T 0365/87 () of 14.9.1989

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1989:T036587.19890914
Datum der Entscheidung: 14 September 1989
Aktenzeichen: T 0365/87
Anmeldenummer: 82107742.7
IPC-Klasse: C09C 1/30
Verfahrenssprache: DE
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren zur Verringerung des Grindometerwertes von hochdispersen Kieselsäuren
Name des Anmelders: Degussa AG
Name des Einsprechenden: Akzo N.V.
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit (ja) - unbewiesene Neuheitsschädlichkeit eines
Dokuments
Stand der Technik - übergeordnetes allgemeines
Fachgebiet
Erfinderische Tätigkeit (nein) - naheliegende Lösung
Novelty - lack of novelty - proof missing
State of the art - superior general technical field
Inventive step - obvious solution
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0219/83
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung 82 107 742.7, die am 24. August 1982 eingereicht worden war, wurde am 06. November 1985 das europäische Patent 76 377 auf der Grundlage von einem Anspruch erteilt. Dieser Anspruch lautet wie folgt:

"Verfahren zur Verringerung des Grindometerwertes von Dispersionen hochdisperser Kieselsäuren, dadurch gekennzeichnet, daß man die hochdisperse Kieselsäure vermahlt und gleichzeitig deren Oberfläche modifiziert, indem man die hochdisperse Kieselsäure im Gemisch mit einer hydrophobierten Kieselsäure vermahlt."

II. Gegen die Patenterteilung legte die Beschwerdeführerin (Einsprechende) am 02. Juli 1986 wegen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit Einspruch ein. Sie stützte sich dabei auf die zwei folgenden Dokumente:

(i) EP-A-0 008 613 (schon im Recherchenbericht zitiert) (II) US-A-3 580 519.

III. Die Einspruchsabteilung hat mit der Entscheidung vom 04. August 1987 den Einspruch zurückgewiesen. Dieser Entscheidung lag der vorstehende Hauptanspruch zugrunde. In ihrer Entscheidung hat sie ausgeführt, daß der Gegenstand des Streitpatents neu sei und daß die im Prüfungsverfahren zitierte Druckschrift CH-A-608 469 (Dokument III) als nächstliegender Stand der Technik angesehen werde. Das Dokument (i) gehe nicht nur von einer anderen Aufgabe aus, sondern schlage auch eine andere Lösung vor. Der Fachmann habe weder aus den Dokumenten (i) und (II) noch aus dem Dokument (II) in Kombination mit (III) schließen können, daß der Grindometerwert von hochdisperser Kieselsäure und somit deren Dispergier- barkeit durch Zusatz von hydrophober Kieselsäure verbessert werden könne.

IV. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Beschwerdeführerin am 12. Oktober 1987 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und am 02. Dezember 1987 eine Begründung hierzu eingereicht.

Bezüglich der Neuheit führte die Beschwerdeführerin im wesentlichen aus, daß die dem Patent zugrundeliegende Aufgabe und die im Dokument (i) erwähnte Aufgabe identisch seien und daß in (i) eine Zerkleinerung der Agglomerate bis zu einer Agglomeratgröße von 1-40 µm stattfände, was der gemäß dem Streitpatent erhaltenen Agglomeratgröße entspreche. Des weiteren könne für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit Dokument (II) nicht nur deshalb außer Acht gelassen werden, weil dort der Grindometerwert nicht erwähnt werde. Sie verwies diesbezüglich auf die in ihrer Einspruchsschrift vorgelegten Argumente.

V. In ihrer Erwiderung auf die Beschwerdeschrift hat die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) diesem Vorbringen widersprochen und dabei folgendes vorgetragen:

Dokument (i) gehe von einer vollständig anderen Aufgabenstellung als das Streitpatent aus. Dort werde ein Mattierungsmittel auf Basis einer gefällten Kieselsäure hergestellt, die eine verminderte Sedimentationsneigung aufweise.

Dokument (II) beschreibe ein Verfahren zur Verhinderung der Reagglomeration von anorganischen Pulvern, bei welchem das Pulver, z. B. Magnesiumoxid, mit einer Mischung aus hydrophiler und hydrophober Kieselsäure vermischt und vermahlen werde. An keiner Stelle dieses Dokumentes werde auf die Verringerung des Grindometerwertes von hochdispersen Kieselsäuren hingewiesen.

Gleichzeitig mit dieser Erwiderung hat die Beschwerdegegnerin hilfsweise einen geänderten Anspruch und eine diesem Anspruch angepaßte Beschreibung eingereicht (siehe Punkt VIII unten).

