T 0293/87 () of 23.2.1989

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1989:T029387.19890223
Datum der Entscheidung: 23 Februar 1989
Aktenzeichen: T 0293/87
Anmeldenummer: 81200830.8
IPC-Klasse: C23F 7/10
Verfahrenssprache: DE
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Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verf.z.Herstellung v. Phosphatüberzügen auf Eisen- und Stahloberflächen sowie dessen Anwendung
Name des Anmelders: Metallgesellschaft AG, et al
Name des Einsprechenden: Werner Zwez Chem. Fabrik
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
European Patent Convention 1973 Art 84
Schlagwörter: Neuheit (bejaht) n.aussagekräft.Versuchsergebnisse
zur Stützung angebl.neuheitsschädl.Vorbenutzung
Erfinderische Tätigkeit (ja)
nicht nahelieg.Kompromiss zw.zwei bekannt. Lösungen
Mangel an Klarheit-Kein Einspruchsgr. beseit.d.kl.Ausl
Novelty (yes) - non-evident test results for the
purpose of support of alleged novelty destroying prior
use
inventive step (yes)
non-obvious compromise between two known solutions
lack of clarity - no reason for appeal, waived by
clear interpretation
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 3217/19

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung 81 200 830.8, die am 21. Juli 1981 mit britischer Priorität vom 25. Juli 1980 angemeldet worden war, wurde am 10. Oktober 1984 das europäische Patent 45 110 auf der Grundlage von neun Ansprüchen erteilt. Die unabhängigen Ansprüche 1 und 9 lauten, wie folgt:

"1. Verfahren zur Herstellung von Phosphatüberzügen auf Eisen- oder Stahloberflächen im Tauch- oder Flutverfahren mit einer wäßrigen sauren Zinkphosphatlösung, dadurch gekennzeichnet, daß man die Oberflächen mit einer Lösung in Berührung bringt, die mindestens 0,3 Gew.-% Zn, mindestens 0,3 Gew.-% PO4 und mindestens 0,75 Gew.-% NO3 oder eines gleichwirkenden Eisen(II) nicht oxidierenden Beschleunigers enthält, in der das Gewichtsverhältnis Zn : PO4 größer als 0,8 ist, das Verhältnis von Gesamtsäure zu Freier Säure mindestens 5 beträgt und in der man durch geeignete Bemessung von ClO3 oder einem gleichwirkenden Eisen(II) zu Eisen(III) oxidierenden Beschleuniger einen Eisen(II)-Gehalt von 0,05 bis 1 Gew.-% einstellt.

9. Anwendung des Verfahrens nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 8 zur Vorbereitung von Metalloberflächen für die Kaltverformung."

II. Gegen die Patenterteilung legte die jetzige Beschwerdeführerin am 9. Juli 1985 Einspruch wegen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit sowie wegen mangelnder Klarheit der Ansprüche ein. Sie stützte sich dabei auf im einzelnen dargelegte offenkundige Vorbenutzungshandlungen sowie im Verlaufe des Verfahrens zusätzlich auf

(1) W. Machu "Die Phosphatierung" (1950), Seiten 30, 31, 150 und 151, während die Patentinhaberinnen (Beschwerdegegnerinnen) sich u. a. auf

(6) GB-A-1 555 529 bezogen.

III. Mit einer am 26. März 1987 verkündeten, am 10. Juni 1987 zur Post gegebenen Entscheidung wies die Einspruchsabteilung den Einspruch zurück. Sie führte dazu aus, daß der Streitpatentgegenstand nicht nur gegenüber dem druckschriftlichen Stand der Technik neu sei, sondern auch neu gegenüber den nachgewiesenen Vorbenutzungshandlungen; denn diese bedienten sich zwar eines Phosphatierungsbades, welches bis auf die Chloratkonzentration den Angaben des Streitpatents entspreche, doch erfülle dessen praxisübliche Anwendung hinsichtlich des sich einstellenden Fe(II)- Gehaltbereichs nicht die beanspruchte Lehre. Aufgabe des Streitpatents sei es, ein Phosphatierungsverfahren anzugeben, das bei geringem Schlammanfall zu guten Schichtqualitäten führe. Die Lösung dieser Aufgabe durch Einstellung eines Fe(II)-Gehalts des Bades von 0,05 bis 1 Gew.-% mittels entsprechend bemessener Chloratzugaben sei durch den gesamten Stand der Technik nicht nahegelegt worden. Selbst wenn geeignete Bedingungen in Laborversuchen schon verwirklicht oder den Käufern der offenkundig vorbenutzten Phosphavitprodukte durch Abweichen von den empfohlenen Arbeitsweisen zugänglich gewesen sein sollten, so habe es bezüglich dieser Bedingungen jedenfalls an der Offenkundigkeit gefehlt, die Voraussetzung für ihre Berücksichtigung als Stand der Technik wäre.

