European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:1983:T009482.19830722 | ||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Datum der Entscheidung: | 22 Juli 1983 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0094/82 | ||||||||
Anmeldenummer: | 79302089.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | - | ||||||||
Verfahrenssprache: | EN | ||||||||
Verteilung: | |||||||||
Download und weitere Informationen: |
|
||||||||
Bezeichnung der Anmeldung: | - | ||||||||
Name des Anmelders: | ICI | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.2.01 | ||||||||
Leitsatz: | 1.Die Patentansprüche müssen den Gegenstand deutlich angeben, für den Schutz begehrt wird (Art. 84 EPÜ). Dieses Erfordernis ist bei einem Erzeugnisanspruch auch dann erfüllt, wenn die Eigenschaften des Erzeugnisses durch Parameter angegeben werden, die sich auf die physikalische Struktur des Erzeugnisses beziehen, sofern diese Parameter eindeutig und zuverlässig durch auf dem technischen Gebiet übliche objektive Verfahren bestimmt werden können. 2. Bei einem solchen Erzeugnisanspruch genügt es, die physikalischen Eigenschaften des Erzeugnisses durch Parameter anzugeben, da der Anspruch selbst keine Hinweise darauf zu enthalten braucht, wie das Erzeugnis herzustellen ist. Die Beschreibung muss Artikel 83 EPÜ entsprechen und es dem Fachmann ermöglichen, das in ihr beschriebene beanspruchte Erzeugnis herzustellen. |
||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
|
||||||||
Schlagwörter: | Kennzeichnung eines Erzeugnisses durch Parameter in einem Erzeugnisanspruch | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
||||||||
Angeführte Entscheidungen: |
|
||||||||
Anführungen in anderen Entscheidungen: |
|
Sachverhalt und Anträge
I. Die am 3. Oktober 1979 eingereichte und am 11. Juni 1980 unter der Nummer 0 011 915 veröffentlichte europäische Patentanmeldung Nr. 79 302 089.2 die die Priorität einer früheren, in Großbritannien eingereichten Anmeldung vom 27. Oktober 1978 in Anspruch nimmt, wurde durch Entscheidung der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts vom 28. Dezember 1981 zurückgewiesen. Der Zurückweisung lagen die Ansprüche 1 bis 12 in der ursprünglich eingereichten Fassung zugrunde.
II. Die Zurückweisung wurde damit begründet, daß die Ansprüche 1 bis 6, die ein verstrecktes, zahnradgekräuseltes Polyestergarn zum Gegenstand haben, und Anspruch 7, der auf einen dieses Garn enthaltenden Stoff gerichtet ist, eine erfinderische Tätigkeit nicht so deutlich erkennen ließen, wie dies nach den Artikeln 52 und 84 EPÜ erforderlich sei, da sie die Aufgabe nur anhand technischer Angaben (d.h. anhand von Parametern) darlegten und nicht auf die technischen Merkmale eingingen, die die Lösung der Aufgabe ausmachten. Die Ansprüche 8 bis 12, die auf ein Verfahren zur Herstellung eines synthetischen Garns mit latenter Bauschung gerichtet sind, wurden mit der Begründung zurückgewiesen, daß ihr Gegenstand aufgrund folgender Vorveröffentlichungen keine erfinderische Tätigkeit aufweise:
1. DE-A-2 641 978
2. GB-A-1 127 005
3. GB-A-1 371 951
4. CH-A-587 937
5. DE-A-2 516 541
(nachstehend Entgegenhaltung 1, 2, 3, 4 und 5 genannt).
III. Am 19. Februar 1982 legte die Beschwerdeführerin gegen diese Entscheidung Beschwerde ein; die Beschwerdegebühr wurde fristgerecht entrichtet und die Beschwerdebegründung rechtzeitig nachgereicht.
