T 0291/85 (Katalysator) of 23.7.1987

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1987:T029185.19870723
Datum der Entscheidung: 23 Juli 1987
Aktenzeichen: T 0291/85
Anmeldenummer: 79104244.3
IPC-Klasse: C08F 4/52
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: A
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Fassungen: OJ | Published
Bezeichnung der Anmeldung: Katalysator, dessen Herstellung und Verwendung zur Lösungspolymerisation von konjungierten Dienen
Name des Anmelders: Bayer
Name des Einsprechenden: Enichem Polimeri
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: Informiert eine Entgegenhaltung ausführlich über die Weiterentwicklung eines dort ohne Referenzangabe nur ganz allgemein dargestellten Standes der Technik, so ist es bei der Neuheitsprüfung unzulässig, diese allgemeinen Angaben mit solchen spezifischen Ausführungen zu kombinieren, die lediglich im Zusammenhang mit der Erläuterung zur Weiterentwicklung beschrieben sind, sofern ein Fachmann diese Kombination der Entgegenhaltung nicht entnommen hätte.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54
European Patent Convention 1973 Art 56
Schlagwörter: Neuheit - Kombination von Erfindungslehre und referiertem Stand der Technik
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
Abkehr vom Stand der Technik in Verbindung mit Teilauswahl
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 0739/93
T 0685/97
T 0725/98
T 0333/02
T 0463/07

Sachverhalt und Anträge

I. Auf die europäische Patentanmeldung 79 104 244.3, die am 31. Oktober 1979 mit deutscher Priorität vom 11. November 1978 eingereicht worden war, wurde am 11. Mai 1983 das europäische Patent 11 184 auf der Grundlage von zehn Ansprüchen erteilt. Die unabhängigen Ansprüche 1, 9 und 10 lauteten, wie folgt:

"1. Katalysator, bestehend aus:

A. einem Carboxylat der Seltenen Erde der Formel

(FORMULA)

B. einem Aluminiumalkyl AlR34 und/oder R24AlH

C. einer weiteren Lewissäure,

wobei in den Formeln

M ein dreiwertiges Element der Seltenen Erden mit den Ordnungszahlen 57 bis 71,

R1, R2 und R3 gleich oder verschieden Alkylreste mit 1 bis 10 Kohlenstoffatomen, wobei die Summe aller C-Atome in den Substituenten 6 bis 20 beträgt, und

R4 einen Alkylrest mit 1 bis 10 Kohlenstoffatomen bedeuteten,

mit der Ausnahme eines Katalysators, der ein Umsetzungsprodukt der Komponente A der Formel 1, wobei die Summe aller C-Atome in den Substituenten 6 bis 19 beträgt, mit einer Teilmenge der Komponente B enthält, wenn B die Bedeutung Aluminium-Trialkyl hat.

9. Verfahren zur Polymerisation von konjugierten Dienen in homogener Lösung, dadurch gekennzeichnet, daß ein Katalysator gemäß Ansprüchen 1 bis 8 verwendet wird.

10. Verfahren zur Herstellung eines Katalysators gemäß Ansprüchen 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, daß man a) ein Carboxylat der Seltenen Erden der Formel

(FORMULA) b) ein Aluminiumalkyl AlR34 und/oder R24 AlH c) eine Lewissäure in einem inerten organischen Lösungsmittel bei Temperaturen von -30 bis 80oC in beliebiger Reihenfolge mischt."

II. Gegen die Patenterteilung legte die jetzige Beschwerdeführerin am 10. Februar 1984 wegen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigkeit Einspruch ein und stützte sich dabei auf eine Reihe von Dokumenten, von denen zuletzt nur noch (1b) GB-A- 1 294 725 zur Diskussion stand.

III. Nachdem ein hilfsweiser Antrag der Einsprechenden auf mündliche Verhandlung am 18. Juni 1985 zurückgezogen worden war, wurde der Einspruch im schriftlichen Verfahren mit Entscheidung vom 8. Oktober 1985 zurückgewiesen.

Die Entscheidung erkennt die Neuheit des Patentgegenstandes an, da keines der entgegengehaltenen Dokumente ein Katalysatorsystem, dessen Herstellung oder seine Verwendung offenbare, bei dessen einer Komponente es sich um ein Salz einer Seltenen Erde mit einer tertiären Monocarbonsäure handelt.

