T 0279/88 () of 25.1.1990

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1990:T027988.19900125
Datum der Entscheidung: 25 Januar 1990
Aktenzeichen: T 0279/88
Anmeldenummer: 82110622.6
IPC-Klasse: C22C 33/02
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur pulvermetallurgischen Herstellung von Formteilen hoher Festigkeit und Härte aus Si-Mn- oder Si-Mn-C-legierten Stählen
Name des Anmelders: Kernforschungszentrum Karlsruh
Name des Einsprechenden: Höganäs AB
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 99(1)
European Patent Convention 1973 Art 101
European Patent Convention 1973 Art 114(1)
European Patent Convention 1973 R 55(c)
European Patent Convention 1973 R 56(1)
Schlagwörter: opposition - admissibility
sufficiency of notice of opposition
Einspruch - Zulässigkeit -
Zulänglichkeit der Einspruchsschrift
Einspruchsverfahren - keine Fortsetzung oder
Verlängerung des Prüfungsverfahrens
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/84
T 0213/85
T 0222/85
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0522/94
T 0084/04
T 2182/10

Sachverhalt und Anträge

I. Das am 29. Oktober 1986 erteilte europäische Patent Nr. 0 097 737 betrifft ein Verfahren zur pulvermetallurgischen Herstellung von maßhaltigen Formteilen hoher Festigkeit und Härte aus Silicium-Mangan- oder Silicium-Mangan-Kohlenstoff-legierten Stählen. In Anspruch 1 ist dieses Verfahren dadurch gekennzeichnet, daß "man die Legierungselemente Silicium und Mangan oder Silicium, Mangan und Kohlenstoff über die Legierungsträger Ferrosilicium, Ferromangan oder eine Silicium-Mangan- Eisen-Vorlegierung mit Silicium-Mangan-Gehalten in den Bereichen 10 bis 30 Gew.-% Si, 20 bis 70 Gew.-% Mn, Rest Fe und Graphit in Pulverform einem Eisenpulver in Mengen zumischt, die den Massenanteilen im Pulvergemisch von 0,3 bis 3 Gew.-% Si, von 0,3 bis 4 Gew.-% Mn, von 0 bis 0,5 Gew.-% C und einem Massenverhältnis Mangan zu Silicium zwischen 1,5 und 3 entsprechen, und das Pulvergemisch in an sich bekannter Weise verpreßt und bei einer Temperatur im Bereich von 1150 °C bis 1250 °C unter Schutzgas-Atmosphäre sintert und abkühlt".

II. Am 20. Juli 1987 wurde gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt. Es wurde geltend gemacht, daß der Gegenstand des Streitpatents den Patentierbarkeitserfordernissen der Artikel 52 (1) und 56 EPÜ nicht genüge und daß das Patent daher in vollem Umfang zu widerrufen sei. Dies wurde, wie folgt, näher begründet:

Im ersten Absatz hieß es: "Neben den vom (EPA) angeführten Dokumenten wird nun auch auf die in einer (im folgenden als D1 bezeichneten) genannten Dokumente Bezug genommen." Im zweiten Absatz wurden die Merkmale des Anspruchs 1 zusammengefaßt. Der dritte und der vierte Absatz sagten aus: "Die Einführung von Legierungselementen in das Pulvergemisch durch Verwendung von Ferrolegierungen ... ist z. B. aus den im folgenden als D2 bis D5 bezeichneten Dokumenten bekannt. In Anbetracht der Lehre dieser Entgegenhaltungen und derjenigen des (Dokuments D6) konnten die in Anspruch 1 definierten spezifischen Bereiche durch routinemäßiges Experimentieren ermittelt werden."

Die Einspruchsschrift schloß mit der formellen Feststellung, daß es an Patentierbarkeit fehle, weil auch durch die Ansprüche 2 bis 5 nichts hinzugefügt werde, was zur erfinderischen Tätigkeit beitrage.

III. Der Formalsachbearbeiter der Einspruchsabteilung teilte der Einsprechenden mit Bescheid vom 18. Januar 1989 mit, daß die Erfordernisse der Regel 55 lit. c EPÜ nicht innerhalb der neunmonatigen Einspruchsfrist erfüllt worden seien und daß dieser Mangel nicht heilbar sei.

In ihrer Erwiderung brachte die Einsprechende im wesentlichen folgendes vor:

Die europäische Patentschrift selbst beziehe sich u. a. auf die Dokumente D1 und D2. Im Recherchenbericht seien u. a. die Dokumente D2 und D3 angeführt. Die Merkmale des Anspruchs 1, die die Gewichtsanteile von Silicium, Mangan und Kohlenstoff definieren, und das Massenverhältnis Mangan zu Silicium seien erst im Prüfungsverfahren vor dem EPA in diesen Anspruch aufgenommen worden, um die Patentierungsanforderungen des EPÜ zu erfüllen. Diese Einschränkung sei erforderlich gewesen, weil die europäische Patentschrift selbst die Verwendung von Ferrosilicium als Legierungselement als an sich bekannt bezeichne und die Verwendung von Ferromangan oder einer Eisen-Mangan-Silicium-Legierung aus den Dokumenten D2 und D3 bekannt sei.

