T 0317/88 () of 13.6.1991

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1991:T031788.19910613
Datum der Entscheidung: 13 Juni 1991
Aktenzeichen: T 0317/88
Anmeldenummer: 81106954.1
IPC-Klasse: C09D 3/72
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Hitzhärtbares Beschichtungsmittel und dessen Verwendung
Name des Anmelders: Schramm Lacke GmbH
Name des Einsprechenden: 1) Imperial Chem. Indus.
2) Deutsche Atochem Werke
3) Hüls AG
4) Becker Industriefärg AB
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Inventive step (yes)
Determination of technical problem
Burden of proof
Erfinderische Tätigkeit (anerkannt)
Ermittlung der tatsächlich gelösten Aufgabe
Beweislast
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0002/83
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0113/92

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die am 26. April 1988 verkündete und am 6. Juni 1988 schriftlich begründete Entscheidung der Einspruchsabteilung der Europäischen Patentamts, mit der das am 7. März 1984 aufgrund von 10 Patentansprüchen erteilte europäische Patent 0 047 508 auf fünf Einsprüche hin widerrufen worden ist. Das Patent geht zurück auf die am 4. September 1981 unter Beanspruchung der Priorität einer Voranmeldung in der Bundesrepublik Deutschland vom 6. September 1980 eingereichte europäische Patentanmeldung 81 106 954.1.

II. Der angefochtenen Entscheidung lagen der am 19. März 1987 eingereichte geänderte Patentanspruch 1 und die am 19. November 1985 eingereichten Patentansprüche 2 bis 8 sowie ein hilfsweise weiter eingeschränkter Hauptanspruch zugrunde.

In der Entscheidung wurden sechs Druckschriften genannt, von denen folgende im Beschwerdeverfahren eine Rolle spielten :

(1) DE-A-1 644 711 (2) FR-A-2 243 983 (4) GB-A-779 247 (5) FR-A-1 521 866 Die angefochtene Entscheidung führt aus, daß der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 zwar neu sei, jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Nächster Stand der Technik sei Druckschrift (2), gegenüber der gemäß Streitpatent die Aufgabe bestanden habe, neue hitzehärtbare Beschichtungsmittel mit verbesserter mechanischer Verformbarkeit und Abriebfestigkeit vorzuschlagen. Aus Druckschrift (1) sei bereits die Anregung zu entnehmen gewesen, diese Aufgabe durch Zusatz von Polyamiden zu lösen. Die Auswahl der Polyamide 10 bis 13 beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit, da Polyamid 11 in Druckschrift (1) bereits genannt worden sei. Die übrigen zur Kennzeichnung der gemäß Streitpatent zu verwendenden Polyamide im Hauptanspruch angegebenen Parameter, insbesondere die Teilchengröße, entsprächen denjenigen handelsüblicher Produkte. Letztere sei überdies ohne Bedeutung für die Eigenschaften der erzeugten Beschichtung, da das Polyamid während der Hitzehärtung der Beschichtung sintere bzw. schmelze und mit den übrigen Komponenten reagiere. Demgemäß werde auch in den von mehreren Parteien eingereichten Versuchsberichten kein signifikanter Unterschied zwischen Beschichtungen mit einem Gehalt an Polyamid unterschiedlicher Teilchengrößen gefunden. Auch die hilfsweise Einschränkung der Polyamidmenge auf 10 bis 40% des Beschichtungsmittels sei nicht erfinderisch, da ein Polyamidanteil von 20% bereits in Druckschrift (1) beschrieben werde.

III. Für die am 9. Juli 1988 eingegangene Beschwerde wurde am 13. Juli 1988 die vorgeschriebene Gebühr entrichtet. Am 13. Oktober 1988 wurde eine Beschwerdebegründung eingereicht. Am 21. Mai 1991 hat die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) zwei neue Sätze von Patentansprüchen (Hauptantrag und erster Hilfsantrag) vorgelegt. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag hat folgenden Wortlaut:

"Hitzehärtbares Beschichtungsmittel, bestehend aus einer Lösung eines hydroxylfunktionellen Bindemittels und eines geblockten Polyisocyanates in einem diese beiden Bestandteile lösenden organischen Lösungsmittel und gegebenenfalls üblichen Pigmenten, Pigmentfarbstoffen, Füllstoffen und anderen Zusatzstoffen, dadurch gekennzeichnet, daß es ein suspendiertes, in dem Lösungsmittel im wesentlichen nicht gelöstes, feinteiliges Polyamid mit 10 bis 13 C-Atomen je Carbonamidgruppe, einer Korngröße von maximal 60 µm und einer Schüttdichte von 0,20 bis 0,60 in einer Menge von 5 bis 40 Gew.-% von hydroxylfunktionellem Bindemittel und geblocktem Polyisocyanat zusammen enthält."

Dieser Anspruch unterscheidet sich von dem der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden im wesentlichen durch die Beschränkung der Polyamid- Teilchengröße auf maximal 60 µm.

Am 13. Juni 1991 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin die Ansprüche hilfsweise weiter eingeschränkt hat.

Die Beschwerdeführerin berief sich in ihrem schriftlichen und mündlichen Vorbringen insbesondere auf folgende Beweismittel:

- Versuchsbericht vom 17. Februar 1983, eingereicht im Erteilungsverfahren am 22. Februar 1983

- Versuchsbericht, eingereicht im Einspruchsverfahren am 19. März 1987

- Anlage W 1 zur Beschwerdebegründung (vier Farbphotos biegeverformter beschichteter Bleche)

- Anlage W 3 zur Beschwerdebegründung (Prüfbericht des Instituts für Lackprüfung)

- Anlage W 4 zur Beschwerdebegründung (Übersicht über Polyamid-Feinpulver als Lackadditiv der Firma Deutsche Atochem-Werke

- Druckschrift (7) "Flexamide in Coil Coating", ECCA meeting Bruxelles, 26/27 November 1984

