European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1986:T017084.19860707 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 07 Juli 1986 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0170/84 | ||||||||
Anmeldenummer: | 79102410.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | B62D 25/10 B60K 15/04 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | A | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | Bossert KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | Der einteiligen Fassung des Patentanspruchs ist der Vorzug vor der zweiteiligen Fassung gemäss Regel 29(1) EPÜ zu geben, wenn hierdurch der Gegenstand, für den Schutz begehrt wird, durch Vermeidung nicht zweckdienlicher zu komplexer Formulierungen deutlich und knapp definiert wird (Art. 84 EPÜ). Dies macht jedoch die Angaben im Sinne der Regel 29(1)(a) EPÜ in der Beschreibung erforderlich. | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit Zweiteilige Form eines Patentanspruchs Patentanspruch/zweiteilige Form |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Auf die am 12. Juli 1979 eingegangene Patentanmeldung Nr. 79 102 410.2, für welche die Priorität der Voranmeldungen vom 13. Juli 1978 und 21. November 1978 in der Bundesrepublik Deutschland in Anspruch genommen wird, ist mit Wirkung vom 28. Oktober 1981 das 17 Patentansprüche um fassende europäische Patent 0 007 104 erteilt worden.
II. Nachdem die Firma BMW AG, München, gegen die Erteilung des genannten Patentes am 21. Juli 1982 Einspruch erhoben hatte, hat die Einspruchsabteilung das Patent durch Entscheidung vom 15. Mai 1984 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit in vollem Umfang widerrufen. Sie hat sich dabei auf die DE-C-952 769 gestützt.
III. Gegen diese Entscheidung hat die Patentinhaberin am 19. Juli 1984 unter gleichzeitiger Zahlung der Gebühr und Einreichen der Begründung Beschwerde eingelegt und beantragt, die Entscheidung aufzuheben und das Patent mit den am 18. Februar 1984 eingereichten Unterlagen (neuer Anspruch 1 und neue Beschreibungseinleitung) aufrechtzuerhalten. Die Patentinhaberin vertritt die Auffassung, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht nur neu, sondern beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Zur Begründung macht sie unter anderem geltend, daß die Nennung und Berücksichtigung der DE-C-952 769 eine typische Ex-post-facto Analyse sei. Die DE-C-952 769 gäbe keinerlei Hinweise oder Anregungen zur Lösung der Erfindung.
IV. Die Einsprechende tritt dem Vorbringen der Patentinhaberin nicht entgegen.
V. In einem Bescheid vom 8. Oktober 1985 beanstandete der Berichterstatter der Beschwerdekammer die Formulierung des Anspruchs 1. Zusammen mit der Erwiderung auf diesen Bescheid reichte die Patentinhaberin am 12. Oktober 1985 einen neuen Satz von Ansprüchen ein.
Der Patentanspruch 1 lautet wie folgt:
Tankklappenvorrichtung für ein Fahrzeug zur Abdeckung einer flachen Karosseriemulde (17) dieses Fahrzeugs, mit einem Scharnier (11; 63; 85) zur drehbaren Anlenkung einer Tankklappe (10; 65; 82),
welche in ihrer Schließstellung eine in der Karosseriemulde (17) vorgesehene Einfüllöffnung (z. B. 83) und diese Karosseriemulde (17) abdeckt,
und mit einer Kniehebelanordnung (z. B. 27, 51), welche die Tankklappe (10; 65; 82) in ihrer Offen- und ihrer Schließstellung festhält und in einer Zwischenstellung eine gestreckte Lage einnimmt,
wobei einer der Hebel der Kniehebelanordnung (z. B. 27, 51) als starrer und mit der Tankklappe (10; 65; 82) starr verbundener Hebel (z. B. 51) und der andere Hebel als quer zu seiner Längserstreckung federnd auslenkbarer Biegestab (27; 60; 84) ausgebildet ist,
dessen beide Enden (25, 26; 77, 78; 94, 95) entweder mit der Tankklappe (65; 82) bzw. dem starren Hebel (74; 87) oder mit einem fahrzeugfesten Teil (15, 16) gelenkig verbunden sind und dessen Mittelabschnitt (28; 61; 108) entweder mit dem fahrzeugfesten Teil (62; 104) oder mit dem starren Hebel (36) bzw. mit der Tankklappe (10) gelenkig verbunden ist, wobei die beiden Enden (22, 23; 61, 66; 93, 108) der Knie hebelanordnung (z. B. 27, 51) mit dem Fahrzeug gelenkig verbunden sind und bei geschlossener Tankklappe (10; 65; 82) in der flachen Karosseriemulde (17) und unterhalb der der Fahrzeugaußenseite abgewandten Seite der Tankklappe (10; 65; 82) liegen.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 - 108 sowie Regel 64 EPÜ; sie ist daher zulässig.