IV. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die unterlegene Einsprechende (Beschwerdeführerin) am 6. August 1987 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und hierzu am 6. Oktober 1987 eine Begründung eingereicht, worin sie den folgenden weiteren Stand der Technik heranzieht:

(7) DE-C-754 179 und (8) DE-B-1 184 592.

Sie bezeichnet das Verfahren des Streitpatents als "sich sofort anbietenden Kompromiß" zwischen den daraus bekannten Verfahren, nämlich einerseits Verwendung schwacher Oxidationsmittel mit der Konsequenz zunehmender Eisen(II)- Konzentration und unbefriedigender Schichtqualität und andererseits stärkerer Oxidationsmittel, die Fe(II) zu Fe(III) oxidieren, mit dem Nachteil starker Schlammbildung. Zudem komme es im Verlaufe des Verfahrens zunehmend nur noch auf die Zusammensetzung der Ergänzungslösung an, hinsichtlich welcher im beanspruchten und im offenkundig vorbenutzten Verfahren praktisch kein Unterschied bestehe. Die Beschwerdeführerin legt ferner Versuchsergebnisse vor, die eine praktische Identität der Eisen(II)-Endwerte beim vorbenutzten und beim beanspruchten Verfahren belegen sollen. Das Streitpatent sei damit sogar neuheitsschädlich getroffen.

V. Die Beschwerdegegnerinnen treten diesen Ausführungen entgegen. Zur Lösung der bestehenden Aufgabe seien außer der Möglichkeit, "auf der Eisenseite arbeitende" Verfahren zu modifizieren, noch eine Vielzahl ganz anderer Möglichkeiten in Frage gekommen; auch bestehe die Lehre der Erfindung nicht nur in der Angabe des einzustellenden Fe(II)- Gehaltbereiches, sondern auch der dazu führenden Maßnahmen (geeignete Bemessung von ClO3 usw). Es stimme nicht, daß sich die Zusammensetzung des Bades bei Langzeitverfahren nur noch nach der der Ergänzungslösung richte; vielmehr unterbinde ein chlorathaltiges Anfangsbad, wie das vorbenutzte von vorneherein die Entstehung merklicher Fe(II)-Konzentrationen, wogegen sich bei chloratfreien Anfangsbädern zunächst eine Fe(II)-Konzentration aufbaue, die dann durch Zugaben von chlorathaltiger Ergänzungslösung im gewünschten Bereich gehalten werde. Die Beschwerdegegnerinnen bestreiten die Aussagekraft der gegnerischen Versuchsergebnisse wegen der ihres Erachtens unüblichen Höhe der dort angewandten Badbelastungen, die für eine relativ hohe Fe(II)-Konzentration verantwortlich seien. Die Versuche der Beschwerdeführerin arbeiten nämlich bei einer dauernden Badbelastung von 0,16 m2/l.h, wogegen in

(9) W. Rausch "Die Phosphatierung von Metallen" (1974), Seite 228, auf Grund einer von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vom 23. Februar 1989 als richtig bestätigten Berechnung eine solche von höchstens 0,04 m2/l.h empfohlen werde. Die Beschwerdegegnerinnen legen ihrerseits Versuchsergebnisse vor, die ihren Standpunkt untermauern sollen.