- eine Tafel mit beschichteten Blechstreifen, bei denen teilweise aus der Beschichtung das Polyurethan herausgelöst war, vorgelegt in der mündlichen Verhandlung und trug vor, bei der Beschichtung von Blechen stehe im Gegensatz zur Beschichtung von Fußböden nicht die Abriebfestigkeit, sondern die mechanische Verformbarkeit im Vordergrund, da bei schlechter Verformbarkeit Mikrorisse bei der Weiterverarbeitung des beschichteten Blechs aufträten, die zu Korrosion führten. Die gemäß Streitpatent angestrebte und durch den im Erteilungsverfahren eingereichten Versuchsbericht glaubhaft gemachte Verbesserung der Verformbarkeit werde durch die anspruchsgemäße Kombination zahlreicher Parameter erreicht, für die die fachfremde Druckschrift (1) keine Anregung geboten habe. So betreffe letztere Druckschrift nicht hitzehärtbare, sondern kalthärtende Beschichtungsmittel. In diesen erhöhe der Polyamidanteil zwar die Abriebfestigkeit, jedoch gehe dies zu Lasten der - bei der Beschichtung von z. B. Turnhallenböden bedeutungslosen - Verformbarkeit, wie aus dem Dokument W 3 hervorgehe. Noch weniger habe diese Druckschrift dazu anregen können, die Korngröße der Polyamid-Teilchen auf maximal 60 µm zu vermindern. Diese Teilchengröße sei auch nicht das zwangsläufige Resultat der Verwendung des gängigsten Handelsprodukts. Druckschrift (1) lehre auch nicht die Mengenverhältnisse gemäß Streitpatent. Es sei wesentlich, das Polyamid in Teilchenform und nicht etwa, wie z. B. aus Druckschrift (4) oder (5) bekannt, in Lösung zuzusetzen, da mit letzterer Maßnahme der gewünschte Erfolg nicht eintrete, wie sich aus den am 19. März 1987 eingereichten Versuchsergebnissen entnehmen lasse. Unter gutachtlicher Bezugnahme auf die nachveröffentlichte Druckschrift (7) wurde ferner ausgeführt, bei der Hitzehärtung des Beschichtungsmittels gemäß Streitpatent unter den darin spezifizierten "coil- coating"-Bedingungen werde im Gegensatz zu den bekannten Beschichtungsmitteln eine sogenannte interpenetrating network(IPN)- Struktur ausgebildet, wie sie auf den in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Blechtafeln zu erkennen sei.

IV. Die Beschwerdegegnerin Imperial Chemical Industries PLC (kurz "ICI") berief sich im Beschwerdeverfahren auf Statutory Declarations von

- Lara Jane Blair, eingegangen am 23. April 1989

- Richard Whitehouse, eingegangen am 23. April 1989

- Roy Roderick Rose, eingegangen am 27. Februar 1991 und

- Roy Hugh Buckley, eingegangen am 27. Februar 1991, sowie auf die der Druckschrift (2) entsprechende Druckschrift

(2a) GB-A- 1 487 563.

Sie bestritt unter Hinweis auf die in der Declaration Blair enthaltenen Versuchsergebnisse (Exhibit LJB 8), daß die Beschichtungsmittel gemäß Streitpatent eine gegenüber denjenigen gemäß Druckschrift (2) bzw. (2a) verbesserte Verformbarkeit aufweisen. Aus den Declarations Rose und Buckley sei darüberhinaus zu entnehmen, daß nicht zwangsläufig beim Einbrennen eines Beschichtungsmittels gemäß Streitpatent unter coil-coating- Bedingungen die zugesetzten Polyamid-Teilchen zu einem IPN verschmelzen. Der Prüfbericht des Instituts für Lackprüfung enthalte keine Angaben über die Einbrennzeit; daher könne die Einbrennzeit von 60 Sekunden, wie sie in den Versuchsberichten der vorgenannten Declarations verwendet worden sei, nicht für die unterschiedlichen Ergebnisse verantwortlich gemacht werden, zumal auch das Streitpatent selbst nicht lehre, den Einbrennvorgang so zu steuern, daß eine IPN-Struktur gebildet wird. Auch die zur Demonstration der IPN-Struktur von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Muster könnten deren Vorhandensein allenfalls bei relativ hohen Polyamid- Anteilen glaubhaft machen. Bei den Proben mit einem Polyamidgehalt von 5 und 10 % sei von einer IPN-Struktur nichts zu erkennen. Der Prüfbericht des Instituts für Lackprüfung lasse darüberhinaus keinen aussagekräftigen Vergleich mit dem nächsten Stande der Technik zu, weil die Vergleichsproben (ohne Polyamid bzw. mit grobkörnigerem Polyamid) ohne Katalysator gehärtet worden seien. Alle übrigen im Verfahren befindlichen Versuchsergebnisse zeigten zumindest bei einer Polyamidkorngröße von 60 µm keine signifikante Verbesserung der Verformbarkeit. Insbesondere seien die als Anlage W1 eingereichten Mikrophotographien der Beschwerdeführerin unbrauchbar, da sie teilweise unscharf und überdies offenbar nach Biegen um unterschiedliche Radien erhalten worden seien. Das Ausbleiben einer Verbesserung der Verformbarkeit sei ferner im Einklang mit der aus Druckschrift (2a) entnehmbaren Lehre, daß für die Flexibilität von Polyurethan-Beschichtungsmitteln in erster Linie die Polyol-Komponente des Polyurethans verantwortlich sei. Der Polyamidanteil verbessere in angesichts der Lehre der Druckschrift (1) vorhersehbarer Weise lediglich die Abriebfestigkeit. Trotz der unterschiedlichen Bezugsbasis für den Polyamidgehalt gemäß Streitpatent und gemäß Druckschrift (1) sei es möglich, die Angaben ineinander umzurechnen mit dem Ergebnis, daß sich die angegebenen Bereiche überlappen. Die Lehre des Streitpatents ergebe sich daher ohne erfinderische Tätigkeit aus dem genannten Stande der Technik.