Der Patentgegenstand beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit; denn die bestehende Aufgabe - Schaffung eines in den verwendeten Systemen völlig löslichen Katalysators, der zu Polymeren mit guten kautschuktechnischen Eigenschaften führt - sei in überraschender Weise durch das erfindungsgemäße Dreikomponentengemisch gelöst, das u.a. Salze Seltener Erden mit tertiären Monocarbonsäuren enthält. Da keiner der Entgegenhaltungen ein Hinweis auf diese speziellen Salze zu entnehmen sei, könne der beanspruchte Katalysator (und können entsprechend seine Herstellung und Verwendung) nicht nahegelegen haben.

IV. Gegen diese Entscheidunghat die unterlegene Einsprechende am 4. Dezember 1985 unter gleichzeitiger Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr Beschwerde erhoben und diese am 7. Februar 1986 begründet. Sie bestreitet die Ausführungen der angefochtenen Entscheidung. Insbesondere weist sie - unter gutachtlicher Heranziehung weiterer Dokumente - darauf hin, daß es sich bei den in (1b) erwähnten Neodecanoaten sehr wohl um Salze Seltener Erden mit tertiären Monocarbonsäuren handle. Im übrigen sei (1b) als Ganzes zu würdigen, ohne daß ein Unterschied zu machen sei zwischen dem, was dort als Erfindung beansprucht und was als Stand der Technik referiert werde. Es fehle jedenfalls an einer klaren Abgrenzung des Streitpatentes gegenüber (1b), wo auch bereits gesagt sei, daß frisch zubereitete Katalysatoren häufig aktiver sind als gealterte.

V. Die Beschwerdegegnerin tritt dem entgegen und unterscheidet bei der Offenbarung von (1b) zwischen - einerseits - der dortigen Schilderung des Standes der Technik, in welchem Zusammenhang Salze Seltener Erde speziell mit tertiären Monocarbonsäuren nicht erwähnt seien, und - andererseits - der dortigen Erfindungsbeschreibung, zu der auch das Altern des Katalysators in Gegenwart eines konjugierten Diens gehöre, das gemäß Streitpatent nicht vorgesehen sei. Allein durch den Wegfall dieser Alterung werde schon die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit des Patentgegenstandes begründet. Die Beschwerdegegnerin hat am 4. April 1987 Versuchsergebnisse eingereicht, die belegen sollen, daß sowohl ein in Abwesenheit, als auch ein in Gegenwart von Dien gealterter Katalysator auf Grundlage der drei beanspruchten Komponenten schon nach kürzerer Zeit heterogen wird und einen wesentlich schlechteren Umsatz bewirkt als ein ungealterter, völlig löslicher Katalysator, wie er gemäß Streitpatent vorgesehen sei.

VI. In der mündlichen Verhandlung am 23. Juli 1987 verteidigt die Beschwerdeführerin ihr Patent nur noch in eingeschränktem Umfang: Bei unveränderten Ansprüchen 2 bis9 lautet nunmehr der Anfang von Anspruch 1 statt "Katalysator, bestehend aus ..." neu "In Lösungsmitteln für die Dienpolymerisation homogen löslicher Katalysator, erhalten durch Zugabe und Mischen der Katalysatorbestandteile zum Polymerisationsansatz, bestehend aus ..."; und in Anspruch 10 stehen anstelle des letzten Wortes "mischt" die Worte "dem Polymerisationsansatz zufügt". Dadurch hat sich die Beschwerdegegnerin, wie sie auf Anfrage mündlich bestätigt, auf in situ hergestellte Katalysatoren (Ansprüche 1 bis 8), Verfahren zu deren Herstellung (Anspruch 10) sowie Polymerisationsverfahren unter Verwendung so hergestellter Katalysatoren (Anspruch 9) beschränkt.

Die Beschwerdeführerin hat in der mündlichen Verhandlung einen Versuchsbericht vorgelegt, den sie den am 4. April 1987 eingereichten Versuchsergebnissen der Beschwerdegegnerin entgegenhält. Sie hat ferner den bereits auf Seite 2, Zeilen 12 bis 13, der Streitpatentschrift gewürdigten Artikel aus (8) "Kautschuk und Gummi,Kunststoffe" 6/1969, 293 in ihre Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit einbezogen. Sie beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent zu widerrufen; hilfsweise für den Fall, daß die Versuchsergebnisse der Beschwerdegegnerin vom 4.4.87 berücksichtigt werden sollten, ihr Gelegenheit zu geben, weitere Vergleichsversuche vorzulegen. Die Beschwerdegegnerin beantragt dagegen, das Streitpatent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen aufrechtzuerhalten.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Art. 106 bis 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.

