T 0128/82 (Pyrrolidin-Derivate) of 12.1.1984

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:1984:T012882.19840112
Datum der Entscheidung: 12 Januar 1984
Aktenzeichen: T 0128/82
Anmeldenummer: 79100378.3
IPC-Klasse: -
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: A
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: OJ | Published
Bezeichnung der Anmeldung: -
Name des Anmelders: Hoffmann-La Roche
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.3.01
Leitsatz: Wird ein bekannter Stoff erstmals für die Therapie bereitgestellt und beansprucht, so zwingt allein der Umstand, dass anmeldungsgemäß eine spezifische Anwendung offenbart ist, zu keiner Einschränkung des zweckgebundenen Stoffanspruchs auf diese Anwendung.
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention 1973 Art 54(5)
European Patent Convention 1973 Art 52(4)
Schlagwörter: Erste medizinische Indikation
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
G 0002/12
G 0002/13
G 0001/18
G 0003/19
J 0002/01
T 0283/90
T 1031/00
T 0419/16
T 0424/21

Sachverhalt und Anträge

I. Die am 9. Februar 1979 eingegangene und am 22. August 1979 veröffentlichte europäische Patentanmeldung 79 100 378.3 mit der Veröffentlichungsnummer 0 003602, für welche die Priorität der schweizerischen Voranmeldung CH 1404/78 vom 10. Februar 1978 in Anspruch genommen wird, wurde durch die Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 31. März 1982 zurückgewiesen. Dem Zurückweisungsbeschluß lagen die ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 bis 8 mit folgendem Wortlaut zugrunde:

1. Pyrrolidin-Derivate der allgemeinen Formel

FORMEL

worin R1 o-Methoxybenzoyl, m-Methoxybenzyl, p-Methoxybenzyl oder p-Fluorbenzyl bedeutet als pharmazeutische Wirkstoffe.

2. 1-(p-Methoxybenzyl)-2-pyrrolidinon als pharmazeutischer Wirkstoff.

3. Pyrrolidin-Derivate der in Anspruch 1 angegebenen allgemeinen Formel I als der cerebralen Insuffizienz entgegenwirkende bzw. die intellektuelle Leistungsfähigkeit verbessernde Wirkstoffe.

4. 1-(p-Methoxybenzyl)-2-pyrrolidinon als der cerebralen Insuffizienz entgegenwirkender bzw. die intellektuelle Leistungsfähigkeit verbessernder Wirkstoffe.

5. Arzneimittel, enthaltend ein Pyrrolidin-Derivat der in Anspruch 1 angegebenen allgemeinen Formel I.

6. Der cerebralen Insuffizienz entgegenwirkendes bzw. die intellektuelle Leistungsfähigkeit verbesserndes Mittel, enthaltend ein Pyrrolidin-Derivat der in Anspruch 1 angegebenen allgemeinen Formel I.

7. Arzneimittel, enthaltend 1-(p-Methoxybenzyl)-2-pyrrolidinon.

8. Der cerebralen Insuffizienz entgegenwirkendes bzw. die intellektuelle Leistungsfähigkeit verbesserndes Mittel, enthaltend 1-(p-Methoxybenzyl)-2-pyrrolidinon.

II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß die Anmeldung nicht die Bedingungen von Art. 52 Absatz 4 und Art. 54 Absatz 5 EPÜ erfülle. Der Gegenstand der Ansprüche 1, 2, 5 und 7 betreffe vorbekannte Pyrrolidin-Derivate, deren pharmazeutische Brauchbarkeit allerdings bisher nicht beschrieben sei. Gemäß Art. 54 Absatz 5 könne ein solcher Gegenstand als neu betrachtet werden, sofern er zur Anwendung in einem der in Art. 52 Absatz 4 genannten Verfahren bestimmt sei und seine Anwendung zu einem dieser Verfahren nicht zum Stand der Technik gehöre. Diese Forderung erfülle der Gegenstand der geltenden Ansprüche 1, 2, 5 und 7 deshalb nicht, weil er nicht auf die spezifisch erstmals gefundene therapeutische Verwendung der bekannten Verbindungen beschränkt sei. Das in Artikel 54 Absatz 5 EPÜ verwendete Wort "einem" sei als Zahlwort zu betrachten. Bei dieser Sachlage brauche auf die mangelnde Stützung der Ansprüche 1, 2, 5 und 7 durch die Beschreibung nicht mehr eingegangen zu werden.

III. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin mit dem am 26. Mai 1982 eingegangenen Schriftsatz unter Entrichtung der vorgesehenen Gebühr Beschwerde erhoben. Die Begründung der Beschwerde wurde am 2. August 1982 nachgereicht. Hierin vertritt die Beschwerdeführerin den Standpunkt, in einem solchen Fall müßten Stoffansprüche ohne spezifische, auf die konkret offenbarte(n) Verwendungsart(en) beschränkte Zweckangabe gewährbar sein. Das Wort "einem" in Artikel 54 Absatz 5 EPÜ sei nicht als Zahlwort, sondern als unbestimmter Artikel zu betrachten. Die von der Prüfungsabteilung zur Anwendung gebrachte Auslegung der Artikel 54 Absatz 5 und 52 Absatz 4 EPÜ habe keine Basis im Europäischen Patentübereinkommen. Für die Patentansprüche ohne spezifische Indikationsangabe bestehe in diesem Fall ein ernstzunehmendes Rechtsschutzbedürfnis. Würden lediglich Ansprüche mit auf die konkret offenbarte Indikation beschränkter Zweckangabe erteilt, so ergebe sich außerdem eine gravierende Rechtsunsicherheit bezüglich der Tragweite und der Durchsetzbarkeit des Patents. Im übrigen seien die Ansprüche 1, 2, 5 und 7 von der Beschreibung gestützt und genügten damit dem Erfordernis nach Artikel 84 EPÜ.

IV. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Erteilung eines europäischen Patents auf der Grundlage der geltenden Patentansprüche 1 bis 8, hilfsweise im Umfang der geltenden Patentansprüche 3, 4, 6 und 8, zu beschließen.

V. Auf Veranlassung durch die Kammer wurden am 29. April 1983 neue Ansprüche eingereicht, die gemäß Schreiben vom 6. Juni 1983 ergänzt wurden. Diese haben folgenden Wortlaut:

1. Pyrrolidin-Derivate der allgemeinen Formel

(FORMEL)

worin R1 o-Methoxybenzoyl, m-Methoxybenzyl, p-Methoxybenzyl oder p-Fluorbenzyl bedeutet, zur Anwendung als therapeutische Wirkstoffe.

2. 1-(p-Methoxybenzyl)-2-pyrrolidinon zur Anwendung als therapeutischer Wirkstoff.

3. Pyrrolidin-Derivate der in Anspruch 1 angegebenen allgemeinen Formel I zur Anwendung als der cerebralen Insuffizienz entgegenwirkende bzw. die intellektuelle Leistungsfähigkeit verbessernde Wirkstoffe.

4. 1-(p-Methoxybenzyl)-2-pyrrolidinon zur Anwendung als der cerebralen Insuffizienz entgegenwirkender bzw. die intellektuelle Leistungsfähigkeit verbessernder Wirkstoff.

5. Arzneimittel, enthaltend ein Pyrrolidin-Derivat der in Anspruch 1 angegebenen allgemeinen Formel I und ein pharmazeutisch inertes Excipiens.

6. Der cerebralen Insuffizienz entgegenwirkendes bzw. die intellektuelle Leistungsfähigkeit verbesserndes Mittel, enthaltend ein Pyrrolidin-Derivat der in Anspruch 1 angegebenen allgemeinen Formel I und ein pharmazeutisch inertes Excipiens.

7. Arzneimittel, enthaltend 1-(p-Methoxybenzyl)-2-pyrrolidinon und ein pharmazeutisch inertes Excipiens.

8. Der cerebralen Insuffizienz entgegenwirkendes bzw. die intellektuelle Leistungsfähigkeit verbesserndes Mittel, enthaltend 1-(p-Methoxybenzyl)-2-pyrrolidinon und ein pharmazeutisch inertes Excipiens.

Die Ansprüche 1-4 unterscheiden sich von den von der Prüfungsabteilung zurückgewiesenen Ansprüchen durch eine in Hinsicht auf den Wortlaut von Artikel 54 Absatz 5 EPÜ verbesserte Fassung, die Ansprüche 5-8 durch die Ergänzung, daß das Arzneimittel ein pharmazeutisch inertes Excipiens enthält.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde entspricht den Erfordernissen von Art. 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ und ist daher zulässig.

2. Der Gegenstand der Ansprüche geht nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Die Anwendung der im Anspruch 1 zusammengefaßten Stoffe als pharmazeutische Wirkstoffe und Arzneimittel wurde ursprünglich breit offenbart (vgl. Seite 1, Zeilen 7-10, Seite 2, Zeilen 3-9 und Seite 5, Zeilen 26-29 sowie die ursprünglichen Ansprüche 1, 2, 5, 7, 9 und 11).

