European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1987:T030785.19870526 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 26 Mai 1987 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0307/85 | ||||||||
Anmeldenummer: | 80106745.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zur Herstellung von farbstabilem o-Chloranilin | ||||||||
Name des Anmelders: | BAYER | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.3.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit (bejaht) Einfache Massnahme im Gegensatz zu herrschendem Trend inventive step (yes) simple measure in contrast with the prevailing trend |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Auf die europäische Patentanmeldung 80 106 745.5, die am 3. November 1980 mit deutscher Priorität vom 14. November 1979 angemeldet worden war, wurde am 20. Juli 1983 das europäische Patent Nr. 29 156 auf der Grundlage von drei Ansprüchen erteilt.
II. Gegen die Patenterteilung legte die jetzige Beschwerdeführerin am 11. April 1984 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit Einspruch ein und stützte sich dabei auf die Dokumente (1) DE-C-942 992, (2) US-A-2 911 340 und (3) Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 4. Aufl., Band 7 (1974), Seite 571.
III. Im Laufe des Einspruchsverfahrens verteidigte die Patentinhaberin (jetzige Beschwerdegegnerin) ihr Patent nur noch in eingeschränkter Form auf der Grundlage von zwei Ansprüchen, deren erster, wie folgt, lautet:
"Verfahren zur Herstellung von farbstabilem o-Chloranilin, dadurch gekennzeichnet, daß man das in üblicher Weise hergestellte o-Chloranilin in Apparaturen aus Edelstählen destilliert und gegebenenfalls das destillierte o- Chloranilin in Behältern aus dem genannten Material aufbewahrt und transportiert."
IV. Am 23. Oktober 1985 erließ die Einspruchsabteilung eine Zwischenentscheidung über die Fassung, in der das europäische Patent in geändertem Umfang aufrechterhalten werden kann. Sie stellte darin fest, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht nur - unstreitig - neu; er beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit. Es sei zwar bekannt, daß sich o-Chloranilin, insbesondere unter katalytischer Einwirkung von Eisen, allmählich verfärbt und daß sich diese Verfärbung durch Zusatz von Stabilisatoren verhindern läßt; ferner seien Edelstahlapparaturen für verschiedenste Zwecke seit langem bekannt, u.a. als Reaktionsgefäße bei der zu o-Chloranilin führenden katalytischen Hydrierung. Die Tatsache, daß man die Farbstabilisierung aber bisher nicht - wie gemäß Streitpatent - durch Destillation aus einer Edelstahlapparatur herbeigeführt habe, weise auf das Bestehen eines technischen Vorurteils hiergegen hin.
V. Gegen diese Entscheidung hat die unterlegene Einsprechende am 13. Dezember 1985 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und diese am 22. Februar 1986 begründet. Sie hat noch das Dokument
(4) DE-C-1 518 107 in das Verfahren eingeführt. In ihrer Begründung undden späteren Ausführungen bestreitet die Beschwerdeführerin das Vorliegen eines technischen Vorurteils. Beim Bekanntsein der schädlichen Wirkung von Eisenspuren habe es gerade nahegelegen, in Apparaturen aus nichtrostendem Material, wie Edelstahl, zu destillieren. Ein Vorurteil hiergegen könne nicht bestanden haben, da nach (3) schon der Übertritt von Eisen in das Hydrierungssubstrat "weitgehendst" vermieden werde; erst recht habe der Fachmann bei dem von aggressiven Bestandteilen freien Destillationssubstrat keinen solchen Übertritt zu erwarten gehabt.
VI. Die Beschwerdegegnerin tritt dem entgegen und macht geltend, trotz des anerkanntermaßen bestehenden Bedürfnisses nach stabilisatorfreiem, farbstabilem o-Chloranilin habe solches vor dem Anmeldetag des Streitpatents nicht zur Verfügung gestanden. Die in (3) enthaltene Empfehlung von Reaktoren aus Edelstahl diene der Vermeidung von Korrosion und nicht eines Übertritts bloßer zur Verfärbung führender Eisenspuren. Mit dem Herauslösen solcher Spuren aus der Edelstahlapparatur sei zu rechnen gewesen. Im übrigen müsse sich die Beschwerdeführerin fragen lassen, warum denn trotz jahrzehntelangen Vorhandenseins entsprechender Edelstahlapparaturen bisher o-Chloranilin nicht aus solchen destilliert, sondern zur Erzielung von Farbstabilität stets Stabilisatorzusätze verwendet worden seien.