2. Zur formalen Zulässigkeit der neuen Unterlagen:

2.1. Es wäre zwar wünschenswert und korrekt gewesen, eingeschränkte Ansprüche spätestens zusammen mit der am 4.4.87 eingegangenen Eingabe vorzulegen, statt Beschwerdeführerin und Kammer erst in der mündlichen Verhandlung damit zu konfrontieren. Da diese Ansprüche jedoch für eindeutig gewährbar erachtet werden (vgl. Entscheidung T 153/85 "Alternative Claims/Amoco Corp." vom 11. Dezember 1986, besonders Abschnitt 2.1; wird veröffentlicht) und auf der gleichen Linie liegen wie das, was die Kammer von sich aus anregen wollte, wird ihrer Aufnahme in die Unterlagen auch noch in diesem späten Zeitpunkt zugestimmt.

2.2. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 123 (2) EPÜ rechtfertigen sich die Änderungen im Anspruch 1 im Hinblick aufSeite 4, Zeilen 18 bis 21, in Verbindung mit Anspruch 9 sowie Seite 10, Zeilen 22 bis 25, der Erstunterlagen, entsprechend Seite 3, Zeilen 2 bis 3, in Verbindung mitAnspruch 9 bzw. Seite 5, Zeilen 25 bis 27, der Streitpatentschrift. Sie sind auch unter dem Gesichtspunkt des Art. 123 (3) EPÜ zulässig, da sie den Schutzbereich der erteilten Fassung nicht erweitern.

2.3. Entsprechendes gilt für die Änderung im Anspruch 10.

2.4. Bei den Änderungen in der Beschreibung handelt es sich teils um Anpassungen an die neuen Ansprüche, teils um rein Redaktionelles, so daß sie ebenfalls nicht zu beanstanden sind.

3. Das erst während der mündlichen Verhandlung, also verspätet, ins Einspruchs-/Beschwerdeverfahren eingeführte Dokument (8) betrifft für die Polymerisation von Dienen bestimmte Katalysatorsysteme, die als Carboxylat Seltener Erden das Ceroctanoat enthalten. Es kommt somit dem Gegenstand des Streitpatents jedenfalls nicht näher als (1b). Nach diesem negativen Ergebnis der Relevanzprüfung gemäß Art. 114 (1) EPÜ macht die Kammer von ihrer Befugnis nach Art. 114 (2) EPÜ Gebrauch und läßt das verspätet vorgelegte Dokument unberücksichtigt.

4. Auf die am 4.4.87 eingereichten Vergleichsversuche der Beschwerdegegnerin kommt es nach der während der mündlichen Verhandlung erfolgten Beschränkung des Streitpatentgegenstandes nicht mehr an. Damit entfällt auch die Grundlage dafür, die erst in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Vergleichsversuche der Beschwerdeführerin als Entgegnung auf die Versuche der Beschwerdegegnerin zuzulassen. Beide Vergleichsversuche bleiben somit im folgenden unberücksichtigt.

5. Der Gegenstand des Streitpatents betrifft einen Katalysator (Ansprüche 1 bis 8), ein Verfahren zur Polymerisation, bei dem ein solcher verwendet wird (Anspruch 9), und ein Verfahren zur Herstellung dieses Katalysators (Anspruch 10). Da Neuheit und Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit, falls sie für den Katalysator als solchen zu bejahen sein sollten, mit Sicherheit auch für die Verfahren gegeben wären, in welchem er verwendet bzw. durch welches er hergestellt wird - ein Umkehrschluß wäre natürlich nicht ohne weiteres möglich -, wird zunächst nur von dem Katalysator als solchem gesprochen.

6. Nächster und - jedenfalls nach Wegfall von (8) - einzig relevanter Stand der Technik ist (1b). Dort wird, ausgehend von einem referierten, aber nicht durch Quellenangabe identifizierten vorausgehenden Stand der Technik, auf dessen Inhalt im folgenden noch einzugehen sein wird, ein Katalysator für die Dienpolymerisation beschrieben, der die folgenden Komponenten enthält (vgl. Anspruch 1):

a) eine Organoaluminiumverbindung mit Al-C-Bindung(en), z.B. Triäthylaluminium (Seite 2, Zeile 29) oder Diäthylaluminiumhydrid (Seite 2, Zeilen 9 bis 10);

b) eine Metallkoordinationsverbindung, deren Metall insbesondere eine Seltene Erde (Ordnungszahl 57 bis 71) ist, z.B. Cer- und Neodymneodecanoat (Seite 2, Zeilen 108 bzw. 112) als Repräsentanten von Salzen Seltener Erden mit tertiären Monocarbonsäuren (genauer: mit Trialkylessigsäuren);

c) eine Verbindung mit ein oder mehr "Halidionen", z.B. Diäthylaluminiumbromid (Seite 3 Zeilen 14 bis 15); und - zwingend -

d) eine durch Präformieren und Altern des vorgenannten Systems in Gegenwart kleinerer Mengen eines konjugierten Diens gebildete Komponente (Seite 7, Zeilen 36 bis 41).