3. Die Anmelderin hat der Fachwelt die neue Lehre vermittelt, die bisher nicht als pharmakodynamisch aktiv beschriebenen Pyrrolidin-Derivate der Formel I als therapeutische Wirkstoffe, insbesondere als der cerebralen Insuffizienz entgegenwirkende bzw. die intellektuelle Leistungsfähigkeit verbessernde Wirkstoffe, zu verwenden. Allerdings gehören die den beanspruchten Wirkstoffen zugrundeliegenden Pyrrolidin-Derivate zum Stand der Technik. Chemical Abstracts 63, 16256e (1965) beschreibt u.a. das 1-(o-Methoxybenzoyl)-2-pyrrolidinon, in der FR-A 2 294 698 wird auf Seite 3 Zeilen 30 bis 37 das 1-(p-Fluorbenzyl)-2-pyrrolidinon, in der Tabelle auf Seite 13 das 1-(p-Methoxybenzyl)-2-pyrrolidinon und 1-(m-Methoxybenzyl)-2-pyrrolidinon erwähnt.

Ihre Anwendung zu irgendeinem Verfahren gemäß Art. 52 Absatz 4 EPÜ gehört aber nicht zum Stand der Technik. Ein solcher Gegenstand gilt gemäß Art. 54(5) EPÜ als neu.

4. Auch dessen erfinderische Tätigkeit ist - in Übereinstimmung mit der Entscheidung der Prüfungsabteilung - zu bejahen. Zwar war aus Chemical Abstracts 87, 39272 m und 68145 e (1977) des 1-(3,4,5-Trimethoxybenzoyl)-2-pyrrolidinon als die Lernfähigkeit oder das Erinnerungsvermögen verbessernder Wirkstoff bekannt. Der einzige Vertreter des Anmeldungsgegenstands, welcher ebenfalls am Stickstoffatom des Pyrrolidinonkerns eine substituierte Benzoylgruppe trägt, das 1-(o-Methoxybenzoyl)-2-pyrrolidinon, unterscheidet sich aber dadurch von dieser bekannten Verbindung, daß er anstelle der drei Methoxygruppen nur eine einzige Methoxygruppe enthält. Außerdem ist diese Methoxygruppe in der 2-(oder ortho-)Stellung des Benzoylrestes gebunden. Aufgrund dieser strukturellen Unterschiede war es für einen Fachmann nicht vorauszusehen, daß die anmeldungsgemäßen Verbindungen einschließlich dieses 1-(o-Methoxybenzoyl)-2-pyrrolidinon eine Verbesserung der Lernfähigkeit oder des Erinnerungsvermögens mit sich bringen würden. Ebenso war nicht naheliegend, daß sie überhaupt eine therapeutische Aktivität besitzen würden.

5. Die geltenden Ansprüche gehören zwei verschiedenen Anspruchskategorien an. Die Ansprüche 1-4 sind zweckgebundene Stoffansprüche, die Ansprüche 5-8 Mittelansprüche. Die Patentfähigkeit beider Anspruchskategorien an sich wurde von der Prüfungsabteilung sachlich nicht bestritten.

6. Die Begründung der Prüfungsabteilung kann jedenfalls nicht mehr für die geltenden Ansprüche 5 und 7 zutreffen. Artikel 54 Absatz 5 EPÜ betrifft vorbekannte Stoffe oder Stoffgemische; die Stoffgemische nach den Ansprüchen 5 und 7 sind hingegen nicht vorbekannt. Es ist daher nur noch die Frage zu untersuchen, ob die breite Fassung der Ansprüche 1 und 2 hinsichtlich Art. 54 Absatz 5 EPÜ zulässig ist.

7. Die hier vorliegende Frage ist in der Patentliteratur eingehend diskutiert worden. Neben Befürwortern der breitest möglichen Zweckangabe gibt es auch Stimmen, die für eine beschränkte Zweckbestimmung plädieren. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Überlegungen pro und contra kann man z.B. in GAUMONT-Revue trimestrielle de droit commercial et de droit économique 1980, Seiten 441-455 finden. Diese Publikation wurde von der Beschwerdeführerin mehrmals zitiert.

8. Zunächst ist die Frage zu klären, ob das Europäische Patentübereinkommen die Basis für eine eng auszulegende, begrenzte therapeutische Zweckbestimmung bietet.

Nach Auffassung der Beschwerdekammer ist dem Übereinkommen weder ein Verbot noch ein Gebot einer unbeschränkten Zweckbestimmung zu entnehmen. Weder in Art. 54 Absatz 5 noch in Artikel 52 Absatz 4 ist der Umfang der Zweckbestimmung des genannten chirurgischen oder therapeutischen Verfahrens eindeutig angegeben.

