T 0367/88 () of 11.7.1990

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1990:T036788.19900711
Datum der Entscheidung: 11 Juli 1990
Aktenzeichen: T 0367/88
Anmeldenummer: 83111484.8
IPC-Klasse: E05B 49/00
E05B 17/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Schliesssystem für bewegliche mechanische Abschlüsse
Name des Anmelders: Bauer Kassenfabrik AG
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 123(2)
Schlagwörter: inventive step
claim - amendment
Anspruchsänderung (zulässig)
erfinderische Tätigkeit (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0139/87
T 0514/88
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 83 111 484.8, am 17. November 1983 unter der Nummer 0 111 186 veröffentlicht, ist durch Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 21. März 1988 zurückgewiesen worden. Der Entscheidung lagen die Ansprüche 1-11, eingereicht am 23. Dezember 1987, zugrunde.

II. Die Prüfungsabteilung führt in ihrer Entscheidung aus, daß die geltenden Abbildungen 3, 4 und 5, die entsprechende Beschreibung und die Ansprüche 1-11 Sachverhalte einbrächten, die über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen würden. Die geltend gemachte Patentfähigkeit beruhe auf den mit dem Schriftsatz vom 23. Dezember 1987 eingeführten, nicht zulässigen Merkmalen.

III. Gegen diese Zurückweisung ist am 29. April 1988 eine Beschwerde eingegangen und gleichzeitig die Beschwerdegebühr bezahlt worden. Die schriftliche Begründung ist am 20. Juli 1988 eingegangen, zusammen mit geänderten Unterlagen, umfassend Patentansprüche 1 bis 11, Seiten 1 bis 24 der Beschreibung, und Figuren 1, 1', 2, 2', 3 und 4.

IV. Die Beschwerdeführerin begründet darin ihre Meinung, wonach die geänderten Unterlagen nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehen würden, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 neu sei und auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Sie bezieht sich dabei auf folgende Dokumente:

A: US-A-3 881 171, B: EP-A-0 021 670 und C: FR-A-1 600 310.

V. Der geltende Anspruch 1 lautet:

"Schliesssystem für eine bewegliche Abschlußeinrichtung (1) mit einem auf der inneren, abgeschlossenen Seite der Abschlußeinrichtung (1) angeordneten Schloß (20), welches eine mit einem Riegel (12) verbundene Sperre (14) freigibt oder sperrt, mit einem Riegelantrieb (30), einer an der äußeren, zugänglichen Seite der Abschlußeinrichtung (1) angeordneten Bedienungseinrichtung (25, 35) zur Betätigung der Sperre (14) über das Schloß (20) und mit wenigstens einem Verbindungselement (40) zwischen Bedienungseinrichtung (25, 35) und Schloß (20) dadurch gekennzeichnet, daß das Schloß (20) derart angeordnet ist, daß seine Lage durch Merkmale an der äußeren zugänglichen Seite der Abschlußeinrichtung (1) nicht abgeleitet werden kann."

VI. Die Beschwerdeführerin beantragt, der Beschwerde abzuhelfen und hilfsweise, ein Patent aufgrund der geänderten Unterlagen zu erteilen.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Nach Artikel 109 EPÜ fällt die Entscheidung über die Abhilfe der Beschwerde in die Zuständigkeit der Prüfungsabteilung. Da die neuen Unterlagen nicht in der Lage sind, die früher von der Prüfungsabteilung beanstandeten Einwendungen gegenstandslos zu machen, sondern im Gegenteil umfangreiche neue Änderungen enthalten, bestand für die Prüfungsabteilung keine Veranlassung, der Beschwerde abzuhelfen (im Umkehrschluß zum Fall T 139/87, "Reglerventil/BENDIX" ABl. EPA 1990, 68).