Die Beschwerdeführerin behauptete, die verbesserte latente Bauschung des Garns nach den Ansprüchen 1 und 2 sei nicht nur das angestrebte Ergebnis, sondern drücke die physikalischen Strukturgegebenheiten des Garns, z. B. Kräuselfrequenz, -form und -stabilität, durch bestimmte Parameter aus, die diesen Gegebenheiten entsprächen und dem aus diesem Garn hergestellten Stoff wünschenswerte und unerwartete Eigenschaften verliehen, die Anzeichen für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit seien. Sie brachte ferner vor, die Zurückweisung des Verfahrensanspruchs 8 beruhe auf einer Ex-post-facto-Analyse, also auf einer nachträglich gewonnenen Einsicht; durch die Kombination eines ausgewählten Bereiches von Doppelbrechungswerten mit einem ausgewählten Bereich von Abzugsspannungswerten werde ebenfalls eins unerwartete technische Wirkung erzielt, die auf das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit hinweise.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der Entscheidung der Prüfungsabteilung und die Erteilung eines europäischen Patents auf der Grundlage der ursprünglichen Ansprüche 1 bis 12, hilfsweise die Gewährung der alternativen Ansprüche 1, 2, 8 und 13 zusammen mit den ursprünglichen Ansprüchen 3 bis 7 und 9 bis 12.
V. Wegen der Kompliziertheit der vorliegenden Anmeldung beantragte die Beschwerdeführerin auch eine mündliche Verhandlung. Sie beantragte ferner, daß die Große Beschwerdekammer mit der Beschwerde befaßt werde, um eine einheitliche Rechtsanwendung zu sichern.
VI. Im Laufe des schriftlichen Verfahrens vor der Beschwerdekammer reichte die Beschwerdeführerin zwei Erklärungen ein; die eine stammt von einem der Erfinder, Herrn W. E. Whale, und befaßt sich mit der Frage, ob die physikalische Struktur des in den Ansprüchen 1 bis 3 beanspruchten Garns hinreichend angegeben sei; die andere stammt von Herrn M. J. Hogarth, einem bei der Beschwerdeführerin angestellten Wissenschaftler, der sich zu der Frage der Offensichtlichkeit des Verfahrens nach den Ansprüchen 8 bis 12 äußert.
VII. Die Beschwerdeführerin reichte mit einem am 19. Juli 1983 eingegangenen Schreiben neue Ansprüche ein und nahm ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück.
VIII. Die gültigen unabhängigen Erzeugnis- und Verfahrensansprüche 1, 6, 7 und 8 in der am 19. Juli 1983 eingegangenen Fassung lauten wie folgt:
1. Verstrecktes, zahnradgekräuseltes Polyestergarn mit latenter Bauschung, gekennzeichnet durch eine Anfangskräuselung von mindestens 1,5 % und eine mechanische Kräuselstabilität von mehr als 0 % wobei die Anfangskräuselung
(FORMEL)
und die mechanische Kräuselstabilität
(FORMEL)
wie folgt gemessen werden: Das zahnradgekräuselte Polyestergarn mit latenter Bauschung wird mit einer Spannung von 1,0 Zentinewton pro tex (cN/tex) zu einem Strang von 1 m Umfang und insgesamt 2500 dtex aufgewickelt; der Strang wird aufgehängt und mit einer Belastung von 0,01 cN/tex vorgespannt, zur Entwicklung der Bauschigkeit 10 Minuten lang auf 120°C erwärmt und dann wieder abgekühlt: dann wird er 10 Sekunden lang einer Spannung von 1 cN/tex ausgesetzt und seine Länge (L0) gemessen; nach weiteren 10 Minuten wird der Strang unter einer Belastung von 0,01 cN/tex erneut gemessen; noch 10 Minuten wird 10 Sekunden lang eine Kraft von 0,1 cN/tex und unmittelbar danach 10 Sekunden lang eine Kraft von 10 cN/tex angelegt; nach 20 Minuten wird die Länge (L3) des Strangs unter einer Belastung von 0,01 cN/tex gemessen.