9. Es stellt eine allgemein anerkannte Regel des Völkerrechts dar, daß bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge subsidiär die Materialien zur Entstehungsgeschichte berücksichtigt werden können. Gemäß Artikel 32 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 können ergänzende Auslegungsmittel, insbesondere die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses, herangezogen werden, um die sich unter Anwendung des Artikels 31 ergebende Bedeutung zu bestätigen oder die Bedeutung zu bestimmen, wenn die Auslegung nach Artikel 31 a) die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel läßt oder b) zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt. Obwohl das Wiener Übereinkommen für die Auslegung des Europäischen Patenübereinkommens nicht unmittelbar anwendbar ist, weil es erst 1980 in Kraft getreten ist, wird allgemein anerkannt, daß lediglich bestehendes internationales Recht durch die Artikel 31 und 32 kodifiziert wurde (vgl. Lord Diplock, Fothergill vs. Monarch Airlines (1981) A.G. 251 und GRUR Int. 1983, 205-212 (Bruchhausen)). Ein Rückgriff auf die travaux préparatoires zu Artikel 54(5) EPÜ liegt an sich nahe. Diese Bestimmung schafft materielles Patentrecht, das weder auf das Straßburger Übereinkommen über die Vereinheitlichung gewisser Begriffe des Patentrechts vom 27. November 1963 noch auf Vorbilder im nationalen Patentrecht der überwiegenden Zahl der auf der Münchner Diplomatischen Konferenz 1973 vertretenen Staaten zurückgeht. Die erwähnte Bestimmung führt neben dem allgemeinen Neuheitsbegriff (Artikel 54 (1) bis (4) EPÜ) für Stoffe und Stoffgemische auf dem Gebiet der chirurgischen und therapeutischen Behandlung sowie der Diagnostizierverfahren am menschlichen und tierischen Körper (im folgenden kurz: "therapeutischer Sektor") einen besonderen Neuheitsbegriff ein, der auf anderen technischen Gebieten unbekannt ist.

Als Vorbild für diese Regelung wurde dabei auf das französische Arzneimittelpatent in der zur Zeit der Münchner Diplomatischen Konferenz geltenden Fassung zurückgegriffen. Eine einheitliche Vorstellung der verhandelnden Staaten über die Breite des zu gewährenden Anspruches für pharmazeutische Erfindungen nach Artikel 54(5) EPÜ läßt sich aus seiner Entstehungsgeschichte jedoch nicht erschließen. Der Schutz von Erfindungen auf dem therapeutischen Sektor ist im Rahmen des EPÜ in das allgemeine materielle Patentrecht (Zweiter Teil - Materielles Patentrecht, Kapitel I - Patentierbarkeit = Artikel 52 bis 57) integriert worden. Er hat damit eine eigenständige Regelung erfahren, so daß eindeutige Schlüsse darüber, welche Elemente des französischen Arzneimittelschutzes in das EPÜ übernommen werden sollten, nicht gezogen werden können. Andererseits aber muß festgestellt werden, daß der Schutz durch ein französisches Arzneimittelpatent nicht auf eine bestimmte pharmazeutische Anwendung (z.B. die Bekämpfung einer bestimmten Krankheit) beschränkt war. Aus den travaux préparatoires lassen sich daher auch keine Argumente ableiten, die für eine Beschränkung der Anspruchsbreite sprechen.

10. Die bisherige Praxis des Europäischen Patentamtes zeigt jedenfalls, daß für therapeutisch aktive Verbindungen Stoff- und Arzneimittelansprüche gewährt werden, die nicht auf spezifische Indikationen beschränkt sind, obwohl in der Regel nur gewisse spezifische Aktivitäten konkret angegeben werden. Diese Praxis betrifft in der Regel stets neue Verbindungen. Dem Übereinkommen ist nicht zu entnehmen, daß vorbekannte, aber nach Art. 54 Absatz 5 gleichwohl schutzfähige Verbindungen prinzipiell anders zu behandeln sind. Wenn man dem Erfinder für die Bereitstellung eines neuen chemischen Stoffes für die Therapie absoluten Stoffschutz zubilligt, gebietet es der Grundsatz einer ausgewogenen Behandlung, einen Erfinder, der einen bekannten Stoff erstmals für die Therapie bereitstellt, entsprechend, diesem Verdienst zu belohnen, und zwar mit einem zweckgebundenen Stoffanspruch im Rahmen von Art. 54 Absatz 5 EPÜ, der sich auf das gesamte Gebiet der Therapie erstreckt. Eine andere Behandlung wäre nur gerechtfertigt, wenn Art. 54 Absatz 5 EPÜ ein absolutes Verbot eines breiten Schutzes enthielte. Die Tatsache an sich, daß Art. 54 Absatz 5 EPÜ auch kein Gebot eines breiten Schutzes zu entnehmen ist, ist kein Grund, einen solchen Schutz abzulehnen. Im allgemeinen ist die generelle, für neue Verbindungen ausgeübte Praxis anzuwenden.

