European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1988:T028187.19880714 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 14 Juli 1988 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0281/87 | ||||||||
Anmeldenummer: | 82111217.4 | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
Download und weitere Informationen: |
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Bezeichnung der Anmeldung: | Automatische Korrektureinrichtung für Werkzeugrevolver an Druckmaschinen | ||||||||
Name des Anmelders: | Boehringer | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.5.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Beschwerdebründung - Frist - Verlängerbarkeit Flüchtigkeitsirrtum (einmaliger) - entschuldbar (ja) Statement of grounds - time limit - extension oversight (non-recuring) - excusable (yes) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die am 3. Dezember 1982 angemeldete europäische Patentanmeldung 82 111 217.4 (Publikations-Nr. 81 217) wurde durch Entscheidung der Prüfungsabteilung 062 vom 29. Januar 1987 zurückgewiesen.
II. Gegen diese am 29. Januar 1987 zur Post gegebene Entscheidung legte der Vertreter des Anmelders am 30. März 1987 unter Zahlung der Gebühr Beschwerde ein. Der 8. Juni 1987 war der Pfingstmontag. Mit einem am 9. Juni 1987 eingegangenen Schreiben beantragte er, "Die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung um zwei Monate ... zu verlängern". Zur Begründung führte er aus: "Die seitens der Mandantin erforderlichen Informationen zur Ausarbeitung der Beschwerdebegründung liegen hier noch nicht vollständig vor. - Sollte die beantragte Fristverlängerung wider Erwarten nicht gewährt werden können, wird um umgehende Benachrichtung und Gewährung einer kurzen Nachfrist gebeten."
III. Nachdem der Vertreter am 12. Juni 1987 vom EPA telefonisch auf das Fehlen der Beschwerdebegründung aufmerksam gemacht worden war, stellte er mit einem am 12. August 1987 eingegangenen Schreiben unter Zahlung der Gebühr einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist nach Art. 108, Satz 3 EPÜ zur Abgabe der Beschwerdebegründung. Gleichzeitig holte er die Beschwerdebegründung nach.
IV. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags wurde ausgeführt, die zuständige Sachbearbeiterin habe "offensichtlich versehentlich entsprechend den Möglichkeiten im Verfahren vor dem Bundespatentgericht" ein Fristgesuch gestellt.
V. In der mündlichen Verhandlung vom 21. April 1988 legte der Vertreter dar, daß er das ihm vorgelegte Schreiben in der Meinung unterschrieben habe, ein rechtlich mögliches Gesuch um Fristverlängerung zu stellen. Im Verfahren vor dem deutschen Bundespatentgericht gebe es zwar keine im Gesetz vorgesehene Frist. Doch sei es üblich, daß Beschwerdeführer Begründungen innerhalb selbstgenannter Fristen ankündigen. Es komme auch vor, daß Senate innerhalb gesetzter Fristen Gelegenheit zur Begründung geben. In beiden Fällen gebiete es allein schon die Höflichkeit, eine Verlängerung zu erbitten, wenn die Frist nicht eingehalten werden könne. Im Augenblick der Unterschrift, habe er nicht realisiert, daß er mit einem Fristgesuch die ablaufende Frist nicht wahrt. Wäre er sich dieser Situation bewußt geworden, so hätte er mühelos eine zur Erreichung der Zulässigkeit ausreichende Begründung abfassen können und dies selbstverständlich auch getan.
Der Vertreter stellte abschließend den Antrag, ihm Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung zu gewähren.
Entscheidungsgründe
1. Bevor über den Antrag auf Wiedereinsetzung entschieden wird, ist zunächst zu prüfen, ob es einer Wiedereinsetzung überhaupt bedarf. Dies wäre nicht der Fall, wenn die Frist zur Vorlage der Beschwerdebegründung auf Antrag verlängert werden könnte und wenn außerdem im konkreten Fall die Kammer dem Fristgesuch stattgegeben hätte. Da die Kammer die letztere Frage (Gerechtfertigtsein einer etwaigen Fristverlängerung) verneint, braucht über die erstere Frage (Möglichkeit der Fristverlängerung) nicht entschieden zu werden.
1.1 Die Frage der Möglichkeit einer Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist wird in einer neueren Literaturstelle aufgeworfen (Schulte, Kommentar zum DE-PatG, 4. Aufl. 1987, § 73, Rdn. e5, S. 536). Eine solche Möglichkeit sieht das Übereinkommen nur in R. 84 für Fristen vor, die im Einzelfall vom EPA "zu bestimmen" sind. Wenn es also überhaupt die Möglichkeit zu einer Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist geben sollte, könnte diese nur -wie von Schulte a.a.O. zur Überlegung gegeben - auf dem Weg über Art. 125 EPÜ gefunden werden. Durch Hinweis auf Vorschriften aus dem Recht mehrerer Vertragsstaaten zeigt Schulte, daß Gerichte im allgemeinen Begründungsfristen verlängern können. Die interessante Frage, ob dies auch im Verfahren vor den Beschwerdekammern möglich wäre, kann hier aber dahingestellt bleiben.