6. Gekräuseltes Garn nach einem der vorstehenden Ansprüche mit entwickelter Bauschigkeit.
7. Stoff aus einem gekräuselten Garn nach einem der vorstehenden Ansprüche.
8. Kontinuierliches Verfahren zur Herstellung eines synthetischen Garns mit latenter Bauschung, bei dem ein verstreckbares Garn erwärmt und dann gekräuselt wird, indem es durch die Kammzone einer Gruppe von Zahnrädern geführt wird, in der es einen scharfen Zickzackweg nehmen muß, wobei die Zahnräder so schnell angetrieben werden, daß das Garn durch die von den Zahnrädern ausgeübte Spannung verstreckt wird, und bei dem das gekräuselte Garn anschließend unter kontrollierter Spannung von den Zahnrädern abgezogen wird, dadurch gekennzeichnet, daß das verstreckbare Garn ein Polyestergarn mit einer Doppelbrechung von 32 x 10-3 bis 125 10-3 ist und das gekräuselte Polyestergarn unter einer kontrollierten Spannung von 0,15 bis 0,50 g/dtex, bezogen auf den Dezitex-Wert des verstreckten Polyestergarns, von den Zahnrädern abgezogen wird.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2.1. Zunächst ist zu prüfen, ob Anspruch 1 das Erfordernis der Deutlichkeit nach Artikel 84 EPÜ erfüllt.
2.2. Entsprechend dem Oberbegriff ist der Anspruch auf ein verstrecktes, zahnradgekräuseltes Polyestergarn mit latenter Bauschung gerichtet. Die dort angegebenen Merkmale bieten keinen Anlaß zu einem Einwand wegen mangelnder Klarheit, da sie durch chemische Analysen sowie durch Messen oder Prüfen der physikalischen Eigenschaften des Garns ohne weiteres bestimmt werden können.
2.3. Die Kammer hat auch keine Bedenken dagegen, daß die physikalische Struktur des gekräuselten Garns durch Parameter, z. B. die Anfangskräuselung (EK) und die mechanische Kräuselstabilität (KB), gekennzeichnet wird, da diese Parameter auf diesem Gebiet üblich sind und die Struktur des gekräuselten Garns so beschaffen ist, daß sie eigentlich auf keine andere Weise angemessen definiert werden kann. Ein Techniker würde eher diese Parameter als die sehr viel mühsamer zu ermittelnde Kräuselfrequenz, -form und -stabilität benutzen, die möglicherweise statistische Untersuchungen über die Abweichung dieser Größen bei den einzelnen Proben erforderlich machen; dies gilt um so mehr, als sich die in den Ansprüchen genannten Parameter anhand der in der Beschreibung enthaltenen Anweisungen und entsprechend der dort genannten DIN-Norm 53840 einfach und zuverlässig ermitteln lassen. Der Erzeugnisanspruch 1 nennt dementsprechend in seinem kennzeichnenden Teil nur eine Kombination von zwei durchaus üblichen Parametern, die für die Kräuselfrequenz, -form und -stabilität, also die Struktur der erzeugten Kräuselung, stehen.
2.4. Die Kammer äußerte im Beschwerdeverfahren in ihrem Bescheid Zweifel daran, daß das bauschige Garn mit nur zwei Parametern, nämlich der Anfangskräuselung (EK) und der mechanischen Kräuselstabilität (KB), hinreichend und eindeutig definiert und klar bestimmt sei und daß diese Parameter ausreichten, um das Garn zuverlässig von anderen Garnen, die möglicherweise nicht unter den Schutzbereich dieser Ansprüche fallen, zu unterscheiden, so daß die interessierte Öffentlichkeit zweifelsfrei feststellen könne, für welche Struktur der Schutz tatsächlich begehrt werde.