Nach Auffassung der Beschwerdegegnerin Becker Industriefärg AB (kurz "BECKER") sind die im Erteilungsverfahren vorgelegten Versuchsergebnisse zum Glaubhaftmachen einer Verbesserung gegenüber dem durch Druckschrift (2) gebildeten Stande der Technik unbrauchbar, da sie mit Beschichtungsmitteln durchgeführt wurden, deren Zusammensetzung nicht der nunmehr beanspruchten entsprach, weil Polyamid-Teilchen einer Größe von mehr als 60 µm mitverwendet wurden. Ferner sei es unerheblich, ob mit dem Beschichtungsmittel gemäß Streitpatent eine bessere Verformbarkeit erreicht wird. Bei der nach Angabe der Beschwerdeführerin selbst wichtigsten Anwendung, der Beschichtung von Blechen für Rolladenpanzer, stehe nämlich die Abriebfestigkeit im Vordergrund. Da ein Fachmann in Kenntnis von Druckschrift (1) einen Polyamidzusatz in Betracht gezogen hätte, wenn er die Abriebfestigkeit eines Beschichtungsmittels erhöhen wollte, seien zwangsläufig gleichzeitig erzielte sonstige Verbesserungen nicht als Anzeichen für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit zu werten. Die Korngröße von maximal 60 µm ergebe sich aus dem Anwendungsgebiet hitzehärtbarer Beschichtungen, da bei dem im Streitpatent im Vordergrund stehenden "coil- coating"-Verfahren Schichtdicken in dieser Größenordnung erhalten werden, sodaß die Verwendung von gröberen Polyamidteilchen von vornherein nicht in Betracht kam. Schließlich wurde erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, es sei aufgrund des allgemeinen Fachwissens nicht glaubhaft, daß der geltend gemachte Effekt mit allen vom Streitpatent umfaßten Beschichtungsmitteln unter allen gemäß Streitpatent einzuhaltenden Einbrennbedingungen reproduziert werden könne, z. B. weil zu den verwendbaren Polyamiden auch solche gehören, die unter den Einbrennbedingungen nicht schmelzbar seien. Die Notwendigkeit der Bildung einer IPN-Struktur sei aber nicht Bestandteil der Offenbarung des Streitpatents, so daß der Fachmann keine Lehre erhalten habe, wie er derartige Fehlschläge vermeiden könne. Auch umfasse die Aufzählung der Polyol- Komponenten des Polyurethans im Streitpatent offensichtlich unbrauchbare Stoffe, wie z. B. Ethylenglykol, und sogar Verbindungen wie Amine und CH- acide Stoffe, die man nicht mit den gewöhnlich verwendeten Polyesterpolyolen gemäß Druckschrift (2) vergleichen könne.

Die Beschwerdegegnerin Deutsche ATOCHEM Werke GmbH (kurz "ATOCHEM") berief sich im Beschwerdeverfahren zuletzt im wesentlichen auf folgende Dokumente:

- Druckschrift (8) "Kunststofflexikon" (Hanser- Verlag, 1981), S. 366 -369

- Druckschrift (9), Prospekt aus dem Jahr 1980 über die von der Firma Plate Bonn GmbH, der Rechtsvorgängerin der Firma ATOCHEM, angebotenen Polyamid-Feinpulver, eingereicht als Anlage 5 (weiter erläutert durch die Anlagen 6 und 7) am 28. Juni 1989,

- Druckschrift (10), "Utilisation des polyamides en coil-coating" (Übersicht über Versuchsergebnisse der Firma Astral, undatiert), eingereicht am 10. Juni 1991.

Sie bestritt, daß kalthärtende und hitzehärtbare Beschichtungsmittel auf Polyurethanbasis unterschiedlichen Fachgebieten zuzurechnen seien. Es handle sich lediglich um eine wohlbekannte Modifikation ein und desselben Beschichtungsmittels zur Anpassung an die thermische Belastbarkeit des zu beschichtenden Substrats. Dabei müsse in Kauf genommen werden, daß bei kalthärtenden Systemen die reagierenden Komponenten erst unmittelbar vor der Anwendung gemischt werden können und daß schlechtere mechanische Eigenschaften resultieren. Der Fachmann werde daher immer dann, wenn es das Substrat zuließe, zu hitzehärtbaren Systemen greifen. Demgemäß sei auch die Lehre der Druckschrift (1) keineswegs auf kalthärtende Systeme beschränkt. Der Fachmann werde vielmehr direkt darauf hingewiesen, die Lehre dieser Druckschrift je nach den Anwendungsbedingungen zu modifizieren. Nichts anderes werde jedoch gemäß Streitpatent getan. Es sei auch aus Druckschrift (5) bereits bekannt, Polyamide zu hitzehärtbaren Polyurethan-Beschichtungsmitteln, nämlich Drahtlacken, zuzusetzen. Hierbei seien Schichtdicken von wenigen Mikrometern erforderlich. Das Polyamid sei deshalb in gelöster Form zugesetzt worden. Da Polyamide nur in speziellen Lösungsmitteln geringer Umweltverträglichkeit löslich seien, habe es sich angeboten, zu festem, feinteiligem Polyamid zu greifen, wenn eine größere Schichtdicke in Kauf genommen werden konnte. Die Lehre des Streitpatents ergebe sich somit in naheliegender Weise als Mittelweg zwischen den aus den Druckschriften (2) und (5) bekannten Grenzfällen. Die "Auswahl" eines bezüglich Schmelzverhalten und Korngröße für den ins Auge gefaßten Einsatzzweck (coil-coating) optimalen Polyamidpulvers sei keine erfinderische Tätigkeit, zumal in Druckschrift (9) die Vorteile solcher Beschichtungen bereits vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents dargestellt worden seien. Die verwendeten Polyamidmengen (bezogen auf die fertige Beschichtung) lägen im üblichen Bereich, wie sich aus Druckschrift (1) ergebe. Druckschrift (7) könne nicht zum Glaubhaftmachen eines besonderen Effekts herangezogen werden, da sie Beschichtungsmittel völlig anderer Zusammensetzung beträfe. Von demselben Autor sei etwa zur gleichen Zeit das Dokument (10) verfaßt worden, aus dem hervorgehe, daß ein Polyamid-Zusatz zu einem Polyurethan- Beschichtungsmittel dessen Verformbarkeit nicht verbessert. Schließlich seien die mit dem Beschwerdeschriftsatz eingereichten Photographien (Dokument W 1) als Nachweis für den erzielten technischen Effekt unbrauchbar, da keine vollständigen Angaben über Herstellungsart und Zusammensetzung der dargestellten Überzüge gemacht worden seien. Solche Angaben habe die Beschwerdeführerin auch gar nicht machen können, da diese Photographien nicht von ihr selbst, sondern von der französischen Muttergesellschaft der Beschwerdegegnerin ATOCHEM, der Firma ATOCHIMIE, stammten. Nachdem die von der Beschwerdegegnerin ICI vorgelegten Versuchsergebnisse gezeigt hätten, daß gemäß Streitpatent nur die Abriebfestigkeit verbessert werde, könne auch nur in dieser Verbesserung die tatsächlich gelöste technische Aufgabe gesehen werden. Deren Lösung sei jedoch, wie von der Beschwerdegegnerin ICI ausgeführt, naheliegend.