VI. Die Kammer hat in einer Mitteilung an die Parteien u. a. ausgeführt, daß Dokument (i) dem Gegenstand des Anspruchs des Streitpatents am nächsten stehen dürfte und für die Beurteilung der Neuheit noch zu klären wäre, ob im Verfahren gemäß Dokument (i) während des Mahlprozesses tatsächlich hydrophobierte Kieselsäure gebildet werde.

VII. In der mündlichen Verhandlung am 14. September 1989 bekräftigten die Beteiligten ihre schriftlichen Ausführungen aufgrund weiterer Argumente:

1. Zur Frage der Neuheit machte die Beschwerdeführerin insbesondere noch folgendes geltend: Die im beanspruchten Verfahren verwendete Kieselsäure werde gemäß Streitpatent als oberflächenmodifizierte Kieselsäure definiert (siehe Spalte 2, Zeilen 41-42). Es gäbe keinen Zweifel, daß im Verfahren gemäß Dokument (i) das Organopolysiloxan während des Mischprozesses in einem gewissen Umfang mit der Oberfläche der "Pellets" (d. h. Kieselsäureagglomerate) reagiere, da mit den betreffenden Organopolysiloxanen eine solche Reaktion schon bei normalen Temperaturen, nämlich zwischen 10 und 90°C, mit Kieselsäure stattfinde (vgl. Seite 15, Zeilen 16 -17; Seite 22, letzte Zeile bis Seite 23, Zeile 4). Während des anschließenden Mahlvorganges würden diese Agglomerate zerbrochen, was zur Folge habe, daß nicht nur oberflächenmodifizierte Kieselsäurepartikel (d. h. hydrophobierte Kieselsäure im Sinne des Streitpatents), sondern auch vom Inneren der "Pellets" stammende und somit noch nicht modifizierte Kieselsäurepartikel vorhanden seien. Daher könne das Verfahren gemäß Hauptantrag nicht als neu angesehen werden. Dies gelte auch für den Hilfsantrag, da Dokument (i) die Behandlung einer beliebigen, bekannten Kieselsäure zum Zwecke der Verwendung als Mattierungsmittel offenbare. Pyrogen hergestellte Kieselsäure sei aber als Mattierungsmittel dem Fachmann bekannt.

Außerdem sei das Verfahren gemäß Haupt- und Hilfsantrag im Lichte der Lehre von Dokument (II) naheliegend gewesen, denn dieses Dokument beschreibe in Zusammenhang mit anorganischen Pulvern, z. B. Oxiden, die gleiche Lösung wie das beanspruchte Verfahren zur gleichen Aufgabe.

2. Die Beschwerdegegnerin trat diesem Vorbringen entgegen. Sie machte geltend, daß das Verfahren gemäß Dokument (i) in Wirklichkeit anders sei als das beanspruchte Verfahren und verwies in diesem Zusammenhang auf Seite 26, Zeilen 6 bis 11 der Entgegenhaltung. Ihrer Meinung nach bilde sich bei diesem bekannten Verfahren niemals eine hydrophobierte Kieselsäure. Im übrigen gehe aus Seite 23, Zeilen 23 bis 25 hervor, daß nur eine intensive Vermischung von Organopolysiloxan und hydrophiler Kieselsäure durchgeführt werde, ohne daß eine Reaktion stattfinde. Es sei aber bekannt, daß mit solchen hochmolekularen Organopolysiloxanen (MG = 2000 bis 4000) eine Temperatur von 400°C erforderlich sei, um eine hydrophobe Kieselsäure zu erhalten.

Zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit brachte die Beschwerdegegnerin vor, daß Dokument (i) sich mit einer anderen Aufgabe befasse. Des weiteren seien im Dokument (II) die MgO-Teilchen, die in ölbeheizten Kesselanlagen Anwendung fänden und deren Agglomeration verhindert werden müsse, viel größer als die Teilchen der hochdispersen Kieselsäure gemäß Streitpatent. Die Letzteren seien im Elektronenmikroskop beobachtbar, dagegen läge die Größe der MgO-Teilchen in einem ganz anderen Bereich. In bezug auf den Hilfsantrag bestritt die Beschwerdegegnerin, daß pyrogen hergestellte Kieselsäure als Mattierungsmittel bekannt sei und führte aus, daß pyrogen hergestellte Kieselsäuren und gefällte Kieselsäuren unterschiedliche Eigenschaften aufwiesen.