7. Davon unterscheidet sich der Katalysator nach dem Streitpatent, dessen ausschließliche Komponenten A, B und C (siehe die Worte "bestehend aus" in Anspruch 1) den unter b), a) bzw. c) erwähnten Komponenten nach (1b) weitgehend, wenn auch nicht deckungsgleich entsprechen - vgl. die allgemeine Formel (1) in Anspruch 1 und die Erwähnung von Triäthylaluminium (Seite 4, Zeile 29) und Diäthylaluminiumhydrid (Seite 4, Zeile 38) bzw. von der Lewis-Säure Diäthylaluminiumbromid (Seite 4, Zeile 57) -, jedenfalls durch das Fehlen der Komponente d) oder, anders ausgedrückt, dadurch, daß die Herstellung des Katalysators nach Streitpatent durch Zugabe und Mischen seiner Bestandteile (A, B und C) zum Polymerisationsansatz, d.h. ohne Präformieren sowie Altern in Gegenwart von Dien erfolgt. Vergleicht man also die Lehre des Streitpatents ausschließlich mit der in (1b) beschriebenen Weiterentwicklung des dort ohne Quellenangabe referierten Standes der Technik, so ergibt sich deren Neuheit aus dem genannten Unterschied.

8. Die Beschwerdeführerin hat nun aber darauf hingewiesen, daß in (1b) auch ein Stand der Technik dargestellt wird, wonach ein einschlägiges Katalysatorsystem aus

a') einem Trialkylaluminium oder Alkylaluminiumhydrid,

b') einer Verbindung eines Metalls der Gruppe IIIB des Periodischen Systems und

c') einem Alkylaluminiumhalogenid bestehen kann. Es wird dort (vgl. Seite 1, Zeilen 22 bis 29) also ein Katalysatorsystem offenbart, das ebenso wie dasjenige des Streitpatents aus bloß drei Komponenten besteht, wobei unstreitig die Komponenten a') und c') des in (1b) referierten Standes der Technik den Komponenten a) bzw. c) der in (1b) beschriebenen Weiterentwicklung bzw. den Komponenten B bzw. C des Streitpatents entsprechen. Die Beschwerdeführerin meint nun, da es sich bei der Lehre von (1b) um eine Weiterentwicklung des darin dargestellten, vorstehend wiedergegebenen Standes der Technik handle, so seien die spezifischen Ausführungen beispielsweise von Seite 2, Zeilen 105 bis 116, mit der allgemeinen Darstellung des in (1b) referierten Standes der Technik auf Seite 1, Zeilen 22 bis 29, zu einer Gesamtoffenbarung zu kombinieren, die dann den Gegenstand des Streitpatents neuheitsschädlich vorwegnehme.

9. Die Kammer teilt diese Auffassung nicht:

9.1. Vorweg und lediglich am Rande sei bemerkt, daß die Darstellung des referierten Standes der Technik auf Seite 1, Zeilen 22 bis 29, von (1b) nichts darüber aussagt, ob es sich bei dem angesprochenen Katalysator um einen präformierten oder einen in situ hergestellten handelt. Selbst wenn die von der Beschwerdeführerin vorgenommene Kombination zulässig wäre, erschiene es daher immer noch zweifelhaft, ob damit der Gegenstand des Streitpatents neuheitsschädlich getroffen wäre; immerhin bedürfte es hierzu auch noch der Einbeziehung der Offenbarung von Seite 3, Zeilen 64 bis 73, von (1b). Dieser Frage braucht jedoch angesichts der folgenden Überlegungen nicht nachgegangen zu werden:

9.2. Grundsätzlich gehört zur Offenbarung eines vorveröffentlichten Dokuments -hier: (1b) - natürlich nicht nur das, was darin als Erfindungslehre beschrieben,sondern auch das, was darin als Stand der Technik referiert wird, im gegebenen Fall also auch die Ausführungen von Seite 1, Zeilen 22 bis 29. Wenn es jedoch darum geht, bei der Neuheitsprüfung in eine - wie hier hinsichtlich b') - ganz allgemein gehaltene Darstellung des Standes der Technik spezifische Ausführungen der im gleichen Dokument beschriebenen Erfindungslehre hineinzulesen, so ist dies nicht schlechthin, sondern nur dann zulässig, wenn der fachmännische Leser dem Dokument eine solche Kombination tatsächlich entnommen hätte.