VI. In der mündlichen Verhandlung beziehen sich die Beteiligten nur noch auf die oben genannten Dokumente. Sie bekräftigen und erläutern ihre oben zusammengefaßten Argumente. Die Beschwerdeführerin macht außerdem nochmals geltend, daß das Schutzbegehren unklar sei. Sie beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent zu widerrufen. Die Beschwerdegegnerinnen beantragen, die Beschwerde zurückzuweisen. Am Schluß der mündlichen Verhandlung verkündet der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Da die Ansprüche im Einspruchs- und dem daran anschließenden Beschwerdeverfahren nicht geändert wurden und Artikel 84 EPÜ keinen Einspruchsgrund darstellt, sieht sich die Kammer an einer diesbezüglichen Beanstandung gehindert. Sie hält jedoch fest, auf Grund welcher Auslegung des Wortlautes von Anspruch 1 sie im folgenden dessen Patentfähigkeit untersucht:

Von den zu beschichtenden Oberflächen wird in Anspruch 1 gesagt, daß man sie unter Einhaltung bestimmter Zn- und PO4- Konzentrationen und -gewichtsverhältnisse sowie Säuremengen mit einer Lösung in Berührung bringt, die bestimmte Mindestmengen eines Fe(II) nicht oxidierenden Beschleunigers (z. B. NO3) enthält; die anfängliche Anwesenheit (zusätzlich) eines Fe(II) zu Fe(III) oxidierenden Beschleunigers (z. B ClO3) ist nicht erwähnt, wenn auch nicht expressis verbis ausgeschlossen. Von diesem wird lediglich im Rahmen einer "geeigneten Bemessung" gesagt, daß er den Fe(II)-Gehalt innerhalb eines angegebenen Bereichs einstellen soll. Hinsichtlich dieser Bemessung heißt es in der Streitpatentschrift, Seite 3, Zeilen 13 ff., es sei zu berücksichtigen, daß das Bad in der Startphase noch keine Fe(II)-Ionen enthalte, weswegen zu diesem Zeitpunkt eine Zugabe von Fe(II) oxidierendem Beschleuniger "nicht erforderlich" sei. Für den Fachmann ist aber ohne weiteres erkennbar, was im Schriftsatz der Beschwerdegegnerinnen vom 11. April 1988, Seite 3, Absatz 1, auch ausgesprochen wird: Ein chlorathaltiges (oder einen anderen Fe(II) oxidierenden Beschleuniger enthaltendes) Anfangsbad unterbindet - jedenfalls bei Badbelastungen im üblichen Rahmen - die Entstehung merklicher Fe(II)-Konzentrationen von vornherein, so daß sich eine nach dem beanspruchten Verfahren erforderliche Fe(II)-Konzentration des angegebenen Bereiches gar nicht aufbauen kann. Daraus folgt, daß die Nichterwähnung von ClO3 (oder dergl.) als Bestandteil des Anfangsbades im Sinn eines Ausschlusses und dessen "Bemessung" als spätere, d. h. nach Erreichen des erforderlichen Fe(II)-Konzentrationsbereiches erfolgende Zugabe zu verstehen sind. Dabei ist die Ausführbarkeit der funktionell definierten Bemessungsregel für den Fachmann ohne weiteres gegeben, weil er die Fe(II)-Konzentration jederzeit messen kann und weiß, welche Beschleuniger hinsichtlich der Oxidation von Fe(II) gleichwirkend sind (z.B. NO2).

3. Vor Würdigung des druckschriftlichen Standes der Technik soll nunmehr der Frage nachgegangen werden, ob nicht die unstreitige offenkundige Vorbenutzung der Phosphavitlösungen durch die Beschwerdeführerin und ihre Abnehmer einer neuheitsschädlichen Vorwegnahme des Streitpatentgegenstandes gleichkommt.

3.1. Die angefochtene Entscheidung hat diese Frage im wesentlichen deswegen verneint, weil die "Betriebsanleitung" zu Phosphavit 802I dessen Verwendung bei einer Punktzahl von 50 + 5 vorschreibe (Verhandlungsprotokoll vom 26. März 1987, dritter Absatz), wogegen bei der zu einem Fe(II)-Gehalt des im Streitpatent beanspruchten Bereiches führenden Nacharbeitung (Punkt 8 auf Seite 10 der Einspruchsschrift vom 5. Juli 1985) mit einer Punktzahl von 30,0 gearbeitet worden sei. Für eine ordnungsgemäße Anwendung der Betriebsanleitung - und nur eine solche wäre offenkundig - sei daher die Erzielung eines im beanspruchten Bereich liegenden Fe(II)-Gehaltes nicht nachgewiesen.