2. Nach Prüfung der im Recherchenbericht aufgeführten Entgegenhaltungen und der von der Einsprechenden genannten Dokumente kommt die Kammer zu dem Ergebnis, daß die Tankklappenvorrichtung nach dem geltenden Patentanspruch 1 durch keine dieser Veröffentlichungen bekanntgeworden ist. Die DE-C-952 769 betrifft keine Tankklappenvorrichtung, sondern eine Vorrichtung zum Erleichtern des Öffnens von Behälterdeckeln, insbesondere von Gepäckraumdeckeln an Kraftfahrzeugen. Ihr gegenüber folgt die Neuheit der Tankklappenvorrichtung nach Anspruch 1 schon aus der unter schiedlichen Gattung.
Gegenüber der Tankklappenvorrichtung nach der im Verfahren vor der Erteilung des Patents noch berücksichtigten US-A-2 865 653 folgt seine Neuheit schon daraus, daß bei der bekannten Vorrichtung die beiden Enden der Kniehebelan ordnung bei geschlossener Tankklappe nicht unterhalb der der Fahrzeugaußenseite abgewandten Seite der Tankklappe liegen. Die Vorrichtung nach dem Patentanspruch 1 ist mithin gegen über dem vorliegenden Stand der Technik neu.
3. Zur erfinderischen Tätigkeit ist folgendes auszuführen:
3.1. Aus der US-A-2 865 653 kennt man eine Tankklappenvorrichtung für einen Personenkraftwagen. Diese Vorrichtung hat ein Scharnier zur drehbaren Anlenkung der Klappe sowie eine Kniehebelanordnung, welche die Klappe in ihrer Offen- und ihrer Schließstellung hält und in einer Zwischenstellung ihre gestreckte Lage einnimmt, wobei einer der Hebel der Kniehebelanordnung als Federglied und der andere Hebel starr ausgebildet ist. Diese Tankklappenvorrichtung benötigt jedoch sehr viel Einbautiefe (sie ist in der Heckflosse eines sogenannten Straßenkreuzers untergebracht), da sich bei geschlossener Tankklappe die Kniehebelanordnung etwa senkrecht von der Klappe weg ins Fahrzeuginnere erstreckt.
3.2. Die Patentinhaberin hat dem geltenden eingeschränkten Patentbegehren die Aufgabe zugrundegelegt, eine Tankklappen vorrichtung zu schaffen, welche sich zum Anbringen in flachen Karosseriemulden eignet.
3.3. Diese angegebene Aufgabe wird durch eine Tankklappen vorrichtung gemäß Anspruch 1 gelöst.
3.4. Anregungen zu einer solchen Kniehebelanordnung, deren beiden Enden bei geschlossener Tankklappe in der flachen Karosseriemulde und unterhalb der der Fahrzeugaußenseite abgewandten Seite der Tankklappe liegen, sind den im Verfahren genannten Vorveröffentlichungen nicht zu entnehmen.
3.5. Der Auslegung der DE-C-952 769 durch die Einspruchsabteilung, aufgrund deren diese zu ihrer das Gegebensein einer erfinderischen Tätigkeit verneinenden Beurteilung gelangt ist, trifft nicht zu. Aus dieser Vorveröffentlichung kennt man eine Vorrichtung zum Erleichtern des Öffnens von Behälterdeckeln insbesondere von Gepäckraumdeckeln an Kraftfahrzeugen. Der Gepäckraumdeckel ist dort über ein Scharnier drehbar an der festen Wandung des Gepäckraums angelenkt.
Eine Kniehebelanordnung ist vorgesehen, welche den Kofferraumdeckel in der Offenstellung festhält und welche das Schließen (durch Erzeugen einer zusätzlichen Schließkraft) erleichtert. Einer der Hebel dieser Kniehebelanordnung ist starr ausgebildet, der andere als Biegestab, welcher quer zu seiner Längserstreckung auslenkbar ist, wenn der Kofferraumdeckel geöffnet oder geschlossen wird. Diese bekannte Vorrichtung benötigt für die Kniehebelmechanik zusätzlichen Raum seitlich neben der zu verschließenden Öffnung und eignet sich dadurch nicht zur Verwendung bei Tankmulden, da dort üblicherweise die Tankklappenvorrichtung samt ihrer Mechanik in der Tankmulde selbst untergebracht wird, um z.B. nach einem Unfall einen leichten Austausch zu ermöglichen und um das Eindringen von Schmutz aus dem Inneren der Karosserie, z.B. aus den Radkästen, in den Einfüllstutzen des Tanks zu verhindern.