3. Änderungen

3.1. Bei der Prüfung über die Zulässigkeit von Änderungen mit Bezug auf Artikel 123 (2) EPÜ wird davon ausgegangen, daß der "Inhalt der Anmeldung" die durch die Anmeldung dem Fachmann mitgeteilten und von ihm in ihren gegenseitigen Beziehungen verstandenen Sachverhalte umfaßt. Das heißt mit anderen Worten: maßgebend ist dabei eine Betrachtungsweise, die den gegenständlichen Begriffsumfang aus den mitgeteilten Sinnzusammenhängen, also vom technischen Begriffsinhalt, ableitet. Die wirklichen Verhältnisse werden besser verstanden, wenn beachtet wird, daß ein patentrechtlicher Sonderfall des semantisch- logischen Prinzips vorliegt, wonach die extensionalen (bereichsbezogenen) Aspekte durch die intensionalen (sinnbezogenen) Aspekte bestimmt werden, also eine Funktion der letzteren sind. Damit ist sichergestellt, daß keine Informationserweiterung stattfindet (vgl. T 514/88 "Infusor/ALZA", vom 10.11.89, wird veröffentlicht).

3.2.1. Im Text des Anspruchs 1 fehlen gegenüber der ursprünglichen Anmeldung die Merkmale "mechanisch" (in bezug auf die Abschlüsse), und "elektrisch oder mechanisch gesteuert" (im Satzteil "mit elektrisch oder mechanisch gesteuerter Freigabe und Blockierung der Sperrung"). Das erste dieser Merkmale ist technisch im Ausdruck "bewegliche Abschlüsse" enthalten; daher ist es unnötig, es gesondert zu erwähnen: seine Streichung geht nicht über den ursprünglichen Inhalt der Anmeldung hinaus.

3.2.2. Das zweite weggelassene Merkmal - die Aussage über die Freigabe und Blockierung der Sperre enthaltend - wird in der Beschreibung zunächst überhaupt nicht erwähnt. Auf den Seiten 1 bis 4 wird die Bedeutung einer ersten "Schwachstelle" von Schloßmechanismen im vorbekannten Stand der Technik und, davon ausgehend, ein erster Hauptgedanke der Erfindung erläutert: Während aus der früher üblichen Zuordnung von Schloß und Sperre die Lage des Sperrpunktes relativ leicht zu erraten war und damit das Aufbohren des Sperrpunktes ermöglicht wurde, soll nun diese Zuordnung von außen nicht mehr erkennbar sein.

Die geltende wie auch die ursprüngliche Fassung des Anspruchs 1 bezieht sich auf dieses erste Problem und die zu seiner Lösung erforderlichen gegenständlichen Mittel und Lagebeziehungen. Die ursprüngliche Beschreibung erläutert jedoch die dabei gegebenen Zusammenhänge ohne Bezug auf das erwähnte zweite Merkmal; ihr Inhalt stützt somit dessen Wegfall im geltenden Anspruch 1.

3.3. Der ursprüngliche kennzeichnende Teil des Anspruchs 1 ist im geänderten Text formal, nicht aber materiell, ersetzt worden. Die neue Kennzeichnung entspricht den Angaben auf Seite 21, Zeilen 7 und 8; sie gehört somit zum ursprünglichen Inhalt der Anmeldung. Andererseits entspricht der ersetzte Text technisch dem neuen. Die ursprüngliche Aussage war auf die Lagebeziehung zwischen der Bedienungseinrichtung und Schloß bezogen, während nun eine Aussage über die Ableitbarkeit der Lage des Schlosses gemacht wird. Beide Aussagen sind aber im wesentlichen inhaltsgleich da sich beide auf einander korrespondierende Aspekte desselben technischen Lagerelation beziehen, nämlich im Endeffekt darauf, von außen keine Hinweise auf die Lage des Sperrpunktes zu vermitteln. Weil dazu keine Angaben über die Lage des Schlosses von außen vorzufinden sind, darf auch keine Lage-Abhängigkeit zwischen Schloß und Bedienungseinrichtung vorhanden sien. Die geänderte Formulierung impliziert daher notwendigerweise die frühere und geht somit tatsächlich nicht über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus.