3.2. Diese zutreffende Feststellung kontert die Beschwerdeführerin durch Vorlage neuer Versuchsergebnisse in der Beschwerdebegründung. Bad "B" arbeitet dort unter Bedingungen, die hinsichtlich der Punktzahl nicht zu beanstanden sind (vgl. Seite 8, Zeile 3) und gelangt dabei zu einem Eisengehalt-Endwert von 0,05 % (Tabelle auf Seite 9, Spalte "B", erste Zeile), was genau dem unteren Eckwert des beanspruchten Verfahrens entspricht, somit im Fall aussagekräftiger Versuchsbedingungen eine Vorwegnahme bedeuten würde.

3.3. Die Beschwerdegegnerinnen stellen dem eigene Versuchsergebnisse gegenüber ("Versuchsergebnisse I" in der Anlage zum Schriftsatz vom 20. Januar 1989), denen - ebenfalls bei Arbeiten mit Phosphavit 802 I und einer Punktzahl von etwa 50 - wesentlich geringere Fe(II)- Konzentrationen, nämlich solche von höchstens 0,078 g/l, entsprechend 0,0078 %, zu entnehmen sind. Sie erklären den großen Unterschied im wesentlichen damit, daß die Beschwerdeführerin mit einer unüblich hohen Badbelastung von 0,16 m2/l.h gearbeitet habe, was zur verstärkten Auflösung von Eisen unter Bildung von Fe(II) führe, mit der Folge, daß das Chlorat "mit der Oxidation nicht nachkomme", also untypisch hohen Fe(II)-Werten.

3.4. Die Beschwerdeführerin bestreitet, daß 0,16 m2/l.h eine unüblich hohe Badbelastung darstelle. Sie wirft ihrerseits den Beschwerdegegnerinnen vor, daß deren Versuche durch (im Rahmen des Zulässigen) erhöhte Temperatur (75 gegenüber 70 °C) und Vornahme des (in der Betriebsaleitung für Phosphavit 802 bloß fakultativ vorgesehenen) Aktivierens mit Titanphosphat tendenziell zu niedrige Fe(II)-Werte anzeigen. Auf die Entgegnung der Beschwerdegegnerinnen, der kleine Temperaturunterschied spiele überhaupt keine Rolle, während das Aktivieren die Fe(II)-Werte wohl geringfügig, aber nicht entscheidend drücken könne, hat die Beschwerdeführerin nichts mehr erwidert, so daß die diesbezüglichen Einwände der Beschwerdeführerin als erledigt zu betrachten sind. Entscheidend ist somit, ob die von der Beschwerdeführerin angewandte Badbelastung von 0,16 m2/l.h nach dem Wissensstand des Fachmannes zum Prioritätszeitpunkt, wie die Beschwerdeführerin meint, als durchaus üblich anzusehen war, mit der Folge, daß die durch die Lieferung von Phosphavit 802 I gegebene Lehre dessen Einsatz unter solcher Belastung umfaßte; oder ob sie das damals Übliche in solchem Ausmaß überstieg, daß dem Versuchsergebnis der Beschwerdeführerin die Aussagekraft abzusprechen ist.

3.5. Hierzu steht auf der einen Seite die oben unter V. erwähnte Aussage von (9) im Raum, wonach jedenfalls im Jahre 1974 Höchstbelastungen von nur 0,04 m2/l.h empfohlen wurden - einen Betrag, den die Beschwerdegegnerinnen bei ihren Versuchen, wie sie sagen, "aus Entgegenkommen" verdoppelt haben; auf der anderen Seite steht lediglich die unbelegte Behauptung der Beschwerdeführerin, wonach man "heute" aus Rationalisierungsgründen mit der Badbelastung immer so hoch wie irgend möglich gehe. (Zu der Situation im Prioritätszeitpunkt hat sich die Beschwerdeführerin nicht geäußert.) Bei dieser Beweislage müssen - zumal im Fall entgegenstehender Tatsachenbehauptungen die Beweislast grundsätzlich beim Einsprechenden liegt (T 219/83 "Zeolithe/BASF", ABl. EPA 1986, 211) - die Versuchsergebnisse der Beschwerdeführerin wegen der hohen Badbelastung als nicht aussagekräftig außer Betracht gelassen und diejenigen der Beschwerdegegnerinnen der Entscheidung zugrunde gelegt werden. Danach sind Fe(II)- Gehalte des beanspruchten Bereiches nach dem "Phosphavitverfahren" nicht erzielbar, und eine neuheitsschädliche Vorwegnahme durch die betreffenden Benutzungshandlungen liegt nicht vor.