VIII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Im Verlauf der mündlichen Verhandlung zog sie ihren ursprünglichen Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr zurück.

Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und hilfsweise das Patent aufgrund der am 21. April 1988 eingereichten Unterlagen aufrechtzuerhalten.

Der Anspruch gemäß Hilfsantrag hat folgenden Wortlaut:

"Verfahren zur Verringerung des Grindometerwertes von Dispersionen hochdisperser, pyrogen hergestellter Kieselsäuren, dadurch gekennzeichnet, daß man die hochdisperse, pyrogen hergestellte Kieselsäure vermahlt und gleichzeitig deren Oberfläche modifiziert, indem man die hochdispersen, pyrogen hergestellte Kieselsäure im Gemisch mit einer hydrophobierten Kieselsäure vermahlt."

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

Zum Hauptantrag

2. Der Gegenstand des Streitpatents betrifft ein Verfahren zur Verringerung des Grindometerwertes von Dispersionen hochdisperser Kieselsäuren.

Wie im Streitpatent angegeben, gilt der Grindometerwert nach DIN 53 203 als Bewertungsgröße für den Verteilungszustand einer dispergierten Kieselsäure und maximale Agglomeratgröße der Dispersion (Körnigkeit). Die in den Beispielen des Patents ohne Einheiten angegebenen Grindometerwerte entsprechen somit der maximalen Agglomeratgröße der Dispersion, ausgedrückt in Mikrometer, wie aus der DIN-Norm hervorgeht. Diese Agglomeratgröße beträgt für die nach dem beanspruchten Verfahren hergestellte Kieselsäure 35 µm oder 15 - 20 µm je nach Verdichtungsgrad der Kieselsäure (siehe Beispiele 1 und 2).

3. Dokument (i) offenbart ein Verfahren zur Zerkleinerung der Agglomerate von Kieselsäuren, insbesondere von gefällten Kieselsäuren deren Primärteilchengröße zwischen 10 und 50 Nanometer liegt, d. h. von hochdispersen Kieselsäuren (vgl. Seite 7, Zeilen 2-4).

Dieses Dokument stellt daher den zum Patentgegenstand nächstliegenden Stand der Technik dar.

Dort wird vorgeschlagen, zur Herstellung einer als Mattierungsmittel für Lacke geeigneten Kieselsäure, relativ grobe Agglomerate der Kieselsäure (vgl. Seite 21, Zeilen 20-24 und Seite 22, Zeilen 8-11) mit 0,1 -6 Gew. % eines Organopolysiloxans zu behandeln und die behandelten Agglomerate anschließend zu vermahlen. Das Organopolysiloxan enthält mit Kieselsäure reaktive Gruppen. Diese Zerkleinerung wird solange durchgeführt bis zum Erzielen einer Kieselsäure deren Agglomerate Größen von 1 bis 40 µm bzw. 2 bis 30 µm besitzen, wobei ein wesentlicher Anteil der Agglomerate eine Größe von 2 - 20 µm aufweist (siehe Ansprüche 1, 6 und 11; Seite 7, Zeilen 2 - 8).

Solche Kieselsäuren besitzen, gemessen in einem Nitrozellulose-Lack, einen Grindometerwert nach Hegman zwischen 5,5 und 6,5 (vgl. Seiten 38 bis 40). Nach der im Streitpatent erwähnten DIN 53 203 entspricht dies einer Körnigkeit von etwa 19 bis 31 µm.

4. Ausgehend vom Dokument (i) ist die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe darin zu sehen, zu dem bekannten Verfahren zur Verminderung der Agglomeratgröße einer zur Agglomeration neigenden hochdispersen Kieselsäure eine Alternative zu schaffen.

Der beanspruchte Lösungsvorschlag des Streitpatents besteht darin, die hochdisperse Kieselsäure zu vermahlen unter gleichzeitiger Modifizierung ihrer Oberfläche, und zwar indem die Kieselsäure im Gemisch mit einer hydrophobierten Kieselsäure vermahlen wird. Daß durch die Vermahlung dieses Gemisches die genannte Aufgabe tatsächlich gelöst wird, ist glaubhaft auf Grund der in den Beispielen des Streitpatents berichteten Grindometerwerte.

5. Die einzige relevante Frage bezüglich der Neuheit ist, ob möglicherweise eine Hydrophobierung der Kieselsäure während des Mischprozesses im Verfahren gemäß (i) stattfindet.