Die Beschwerdegegnerin Hüls AG hat sich den Ausführungen der übrigen Beschwerdegegnerinnen angeschlossen.

V. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des angegriffenen Patents auf der Grundlage der Anprüche gemäß Haupt- oder erstem Hilfsantrag, jeweils eingegangen am 21. Mai 1991, weiter hilfsweise aufgrund der in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche gemäß Hilfsantrag 2 und 3. Für den Fall, daß die Kammer das Eintreten des geltendgemachten Effekts der verbesserten mechanischen Verformbarkeit nicht für glaubhaft hält, beantragte sie weiter hilfsweise, einen neutralen Sachverständigen mit der Anfertigung eines Gutachtens zu beauftragen.

Die Beschwerdegegnerinnen beantragten übereinstimmend die Zurückweisung der Beschwerde. Die Beschwerdegegnerin BECKER beantragte außerdem hilfsweise, das Verfahren schriftlich fortzusetzen, falls die Bildung einer IPN- Struktur für die Entscheidung wesentlich sei.

Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung der Kammer verkündet, dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin stattzugeben.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Hauptantrag

2.1. Die Änderungen im geltenden Hauptanspruch finden ihre Stütze in den ursprünglichen und erteilten Ansprüchen 2, 3, 5 und 8. Die Erfordernisse des Art. 123 EPÜ sind daher erfüllt.

2.2. Die Kammer hat sich davon überzeugt, daß die Beschichtungsmittel gemäß Streitpatent neu sind. Da dies im Beschwerdeverfahren nicht bestritten worden ist, erübrigen sich nähere Ausführungen hierzu.

2.3. Erfinderische Tätigkeit

2.3.1. Die Kammer geht - in Übereinstimmung mit allen Verfahrensbeteiligten -von den Druckschriften (2) bzw. (2a) als nächstem Stande der Technik aus. Diese Druckschriften betreffen schnellhärtende Beschichtungsmittel auf Basis blockierter Polyisocyanate. In Druckschrift (2) wird einleitend ausgeführt, daß Lacke auf Polyurethanbasis sich gegenüber anderen Beschichtungsmitteln durch besondere Chemikalienfestigkeit, Elastizität und Abriebfestigkeit auszeichnen. Es wird als nachteilig angesehen, daß solche Lacke entweder als Zweikomponentenlacke bereitgestellt oder - im Falle einer Präpolymerisation - vor dem Verarbeiten sorgfältig vor Feuchtigkeit geschützt werden müssen. Bei der Verwendung blockierter Polyisocyanate erhalte man zwar lagerstabile Einkomponentensysteme; diese neigten aber beim Einbrennen zum Vergilben, wenn andere Blockierungsmittel als Caprolactam zum Einsatz kämen. Mit Caprolactam blockierte Polyisocyanate seien jedoch in den üblichen Lacklösungsmitteln nicht löslich, insbesondere im Falle der anwendungstechnisch bevorzugten cycloaliphatischen Polyisocyanate (S. 1, Z. 1 bis S. 2, Z. 10). Zur Beseitigung des letzteren Nachteils wird im wesentlichen vorgeschlagen, als blockiertes Polyisocyanat mit Caprolactam verkapptes 3-isocyanatomethyl-3,5,5- trimethylcyclohexylisocyanat (Isophorondiisocyanat) einzusetzen (Patentanspruch 1). Die erhaltenen Lacke sollen sich besonders für das "coil-coating"-Verfahren eignen und u. a. eine gute Flexibilität aufweisen.(S. 2, Z. 33 - 38). Letztere wird gemäß S. 3, Z. 7 bis 10 durch die Wahl bestimmter Polyolkomponenten bestimmt. In den Beispielen 1 und 2 wird für die Flexibilität im T-bend- Test der Wert 1 bzw. 0 gemessen. Nach unbestrittener Aussage der Beschwerdegegnerin Hüls AG, auf die diese Druckschrift zurückgeht, wurde dieser Test nach der auch von der Beschwerdeführerin angewendeten ECCA-Methode durchgeführt.

2.3.2. Im Streitpatent wird demgegenüber ausgeführt, die mechanische Verformbarkeit und Abriebfestigkeit der aus Druckschrift (2) bekannten Beschichtungen sei unbefriedigend, wenn die beschichteten Metallbleche im Anschluß an die Beschichtung mechanisch verformt werden müßten (Spalte 1, Z. 9 bis 19). Die dem Streitpatent zugrundeliegende technische Aufgabe kann daher, insbesondere auch im Hinblick auf den im Erteilungsverfahren vorgelegten Versuchsbericht, darin gesehen werden, ein hitzehärtbares Beschichtungsmittel vorzuschlagen, mit dem, insbesondere im Bandlackierverfahren (coil-coating) (siehe Streitpatent, Spalte 2, Z. 12 und 13 sowie Spalte 4, Z. 44 - 46), vorrangig hinsichtlich der mechanischen Verformbarkeit verbesserte Beschichtungen erhalten werden können. Daneben sollen noch die Abriebfestigkeit sowie die Korrosions- und Chemikalienbeständigkeit - letztere als Folge der Verbesserung der Verformbarkeit - verbessert werden (Streitpatent, Spalte 1, Z. 48 - 55). Seitens der Beschwerdegegnerinnen wurde demgegenüber, gestützt auf Versuchsergebnisse, geltend gemacht, daß zwar eine Verbesserung der Abriebfestigkeit glaubhaft sei, nicht jedoch eine Verbesserung der Verformbarkeit. Die zu lösende Aufgabe habe daher nur in einer Verbesserung der Abriebfestigkeit bestanden.

2.3.3. Bevor die Frage nach der erfinderischen Tätigkeit weiter untersucht werden kann, ist daher darüber zu entscheiden, ob es unter Berücksichtigung aller der Kammer bekanntgewordenen Umstände glaubhaft ist, daß die oben definierte Aufgabe tatsächlich gelöst wird.