3.6. Zum gleichen Ergebnis gelangt man übrigens auf Grund der oben in Abschnitt 2 vorgenommenen Auslegung des Anspruchswortlautes auch schon deswegen, weil beim Phosphavitverfahren ein chlorathaltiges Anfangsbad eingesetzt wird.

4. Zum druckschriftlichen Stand der Technik gehören seit langem Phosphatierungsverfahren, wie sie in (1) referiert sind und bei denen als Beschleuniger solche Stoffe zugegen sind, die nicht nur zur Oxidation des bei der Einwirkung von Phosphorsäure auf Eisen freiwerdenden Wasserstoffs, sondern auch zur Überführung des dabei entstehenden Fe(II) in Fe(III) befähigt sind, insbesondere Chlorate; vgl. (1), Seite 151, erster Absatz. Da Fe(III) als FePO4-Schlamm ausfällt, bleiben in Lösung nur sehr geringe Eisenmengen (<0,01 Gew.-% Fe(II); siehe a.a.O.). Da der dabei anfallende Schlamm große Probleme schafft, hat man - ebenfalls schon seit langem -auch sogenannte "auf der Eisenseite arbeitende" Verfahren entwickelt, bei denen im wesentlichen von einer Oxidation von Fe(II) zu Fe(III) abgesehen und das Eisen als Fe(II) in Lösung behalten wird. Ein solches Verfahren ist in (8) beschrieben. Da es sich beim Verfahren des Streitpatents ebenfalls um ein auf der Eisenseite arbeitendes handelt, wird im folgenden von (8) als nächstem Stand der Technik ausgegangen. Dieser bringt den Nachteil mit sich, daß im Laufe der Zeit die Schichtqualität und - bildungsgeschwindigkeit abnehmen, was zur Verwerfung jeweils eines Teiles des Bades zwingt.

5. Hiervon ausgehend kann die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe darin gesehen werden, unter Vermeidung dieses Nachteils ein Phosphatierungsverfahren anzugeben, mittels dessen bei dem bei guter Schichtqualität und -bildungsgeschwindigkeit nur verhältnismäßig geringe Schlammengen anfallen.

Auf Grund der Aussagen der Streitpatentschrift, insbesondere des Beispiels, erscheint es glaubhaft, daß diese Aufgabe durch das beanspruchte Verfahren auch tatsächlich gelöst ist. Dies wird von der Beschwerdeführerin auch gar nicht bestritten.

6. Nachdem oben bereits die Neuheit des beanspruchten Verfahrens gegenüber den geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzungshandlungen festgestellt wurde, soll im folgenden untersucht werden, ob diese auch gegenüber dem druckschriftlichen Stand der Technik gegeben ist.

6.1. Hinsichtlich (1) und (6) ist dies eindeutig und unstreitig der Fall, weil keines dieser Dokumente ein auf der Eisenseite arbeitendes Phosphatierungsverfahren offenbart, bei dem der Fe(II)-Gehalt des Bades im Bereich von 0,05 bis 1 Gew.-% liegt.

6.2. Gegenüber (8) besteht Neuheit schon deswegen, weil dort ohne Chlorat oder gleichwirkenden Beschleuniger gearbeitet wird.