Wie die Beschwerdeführerin vorgetragen hat, wird in diesem Dokument zwar offenbart, daß das Polysiloxan in Reaktion tritt, jedoch wird dort in keiner Weise eine dadurch bedingte Hydrophobierung der Kieselsäure erwähnt. Außerdem hat die Beschwerdeführerin keinerlei Beweis erbracht, daß unter den in (i) beschriebenen Bedingungen eine solche Hydrophobierung tatsächlich stattfindet, was übrigens von der Beschwerdegegnerin mit Nachdruck bestritten wurde.

Unter diesen Umständen muß die Kammer zugunsten der Beschwerdegegnerin unterstellen, daß Dokument (i) die Vermahlung der hochdispersen Kieselsäure im Gemisch mit einer hydrophoben Kieselsäure nicht offenbart und das beanspruchte Verfahren daher neu ist (vgl. T 219/83, ABl. EPA 1986, 211).

6. In Abwesenheit anderer Einwände gegen die Neuheit des beanspruchten Verfahrens bleibt noch zu untersuchen, ob angesichts der bestehenden Aufgabe der Lösungsvorschlag auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

6.1. Ausgehend von Dokument (i) stellt sich nun die Frage, ob der Stand der Technik und/oder das allgemeine Fachwissen Hinweise oder Anregungen dafür liefert, wie die Agglomeratgröße einer zur Agglomeration neigenden hochdispersen Kieselsäure auf andere Weise als in Dokument (i) vermindert werden kann.

6.2. Bei der Suche nach einer Lösung wird sich der Fachmann zunächst dem technischen Gebiet auf dem das Patent liegt und dessen Nachbargebieten zuwenden. Gemäß der Recht- sprechung der Kammern (siehe Entscheidungen T 176/84 "Stiftspitzer/MÖBIUS", ABl. EPA 1986, 50 und T 195/84 "Technisches Allgemeinwissen/BOEING", ABl. EPA 1986, 121) ist es ferner von einem Fachmann ohne weiteres zu erwarten, daß er bei Bedarf, d. h. wenn er auf diesen Fachgebieten keine brauchbaren Anregungen findet, auch den Stand der Technik auf dem "übergeordneten" allgemeinen technischen Gebiet heranzieht, d. h. einem Gebiet auf dem sich gleiche oder ähnliche Probleme wie auf dem Spezialgebiet des Patents stellen. Es muß erwartet werden, daß der Fachmann des betreffenden Spezialgebietes sich bei der Suche nach der Lösung seiner Aufgabe auch somit den Kenntnissen auf seinem übergeordneten allgemeinen Gebiet vertraut macht und diese für die Lösung seiner speziellen Aufgabe in Betracht zieht.

6.3. Im vorliegenden Falle ist Dokument (II) ein Stand der Technik, der aus einem allgemeinen Gebiet dieser Art stammt, wie allein schon die auf dem Deckblatt aufgedruckte IPC-Unterklasse B02C andeutet.

6.3.1. Dieses Dokument erwähnt nicht ausdrücklich die Behandlung von als Füllstoff geeigneten feinteiligen Kieselsäuren, gehört jedoch vom technischen Gesamtinhalt her eindeutig dem allgemeinen Gebiet der Zerkleinerung von Stoffen an. Insbesondere befaßt man sich dort eingehend mit folgenden Problemen:

i) Verhinderung der Agglomeration oder Reagglomeration von (irgendwelchen) feinteiligen organischen und anorganischen Stoffen, die hierzu neigen, insbesondere infolge eines Mahlprozesses (vgl. Titel, Spalte 1 Zeilen 1-68, Anspruch 1) und ii) Verminderung der Agglomeratgröße von bereits (re)agglomerierten, feinteiligen und hydrophilen Pulvern, die unter dem Einfluß der Luftfeuchtigkeit und dem Druck bei der Lagerung und der Verpackung zur Agglomeration neigen (vgl. Spalte 1, Zeilen 6-28; Spalte 3, Zeilen 3-65).

Es handelt sich somit um eine frappierend ähnliche Aufgabe wie im Fall der zur Diskussion stehenden feinteiligen Kieselsäuren.