Da jedoch die Beschwerdeführerin eine Erklärung eines der Erfinder eingereicht hat, aus der hervorgeht, daß er Fachmann auf dem Gebiet der zahnradgekräuselten Garne ist und daß seines Wissens alle zahnradgekräuselten Polyestergarne mit den vorteilhaften Eigenschaften des erfindungsgemäßen Garnes eine Anfangskräuselung (EK) und eine Kräuselstabilität (KB) innerhalb der beanspruchten Bereiche aufweisen, ist die Kammer nunmehr davon überzeugt, daß der betreffende Anspruch den Gegenstand, für den Schutz begehrt wird, entsprechend Artikel 84 EPÜ ausreichend angibt.
2.5. Da die Anmeldung anhand einer ausführlichen Beschreibung des Herstellungsverfahrens deutlich lehrt, wie das beanspruchte zahnradgekräuselte Garn hergestellt werden kann, und das Garn somit das durch dieses Verfahren hergestellte Erzeugnis ist, genügt es, in dem Anspruch die physikalischen Eigenschaften dieses Garns durch Parameter anzugeben. Der Erzeugnisanspruch, der ja knapp gefaßt sein soll, braucht keine Hinweise darauf zu enthalten, wie das Erzeugnis hergestellt wird, wenn es die Beschreibung dem Fachmann ermöglicht, das beanspruchte Erzeugnis durch das dort beschriebene Verfahren herzustellen (Art. 83 EPÜ), was hier zweifelsohne der Fall ist.
2.6. Anspruch 1 ist auch hinsichtlich des dort angegebenen Bereichs der Parameter (EK) und (KB) eindeutig, obwohl nur die unteren Werte dieser Parameter angegeben sind, weil es bei verstreckten, zahnradgekräuselten Polyestergarnen zwangsläufig eine Obergrenze für diese Werte gibt. Der Anspruch wird auch von der Beschreibung hinreichend gestützt.
2.7. Anspruch 1 gibt demnach die technischen Merkmale des Garns durch Angabe der physikalischen Struktur deutlich und knapp an und nennt nicht nur eine technische Aufgabe, für die keine Lösung bereitgestellt wird. Der Anspruch erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.
3. Die Ansprüche 6, 7 und 8 werden ebenfalls von der Beschreibung hinreichend gestützt. Da die abhängigen Ansprüche 2 bis 5 und 9 bis 11 nur engere Parameterbereiche oder besondere Ausführungsarten der Erfindung enthalten, die in den Ansprüchen beansprucht wird, von denen sie abhängen, und da sie zudem von der Beschreibung hinreichend gestützt werden, erfüllen sie ebenfalls die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.
4. Von den im Recherchenbericht aufgeführten Dokumenten betreffen nur die Entgegenhaltungen 2 und 3 verstreckte, zahnradgekräuselte Polyestergarne. Entgegenhaltung 1 offenbart ein Verfahren zur Zahnradkräuselung, ohne jedoch Polyestergarne zu erwähnen; Entgegenhaltung 4 bezieht sich auf ein Kräuselungsverfahren mit ungleichmäßiger Erwärmung eines Polyestergarns, und Entgegenhaltung 5 schließlich enthält ein Verfahren zum Falschzwirnen von Polyestergarn.
5. Entgegenhaltung 2, die ein Verfahren zur Herstellung zahnradgekräuselter Nylongarne aus verstrecktem oder unverstrecktem Zuführgarn zum Gegenstand hat, als Alternative aber auch die Herstellung von Polyestergarnen erwähnt und als Verfahrensergebnis eindeutig Garne mit latenter Bauschung offenbart, bildet unbestreitbar den nächstliegenden Stand der Technik, von dem die Erfindung nach Anspruch 1 ausgeht.
6. Die Beschwerdeführerin hat eingeräumt, daß der erste Teil des Anspruchs 1 zu dem Stand der Technik gehört, der in Entgegenhaltung 2 dargestellt ist. Der Gegenstand dieses Anspruchs unterscheidet sich von dem bekannten Garn nur durch die beanspruchten Wertbereiche für EK und KB.
