T 0209/88 () of 20.12.1989

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1989:T020988.19891220
Datum der Entscheidung: 20 Dezember 1989
Aktenzeichen: T 0209/88
Anmeldenummer: 82110204.3
IPC-Klasse: B60T 15/20
Verfahrenssprache: DE
Verteilung:
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 332 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Druckmittel-Bremsanlage
Name des Anmelders: Robert Bosch GmbH
Name des Einsprechenden: WABCO-Westinghouse
Kammer: 3.2.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 116
European Patent Convention 1973 Art 113(1)
European Patent Convention 1973 R 67
Schlagwörter: oral proceedings - application form overlooked
procedural violation - substantial
right - to be heard
fee - appeal-refund
übersehener Antrag auf mündl. Verhandlung
wesentlicher Verfahrensfehler (ja)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr (ja)
rechtliches Gehör - beantr.mündl.Verh.nicht durchgef.
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
J 0025/88
T 0019/87
T 0093/88
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0560/88
T 0804/94
T 0405/96
T 0862/98
T 2300/08
T 1050/09

Sachverhalt und Anträge

I. Auf den Gegenstand der am 5. November 1982 eingereichten europäischen Patentanmeldung Nr. 82 110 204.3, für die die Priorität einer früheren Anmeldung vom 12. November 1981 in Anspruch genommen worden ist, wurde am 12. November 1986 das europäische Patent Nr. 0 079 543 mit einem einzigen Anspruch erteilt.

II. Gegen das erteilte Patent legte die Beschwerdeführerin am 2. Mai 1987 Einspruch ein.

Hierzu bediente sie sich der vier Blätter 1 bis 4 des vom EPA bereitgestellten Formblatts EPA Form 2300 08.86 "Einspruch gegen ein europäisches Patent". In diesem Formblatt waren ordnungsgemäß die verlangten Angaben mit Schreibmaschine eingetragen und zu vorgedruckten Aussagen die entsprechenden Kästchen mit einem Kreuz versehen worden. Angekreuzt wurde dabei auch das erste Kästchen im Teil VIII "Mündliche Verhandlung" auf Seite 2 neben der Aussage "- wird beantragt, falls das angegriffene Patent nicht allein aufgrund der schriftlichen Ausführungen im beantragten Umfang widerrufen werden kann".

Ebenfalls angekreuzt wurde die Aussage: "der Einspruch richtet sich gegen das erteilte Patent - im gesamten Umfang".

III. Die Beschwerdegegnerin/Patentinhaberin nahm hierzu in einem beim Amt am 16. Dezember 1987 eingegangenen Schreiben Stellung. Am 28. Januar 1988 gingen beim Amt weitere schriftliche Ausführungen der Beschwerdeführerin ein, auf die die Beschwerdegegnerin am 19. März 1988 antwortete.

Mit Entscheidung vom 3. Mai 1988 wies die Einspruchsabteilung ohne vorherige Anberaumung einer Verhandlung den Einspruch gemäß Artikel 102 (2) EPÜ zurück.

IV. Gegen die Entscheidung legte die Beschwerdeführerin am 7. Mai 1988 unter gleichzeitiger Entrichtung der Gebühr Beschwerde ein und beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, die Sache an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen und die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels anzuordnen.

Hilfsweise wurde beantragt, die Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Gleichzeitig wurde der Hauptantrag damit begründet, daß das Einspruchsverfahren insofern einen wesentlichen Verfahrensmangel aufweise, als der Antrag der Einsprechenden auf eine mündliche Verhandlung unberücksichtigt geblieben sei. Dieser Antrag sei durch Ankreuzen des entsprechenden Kästchens im Teil VIII "Mündliche Verhandlung" auf Seite 2 des unter dem 30.4.1987 ausgefertigten Formblattes EPA Form 2300. 08.86 gestellt worden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Zu prüfen ist in erster Linie, ob eine mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung ordnungsgemäß beantragt wurde und ob eine Ladung der Beteiligten zu einer solchen Verhandlung geboten war.

3. Was den Antrag auf mündliche Verhandlung anbelangt, so ist dieser von der Beschwerdeführerin im Einspruchsverfahren durch Ankreuzen des Teils VIII "Mündliche Verhandlung" auf Seite 2 des Formblattes EPA Form 2300.2 08.86 gestellt worden.

3.1. Wenn das EPA für die Öffentlichkeit bestimmte Formblätter bereitstellt, hat es sich auf ihre Benutzung einzustellen und vor allem den darin zum Ausdruck gebrachten Willen gemäß den Angaben des Benutzers zu akzeptieren. Wenn, wie im vorliegenden Fall, das für etwaige Einsprechende bestimmte Formblatt in Teil VIII "Mündliche Verhandlung" zwei Möglichkeiten aufzeigt (nämlich zum einen "wird beantragt, falls das angegriffene Patent nicht allein aufgrund der schriftlichen Ausführungen im beantragten Umfang widerrufen werden kann" und zum anderen "wird - derzeit - nicht beantragt"), neben denen sich jeweils ein für das Anbringen eines Kreuzes bestimmtes Kästchen befindet, so ist das Ankreuzen eines der beiden Kästchen als Bestätigung der betreffenden Angabe zu werten. Die Tatsache, daß im vorhergehenden Teil VII "Tatsachenvorbringen und Begründung" ein Kreuz vorgedruckt ist, kann diese Auslegung nur untermauern.

