehren der Dokumente (1) und (2) bzw. (1) und (4) miteinander kombinieren würde, ergäbe dies nicht die im vorliegenden Fall beanspruchte Lösung, da dann immer noch ein Hinweis auf das gemeinsame Wegfördern der Spulengruppe in aneinandergereihtem Zustand quer zur Förderbandrichtung und auf das gemeinsame Ablegen in einer Reihe fehlen würde. Bei den Vorrichtungen nach (2) und (4) erfolgt nämlich die Ablage der Schlauchpakete (mit gegenseitigem Abstand) auf den Zwischenförderbändern allein zum Zweck der Zwischenspeicherung. Auf eine schonende Behandlung kommt es hierbei nicht an; insbesondere treten die bei der Förderung von Kreuzspulen bestehenden Probleme nicht auf. Der Weitertransport erfolgt dann - im Gegensatz zur Lehre des vorliegenden Anspruchs 1 - bei laufendem Förderband in dessen Längsrichtung und die endgültige Abgabe der Schlauchpakete geschieht einzeln in Förderrichtung. Es liegen also bei (2) und (4) hinsichtlich Aufgabe und Lösung prinzipielle Unterschiede zum Gegenstand des Anspruchs 1 vor.

4.6. Ähnliches gilt für das Dokument (3), das sich zwar ebenfalls mit der allgemeinen Aufgabe der Wegförderung der Spulen von einer Spinnmaschine beschäftigt, aber nach einem anderen Prinzip arbeitet als der Gegenstand des Anspruchs 1. Bei der Vorrichtung nach (3) wird nämlich jede Spule auf eine Trägerplatte aufgesetzt und auf dieser stehend weggefördert, so daß während der Behandlung die Trägerplatte es ist, die getragen und geführt wird und dabei Reibungen unterworfen wird, während die Spulen dabei geschont werden. Die Spulen werden mit den Trägerplatten gruppenweise vereinigt, und zwar bei laufendem Förderband; gerade dieses Prinzip der Gruppenbildung soll jedoch bei der vorliegenden Erfindung vermieden werden. Im übrigen fehlt bei dieser Vorrichtung ein die Spulen (Kreuzspulen sind nicht erwähnt) im Bereich der Spinnmaschine aufnehmendes Hauptförderband.

Aufgrund der bestehenden prinzipiellen Unterschiede konnte auch dieses Dokument keine Lehre in Richtung der beanspruchten Lösung geben.

4.7. Auch die übrigen im Recherchenbericht erwähnten Dokumente sind nicht dazu geeignet, einzeln oder miteinander kombiniert die Anwesenheit einer erfinderischen Tätigkeit in Frage zu stellen.

4.8. Der Gegenstand des Anspruchs 1 genügt mithin auch dem Erfordernis des Artikels 56 EPÜ und ist somit patentfähig.

5. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 8 betreffen weitere Ausführungsformen der Vorrichtung gemäß Anspruch 1. Ihre Gegenstände sind daher ebenfalls patentfähig.

6. Die Beschreibung ist an die Anspruchsfassung angepaßt und entspricht auch sonst den Erfordernissen des EPÜ.

Aus redationellen Gründen wurden auf Seite 7 Zeile 12 und Seite 2, Zeile 8 jeweils die Kurzformen "DE-B-" bzw. "GB- A-" eingeführt. Auf Seite 3, Zeile 5 von unten wurde das Bezugszeichen "1" gestrichen.

Im Anspruch 3 war das Wort "von" zu berichtigen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent auf der Grundlage der folgenden Unterlagen zu erteilen:

- Beschreibung und Ansprüche wie überreicht während der mündlichen Verhandlung, in Reinschrift eingereicht am 27. Februar 1990, mit den unter den Ziffern IV und 6 erwähnten Änderungen

- Zeichnungen der veröffentlichten Anmeldung.

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