6.3. Nach (7) wird mit Phosphatierungsbädern gearbeitet, die neben dem Fe(II) nicht oxidierenden Nitrat auch Nitrit enthalten, welches Fe(II) zu Fe(III) oxidiert. Das Nitrit soll zwar nicht als solches zugegeben, sondern durch sorgfältige Wahl der Reaktionsbedingungen in genügender Menge aus dem Nitrat gebildet werden (siehe z. B. Seite 1, Zeilen 10 ff.); dies ist jedoch unerheblich. Nitrit ist unstreitig ein im Sinne des Streitpatents gegenüber Chlorat "gleichwirkender Beschleuniger", so daß sich die Frage der Neuheitsschädlichkeit von (7) auf die Frage reduziert, ob diesem Dokument die Einstellung von Fe(II) im Bereiche von 0,05 bis 1 Gew.-% entnehmbar ist. Diese Frage ist nach Auffassung der Kammer deswegen zu verneinen, weil die Gesamtoffenbarung von (7) so zu verstehen ist, daß im Bad möglichst kein Fe(II), d. h. nur die absolut unvermeidbare Minimalkonzentration vorliegen soll. Dies ergibt sich insbesondere aus den folgenden Passagen: Seite 2, Zeilen 93 und 94: "praktisch frei von Ferrophosphat"; Seite 2, Zeile 119, bis Seite 3, Zeile 6: "sicher ... gehen, daß ... nicht so viel Ferrophosphat ..., daß es spürbar ... stört" in gedanklicher Verbindung mit "keine Ferrophosphatanreicherung" und "frei von Ferrophosphat"; Seite 3, Zeilen 76 bis 81: "eine genügende Menge Nitrit ..., um die Lösung praktisch frei von Eisen (gemeint: Fe(II)) zu halten" sowie "Überschuß an Nitrit über die Menge, die für die Oxydation des Ferrophosphats ... nötig ist"; sowie insbesondere im Anspruch 1, Seite 4, Zeilen 2 bis 3: "praktisch frei von Ferroeisen". Im Zusammenhang damit gesehen, sind nach Überzeugung der Kammer die beiden Stellen, wo von einem bloß "niedrigen" Ferroeisengehalt die Rede ist (Seite 2, Zeilen 54 bis 56 und 64 bis 69) nur als Ungenauigkeiten im Ausdruck, keineswegs aber als Offenbarung des im Streitpatent definierten "niedrigen" Gehaltes von 0,05 bis 1 Gew.-% zu werten.

6.4. Demnach ist der beanspruchte Lösungsvorschlag entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin auch gegenüber (7) und somit insgesamt als neu anzusehen.

7. Hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit ist der Beschwerdeführerin insoweit zuzustimmen, als sich der Gegenstand des Streitpatents bei rein formaler Betrachtungsweise als "Kompromiß" darstellt zwischen einerseits dem "auf der Eisenseite arbeitenden", eine Schlammbildung weitgehend vermeidenden Verfahren nach (8) und andererseits den "nicht auf der Eisenseite arbeitenden", dafür mit Schlammproblemen behafteten Verfahren nach (1), (6) und (7), bei denen die Badzusammensetzung (hoher Gehalt an Chlorat oder dergl.) einen Fe(II)-Gehalt praktisch ausschließt. Zu fragen ist nur, ob dieser Kompromiß, wie die Beschwerdeführerin meint, für den Fachmann am Prioritätstag tatsächlich nahelag.

7.1. Dokument (8) stellt das weitgehende Vermeiden von Schlammbildung als besonders wünschenswert in den Vordergrund, von der es heißt (Spalte 3, Zeilen 13 bis 16), sie sei vorher als notwendiges Übel in Kauf genommen worden, um Bäder von langer Lebensdauer und kurzer Phosphatierungszeit zu erzielen. Nach (8) ist das Arbeiten auf der Eisenseite unter Einhaltung bestimmter Temperatur- und Konzentrationsbedingungen möglich (Spalte 3, Zeilen 36 bis 49, bzw. Spalte 4, Zeilen 8 bis 18); zusätzlich behilft man sich dort durch einen erhöhten Austrag, d. h. Verwerfen von Phosphatierungslösung (Spalte 4, Zeilen 54 bis 68). Eine Anregung, statt dieser unökonomischen Maßnahme die Bemessungsregel des Streitpatents anzuwenden, ist hieraus nicht zu entnehmen.