1.2 Im vorliegenden Fall hätte die Kammer nämlich die Ausführung, daß die seitens der Mandantin erforderlichen Informationen zur Ausarbeitung der Beschwerdebegründung noch nicht vollständig vorliegen, nicht als ausreichende Rechtfertigung für eine Fristverlängerung nach R. 84, Satz 2 EPÜ angesehen. Eine solche Behauptung kann ein Vertreter immer aufstellen.
2. Es kommt daher darauf an, ob die versehentliche Stellung eines Fristgesuches statt der notwendigen Einreichung einer Beschwerdebegründung eine Wiedereinsetzung in die Frist zur Abgabe der Beschwerdebegründung rechtfertigen kann.
2.1 Da der Antrag auf Wiedereinsetzung alle formalen Voraussetzungen nach Art. 122 EPÜ erfüllt, hängt die Gewährung der Wiedereinsetzung davon ab, ob im vorliegenden Fall die nach den gegebenen Umständen gegebene Sorgfalt beachtet war. Der Vertreter hat das von seiner Sachbearbeiterin vorbereitete Fristgesuch selbst unterschrieben. Daher ist ausschließlich entscheidend, was von ihm an Sorgfalt zu fordern ist. In diesem Fall kommt es nicht auf Verhalten von Hilfspersonal an. Der vorliegende Tatbestand besteht ganz einfach darin, daß sich der Vertreter bei der Leistung der Unterschrift nicht bewußt war, daß es sich um eine nach bisher einhelliger Rechtsauffassung nicht verlängerbare Frist handelt. Hätte er dies realisiert, so hätte er mit wenig Mühe noch am selben Tag eine kurze Beschwerdebegründung abgefaßt, wie sie zur Begründung der Zulässigkeit einer Beschwerde ausreicht.
2.2 Die Unterzeichnung des Fristgesuchs war somit eine Fehlreaktion innerhalb einer kurzen Zeitspanne des Arbeitsalltags. Dabei wurde dem Vertreter nicht bewußt, daß er das Falsche tat. Es lag also ein Irrtum vor, der durch Mangel an Nachdenken im Augenblick verursacht war. Dieses Versagen kann man nicht als vorwerfbaren Rechtsirrtum ansehen. Mangels Überlegungszeit handelt es sich vielmehr um eine Fehlreaktion im Augenblick, also um einen Flüchtigkeitsfehler. Das Nicht-Erfassen der Situation erscheint unter den gegebenen Umständen als Fehlreaktion entschuldbar, einmal im Hinblick auf die Verwechselbarkeit der Situation und zum andern unter Berücksichtigung der Kürze der Reaktionszeit, die dem Vertreter zur Verfügung stand.
2.2.1 Die Verwechselbarkeit der Situation besteht darin, daß bei Äußerungsfristen die Fristwahrung meist sowohl durch Abgabe der Äußerung wie auch durch Fristgesuch möglich ist. Dies ist jedenfalls so, wenn eine Beschwerdebegründung an das deutsche Bundespatentgericht abgegeben werden soll, aber auch - und dies sind im Arbeitsalltag die meisten Fälle - wenn Äußerungen auf Bescheide abzugeben sind. Hinsichtlich des EPA gilt dies im Prüfungsverfahren nach Art. 96 (2), im Einspruchsverfahren nach Art. 101 (2), aber auch in einem einmal eingeleiteten Beschwerdeverfahren nach Art. 110 (2) EPÜ. Eine Ausnahme demgegenüber ist Art. 108, Satz 3, also die Frist zur Einreichung der Beschwerdebegründung. Hier liegt aber nicht nur eine Ausnahme sondern auch etwas Ungewöhnliches vor. Wie Schulte darlegt (s. oben 1.1), können Gerichte im allgemeinen die Begründungsfrist für Rechtsmittel verlängern.
2.2.2 Der Vertreter hatte daher nicht nur innerhalb einer ganz kurzen Zeitspanne seines Arbeitsalltags zu reagieren, sondern er tat dies in einer Situation, in der ihm ein Fristgesuch als eine fristwahrende Handlung erscheinen konnte. Die alternative, nach derzeitiger Rechtslage einzig sichere Handlung, nämlich die Abgabe einer kurzen Beschwerdebegründung, wäre für ihn fast genauso einfach gewesen. Da er fristgerecht überhaupt etwas getan hat, soll ihm daher nicht angelastet werden, daß er das Falsche tat. Die von Schulte (siehe oben 1.2) aufgeworfene Frage der Verlängerbarkeit der Beschwerdebegründungsfrist kann daher hier dahingestellt bleiben. Dies gilt umso mehr, als sich der Beschwerdeführer hierauf nicht beruft.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Dem Beschwerdeführer wird Wiedereinsetzung in die Frist zur Abgabe der Beschwerdebegründung nach Art. 108, Satz 3 EPÜ gewährt.