Das Streitpatent selbst enthält hierzu keinerlei Angaben. Im Erteilungsverfahren sind jedoch die Ergebnisse von Vergleichsversuchen vorgelegt worden, in denen Beschichtungsmittel mit einem Gehalt an 18 bzw. 37,5 Gew.- % Polyamid 12 und einem Gewichtsverhältnis von Polyisocyanat + hydroxylfunktionelles Bindemittel zu Polyamid 12 von 5 : 3 bzw. 1 : 5 (Beispiele 1 und 2) mit einem Beschichtungsmittel derselben Zusammensetzung, jedoch ohne Polyamid, d. h. einer Zusammensetzung gemäß Druckschrift (2), verglichen wurden (Beispiel 6). Im für die Verformbarkeit maßgeblichen Abkantungstest (T-bend Test) wurde für die polyamidhaltigen Mittel ein Wert von 1; für das polyamidfreie Mittel ein solcher von 2 gefunden. Das verwendete Polyamidpulver bestand nach den Angaben der Beschwerdeführerin in der Einspruchserwiderung vom 19. November 1985 zu 90 % aus Teilchen mit einer Korngröße von < 32 µm, zu 99,5 % aus Teilchen mit einer Korngröße von < 63 µm, und zu 100 % aus Teilchen mit einer Korngröße von < 100 µm. Die Beschichtungen wurden während 40 Sekunden bei 230 bis 240 °C, d. h. unter den im Streitpatent, Spalte 4, Z. 24 bis 31 genannten Bedingungen, eingebrannt.

In der mündlichen Verhandlung waren sich die Parteien darüber einig, daß im Prinzip für eine in der Praxis brauchbare Beschichtung der T-bend Test den Wert 0 bis höchstens 0,5 ergeben müsse. Es bestand aber ebenso Übereinstimmung darüber, daß dieser Test nur im direkten Vergleich aussagekräftig ist, da sein Ergebnis von einer Vielzahl von weiteren Parametern abhängt, z. B. dem verwendeten Substrat und der verwendeten Grundierung. Hieraus schließt die Kammer, daß zahlenmäßige Ergebnisse, die nicht im direkten Vergleich gewonnen worden sind, nicht miteinander vergleichbar sind. Angesichts dieses Umstands stehen die Versuchsergebnisse aus dem Erteilungsverfahren nicht im Widerspruch zu den Angaben in den Beispielen 1 und 2 der Druckschrift (2), in denen T-bend Testergebnisse von 1 und 0 angegeben werden. Die Versuchsergebnisse aus dem Erteilungsverfahren verlieren auch nicht deshalb ihren Aussagewert, wie einige Beschwerdegegnerinnen meinen, weil das verwendete Polyamidpulver geringe Anteile von gröberen als vom geltenden Patentanspruch 1 vorgeschriebenen Teilchen enthält (siehe die am 19. November 1985 eingegangene Einspruchserwiderung, S. 2). Keine der Beschwerdegegnerinnen hat nämlich behauptet oder gar glaubhaft gemacht, daß mit gröberen Teilchen ein besseres Ergebnis erhalten würde als mit feineren. Folglich könnte durch die Anwesenheit der gröberen Teilchen das Versuchsergebnis allenfalls zum Nachteil der Beschwerdeführerin verfälscht worden sein. Wie bereits erwähnt, kommt es hier nicht in erster Linie darauf an, ob die gefundenen Zahlenwerte absolut besser sind als die in Druckschrift 2 genannten; von Bedeutung ist lediglich, ob sie im direkten Vergleich eine relative Verbesserung glaubhaft machen. Es ist außerdem von den Beschwerdegegnerinnen nicht bestritten worden, daß mit Beschichtungsmitteln gemäß Streitpatent im T-bend Test Werte von 0 erreicht werden können (siehe z. B. den Prüfbericht des Instituts für Lackprüfung).

Alle anderen der Kammer zugänglichen Ergebnisse von Vergleichsversuchen, insbesondere die im Beschwerdeverfahren von der Beschwerdeführerin und den Beschwerdegegnerinnen ICI und ATOCHEM vorgelegten, sind entweder auf nicht überprüfbare Weise zustandegekommen, wie die als Dokument W 1 vorgelegten Photographien, die nicht von der Beschwerdeführerin selbst angefertigt worden sind, wie in der mündlichen Verhandlung eingeräumt wurde, und wie Dokument (10), das keinerlei Angaben über Mengenverhältnisse und Einbrennbedingungen enthält, oder sie beruhen auf Versuchsanordnungen, die nicht der Lehre des Dokuments (2) bzw. des Streitpatents entsprechen, wie der Prüfbericht des Instituts für Lackprüfung, gemäß dem im Vergleichsversuch 4 der Lack nicht in Anwesenheit eines Katalysators eingebrannt wurde und somit nicht Druckschrift (2) entspricht, oder wie die in den Declarations Blair (Exhibit LJB 8) bzw. Whitehouse und Rose bzw. Buckley enthaltenen Ergebnisse, die an bei 254 °C 60 Sekunden, statt, wie vom Streitpatent vorgeschrieben, maximal 50 Sekunden lang eingebrannten Proben erhalten wurden (siehe Exhibit LJB 8, S. 5, vorletzter Absatz und Declaration Rose, S. 10, letzter Absatz) und ermöglichen somit keinen aussagekräftigen Vergleich mit dem Stand der Technik. Der Unterschied in den Einbrennbedingungen zwischen dem Streitpatent und den Versuchen der Beschwerdegegnerin ICI mag zwar auf den ersten Blick gering erscheinen. Die Kammer hält es aber nach dem unwiderlegten Vortrag der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung, wonach es beim Bandbeschichtungsverfahren vorrangig auf die im Streitpatent (Spalte 4, Z. 23 bis 27) offenbarten "schockartigen" Einbrennbedingungen ankommt, für glaubhaft, daß der durch die Einbrenndauer vorgegebene rasche Temperaturanstieg für die Erzielung des geltend gemachten Effekts wesentlich ist.

Das Vorbringen der Beschwerdegegnerinnen war somit nicht geeignet, die Kammer davon zu überzeugen, daß die von der Beschwerdeführerin schon im Erteilungsverfahren hinreichend glaubhaft gemachte und gemäß Streitpatent vorrangig angestrebte Verbesserung der Verformbarkeit nicht eintritt.