7.2. Das mündlich vorgetragene Argument der Beschwerdeführerin, der Scheitelpunkt der in der Zeichnung von (8) dargestellten Kurve liege genau bei 10g/l = 1 Gew.-% Fe(II), nehme damit den oberen Eckwert des im Streitpatent definierten Fe(II)- Gehaltbereiches vorweg und lege diesen Bereich als ganzen nahe, haben die Beschwerdegegnerinnen mit der unwiderlegten Entgegnung entkräftet, die betreffende Kurve - die die maximal zulässige Fe(II)-Konzentration in Abhängigkeit vom Konzentrationsverhältnis (Fe(II)+Zn): P2O5 zeigt - gelte nur für einen bestimmten konstanten (Zn + Fe(II))-Wert, sei daher nur eine einzige aus einer unbegrenzten Kurvenschar mit verschiedenen Scheitelpunkten, und der ihrem Scheitelpunkt entsprechende Konzentrationswert sei daher rein zufällig. Bei dieser Sachlage kommt der Zeichnung im Hinblick auf das Naheliegen des Fe(II)-Gehaltbereiches keine Beweiskraft zu.

7.3. Ein Anreiz dafür, die Fe(II)-Konzentration in dem gemäß Streitpatent beanspruchten "Kompromiß"-Bereich von 0,05 bis 1 Gew.-% zu halten - wofür das Streitpatent Chloratkonzen trationen in der Behandlungslösung von "im allgemeinen kleiner als 0,1 Gew.-%" empfiehlt (Seite 3, Zeilen 5 bis 8) - ist auch dem nicht auf der Eisenseite arbeitenden Verfahren von (6) nicht zu entnehmen, das trotz der dabei gebildeten großen Schlammengen (deren störende Wirkung es durch Calciumzusatz in Grenzen hält; siehe Seite 2, Zeilen 36 bis 46) an Chloratkonzentrationen von mindestens 1g/l festhält (Seite 1, Zeilen 24 bis 27).

7.4. Entsprechendes gilt für (1), das auf Seite 151, Absatz nach den Reaktionsgleichungen, ausdrücklich von Fe(II)-Gehalten von weniger als 0,1g/l, d. h. <0,01 Gew.-% spricht, sowie für das unter dem Blickpunkt der Neuheit bereits ausführlich gewürdigte (7) - siehe Unterabschnitt 6.2. Wenn die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen hat, daß im letztgenannten Dokument von Konzentrationen des der Oxidation von Fe(II) dienenden Nitrits von 0,0005 bis 0,01 % die Rede ist (siehe z. B. Seite 2, Zeile 90, und Seite 3, Zeilen 78 bis 83), so ist dem einmal entgegenzuhalten, daß sich Konzentrationsangaben für Nitrit und dem im Streitpatent bevorzugten Chlorat zahlenmäßig nicht entsprechen, weiter daß es sich bei den in (7) genannten Nitritgehalten um Überschüsse über das zur Oxidation Nötige handelt (Seite 3, Zeilen 78 bis 83), vor allem aber, daß damit die Fe(II)-Konzentrationen, wie oben dargelegt, praktisch auf Null reduziert werden sollen, was gemäß Streitpatent gerade vermieden wird. Es ist daher nicht ersichtlich, wieso sich hieraus für den Fachmann eine Anregung in Richtung auf das Verfahren des Streitpatents ergeben soll.

7.5. Das vorstehende Ergebnis wird durch die Überlegung bestätigt, daß die Verfahren von (1) und (7) der Fachwelt mindestens 30 bzw. 36 Jahre, dasjenige von (8) 16 Jahre vor dem Prioritätsdatum des Streitpatentes bekannt waren, ohne daß jemand vorher auf den Gedanken kam, zur Lösung der bestehenden Aufgabe den scheinbar so naheliegenden "Kompromiß" einzugehen, zu dem die Beschwerdegegnerinnen gegriffen haben. Dies bestätigt den Schluß, daß von einem Naheliegen dieses Kompromisses nur auf Grund unzulässiger rückblickender Betrachtungsweise gesprochen werden könnte. Nach allem beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Streitpatents somit auf erfinderischer Tätigkeit.

8. Die Ansprüche 2 bis 8 betreffen bevorzugte Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1 und sind als solche ebenfalls patentfähig.

9. Das gleiche gilt für die Anwendung nach Anspruch 9, die auf demselben erfinderischen Gedanken beruht wie das Verfahren des Anspruchs 1.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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