7. Der in den Ansprüchen 1, 6, 7 und 8 beschriebene Gegenstand der Anmeldung erweist sich gegenüber dem Stand der Technik als neu, da in den obengenannten Entgegenhaltungen weder ein verstrecktes, zahnradgekräuseltes Polyestergarn mit latenter Bauschung, das sich durch eine Anfangskräuselung (EK) von mindestens 1,5 % und eine mechanische Kräuselstabilität (KB) von mehr als 0auszeichnet, noch ein Verfahren zur Zahnradkräuselung eines verstreckbaren Polyestergarns mit einer Doppelbrechung von 32 x 10-3 bis 125 x 10-3 offenbart wird, bei dem das Garn mit einer Spannung von 0,15 bis 0.50 g/dtex, bezogen auf das verstreckte Garn, abgezogen wird.
8. Der Beschwerdeführerin zufolge werden die bekannten zahnradgekräuselten Polyestergarne, wie sie in Entgegenhaltung 2 offenbart sind, aus verstreckten oder unverstreckten Polyester-Zuführgarnen hergestellt. Die auf diese Weise hergestellten Garne wiesen aber bei unverstrecktem Zuführgarn eine zu niedrige bzw. keine Kräuselstabilität (KB) und bei verstrecktem Zuführgarn auch bei optimaler Abzugsspannung eine Anfangskräuselung (EK) von weniger als 0,4 % auf. Die Hauptnachteile dieser bekannten Garne seien eine viel zu geringe Bauschigkeit und unzureichende mechanische Eigenschaften des aus ihnen hergestellten Stoffs sowie das Reißen der Filamente bei der Verarbeitung. Daher habe sich die kommerzielle Herstellung zahnradgekräuselten Polyestergarns als unzweckmäßig erwiesen. Auch sei es schwierig, Falschzwirngarne mit einer Bauschung und mit Eigenschaften, die mit denen zahnradgekräuselter Garne vergleichbar seien, mit konventionellen Falschzwirn-Texturiermaschinen herzustellen, weil diese Maschinen zur Herstellung von Hochbauschgarnen mit anderer Kräuselung ausgelegt seien, die nicht die Eigenschaften nach Anspruch 1 aufwiesen.
9. Die Aufgabe, ein neues, kommerziell brauchbares gekräuseltes Polyestergarn mit besserer Bauschung bereitzustellen, das sich für die Herstellung von Stoffen mit positiven ästhetischen Eigenschaften eignet, werde durch das im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 definierte Garn gelöst.
10. Da für das Erzeugnis - das zahnradgekräuselte Polyestergarn - als solches Schutz begehrt wird, ist die Frage der Patentierbarkeit (Art. 56 EPÜ) unter Berücksichtigung des genannten Standes der Technik und unabhängig davon zu beurteilen, ob das Erzeugnis durch das besondere Verfahren nach Anspruch 8 oder durch ein anderes Verfahren hergestellt wird, das dasselbe Ergebnis zeitigt.
11.1. Es stellt sich nun die Frage, ob der Kräuselstärke, die die von der Beschwerdeführerin hervorgehobenen Eigenschaften verleiht, ein erfinderischer Gedanke zugrunde liegt.