6.3.2. Obwohl die einzigen zwei Ausführungsbeispiele des Dokuments (II) auf die Vermahlung und die Verhinderung der Agglomeration bzw. Reagglomeration eines Chromphosphat- Rohproduktes und eines sehr feinvermahlenen Magnesiumoxidpulvers, gegebenenfalls im reagglomerierten Zustand, gerichtet sind, geht aus dem ganzen Kontext dieses Dokuments eindeutig hervor, daß das Verfahren nicht nur zur Verhinderung der Agglomeration und zur Zerkleinerung der Agglomerate dieser zwei spezifischen Pulver wirksam ist, sondern im allgemeinen für sehr unterschiedliche Arten von zur Agglomeration bzw. Reagglomeration neigenden, feinteiligen Pulvern angewandt werden kann; nämlich: i) Hydrophile feinteilige Pulver, die unter dem Einfluß der Feuchtigkeit und dem Druck der Lagerung und der Verpackung agglomerieren, ii) Produkte, die während ihrer Vermahlung zu feinteiligen Produkten agglomerieren, insbesondere Gewürze oder Schwefel, und iii) feinteilige Stoffe wie Metallsalze und Oxide, z. B. Magnesiumoxid, die beim Zerstäuben zu Reagglomeration neigen und sich außerdem in hohem Maße elektrostatisch aufladen. Bezüglich der Lösung der dort gestellten Aufgabe wird sogar empfohlen, unterschiedliche Mengen des Zusatzes zu verwenden, je nach der Art der zur Agglomeration neigenden Pulver, nämlich anorganische Pulver oder organische Pulver wie Gewürze (siehe Spalte 1, Zeile 5 bis Spalte 2, Zeile 59; Spalte 4, Zeilen 48-56 und Anspruch 1).

6.3.3. Es ist daher zu erwarten, daß sich der Fachmann mit großem Interesse Dokument (II) zuwenden wird, und zwar wegen seiner allgemeinen Lehre auf dem Gebiet der Zerkleinerung von Pulvern, insbesondere feinteiligen Pulvern, und wegen der Ähnlichkeit der Aufgaben.

6.4. Um die Agglomeration bzw. Reagglomeration der feinteiligen Pulver (u.a. hydrophilen Pulver) zu verhindern oder die Zerkleinerung deren Agglomerate zu erzielen, werden in Dokument (II) zwei Alternativen vorgeschlagen, nämlich dem feinteiligen gegen Agglomeration zu schützenden Pulver oder dem bereits reagglomerierten Pulver entweder A) eine hydrophobierte hochdisperse Kieselsäure oder B) eine hydrophobe Kieselsäuremischung aus hydrophiler und hydrophober Kieselsäure zuzusetzen und das Gemisch aus dem feinteiligen Pulver und dem Zusatz zu vermahlen (siehe Spalte 1, Zeilen 69-73; Spalte 2, Zeilen 35-47; Spalte 4, Zeilen 34-36).

Bei der Suche nach einer geeigneten Problemlösung wird sich dem Fachmann unweigerlich die Frage aufdrängen, ob eine solche Behandlung auch bei feinpulverigen Kieselsäuren das Agglomerations- bzw. Reagglomerationsverhalten beeinflußt, dies umso mehr als Dokument (II) keine Einschränkungen bezüglich der zu behandelnden Stoffe enthält. Da auf dem Gebiet der Chemie letztlich nur der praktische Versuch völlige Gewißheit verschaffen kann, entsteht somit für den Fachmann die Anregung, durch Versuche zu überprüfen, ob eine der zwei vorgeschlagenen Lösungen A) und B) auch bezüglich der Zerkleinerung der Agglomerate von hochdispersen Kieselsäure wirksam ist und in welchem Umfange. Solche Versuche, nämlich das Testen, ob durch Zusatz einer hydrophoben Kieselsäure oder Kieselsäuremischung zu den hochdispersen Kieselsäuren in Verbindung mit einer anschließenden Vermahlung, die Verminderung der Agglomeratgröße im angestrebten Umfang ermöglicht wird und die gewünschte Körnigkeit erzielt werden kann, sind für den Fachmann lediglich übliche Routine und führen im vorliegenden Falle unmittelbar zu dem beanspruchten Lösungsvorschlag.

6.5. Den während der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Argumenten der Beschwerdegegnerin bezüglich der relativen Größe der Magnesiumoxidteilchen und der Teilchen der hochdispersen Kieselsäure (siehe vorherstehenden Punkt VII.2) kann aus folgenden Gründen nicht gefolgt werden.