3.4. Anspruch 1 unterscheidet sich weiterhin vom ursprünglichen Text durch die zugefügten Präzisierungen: Abschlußeinrichtung (statt Abschlüsse), abgeschlossene Seite, mit Riegel verbunden, Riegelantrieb, zur Betätigung der Sperre über das Schloß. Diese einschränkenden Klarstellungen entsprechen den in der ursprünglichen Anmeldung enthaltenen Angaben.

3.5. Die Änderungen der übrigen Patentansprüche beziehen sich auf neue Numerierungen, sprachliche Korrekturen und ansonsten (Anspruch 9) auf durch die ursprüngliche Beschreibung gestützte Änderungen.

3.6. Die Beschreibung enhält einen Kommentar zum nächsten Stand der Technik und zulässige redaktionelle Änderungen, im wesentlichen Anpassungen an die geänderten Ansprüche.

3.7. Die Zeichnung stimmt mit der ursprünglichen überein; dabei wurde in Figur 2' die falsche Bezugszahl "35" durch die richtige "25" ersetzt.

3.8. Die geänderten Unterlagen genügen daher den Erfodernissen des Artikels 123 (2) EPÜ.

4. Neuheit Das kennzeichnende Merkmal des Anspruchs 1 wird in keinem der zitierten Dokumente erwähnt. Der Anspruchsgegenstand ist daher neu und genügt den Erfordernissen von Artikel 54 EPÜ.

5. Nächster Stand der Technik, Aufgabe und Lösung

5.1. Dokument A kann als das der Erfindung am nächsten kommende Dokument betrachtet werden. Es entspricht dem im Oberbegriff des Anspruchs 1 vorausgesetzten Standes der Technik, und befaßt sich in erster Linie damit, den Zugang zu einem Safe zu kontrollieren. Die Konstruktion weist einen von außen zu betätigenden Griff (Figur 2: 23) auf, der über einen Hebel (37) mit dem Riegel (22) verbunden ist. Der Sperrpunkt 40 im Riegel wird vom Schloß her freigegeben oder blockiert. Das Schloß wird geöffnet nach Eingabe von zwei unabhängigen Zahlenkombinationen zu einer vorbestimmten Zeitpunkt. Der unberechtigte Zutritt unter unter Anwendung physischer Gewalt - wodurch das Sicherheitsproblem bei einem Safe gegeben ist - wird dabei erleichtert, da die Lage des Sperrpunktes von außen aus der Kenntnis über den Konstruktionstyp abschätzbar ist.

Die technische Aufgabe, die damit gestellt ist, kann dahingehend formuliert werden, daß weitere Maßnahmen gesucht werden, die das unberechtigte Aufbrechen der Tür erschweren.

5.2. Anspruch 1 schlägt vor, das Schloß so anzuordnen, daß von außen keine Rückschlüsse auf seine Lage möglich sind. Das hat zur Folge, daß auch die durch die Kommerzialisierung bekannten Konstruktionen keinerlei Rückschlüsse auf die Lage des Sperrpunktes zulassen, dank einer jeweils unbekannten, individuell gewählten Lagebeziehung zwischen den Konstruktionsteilen. Es ist evident, daß damit die früher das Aufbohren erleichternde Einschränkung bezüglich der möglichen Lagen für den Sperrpunkt dahinfällt und somit eine Lösung für das gestellte Problem gefunden ist.

6. Erfinderische Tätigkeit

6.1. Dokument A empfiehlt verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit bei Schließsystemen. Es basiert auf einer Konstruktion, die wie üblich die zugehörige mechanische Struktur als gegeben voraussetzt, also auch die zugehörige Ordnung der einzelnen Elemente. Insbesondere werden Maßnahmen erläutert, die einen Sicherheitsgewinn aus der Verwendung zweier zeitabhängig kontrollierter Zahlenkombinationen anstreben. Wird eine berechtigte Person gezwungen, das Schloß zu öffnen, ist ein spezieller Code vorgesehen, der zwar öffnet, aber gleichzeitig automatisch ein geheimes Alarmsignal auslöst. Besondere Vorkehrungen erlauben das vorzeitige Öffnen für den Fall, daß eine befugte Person unbeabsichtigter Weise im Tresor eingeschlossen wird.