Auch der von der Beschwerdegegnerinnen BECKER und ICI in der mündlichen Verhandlung erstmals erhobene Einwand, das Eintreten dieses Effekts sei jedenfalls nicht hinsichtlich aller vom geltenden Anspruch 1 umfaßten Beschichtungsmittel glaubhaft, kann nicht durchgreifen, da er nicht ausreichend substantiiert und zudem verspätet vorgebracht worden ist. Es trifft zwar zu, daß dem Streitpatent nicht entnommen werden kann, daß die Polyamidteilchen zusammensintern und deshalb einen Erweichungspunkt unterhalb der Einbrenntemperatur haben müssen. Die Beschwerdeführerin hat jedoch unwidersprochen vorgetragen, daß praktisch alle in Betracht kommenden Polyamidpulver mit 10 bis 13 C-Atomen pro Carbonamidgruppe diese Voraussetzung erfüllen. Dies ist auch im Einklang mit den Angaben in Druckschrift (8), in der auf S. 368 für Polyamid 12 ein Schmelzpunkt von 178 °C und für Polyamid 1313 ein solcher von 174 °C genannt wird.

Es trifft weiterhin zu, daß das Streitpatent in dem die Spalten 2 und 3 überbrückenden Absatz auch Verbindungsklassen wie Amine und sonstige Verbindungen mit aktivem Wasserstoff, der auch an Kohlenstoff gebunden sein kann, als hydroxylfunktionelle Bindemittel nennt. Nach Auffassung der Kammer, der in der mündlichen Verhandlung von keiner Partei widersprochen worden ist, umfaßt der im geltenden Patentanspruch 1 verwendete Ausdruck "hydroxylfunktionelles Bindemittel" für den Fachmann eindeutig nur solche Bindemittel, die Hydroxylgruppen enthalten. Diese Angaben in der Beschreibung sind also zur Festlegung des Anspruchsumfangs nicht relevant. Die Kammer hält es jedoch für angebracht, wenn im Zuge der erforderlichen Anpassung der Beschreibung die vorstehend genannten, das Schutzbegehren nicht erläuternden Angaben aus der Patentschrift entfernt werden.

Auch die Beschwerdegegnerin ICI hat nicht glaubhaft machen können, daß bei den von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Proben von beschichteten Blechen die Polyamid-Teilchen der Proben mit einem Polyamid-Gehalt von 5 und 10 Gew.-% nicht die bestehende Aufgabe lösen, denn die von dieser Beschwerdegegnerin vorgelegten Versuchsergebnisse sind, wie bereits erwähnt, wegen der zu langen Einbrennzeit nicht aussagekräftig. Der Hinweis auf die von der Beschwerdeführerin genannte nachveröffentlichte Druckschrift (7), in der auf S. 7 ein Mindestgehalt von 18 Vol.-% Polyamid in einer Polyester-Matrix genannt wird, geht ebenfalls fehl, da sich diese Druckschrift nicht auf Polyurethan-Bindemittel bezieht und folglich keinen Rückschluß auf die Polyamid-Mindestmenge in Beschichtungsmitteln gemäß Streitpatent gestattet. Auch der Umstand, daß bei den genannten Proben mit 5 bzw. 10 Gew.-% Polyamid-Gehalt die herauspräparierte Polyamid- Matrix nicht erkennbar ist, kann nicht zugunsten der Beschwerdegegnerin ICI gewertet werden. Wie die Beschwerdeführerin zu Recht angemerkt hat, kommt es bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht darauf an, ob der geltend gemachte Effekt für den gesamten beanspruchten Bereich nachträglich theoretisch erklärt werden kann, sondern es ist lediglich zu untersuchen, ob es überprüfbare Anhaltspunkte dafür gibt, daß unter die geltenden Patentansprüche Ausführungsformen fallen, mit denen dieser Effekt nicht erzielt werden kann.

Die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe, das aus Druckschrift (2) bekannte Beschichtungsmittel neben der Abriebfestigkeit vorrangig hinsichtlich der mechanischen Verformbarkeit der damit herstellbaren Beschichtungen zu verbessern, kann daher als tatsächlich gelöst angesehen und somit der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zugrunde gelegt werden.

2.3.4 Zur Lösung der bestehenden Aufgabe wird im Streitpatent das Beschichtungsmittel gemäß Anspruch 1 vorgeschlagen, das sich von dem aus Druckschrift (2) bekannten im wesentlichen durch einen Gehalt an einem Polyamid- Feinpulver unterscheidet, das aus einem Polyamid mit 10 bis 13 C-Atomen je Carbonamidgruppe und einer Korngröße von maximal 60 µm besteht und in einer Menge von 5 bis 40 Gew.-% des Beschichtungsmittels in letzterem suspendiert ist. Ferner enthält das Beschichtungsmittel 20 bis 40 Gew.-% eines Gemischs aus geblocktem Polyisocyanat und hydroxylfunktionellem Bindemittel. In der mündlichen Verhandlung bestand Einigkeit zwischen den Parteien darüber, daß dem in Patentanspruch 1 ebenfalls enthaltenen Schüttdichtebereich im wesentlichen keine zusätzliche Unterscheidungskraft zukommt, da er von der Korngröße abhängig ist. Dieses Merkmal bleibt daher bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Betracht.

2.3.5. Druckschrift (2) enthält keinen Anhaltspunkt dafür, wie die Eigenschaften der mit diesen unmodifizierten Polyurethan-Beschichtungsmitteln erzielbaren Beschichtungen weiter verbessert werden können.

Druckschrift (1) betrifft rutschfeste, filmbildende Lacke, die insbesondere zur Beschichtung von Fußböden Verwendung finden sollen (S.2 1, 1. Abs.). Wenngleich diese Druckschrift ihrem Wortlaut nach nicht auf kalthärtende Beschichtungsmittel beschränkt ist, beruht nach Überzeugung der Kammer die Ansicht der Beschwerdegegnerin ATOCHEM, diese Druckschrift lehre auch die Verbesserung der Abriebfestigkeit hitzehärtbarer Beschichtungsmittel, auf einer unzulässigen Interpretation ihres Inhalts. Der die Seiten 4 und 5 überbrückende Absatz, auf den sich die Beschwerdegegnerin ATOCHEM stützt, bezieht sich nämlich nur auf die je nach Bindemittel gegebenenfalls erforderliche Verwendung eines Lösungsmittels und kann nicht aus diesem Zusammenhang herausgerissen und so verallgemeinert werden, daß nachträglich auch die ganz anderen Anwendungsbedingungen des Streitpatents mitumfaßt werden.