Es ist zunächst anzumerken, daß im Dokument (II) die sehr feinvermahlene Beschaffenheit des Magnesiumoxides wiederholt hervorgehoben wird (siehe Spalte 3, Zeilen 53- 55; Zeilen 66/67). Des weiteren wird das MgO-Pulver im Beispiel 2 in seinem reagglomerierten Zustand, d. h. vor dem Zusatz der hydrophoben Kieselsäuremischung, auch im Elektronenmikroskop beobachtet und dies unter Verwendung einer Vergrößerung von 30.000. Dies deutet aber nicht darauf hin, daß die Größe der beobachteten Magnesiumsoxidteilchen wesentlich höher ist als die der im Streitpatent verwendeten hochdispersen Kieselsäure und diese Größe folglich auch nicht in einem ganz anderen Bereich liegt.

Außerdem enthält der Anspruch des Streitpatents keine genauen Angaben über die maximale Größe der Kieselsäureagglomerate. Der Ausdruck "Verminderung des Grindometerwertes" schränkt zwar die maximale Agglomeratgröße der Dispersion auf einen Wert ein, der mit dem Grindometer gemessen werden kann, d. h. höchstens 100 µm nach DIN 53 203, jedoch besitzen die im Dokument (II) als Ausgangsprodukt angewendeten MgO-Agglomerate eine Größe die wesentlich niedriger als 100 µm sein dürfte, da andernfalls die Beobachtung der Agglomerate mit dem Elektronenmikroskop bei einer Vergrößerung von immerhin 30000 wenig sinnvoll wäre.

6.6. Zusammengefaßt ergibt sich, daß der Lösungsvorschlag nach dem Anspruch des Hauptantrages nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

Zum Hilfsantrag

7. Der geänderte Anspruch des Hilfsantrags entspricht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ, da er von den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen gestützt wird und gegenüber dem erteilten Anspruch eindeutig eingeschränkt ist. Daß das Verfahren gemäß Streitpatent bei pyrogen hergestellten Kieselsäuren als hochdisperse Kieselsäure angewandt werden kann, findet seine Grundlage in der ursprünglichen eingereichten Beschreibung, Seite 5 Zeilen 19-20 und Beispiele 1 und 2 (entsprechend Spalte 2, Zeilen 64-65 der Patentschrift und Beispiele 1 und 2).

8. Schon aus den bezüglich des Hauptantrags erwähnten Gründen muß das Verfahren gemäß Hilfsantrag gegenüber Dokument (i) als neu betrachtet werden. Zwar betrifft Dokument (i) die Herstellung aller Arten von als Mattierungsmittel geeigneten Kieselsäuren, jedoch wird dort die pyrogen hergestellte Kieselsäure nicht erwähnt. Daher ist dieses Merkmal gegenüber dem Verfahren gemäß (i) auch neu, unabhängig davon, ob die pyrogene Kieselsäure als Mattierungsmittel bekannt ist oder nicht.

9. Im Zusammenhang mit der erfinderischen Tätigkeit hat die Beschwerdegegnerin geltend gemacht, daß pyrogene Kieselsäuren und gefällte Kieselsäure unterschiedliche Eigenschaften aufweisen würden.

Es gehört zwar zu dem allgemeinen Fachwissen, daß pyrogene Kieselsäuren sich von den Fällungskieselsäuren u. a. durch deren Agglomeratgröße, Dichte, Verdickungswirkung, Zusammensetzung, unterscheiden, jedoch hat die Beschwerdegegnerin nicht dargelegt, inwiefern diese Unterschiede insbesondere bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit eine Rolle spielen könnten.

Wird zugunsten der Beschwerdegegnerin unterstellt, daß im Falle einer pyrogenen Kieselsäure die Neigung zur Reagglomeration während des Mahlprozesses oder nach erneuter Verdichtung besonders ausgeprägt ist, kann die Aufgabe zusätzlich darin gesehen werden, diese besonders starke Reagglomerationsneigung zu verhindern.

Dokument (II) befaßt sich aber sowohl mit der Verhinderung der Reagglomeration von feinteiligen hydrophilen Pulvern als auch mit der Zerkleinerung solcher Pulver im reagglomerierten Zustand und bietet die Alternativen A) und B), um das Problem der Reagglomerationsneigung zu lösen. Unter diesen Umständen wird der Fachmann sicherlich angeregt, diese Alternativen auch zur Verhinderung der Reagglomeration von pyrogen hergestellten Kieselsäuren zu testen. So gelangt er ohne weiteres, nur durch routinemäßige Erprobung zwangsläufig zu dem Verfahren gemäß Hilfsantrag.

Infolgedessen beruht der Lösungsvorschlag nach dem Hilfsantrag ebensowenig auf einer erfinderischen Tätigkeit wie die Lehre nach dem Hauptantrag.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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