VII. In der mündlichen Verhandlung am 26. Mai 1987 haben die Beteiligten ihre oben wiedergegebenen Standpunkte bekräftigt.
Die Beschwerdegegnerin weist noch darauf hin, daß o-Chloranilin nach vorangegangener Destillation aus einer Edelstahlapparatur unter Umständen selbst bei Lagerung in Eisengefäßen einige Monate ausreichend farbstabil ist, so daß das Wort "gegebenenfalls" in Anspruch 1 berechtigt sei.
Aus Äußerungen beider Beteiligter ergibt sich im übrigen, daß die Eisenkatalyse nur eine von mehreren Theorien zur Erklärung der Verfärbung darstellt.
VIII. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das europäische Patent zu widerrufen. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Die geltenden Ansprüche unterscheiden sich von der erteilten Fassung nur durch die Streichung einiger Alternativmaßnahmen in Anspruch 1 und durch den Wegfall des Anspruchs 2. Sie sind daher formal nicht zu beanstanden.
3. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von farbstabilem o-Chloranilin. Zahlreiche derartige Verfahren sind bereits bekannt, z.B. die Verfahren nach (1) und nach (4) sowie die weiteren in Spalte 1, Zeilen 22 bis 30, der Streitpatentschrift erwähnten Verfahren. Ihnen ist der Zusatz von Farbstabilisatoren zum o-Chloranilin (oder verwandten Produkten) gemeinsam. Diese sind insofern nachteilig, als sie bei der Weiterverarbeitung unter Umständen stören.
4. Gegenüber diesem Stand der Technik, von dem der Oberbegriff des Anspruchs 1 zurecht ausgeht und aus dem sich nur schwer ohne Willkür ein bestimmtes Dokument als am nächsten kommend herausgreifen läßt, ist es die Aufgabe des Streitpatents, ein Verfahren vorzuschlagen, bei dem die Farbstabilisierung erzielt wird, ohne daß diese Nachteile auftreten.
5. Zur Lösung dieser Aufgabe wird nach dem Streitpatent ein Verfahren bereitgestellt, bei dem man das (in üblicher Weise hergestellte) o-Chloranilin in Apparaturen aus Edelstahl destilliert. Anschließende Lagerung und Transport können ebenfalls in Behältern aus dem genannten Material erfolgen; dies soll jedoch nach dem Anspruch nicht zwingend sein.
6. Daß die bestehende Aufgabe durch diesen Lösungsvorschlag auch tatsächlich gelöst wird, erscheint auf Grund der Angabe in Spalte 2, Zeilen 47 bis 49, in Verbindung mit dem Beispiel der Streitpatentschrift glaubhaft. Der Einwand der Beschwerdeführerin, aus der zum Beispiel gehörenden Tabelle 1 sei nur der Vorteil von Edelstahl im Vergleich zu Eisen bei der auf die Destillation folgenden Lagerung, aber nicht bei der Destillation selbst zu ersehen, kann - auch unter Berücksichtigung der in Abschnitt VII erwähnten unwiderlegten Ausführungen der Beschwerdegegnerin - demgegenüber nicht durchgreifen; denn die Beschwerdeführerin hat als Einsprechende keinen einleuchtenden Gesichtspunkt vorgetragen, der die Überzugung der Kammer, daß die erfindungsgemäße Aufgabe auch tatsächlich gelöst wird, hätte erschüttern können. Zudem mußte der von der Beschwerdeführerin für nötig gehaltene Vergleich auch auf Grund der Angaben in (1), Seite 2, Zeilen 42 bis 49, sinnlos erscheinen.
7. Das beanspruchte Verfahren ist auch - unstreitig - neu, da keinem der angezogenen Dokumente eine Destillation von o-Chloranilin aus Edelstahlapparaturen zu entnehmen ist.
8. Es ist daher zu untersuchen, ob der Gegenstand von Anspruch 1 auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
8.1. Zweifellos handelt es sich bei dem einzigen verbindlichen Merkmal des Anspruchskennzeichens um eine auf den ersten Blick äußerst einfach, um nicht zu sagen trivial erscheinende Maßnahme. Die Vorinstanz hat denn auch die Überwindung eines technischen Vorurteils als gewichtiges Anzeichen für die der von ihr bejahte erfinderische Tätigkeit herangezogen (Seite 4, vorletzter Absatz, der angefochtenen Entscheidung).