11. Nach Überzeugung der Beschwerdekammer ist das Wort "einem" in Artikel 54 Absatz 5 EPÜ nicht als Zahlwort zu betrachten. Dieser Absatz nimmt nämlich ausdrücklich Bezug auf Artikel 52 Absatz 4 EPÜ, in dem drei unterschiedliche Verfahrensgruppen genannt werden, nämlich chirurgische, therapeutische und diagnostische Verfahren, die alle in der Mehrzahl stehen. Würde es sich bei dem Wort "einem" um ein Zahlwort handeln, so wäre die Patentierung von Stoffen oder Stoffgemischen, die sich zur Anwendung in mehr als einem dieser drei Verfahrensgruppen eignen, nicht möglich. Würde man nur einen beschränkten Stoffschutz zubilligen, so würde das außerdem zu dem nicht zu verantwortenden Ergebnis führen, daß Stoffe oder Stoffgemische, die mehrere spezifische therapeutische Wirkungen besitzen, nicht in einer einzigen Anmeldung behandelt werden könnten.

12. Die Prüfungsabteilung hat zudem die Auffassung vertreten, daß hinsichtlich Art. 84 EPÜ mangelnde Stützung der Ansprüche 1, 2, 5 und 7 durch die Beschreibung vorliegt. Der Beschreibung sei nur eine ganz bestimmte therapeutische Wirkung der Verbindungen der Formel (I) zu entnehmen. Die Tatsache, daß die erfindungsgemäßen Verbindungen sich für eine bestimmte therapeutische Anwendung eignen, bedeute nicht, daß sie auch für beliebige therapeutische Zwecke nützlich seien. Nach Überzeugung der Kammer kommt es hierauf jedoch nicht an. Die bloße Tatsache, daß Anweisungen für beliebige spezifische therapeutische Anwendungsmöglichkeiten fehlen, rechtfertigt keine Beschränkung auf den konkret genannten therapeutischen Anwendungsbereich. Dies ist nicht in Übereinstimmung mit der allgemeinen Praxis des Europäischen Patentamtes bezüglich therapeutisch aktiver Verbindungen.

13. Zudem wird noch auf folgendes hingewiesen:

Gemäß Art. 54 Absatz 5 EPÜ gilt eine bekannte, aber therapeutisch nicht genutzte Verbindung als neu. Die Neuheit wird aber nicht nur dadurch zerstört, daß dieselbe spezifische therapeutische Wirkung schon zum Stand der Technik gehört; vielmehr ist die Veröffentlichung jeder anderen spezifischen therapeutischen Anwendung neuheitsschädlich. Die Veröffentlichung jeder spezifischen Wirkung hat also immer dieselben Folgen für die Neuheit. Es ist dann aber billig die Gewährbarkeit einer breiten Zweckbestimmung, die folglich beliebige spezifische Indikationen umfaßt, anzuerkennen.

14. Zusammenfassend ist festzustellen, daß im vorliegenden Fall gemäß Art. 54 Absatz 5 EPÜ ein zweckbestimmter Stoffanspruch, welcher eine generelle therapeutische Zweckbestimmung enthält, gewährbar ist. Dies bedeutet nicht, daß nicht auch Fälle denkbar sind, in denen der Stand der Technik, z.B. aus Gründen mangelnder erfinderischer Tätigkeit, zu einer Beschränkung des Anwendungsbereichs zwingt. Bei dieser Sachlage braucht auf den Hilfsantrag nicht eingegangen zu werden.

15. Es ist kein Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ gestellt worden. Die hier vorliegende Sachlage würde eine solche Maßnahme nicht rechtfertigen.

ENTSCHEIDUNGSFORMEL

Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:

1. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 31. März 1982 wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Vorinstanz zurückverwiesen mit der Auflage, ein europäisches Patent aufgrund der am 29. April 1983 eingereichten Ansprüche 1-8 und einer entsprechend anzupassenden Beschreibung zu erteilen.

Zudem ist auf Seite 1 Zeile 7 der Beschreibung "(Chem. Abstracts 63, 16256e (1965) sowie FR-A-2 294 698)" einzufügen; in den Ansprüchen 5-8 ist jeweils am Ende "und ein pharmazeutisch inertes Excipiens" einzufügen.

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