3.6. Der Fachmann, welcher der Aufgabe entgegentritt, eine Tankklappenvorrichtung zu schaffen, die sich zum Anbringen in flachen Karosseriemulden eignet, hätte deshalb diese Lösung nicht herausgegriffen, da sie unter demselben Nachteil leidet wie die Tankklappenvorrichtung gemäß US-A-2 865 653, nämlich, daß sie zusätzlichen Raum seitlich neben der zu verschließenden Öffnung benötigt.
3.7. Die durch die weiteren Entgegenhaltungen bekanntgewordenen Vorrichtungen kommen dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht näher als die vorstehend erörterten Vorrichtungen. Er lag deshalb, auch unter Berücksichtigung der durch sie vermittelten Lehren, nicht nahe.
3.8. Die Tankklappenvorrichtung nach Anspruch 1 beruht deshalb auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.
4. Zur Frage der Fassung des Anspruchs 1 ist folgendes auszuführen:
4.1. Regel 29 (1) EPÜ schreibt als Normalfall die zweiteilige Form für einen Patentanspruch vor. Sie ist nach Regel 29 (1) Satz 2 EPÜ zu wählen, wo es zweckdienlich ist. Weiterhin lautet Artikel 84 EPÜ:
"Die Patentansprüche müssen den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird. Sie müssen deutlich, knapp gefaßt und von der Beschreibung gestützt sein." Wenn die zweiteilige Form zu einer zu komplexen Formulierung führen würde, ist sie daher nicht mehr zweckdienlich.
4.2. Die vorliegende Erfindung besteht aus einem komplexen System funktionell zusammenhängender Teile, wobei die erfinderische Tätigkeit in der Veränderung ihrer Beziehung zueinander besteht. Diese Veränderung ihrer Beziehung zueinander hat zur Folge, daß die an sich zum größten Teil bekannten Scharnier- und Kniehebelanordnungen zur Anbringung in flachen Karosse riemulden geeignet sind.
4.3. Die Tankklappenvorrichtung der US-A-2 865 653 ist als der der Erfindung am nächsten kommender Stand der Technik zu betrachten. Da sie jedoch nicht zur Anbringung in flachen Karosseriemulden geeignet ist, sondern viel Einbautiefe benötigt, würde die zweiteilige Form zu einer komplexen Formulierung führen. Obwohl sie mit der Tankklappenvorrichtung des Anspruchs 1 viele Merkmale gemeinsam hat, besteht die erfinderische Tätigkeit in der Veränderung ihrer Beziehung zueinander.
4.4. Die DE-C-952 769 betrifft keine Tankklappenvorrichtung und muß deswegen für die zweiteilige Formulierung auch außer Betracht bleiben.
4.5. Daher ist die in Regel 29 (1) festgelegte zweiteilige Form des Patentanspruchs 1 in diesem Fall nicht zweckdienlich.
4.6. Es ist hier zu erwähnen, daß die in Regel 29 (1) festgesetzte Form des Anspruchs es dem Leser ermöglichen soll, klar zu erkennen, welche für die Festlegung des beanspruchten Gegenstandes der Erfindung notwendigen Merkmale in Verbindung miteinander zum Stand der Technik gehören. Beim Nichtvorhandensein der zweiteiligen Form des Anspruchs muß dies klar genug aus den Angaben zum Stand der Technik, die gemäß Regel 27 (1) c) in der Beschreibung enthalten sein müssen, hervorgehen. Im vorliegenden Fall sind die US-A-2 865 653 und die DE-C-952 769 ausreichend berücksichtigt.
5. In der geltenden Fassung kann der Patentanspruch 1 demnach Bestand haben.
6. Ihm können sich die rückbezogenen, an die Terminologie des Anspruches 1 angepaßten Ansprüche 2 bis 17 vom 12. Oktober 1985 ohne weiteres anschließen, da sie auf besondere Ausführungen der Tankklappenvorrichtung nach Anspruch 1 gerichtet sind.
7. Die Beschreibung ist dem geänderten Wortlaut des Patentanspruchs 1 angepaßt. In ihr ist die Aufgabe, die mit der Erfindung nach Anspruch 1 gelöst werden soll, präzisiert worden. In der geltenden Fassung ist die Beschreibung deshalb ebenfalls für eine Aufrechterhaltung des Patents geeignet.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, das europäische Patent mit folgenden Unterlagen aufrechtzuerhalten:
Beschreibung Seiten 1 - 3, eingegangen am 18. Februar 1984
Beschreibung wie erteilt, Spalte 1, Zeile 34 bis Ende
Patentansprüche 1 - 17, eingegangen am 12. Oktober 1985
Zeichnungen mit Figuren 1 - 22 des erteilten Patents.