In der Einspruchsschrift werde davon ausgegangen, daß sowohl der Prüfer als auch die Patentinhaberin den Inhalt der Dokumente D2 und D3 kannten, in denen konkrete Bereiche für Silicium und Mangan, nämlich 0,3 bis 10 % Si und ein Mangan-Silicium-Verhältnis von 1,5 bis 9,5 offenbart seien.

Die Feststellung, daß die in Anspruch 1 definierten spezifischen Bereiche durch routinemäßiges Experimentieren ermittelt werden konnten, seien durch die obengenannten Tatsachen und Beweismittel sowie durch die konkreten angezogenen Aussagen der Dokumente D1 und D4 erhärtet.

Die erfinderische Tätigkeit hänge von der Auswahl geeigneter Silicium-und Mangan-Bereiche ab, sei also eine äußerst leicht zu lösende Frage der Quantität und nicht der Qualität.

IV. Mit Entscheidung vom 18. Mai 1988 verwarf die Einspruchsabteilung den Einspruch als unzulässig. Sie begründete dies vor allem damit, daß sie zur Beurteilung der von der Einsprechenden behaupteten mangelnden Patentierbarkeit umfangreiche eigene Ermittlungen anstellen müßte, um feststellen zu können, worauf sich die Einspruchsgründe tatsächlich stützen; somit sei Regel 55, lit c EPÜ zufolge den Prüfungsrichtlinien und der Entscheidung T 222/85 (ABl. EPA 1988, 128) nicht Genüge getan.

V. Die Einsprechende erhob hiergegen am 25. Juni 1988 unter Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde. In ihrer am 9. September 1989 eingereichten Beschwerdebegründung wies die Beschwerdeführerin im wesentlichen darauf hin, daß die einzigen Merkmale der beanspruchten Erfindung, die nicht konkret bekannt seien, die spezifischen Silicium-und Manganbereiche seien, und dies sei eine Frage der Quantität und nicht der Qualität, die sich anhand des Standes der Technik durch routinemäßiges Experimentieren beantworten lasse. Die in den Richtlinien genannten Anforderungen seien erfüllt worden; die Sache liege hier anders als im Falle der Entscheidung T 222/85, weil i) Tatsachen, Beweismittel und Argumente für das Vorliegen eines Patentierungshindernisses gemäß dem EPÜ vorgelegt worden seien; ii) der technische Zusammenhang und die daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen angegeben worden seien; iii) der Inhalt der Einspruchsbegründung die Patentinhaberin und die Einspruchsabteilung in die Lage versetze, den angegebenen Widerrufsgrund zu prüfen, ohne eigene Ermittlungen anstellen zu müssen; iv) in der Einspruchsschrift das Vorbringen der Einsprechenden so klar und deutlich dargelegt worden sei, daß sowohl die Patentinhaberin als auch die Einspruchsabteilung habe erkennen können, worum es gehe; und weil v) die Einspruchsschrift deshalb die für diesen (äußerst einfachen) Fall geltenden materiellrechtlichen Mindestanforderungen des Artikels 99 (1) und der Regel 55, lit. c EPÜ erfülle.

VI. Die Beschwerdegegnerin machte in ihrer Erwiderung geltend, daß die Beschwerde gemäß der Entscheidung T 213/85 (ABl. EPA 1987, 482) unzulässig sei.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und der Regel 64 EPÜ und ist somit zulässig. Die Kammer ist insbesondere der Überzeugung, daß in der Beschwerdebegründung so hinreichend auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung eingegangen und so ausführlich dargelegt wird, weshalb sie aufgehoben werden solle, daß der Forderung in Artikel 108 EPÜ nach einer Begründung Genüge getan ist. Der Sachverhalt der Entscheidung T 213/85 liegt hier nicht vor.

