T 0039/88 (Mikroorganismen) of 15.11.1988

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1988:T003988.19881115
Datum der Entscheidung: 15 November 1988
Aktenzeichen: T 0039/88
Anmeldenummer: 83110649.7
IPC-Klasse: C12B 7/25
Verfahrenssprache: EN
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Fassungen: OJ
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: CPC
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: Die Erfordernisse der Regel 28 EPU sind möglicherweise nicht erfüllt, wenn eine ursprünglich nach einem anderen Recht erfolgte Hinterlegung nicht vor der Einreichung einer europäischen Patentanmeldung in eine Hinterlegung nach Regel 28 EPU oder nach dem Budapester Vertrag umgewandelt worden ist. Da das Hinterlegungsverfahren nach Regel 28 in dieser Hinsicht unklar war, ist es jedoch nicht gerechtfertigt, eine europäische Patentanmeldung, die vor der Bekanntmachung der klärenden Mitteilung des EPA vom 18. Juli 1986 betreffend europäische Patentanmeldungen und Patente, in denen auf Mikroorganismen Bezug genommen wird (ABl. EPA 1986, 269), eingereicht wurde, nur aus diesem Grunde zurückzuweisen (vgl. Nummern 4 - 6 der Entscheidungsgründe).
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 83
European Patent Convention 1973 R 28
Schlagwörter: Mikroorganismen - mangelhafte Hinterlegung
Umwandlung einer ATCC-Hinterlegung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0142/93
T 2068/11

Sachverhalt und Anträge

I. Die europäische Patentanmeldung Nr. 83 110 649.7 wurde am 25. Oktober 1983 unter Inanspruchnahme der Priorität der am 18. November 1982 eingereichten US-Anmeldung Nr. 442 805 eingereicht. Die Anmeldung war auf einen verbesserten Stamm von Clostridium azetobutylicum sowie auf ein Verfahren zu dessen Herstellung gerichtet. Sie enthielt 6 Ansprüche, von denen Anspruch 6 die Verwendung eines Mikroorganismus einschloß, der am 5. November 1982 bei der American Type Culture Collection (ATCC) hinterlegt und mit dem Aktenzeichen seiner Hinterlegung, nämlich ATCC 39 236, bezeichnet worden war. Die europäische Patentanmeldung wurde am 27. Juni 1984 veröffentlicht. Das verwandte US-Patent Nr. 4 521 516 wurde am 4. Juni 1985, also rund 12 Monate später, erteilt.

II. Die europäische Patentanmeldung wurde mit Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 18. August 1987 aufgrund des Artikels 97 (1) EPU zurückgewiesen. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß Anspruch 6 der Anmeldung die Erfordernisse des Artikels 83 in Verbindung mit Regel 28 EPU nicht erfülle, da ungewiß sei, ob der Stamm ATCC 39 236, der in den Anmeldungsunterlagen nicht so beschrieben sei, daß er hergestellt werden könne, so hinterlegt worden sei, daß er der Öffentlichkeit entsprechend dem Erfordernis der Regel 28 (3) EPU zugänglich gewesen sei. ...

III. Gegen diese Entscheidung wurde Beschwerde eingelegt und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage der Ansprüche 1 bis 6 oder hilfsweise der Ansprüche 1 bis 5 in der eingereichten Fassung beantragt. ...

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Damit die Erfordernisse des Artikels 83 in Verbindung mit Regel 28 EPU erfüllt sind, muß eine Kultur eines Mikroorganismus, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist und in der europäischen Patentanmeldung nicht so beschrieben werden kann, daß ein Fachmann die Erfindung danach ausführen kann, unter anderem spätestens am Anmeldetag bei einer vom EPA anerkannten Hinterlegungsstelle hinterlegt werden. Außerdem muß eine hinterlegte Kultur vom Tag der Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung an jedermann auf Antrag zugänglich sein (R. 28 (3) EPU), wobei bestimmte Formerfordernisse eingehalten werden müssen (vgl. R. 28 (7) und (8) EPU).