8.2. Obwohl gewisse Fakten in diese Richtung weisen - Theorie von der eisenkatalysierten Verfärbung in Verbindung mit der von der Beschwerdeführerin eingeräumten Möglichkeit, daß hierfür ein bei der patentgemäßen Destillation unvermeidbarer bloßer Kontakt mit metallischem Eisen ausreicht, ohne daß ein Übergang von Eisenionen in das o-Chloranilin erforderlich wäre -, ist die Kammer der Auffassung, daß diese Anzeichen für die Annahme eines allgemeinen Vorurteils der Fachwelt nicht ausreichen.
8.3. Die Beschwerdegegnerin hat sich zunächst ebenfalls auf ein Vorurteil gegen die Verwendung eisenhaltiger Destillationsapparate berufen, hat hierauf aber in der mündlichen Verhandlung nicht mehr bestanden. Sie bringt jedoch vor, daß schon die Abkehr von der zunächst vorgenommenen Suche nach neuen, bei der Verwendung des Produktes nicht störenden Farbstabilisatoren einen Bruch mit der herrschenden Entwicklungsrichtung darstelle, der eine erfinderische Tätigkeit voraussetzte. - Dem ist nach Meinung der Kammer jedenfalls insoweit zuzustimmen, als nicht etwa der nachgewiesene Stand der Technik einen Hinweis enthalten sollte, der dem Fachmann angesichts der bestehenden Aufgabe eine solche Abkehr von dem bisher eingeschlagenen und stetig weiterverfolgten technischen Entwicklungsweg nahelegte.
8.4. Da die übrigen entgegengehaltenen Dokumente - (1), (2) und auch das nachträglich eingeführte (4) - durchweg auf dem Prinzip des Farbstabilisatorzusatzes beruhen, könnte ein solcher Hinweis höchstens in (3) zu finden sein. Dieses Dokument erwähnt jedoch das Problem der Farbstabilisierung mit keinem Wort. Es ist dort zwar davon die Rede, Korrosion der Hydrierungsgefäße (Reaktoren) durch die Wahl von z.B. Cr-Ni-Mo-Stahl als Material "weitgehendst" zu vermeiden (linke Spalte, Zeilen 23 bis 26); dies ist jedoch - selbst losgelöst von der bestehenden Aufgabe der Farbstabilisierung - nicht als Hinweis dafür zu werten, gleiches Material auch für die Destillationsapparate zu verwenden. Eine Beibehaltung des Hydrierungsgefäßes für die Destillation kommt nämlich wegen der üblichen verschiedenen Druckbedingungen (5 bis 10 Bar Überdruck während der Hydrierung; Atmosphären-oder vorzugsweise Unterdruck für die Destillation) und der daraus folgenden unterschiedlichen Auslegung von Hydrierungsbehältern einerseits und Destillationsapparaten andererseits für den Fachmann in der technischen Praxis nicht ernsthaft in Frage. Noch viel weniger geht von (3) eine Anregung aus, gerade das Problem der Farbstabilisierung durch Wahl von Edelstahl als Material für den verwendeten Destillationsapparat zu lösen.
8.5. Die Kammer hat sich ferner noch die Frage gestellt, ob denn das Destillieren aus Edelstahlapparaten am Prioritätstag nicht bereits eine derartige Selbstverständlichkeit darstellte, daß angesichts des hohen technischen Standards im Apparatebau die Verwendung dieses Materials zwar nicht aus der Sicht der Aufgabe, die hierdurch zu lösen war, wohl aber wegen Fehlens realistischer technischer Alternativen als naheliegend anzusehen wäre. Da die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung aber übereinstimmend erklärt haben, daß dort, wo dies ohne ersichtlichen Nachteil möglich ist (z. B. bei der Destillation von Methanol oder Aceton in technischem Maßstab), auch heute noch Apparate aus gewöhnlichem Eisen (Kesselblech) verwendet werden, vermögen auch dieses Bedenken nicht durchzugreifen.
8.6. Nach allem beruht somit das Verfahren nach Anspruch 1 auf erfinderischer Tätigkeit.
9. Anspruch 2 betrifft eine bevorzugte Ausführungsform des Verfahrens nach Anspruch 1 und wird von dessen Patentfähigkeit getragen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.