Gemäß dieser Druckschrift soll u. a. die Abriebfestigkeit bekannter Fußbodenbeschichtungsmittel, d. h. kalthärtender Zusammensetzungen, verbessert werden, indem man dem Bindemittel statt mineralischer Füllstoffe feinteilige thermoplastische Stoffe zusetzt (S. 1, 2. Abs. bis S. 2, letzter Abs.). Es wird ausgeführt, daß die Abriebfestigkeit derartiger Beschichtungen besser ist als diejenige der Bindemittel ohne Zusätze (S. 3, 2. Abs.). Bevorzugte thermoplastische Stoffe sind Polyamide, darunter Polyamid 11 (S. 4, 2. Abs.). Als filmbildende Stoffe sind Polyurethane besonders interessant (S. 5, Z. 1 - 3). Die Zusatzstoffe können in Mengen von 0,2 bis 20 %, bezogen auf die Trockensubstanz, in den Lacken vorhanden sein (S. 5, 2. Abs.). Hieraus entnimmt die Kammer, daß mit den Beschichtungsmitteln gemäß dieser Druckschrift eine völlig andere Aufgabe gelöst werden soll als mit denjenigen des Streitpatents. Die Kammer ist daher nicht davon überzeugt, daß der Fachmann diese Druckschrift bei der Suche nach einer Lösung für die andersartige Aufgabe der vorrangigen Verbesserung der Verformbarkeit hitzegehärteter Beschichtungen überhaupt in Betracht gezogen hätte. Selbst wenn man dies aber zugunsten der Beschwerdegegnerinnen annehmen wollte, so könnte sich daraus allenfalls eine Anregung ergeben, zur Erhöhung der Abriebfestigkeit irgendein Polyamidpulver mit einer weiten Korngrößenverteilung in einer Menge von 0,2 bis 20 Gew.-%, bezogen auf die Trockenmasse, einzusetzen. Einen Anlaß dazu, gerade die im Streitpatent hinsichtlich Struktur und Korngröße genau bezeichneten Polyamide in den dort angegebenen Mengen in Betracht zu ziehen, um damit die hier bestehende andersartige Aufgabe zu lösen, bot diese Druckschrift jedoch sicherlich nicht.

2.3.6. Die Druckschriften (4) und (5) betreffen Beschichtungsmittel für elektrische Leiter, insbesondere Drahtlacke (Druckschrift (4), S. 1, Z. 14 - 20 und Druckschrift (5), S. 1, linke Spalte, 1. Abs.). Gemäß Druckschrift (4) wird durch die Kombination eines Polyamids mit einem Polyurethan gegenüber vorbekannten reinen Polyamid-Überzügen eine bessere Abriebfestigkeit und Beständigkeit gegenüber Ethanol erreicht (S. 1, Z. 25 - 29). In Druckschrift (5) wird die Verbesserung des elektrischen Isolationsvermögens bei höheren Temperaturen ohne Verlust an mechanischer Festigkeit angestrebt (S. 1, linke Spalte, letzter Abs.) In dieser Druckschrift wird ferner ausgeführt, daß es bereits bekannt gewesen sei, die mechanischen Eigenschaften, z. B. die Zähigkeit, von solchen Drahtlacken durch Modifikation mit thermoplastischen Materialien, u. a. Polyamiden, zu verbessern (S. 1, linke Spalte, 2. Abs., letzter Satz). Keine dieser Druckschriften erwähnt eine Verbesserung der Verformbarkeit. In der mündlichen Verhandlung bestand außerdem Einigkeit darüber, daß in beiden Druckschriften nur ein Polyamid-Zusatz in Lösung gelehrt wird (Druckschrift (4), S. 2, Z. 43 -53 und Druckschrift (5), S. 2, Beispiele 1 bis 3). Ein Fachmann, der das Verhalten von im Bandlackierverfahren erzeugten Beschichtungen im Abkanttest (T-bend Test) verbessern wollte, hätte keine Druckschriften, die Drahtlacke betreffen, zu Rate gezogen. Die Kammer folgt diesbezüglich dem unwidersprochenen Vorbringen der Beschwerdeführerin, wonach die Anforderungen an die Verformbarkeit bei Drahtlacken wesentlich geringer sind als bei Beschichtungsmitteln für das Bandlackierverfahren. Von diesen Druckschriften geht daher keine Anregung zur aufgabengemäßen Optimierung der Beschichtungsmittel aus.

Selbst wenn man jedoch auch hier zugunsten der Beschwerdegegnerinnen unterstellen wollte, daß ein Fachmann diese Druckschriften in Betracht gezogen hätte, so hätten sie nicht dazu anregen können, anstelle des dort vorgeschlagenen Zusatzes gelöster Polyamide die in den gebräuchlichen Lösungsmitteln, wie Kresol, unlöslichen Polyamide mit 10 bis 13 C-Atomen pro Carbonamidgruppe in Suspension einzusetzen. Wie die von der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren vorgelegten Versuchsergebnisse (eingegangen am 19. März 1987) zeigen, war die angestrebte Optimierung mit einem Polyamid-Zusatz in Lösung jedoch nicht zu erreichen. Noch weniger konnten diese Druckschriften Anregungen zum Auffinden der geeigneten Mengenverhältnisse, die bei einem Zusatz in Lösung nach den unwiderlegten Ausführungen der Beschwerdeführerin gar nicht erzielbar gewesen wären, oder der erforderlichen Korngröße der Polyamid-Teilchen bieten.

2.3.7. Auch den als Druckschrift (9) zusammengefaßten Unterlagen über Rilsan-Pulver kann die Kammer keinen Sachverhalt entnehmen, der zur Lösung der bestehenden Aufgabe anregen konnte, da darin nur Eigenschaften der Polyamidpulver selbst, nicht jedoch deren Einfluß auf Polyurethan- Bindemittel angesprochen werden.