3. Im vorliegenden Fall wurde die Hinterlegung am 5. November 1982, also vor dem Anmeldetag der europäischen Patentanmeldung, beim ATCC in den USA vorgenommen. Diese Hinterlegungsstelle wurde damals wie heute für die Zwecke der Regel 28 EPU vom EPA sowohl nach dem Budapester Vertrag als auch aufgrund eines besonderen Abkommens vom 23. Juni 1978 als internationale Hinterlegungsstelle anerkannt (s. ABl. EPA 1978, 272 und 301; 1981, 29 - 30; vgl. ABl. EPA 1983, 35, Fußnote 4). Es ist jedoch nie auch nur andeutungsweise behauptet worden, daß nach Regel 6.1 a) i) des Budapester Vertrags oder nach Nummer 13 a) des obengenannten Abkommens (s. ABl. EPA 1978, 303) bei der Hinterlegung schriftlich erklärt worden sei, daß sie aufgrund des Budapester Vertrags bzw. für die besonderen Zwecke der Regel 28 EPU vorgenommen werde. Auch gibt es keinen Hinweis darauf, daß jemals auf andere Weise auf den Budapester Vertrag oder die Regel 28 EPU Bezug genommen worden wäre. Aus einem an die Anmelderin gerichteten Schreiben der ATCC vom 9. November 1982 geht hervor, daß die Hinterlegung "im Zusammenhang mit der Einreichung einer Patentanmeldung" erfolgt ist, ohne daß diese näher bezeichnet wird.

Nach Lage des Falles ist deshalb davon auszugehen, daß sich die Hinterlegung nur auf die kurz danach, nämlich am 18. November 1982, eingereichte US-Anmeldung Nr. 442 805, nicht jedoch auf die später innerhalb des Prioritätsjahres, nämlich am 25. Oktober 1983, eingereichte europäische Patentanmeldung bezieht.

4. Nach der in den USA geltenden Praxis ist ein hinterlegter Mikroorganismus der Öffentlichkeit in der Regel bis zur Erteilung eines US-Patents, das sich auf die Hinterlegung bezieht, nur mit Zustimmung des Hinterlegers zugänglich. Dies steht im Gegensatz zum europäischen System, wonach ein hinterlegter Mikroorganismus ab dem Tag der Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung der Öffentlichkeit auf Antrag immer zugänglich sein muß, und zwar unabhängig davon, ob später ein europäisches Patent erteilt wird und ob der Hinterleger zustimmt. Im vorliegenden Fall war die verwandte US-Anmeldung bei Veröffentlichung der europäischen Anmeldung am 27. Juni 1984 noch immer anhängig; das US-Patent wurde nämlich erst am 4. Juli 1985 erteilt. Dadurch entstand eine Lücke von fast einem Jahr.

Während dieser Zeit bestand keine rechtliche Garantie, daß die Hinterlegung der Öffentlichkeit zugänglich war, wie in Regel 28 (3) EPU gefordert. Obwohl im vorliegenden Fall nicht anzunehmen ist, daß die Beschwerdeführerin ihre Zustimmung zur Herausgabe einer Probe des hinterlegten Mikroorganismus verweigert hätte, wenn ein solcher Antrag tatsächlich gestellt worden wäre, so ist doch zu bedenken, daß ein Hauptzweck der Regel 28 EPU ja gerade darin besteht, die Zugänglichkeit des hinterlegten Mikroorganismus von einer späteren Zustimmung des Hinterlegers unabhängig zu machen und damit die rechtliche Garantie zu schaffen, daß das Erfordernis, wonach der Mikroorganismus ab dem Tag der Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung zugänglich sein muß, bereits an deren Anmeldetag erfüllt ist. Die Kammer kann somit die Behauptung der Beschwerdeführerin, daß die Hinterlegung in diesem Falle alle Erfordernisse nach Regel 28 EPU erfüllt, nicht gelten lassen.