2. Die Einspruchsabteilung hat den Einspruch jedoch nach Auffassung der Kammer zu Recht als unzulässig verworfen.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß eine Einspruchsschrift, um Artikel 99 (1) und der Regel 55, lit. c EPÜ zu genügen, aus sich selbst heraus verständlich sein muß; d. h. insbesondere, daß ihr Verständnis nicht voraussetzen darf, daß der Einspruchsabteilung oder einem ihrer Mitglieder eventuelle im vorangegangenen Prüfungsverfahren angezogene Dokumente bekannt sind. Es ist nämlich durchaus möglich, daß der gemäß Artikel 19 (2) EPÜ zusammengesetzten Einspruchsabteilung kein Mitglied angehört, das bereits als Mitglied der Prüfungsabteilung im Erteilungsverfahren mitgewirkt hat. Das Einspruchsverfahren ist in jedem Fall von dem der Erteilung vorausgehenden Prüfungsverfahren völlig unabhängig und darf vom Einsprechenden keinesfalls als reine Fortsetzung oder Verlängerung des Prüfungsverfahrens angesehen werden (s. z. B. Entscheidung G 1/84, ABl. EPA 1985, 299, Abschnitt 9 der Entscheidungsgründe). Artikel 99 (1) in Verbindung mit Regel 55, lit. c EPÜ hat eindeutig den Zweck sicherzustellen, daß die innerhalb der vorgeschriebenen Frist von neun Monaten eingereichte Einspruchsschrift (s. insbesondere Regel 56 (1) EPÜ) alle Gründe zusammenfaßt, die nach Ansicht des Einsprechenden der Aufrechterhaltung des europäischen Patents in der erteilten Fassung entgegenstehen. Der Umfang des Einspruchsverfahrens hängt vom Inhalt der Einspruchsschrift ab; danach besteht die Hauptaufgabe der Einspruchsabteilung darin, die in der Einspruchsschrift genannten Sachverhalte unter eventueller Berücksichtigung späterer Stellungnahmen der Beteiligten (sofern sie von ihrem Ermessen Gebrauch macht, auch verspätet eingereichte Sachverhalte zu berücksichtigen) zu würdigen und darüber zu entscheiden.

Das Erfordernis des Art. 99 (1) EPÜ, daß der Einspruch "schriftlich einzureichen und zu begründen" ist, wobei die Begründung vom Inhalt her der Regel 55, lit c EPÜ entsprechen muß, und die von Art. 101 i. V. m. Regel 56 EPÜ verlangte Zulässigkeitsprüfung wären sinnlos, wenn der Einsprechende diese Erfordernisse nicht zu erfüllen brauchte und dennoch von der Einspruchsabteilung erwarten dürfte, daß diese den Sachverhalt z. B. gemäß Art. 114 (1) EPÜ "von Amts wegen" ermittelt.

Im vorliegenden Fall geht aus der Zusammenfassung des Inhalts der Einspruchsschrift im obigen Abschnitt hervor, daß die "Angabe der zur Begründung [mangelnder erfinderischer Tätigkeit] vorgebrachten Tatsachen und Beweismittel" in der bloßen Behauptung besteht, daß die beanspruchten spezifischen Bereiche der Legierungselemente Silicium, Mangan und Kohlenstoff im Lichte der angezogenen sechs Vorveröffentlichungen "durch routinemäßiges Experimentieren ermittelt werden konnten".

Nach Auffassung der Kammer reicht eine solche bloße Behauptung keinesfalls aus, um das Erfordernis der Regel 55, lit. c EPÜ zu erfüllen. Eine solche Behauptung könnte, selbst wenn sie beweisen würde, kaum als Ansatzpunkt für die Glaubhaftmachung mangelnder erfinderischer Tätigkeit gewertet werden. Die Einspruchsschrift enthält jedenfalls keinerlei Beweismittel oder Argumente zur Stützung dieser Behauptung, die somit reine Spekulation bleibt. Nach Auffassung der Kammer trifft die in der Entscheidung T 222/85 enthaltene Argumentation auf den vorliegenden Fall unmittelbar zu.

Zu den einzelnen Punkten des im obigen Abschnitt V zusammengefaßten Vorbringens der Beschwerdeführerin ist folgendes zu bemerken:

i) Jede Vorveröffentlichung auf dem betreffenden Gebiet der Technik kann theoretisch ein Patentierungshindernis darstellen: um tatsächlich ein solches zu sein, bedarf es entsprechender Tatsachen und Beweismittel, die dies begründen.

ii) Es genügt für die Zwecke der Regel 55, lit. c EPÜ nicht, wenn zwar der technische Zusammenhang und die daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen, nicht jedoch die Tatsachen und Beweismittel zu deren Begründung angegeben werden.

iii) Wenn keine hinreichenden Tatsachen und Beweismittel angegeben sind, kann weder der Patentinhaber noch kann die Einspruchsabteilung wissen, worauf der Einsprechende abzielt.

iv) Daher verlangen die materiellrechtlichen Mindestanforderungen des Artikels 99 (1) und der Regel 55, lit. c EPÜ auch in einfach gelagerten Fällen eine angemessene Angabe von Tatsachen, Beweismitteln und Argumenten.

Ein auf die Stützung eines Einspruchsgrundes abzielendes Vorbringen einer Einspruchsschrift stellt keine angemessene Angabe von Tatsachen, Beweismitteln und Argumenten dar, wenn es sich dabei ersichtlich um eine rein spekulative Behauptung der gewünschten Schlußfolgerung handelt.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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