2.3.8. Die Druckschriften (8) und (9) zeigen andererseits, daß dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt neben den gemäß Streitpatent brauchbaren noch eine Vielzahl anderer Polyamid-Typen zur Verfügung standen, welche die für die Lösung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe wesentlichen Kriterien nicht erfüllen. Es kann daher nach Überzeugung der Kammer keine Rede davon sein, daß der Fachmann durch eine einfache Übertragung der Lehre der Druckschrift (1), nämlich mit einem Zusatz von Polyamid- Teilchen innerhalb der dort angegebenen weiten Struktur- Korngrößen- und Mengenbereiche die Abriebfestigkeit zu verbessern, zwangsläufig auch die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe der vorrangigen Verbesserung der Verformbarkeit von insbesondere im Bandlackierverfahren hergestellten Beschichtungen mitgelöst hätte, wie dies die Beschwerdegegnerinnen ATOCHEM und BECKER vorbringen. Es wird nämlich im Streitpatent nicht beansprucht, daß der bloße Zusatz eines beliebigen Polyamids in beliebigem Aggregatzustand die bestehende Aufgabe löst. Dies gelingt vielmehr erst durch eine bestimmte Kombination von Polyamid-Struktur, Korngröße und Mengenverhältnissen. Wie dargelegt, konnten die Entgegenhaltungen den Fachmann jedoch zur Wahl gerade dieser Kombination von Merkmalen nicht anregen. Nach der Rechtsprechung der Beschwerde- kammern reicht es jedoch zum Verneinen der erfinderischen Tätigkeit nicht aus, zu zeigen, daß der Fachmann diese Merkmalskombination (zufällig und ungezielt) hätte auffinden können, sondern es ist erforderlich, zu zeigen, daß er dies in der Erwartung, damit die bestehende Aufgabe zu lösen, tatsächlich getan hätte (siehe auch T 2/83, ABl. EPA 1984, 265). Dieses Vorbringen der Beschwerdegegnerinnen stützt sich also in unzulässiger Weise auf die Kenntnis der Lehre des Streitpatents.

Auch der Einwand, die Lehre des Streitpatents ergebe sich zwangsläufig als "Mittelweg" aus den Lehren der Druckschriften (2) und (4) bzw. (5) unter Berücksichtigung des Umstands, daß das Bandlackierverfahren eine Obergrenze der Korngröße von etwa 60 µm ohnehin erzwinge, beruht nach Überzeugung der Kammer auf unzulässiger rückschauender Betrachtungsweise, da, wie in den Abschnitten 2.3.5 und 2.3.6 dargelegt, keine dieser Druckschriften ohne Kenntnis der Lehre des Streitpatents mit dem Bandlackierverfahren oder gar mit der Lösung der hier bestehenden technischen Aufgabe der Verbesserung der Verformbarkeit damit erzeugter hitzegehärteter Beschichtungen in Verbindung gebracht werden konnte.

2.3.9. Ebenso kann der Einwand der Beschwerdegegnerin BECKER nicht durchgreifen, es sei allgemein bekannt, daß bestimmte Polyole, z. B. Ethylenglykol, zu spröden und daher weniger brauchbaren Beschichtungen führen. Technischer Fortschritt ist nämlich keine Patentierbarkeitserfordernis des EPÜ. Es kommt für die Patentierbarkeit der Beschichtungsmittel gemäß Streitpatent somit nicht darauf an, ob alle von Anspruch 1 umfaßten Ausführungsarten gegenüber den besten bekannten Beschichtungsmitteln verbessert sind, sondern lediglich darauf, ob glaubhaft ist, daß jeweils gegenüber dem nächstvergleichbaren Beschichtungsmittel, das dem Stande der Technik entspricht, mit den im Streitpatent angegebenen Modifikationen eine nicht zu erwartende Verbesserung erzielt wird. Es ist jedoch nichts vorgetragen worden, was eine solche Verbesserung gegenüber einem Beschichtungsmittel mit Ethylenglykol als Polyolkomponente, aber ohne den im Streitpatent spezifizierten Polyamidzusatz, als unglaubhaft erscheinen lassen könnte.

Die Beschwerdegegnerinnen haben auch weder nachprüfbare Anhaltspunkte dafür geliefert, daß die Beschichtungsmittel gemäß Streitpatent für andere Beschichtungsverfahren, wie sie z. B. im Streitpatent, Spalte 2, Z. 8 - 14, genannt werden, weniger geeignet wären, noch hätte ein solcher Vortrag die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit der Beschichtungsmittel beeinflussen können.

2.3.10. Aus den dargelegten Gründen stehen die entgegengehaltenen Druckschriften der Aufrechterhaltung des Patents im beantragten Umfang, einschließlich der Gegenstände der abhängigen Ansprüche 2 bis 7, die besondere Ausführungsformen der Beschichtungsmittel nach Anspruch 1 betreffen, und der Verwendung dieser Beschichtungsmittel nach Anspruch 8, für die die vorstehenden Ausführungen ersichtlich sinngemäß ebenfalls gelten, nicht im Wege.

3. Nachdem, wie dargelegt, dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin stattgegeben werden kann, braucht auf deren Hilfsanträge nicht mehr eingegangen zu werden.

4. Da, wie bereits in Abschnitt 2.3.3 erwähnt, die Frage, ob eine IPN-Struktur entsteht, nicht entscheidungserheblich ist, weil es sich hierbei allenfalls um die nachträgliche wissenschaftliche Erklärung eines beim Befolgen der Lehre des Anspruchs 8 des Streitpatents unter Berücksichtigung der in der Patentschrift enthaltenen Definition der coil- coating-Bedingungen eintretenden Effekts handelt, ist der Hilfsantrag der Beschwerdeführerin BECKER, das Verfahren schriftlich fortzusetzen, gegenstandslos.

5. Wie in Abschnitt 2.3.3 schon ausgeführt, enthält die Patentschrift in dem die Spalten 2 und 3 überbrückenden Absatz Angaben, die den Gegenstand des Streitpatents nicht erläutern und daher zu streichen sind. Da diese Streichung im Zuge der fälligen Beschreibungsanpassung vorgenommen werden kann, hält es die Kammer für angebracht, die Sache an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen (Art. 111 (1) EPÜ).

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Auflage, das Patent gestützt auf die Ansprüche 1 bis 8 gemäß Hauptantrag sowie einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.

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