5. Allem Anschein nach wurden die Komplikationen, die sich ergeben können, wenn eine europäische Patentanmeldung auf eine Hinterlegung von Mikroorganismen gestützt wird, die ursprünglich für einen anderen Zweck (z. B. die Einreichung einer nationalen Anmeldung) vorgenommen wurde, nicht vorhergesehen, als die Regelung für die Hinterlegung von Mikroorganismen eingeführt wurde. Darauf deutet unter anderem eine nachträglich Änderung der besonderen Abkommen zwischen dem EPA und bestimmten Hinterlegungsstellen (die allerdings das Abkommen mit der ATCC nicht berührt) hin, die eine "Umwandlung" einer ursprünglich für einen anderen Zweck vorgenommenen Hinterlegung in eine Hinterlegung nach Regel 28 EPU vorsieht (s. z. B. ABl. EPA 1982, 458, Nr. 15, vgl. auch ABl. EPA 1986, 269 - 270, Nr. 2 und die darin enthaltene Bezugnahme auf den Budapester Vertrag). Ausführliche Informationen hierzu (sowie zu anderen Fragen im Zusammenhang mit Mikroorganismen) wurden vom EPA 1986 veröffentlicht (s. ABl. EPA 1986, 269). Somit steht erst ab diesem Zeitpunkt eindeutig fest, daß der richtige Weg zur Anpassung einer ursprünglich für einen anderen Zweck vorgenommenen Hinterlegung an die Erfordernisse des EPU-Systems darin besteht, die Hinterlegung spätestens am Anmeldetag der europäischen Patentanmeldung je nach Lage des Falles förmlich in eine Hinterlegung nach Regel 28 EPU (wenn die Hinterlegung aufgrund eines besonderen Abkommens zwischen dem EPA und der Hinterlegungsstelle erfolgt ist) oder in eine Hinterlegung nach dem Budapester Vertrag (der automatisch auch die Regel 28 EPU umfaßt) umzuwandeln. Eine solche Umwandlung ist im vorliegenden Fall nicht vorgenommen worden.

6. Die vorliegende europäische Patentanmeldung ist jedoch bereits am 25. Oktober 1983 und damit zu einem Zeitpunkt eingereicht worden, zu dem zumindest noch ziemlich unklar war, wie mit Hinterlegungen zu verfahren ist, die ursprünglich für die Zwecke nationaler US-Anmeldungen eingereicht worden sind, die wiederum zur Begründung der Priorität einer späteren europäischen Patentanmeldung verwendet werden. Es wäre unbillig, den Anmelder in einem solchen Fall diese Unklarheit anzulasten, die dem Hinterlegungssystem zum damaligen Zeitpunkt eigen war. Diese Auffassung steht im Einklang mit der von dieser Kammer am 11. Februar 1988 in der Sache T 239/87* getroffenen Entscheidung, auf die sich die Beschwerdeführerin bezieht. Im damaligen Fall war die kritische Zeitspanne (3 Monate) kürzer als im vorliegenden Fall. Die Länge der Zeitspanne darf jedoch nicht ausschlaggebend sein. Aus rechtlicher Sicht zählt nur, daß die Regelung nach Regel 28 EPU bis zur Klärung im Jahre 1986 unklar war, wie oben dargelegt. Die Kammer vertritt jetzt ganz allgemein die Auffassung, daß es nicht gerechtfertigt ist, eine europäische Patentanmeldung, die vor Veröffentlichung der Mitteilung des EPA vom 18. Juli 1986 betreffend europäische Patentanmeldungen und Patente, in denen auf Mikroorganismen Bezug genommen wird (ABl. EPA 1986, 269), eingereicht worden ist, allein mit der Begründung zurückzuweisen, daß sie Regel 28 EPU deshalb nicht erfülle, weil die ursprünglich nach anderem Recht vorgenommene Hinterlegung einer Kultur eines Mikroorganismus nicht vor der Einreichung der europäischen Patentanmeldung in eine Hinterlegung nach Regel 28 EPU oder nach dem Budapester Vertrag umgewandelt worden sei.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

7. Daraus folgt, daß die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden muß. ...

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