Aus diesem Dokument lassen sich jedoch keinerlei Mitteilungen entnehmen, die einen Zusammenhang mit der für die Erfindung wesentlichen Idee aufweisen würden, nämlich, die gewohnte strukturelle Ordnung gezielt und auf nicht nachvollziehbare Weise aufzuheben.

6.2. Auch Dokument B enthält keine näheren Hinweise dazu. Es bezieht sich darauf, die Zugänglichkeit zu einem Hotelzimmersafe zu erschweren, und sieht dazu in erster Linie eine spezielle Vorrichtung mit einem Code vor, wobei gespeicherte mit aktuellen Zahlenwerten verglichen werden, und gegebenenfalls Alarm und eine Blockierung veranlasst wird. Dabei werden verschiedene konstruktive Elemente erläutert - jedoch kommt die Lage der einzelnen Teile und ihre Erratbarkeit weder direkt noch andeutungsweise zur Sprache.

6.3. Dokument C bezieht sich auf eine Vorrichtung mit motorisch betätigtem Riegel, bei der keine separate Sperrstange vorhanden ist und die Sperrfunktion über die mechanisch-elektrische Verbindung der Stange für den Riegelantrieb ausgeübt wird. Es wird vorgeschlagen, Löcher in der Abschlußeinrichtung dadurch zu vermeiden, daß alle mechanischen Teile hinter der Abschlußeinrichtung angeordnet werden. Damit kann verhindert werden, die Lage der mechanischen Teile von außen zu erraten. Ebenso wird der mechanische Widerstand der Panzerung erhöht und gleichfalls das Einführen von explosiven Ladungen verhindert. Zur Betätigung der motorischen Riegelbewegung wird allerdings doch ein von außen sichtbares Schloß für einen Schlüssel vorgesehen, der einen Kontaktgeber im Zusammenspiel mit Zählern für voreingestellte Kombinationen betätigt.

Hier wird zwar ein Gedanke mitgeteilt, der auch der Erfindung zugrunde liegt, nämlich die Lage der kritischen Konstruktionsteile von außen nicht zu verraten. Dies wird hier, bis auf die erwähnte Ausnahme für den Schlüssel, durch konsequente Verlagerung hinter die Tür erreicht. Damit ist eine Lösung gegeben, die kaum mehr überbietbar scheint. Der Fachmann, der von Dokument A ausgehend eine Lösung des gegebenen Problems sucht, könnte deshalb hier vielleicht die Anregung finden, ähnlich vorzugehen - und zu versuchen, die gesamte Mechanik, bis auf einen einzigen Punkt, auch in seinem Fall hinter die Tür verlagern. Wie weit er dabei gelangen könnte, mag jedoch dahingestellt bleiben, klingt doch hier in keiner Weise der Gedanke an, daß die Verschleierung der Lagebeziehungen grundsätzlich demselben Zweck dienen könnte, was zum Inhalt des Anspruchs 1 gehört. Es wird nämlich hinter der Tür dieselbe Anordnung wie üblich getroffen, insbesondere sind die Lagebeziehungen in der üblichen technisch sinnvoll zusammenhängenden Weise dargestellt - sodaß das Erraten insbesondere der kritischen Punkte aus der grundsätzlichen Kenntnis der Konstruktion doch wieder erleichtert werden kann. Diese Einsicht wird hier nicht vermittelt - sie gehört bereits zum Gedankengut der angefochtenen Erfindung.

Daher kann der Gegenstand nach Anspruch 1 nicht aus Dokument C in naheliegender Weise abgeleitet werden.

6.5. Auch eine Kombination der zitierten Dokumente führt nicht in naheliegender Weise zum angefochtenen Gegenstand.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 genügt somit den Erfordernissen der Artikel 52 und 56 EPC und ist patentierbar.

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 11 bleiben mit Anspruch 1 bestehen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen mit der Auflage, ein Patent mit den unter III. erwähnten Unterlagen zu erteilen.

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