Die Beschwerdeführerin konnte demnach mit Fug und Recht annehmen, es genüge, das Kästchen neben der ersten Möglichkeit anzukreuzen, um dem Amt mitzuteilen, daß hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt werde.

3.2. In der Entscheidung J 25/88 vertrat die Juristische Beschwerdekammer 3.1.1 die Auffassung (s. Nr. 6), es bestehe kein Grund für die Annahme, daß ein mittels eines Formblatts (EPA Form 1001) gestellter Antrag (damals ging es um die Benennung der Staaten in einer Patentanmeldung) weniger rechtsverbindlich sei als ein in anderer Form eingereichter Antrag.

3.3. Die Kammer kommt auf Grund vorstehender Überlegungen ebenfalls zu dem Ergebnis, daß von der Beschwerdeführerin ein Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung wirksam gestellt worden ist.

4. Zur Frage, ob bei dieser Sachlage die Einspruchsabteilung die Beteiligten vor ihrer Entscheidung zu einer mündlichen Verhandlung hätte laden müssen, ist folgendes zu bemerken:

4.1. Nach Artikel 116 EPÜ findet eine mündliche Verhandlung entweder auf Antrag eines Beteiligten oder, sofern das EPA dies für sachdienlich erachtet, von Amts wegen statt.

Derselbe Artikel sieht eine Ausnahme von dieser Regel nur dann vor, wenn bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat; im vorliegenden Fall trifft dies nicht zu.

Daraus ergibt sich, daß die Einspruchsabteilung verpflichtet war, die beantragte mündliche Verhandlung antragsgemäß durchzuführen, wenn sie beabsichtigte zuungunsten der Einsprechenden zu entscheiden.

4.2. Wie in der (unveröffentlichten) Entscheidung T 93/88 vom 11. August 1988, die auf die Entscheidung T 19/87 (ABl.1988, 268) Bezug nimmt, erläutert ist, ist im Rahmen eines Einspruchsverfahrens eine Entscheidung gegen einen Beteiligten, der eine mündliche Verhandlung beantragt hat, aufzuheben und als unwirksam anzusehen, wenn die besagte Entscheidung ohne vorherige Ladung der Beteiligten zu einer mündlichen Verhandlung (s. Nr. 2, letzter Absatz) getroffen wurde.

Ferner wird in der Entscheidung T 93/88 das Unterbleiben der Ladung der Beteiligten zu einer mündlichen Verhandlung als wesentlicher Verfahrensmangel gewertet, der nach Regel 67 EPÜ die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigt.

4.3. Die Kammer teilt die vorstehend dargelegte Auffassung und hält sie auch im vorliegenden Fall für zutreffend. Sie stellt daher fest, daß die Einspruchsabteilung gegen die in Artikel 116 EPÜ festgelegte Vorschrift verstoßen hat, was als wesentlicher, die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigender Verfahrensmangel zu werten ist, auch wenn es menschlich ohne weiteres verständlich ist, daß - insbesondere nach relativ kurz vorher erfolgter Einführung eines neuen, mehrere Seiten umfassenden Formblatts - ein einzelnes Kreuz übersehen werden kann.

Das in Artikel 116 EPÜ festgelegte Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung bildet einen wesentlichen Bestandteil des in Artikel 113 EPÜ verankerten Anspruchs auf ausreichendes rechtliches Gehör. Die Nichtbeachtung eines Antrags auf mündliche Verhandlung nimmt dem betreffenden Beteiligten die Möglichkeit, seine Sache in der von ihm beabsichtigten Weise vorzubringen und zu den entgegenstehenden sachlichen und rechtlichen Gründen bzw. Argumenten im vorgesehenen Umfang Stellung zu nehmen.

Im vorliegenden Fall konnte sich die Beschwerdeführerin, gestützt auf ihren Hilfsantrag, darauf verlassen, daß sie vor Erlaß einer für sie ungünstigen Entscheidung Gelegenheit haben würde, ihre Sache mündlich zu verteidigen. Sie hatte daher keinen Anlaß zu einer vorherigen weiteren schriftlichen Stellungnahme.

Aus vorstehenden Gründen liegt auch ein Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift des Artikels 113 (1) EPÜ vor.

5. Die Kammer gelangt ferner zu dem Schluß, daß jede Fortsetzung des Verfahrens unter Ausklammerung einer mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung einer Verletzung der Rechte eines Beteiligten gleichkäme und deshalb eine Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz unerläßlich ist.

Da dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin stattgegeben wurde, ist der gestellte Hilfsantrag gegenstandslos.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird zur Fortsetzung des Verfahrens an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Quick Navigation