9.3. Dies wäre z.B. dann der Fall, wenn die Darstellung des Standes der Technik mit einer Quellenangabe verbunden wäre und sich aus dem Originaldokument eine einschlägige spezifische Offenbarung ergäbe oder wenn die Darstellung des Standes der Technik eine direkte Bezugnahme auf die betreffende Stelle der Erfindungsbeschreibung enthielte; auch auf Grund seines allgemeinen Fachwissens könnte sich dem fachmännischen Leser eine solche Kombination eines spezifischen Merkmals der Erfindungsbeschreibung mit der allgemein gehaltenen Schilderung des Standes der Technik unter Umständen aufdrängen. Ohne das Vorliegen solcher oder ähnlicher besonderer Umstände kann jedoch nicht angenommen werden, daß der Fachmann dem Dokument eine entsprechend kombinierte Lehre entnommen hätte.

9.4. Zuammenfassend läßt sich das Folgende festhalten: Informiert eine Entgegenhaltung ausführlich über die Weiterentwicklung eines dort ohne Referenzangabe nur ganz allgemein dargestellten Standes der Technik, so ist es bei der Neuheitsprüfung unzulässig, diese allgemeinen Angaben mit solchen spezifischen Ausführungen zu kombinieren, die lediglich im Zusammenhang mit der Erläuterung zur Weiterentwicklung beschrieben sind, sofern ein Fachmann diese Kombination der Entgegenhaltung nicht entnommen hätte.

9.5. Im vorliegenden Fall ist die Definition der Komponente b') auf Seite 1, Zeilen 26 bis 28, von (1b) außerordentlich breit; unter sie fallen beliebige Verbindungen unterschiedlichster Natur jeweils einer ganzen Anzahl von Metallen. Eine Quellenangabe oder Bezugnahme im Sinne von Satz 1, erster Halbsatz, des Unterabschnittes 9.3 fehlt. Die Beschwerdeführerin hat auch nicht dargetan, warum - auf Grund seines allgemeinen Wissensstandes oder sonstwie - ein fachmännischer Leser von (1b) die darin enthaltene Darstellung des Standes der Technik so verstanden haben sollte, daß mit den "Verbindungen" von Metallen der Gruppe IIIB ausgerechnet Salze Seltener Erden mit tertiären Monocarbonsäuren oder konkret mit der in anderem Zusammenhang auf Seite 2, Zeile 94, erwähnten Neodecansäure gemeint wären.

Im übrigen vorliegenden, nicht im einzelnen abgehandelten Stand der Technik sind ebenfalls nirgends im Zusammenhang mit einer Verwendung in Dienpolymerisationskatalysatoren Trialkylessigsäuren oder deren Salze mit Seltenen Erden erwähnt. Es ist daher für die Kammer nicht ersichtlich, wieso ein Fachmann dem Dokument (1b) Dreikomponenten- Dienpolymerisationskatalysatoren mit einem Gehalt an Salzen Seltener Erden gerade mit Trialkylessigsäuren hätte entnehmen sollen.

9.6. Der Gegenstand des Streitpatentes muß daher auch unter Berücksichtigung des in Abschnitt 8 wiedergegebenen Vortrages der Beschwerdeführerin als neu gelten.

10. Zur Überzeugung der Kammer kann es weder als hinreichend erwiesen gelten, daß nicht schon nach der Lehre von (1b) - etwa bei Verwendung von Cerneodecanoat als Katalysatorkomponente b) - in Lösungsmitteln für die Dienpolymerisation homogen lösliche Katalysatoren erhältlich waren; noch daß die Katalysatoren nach Streitpatent denjenigen nach (1b) hinsichtlich Ausbeuten oder Katalysatoraktivität eindeutig überlegen sind. Als Aufgabe, die dem Streitpatent zugrundeliegt, ist daher nach Auffassung der Kammer die Schaffung eines weiteren, für die Lösungspolymerisation von Dienen mit gegenüber (1b) vergleichbaren Ausbeuten geeigneten Katalysatorsystems anzusehen. Diese Aufgabe ist zufolge den Ausbeuteangaben in den Beispielen (Seite 6, Zeile 42; Seite 7, Zeile 60; Seite 8, Tabelle 1, zweite Kolonne von rechts; Seite 8, letzte Zeile der Beschreibung) durch den beanspruchten Lösungsvorschlag tatsächlich glaubhaft gelöst.

11. Nachdem die Neuheit dieses Lösungsvorschlages als Ergebnis der Überlegungen der Abschnitte 7 bis 9 bereits bejaht wurde, bleibt somit zu untersuchen, ob auch erfinderische Tätigkeit vorliegt, d.h. ob es bei angestrebten vergleichbaren Polymerisationsausbeuten nicht nahelag, den Katalysator nach (1b) dadurch abzuwandeln, daß man vom Altern in Gegenwart kleinerer Dienmengen absah und sich für die in-situ-Herstellung entschied.

11.1. Dokument (1b) erwähnt zwar auf Seite 3, Zeilen 64 ff., daß zur Herstellung von Katalysatoren des einschlägigen Typs grundsätzlich die in-situ- und die "preformed"-Methode zur Verfügung stehen; ferner, daß frisch präformierte Katalysatoren "häufig" aktiver sind als gealterte (Seite 3, Zeilen 79 bis 82). Im unmittelbaren Anschluß an diese Feststellungen (Seite 3, Zeilen 83 bis 99) lehrt (1b) dann aber den Einsatz in Gegenwart von Dien präformierter und gealterter Katalysatoren und verspricht im Zusammenhang damit eine stark erhöhte Katalysatoraktivität. Dies wird durch die Tabellen IIa und III (Seite 5, unten, bzw. 7, oben) untermauert, wo die Ausbeuten bei der Polymerisation von Butadien mittels verschiedener präformierter und in Gegenwart von Butadien gealterter Katalysatoren (A bis E) mit den unter Verwendung eines "in-situ-Katalysators" (Control) erzielten verglichen werden. Dabei schneiden die erstgenannten Katalysatoren um vieles besser ab. Die angezogenen Aussagen führen also eindeutig von der Verwendung ungealterter, nach dem in-situ-Verfahren hergestellter Katalysatoren weg.

11.2. Hierzu kommt noch, daß (1b) zwar im Zusammenhang mit präformierten, in Gegenwart von Dien gealterten Katalysatoren als Verbindungen von Metallen der Gruppe IIIB (Komponente b) neben einer Vielzahl von Verbindungen mit anderen Liganden unterschiedlichster Natur (vgl. Seite 2, Zeilen 68 bis 116) auch die unter Formel (1) des Streitpatents fallenden Cer- und Neodymneodecanoat nennt (Seite 2, Zeilen 108 und 112), daß aber im Vordergrund eindeutig das in allen drei Ausführungsbeispielen eingesetzte Ceroctanoat steht, das keinen Rest einer verzweigten Carbonsäure enthält.

11.3. Es ist nicht zu erkennen, wieso der Fachmann, der - gemäß einem Teilaspekt der bestehenden Aufgabe - vergleichbare Ausbeuten anstrebte, auf den Gedanken kommen sollte, dies dadurch zu versuchen, daß er entgegen der Lehre von (1b) "in-situ-Katalysatoren" verwendete, die als Verbindung von Metallen der Gruppe IIIB gerade Salze Seltener Erden mit Trialkylessigsäuren enthalten. Dies gilt umso mehr, als - wie schon in anderem Zusammenhang erwähnt (vgl. Unterabschnitt 9.5) - im übrigen vorliegenden Stand der Technik Salze Seltener Erden gerade mit solchen Säuren als Bestandteile sonst wie auch immer zusammengesetzter und hergestellter Dienpolymerisationskatalysatoren nirgends genannt sind.

11.4. Nach allem beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Streitpatents auf erfinderischer Tätigkeit. Das Gleiche gilt auf Grund des in Abschnitt 5 Gesagten auch für die Ansprüche 9 und 10.

12. Die Patentfähigkeit der abhängigen Ansprüche 2 bis 8 wird von derjenigen des Anspruches 1 getragen.

13. Da die Versuchsergebnisse der Beschwerdegegnerin vom 4.4.87 unberücksichtigt geblieben sind, erübrigt sich ein Eingehen auf den Hilfsantrag der Beschwerdeführerin.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird mit der Auflage an die Vorinstanz zurückverwiesen, das europäische Patent 11 184 mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen aufrechtzuerhalten.

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