11.2. Um dies richtig beurteilen zu können, muß untersucht werden, zu welchen KB- und EK-Werten das Garnherstellungsverfahren nach Entgegenhaltung 2 führen würde, wenn an Stelle eines unverstreckten oder voll verstreckten Nylongarns 6.6 Ein Polyestergarnderselben Klasse verarbeitet würde, d.h. es muß geprüft werden, ob das Verfahren zu einem kommerziell brauchbaren Garn führen würde. Da nicht besonders erwähnt ist, daß bei Polyestergarn eine besondere Abzugsspannung benutzt werden muß, gäbe es für den Fachmann bestimmt keinen Grund dafür, von dem in dieser Entgegenhaltung angegebenen Verfahren zur Optimierung der Abzugsspannung abzuweichen und zur Erzielung der in dem Stranglängentest (anerkannter Test zur Messung der Bauschigkeit zahnradgekräuselter Polyamidgarne) gemessenen größtmöglichen Bauschigkeit andere Spannungen anzulegen, aus denen er dann die optimale Abzugsspannung auswählt. Herrn Dr. Hogarths Erklärung zufolge ist die Bauschigkeit bei dem auf diese Weise aus unverstrecktem oder verstrecktem Polyestergarn hergestellten Garn und Stoff niedrig und für kommerzielle Zwecke nicht ausreichend. Auch ein Test mit teilorientiertem Polyestergarn, das in anderen Texturierverfahren verwendet werde, bringe keine besseren Ergebnisse.
11.3. Er habe daraus den Schluß gezogen, daß es nicht von Vorteil sei, dieses Zuführgarn zu verwenden, und beschlossen, seine Versuche zur Herstellung eines verstreckten, zahnradgekräuselten Polyestergarns einzustellen. Er hatte damals nicht erkannt, daß der für zahnradgekräuselte Polyamidgarne geltende Grundsatz, wonach die Bauschigkeit des aus dem Garn hergestellten Stoffes um so größer ist, je kürzer der Strang ist, im vorliegenden Fall nicht gilt; es war ihm daher nicht gelungen, die optimale Bauschigkeit bei Polyestergarnen zu ermitteln. Daraus ist zu schließen, daß der Fachmann durch das bei Polyamidgarnen gebräuchliche Strangtestverfahren irregeführt und daran gehindert wird, die richtigen Abzugsspannungen herauszufinden, bei denen die in Anspruch 1 beanspruchten verbesserten Ergebnisse bei Polyestergarnen auch mit dem bekannten Verfahren nach Entgegenhaltung 2 erzielt werden können.
11.4. Erst einer der Erfinder hat entdeckt, daß die Bauschigkeit bei gekräuseltem Polyestergarn vielmehr von den EK- und KB-Werten abhängt, wie den Beispielen 10 und 11 und den Vergleichsbeispielen F und G der Anmeldung unschwer zu entnehmen ist. Dies ist zweifellos die entscheidende Beobachtung gewesen, auf der die vorliegende Erfindung beruht; erst danach ist es möglich gewesen, die Schritte vorzunehmen, die zu dem neuen erfinderischen Garn geführt haben, das zu Stoff verwoben und entwickelt nicht nur die gewünschte Bauschigkeit, also weder den harten Griff früherer Stoffe noch den ziemlich fülligen Griff Crimplene-artiger Stoffe, sondern auch matten Glanz, vollen, seidenähnlichen Griff und gute Deckungseigenschaften aufweist, ohne die wünschenswerte Knitterarmut der Polyesterstoffe einzubüßen. Dies sind tatsächlich unerwartete Eigenschaften, die sich aus den Merkmalen des Anspruchs 1 ergeben. Daß diese unvorhersehbaren Eigenschaften erzielt werden, ist ein überzeugender Beweis dafür, daß die Erfindung nicht naheliegend ist.
11.5. Der Gegenstand des Anspruchs 1 weist aus den genannten Gründen eine erfinderische Tätigkeit auf und ist gemäß den Artikeln 52(1) und 56 EPÜ gewährbar.
11.6. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 5, die sich auf besondere Wertbereiche und Ausführungsarten der Erfindung nach Anspruch 1 beziehen, sind somit ebenfalls gewährbar.
11.7. Anspruch 6 ist auf das Garn gerichtet, das man erhält, wenn die zunächst latent vorhandene Bauschigkeit entwickelt worden ist, die die unter Nummer 11.4 genannten unerwarteten Eigenschaften verleiht. Der Anspruch ist somit ebenfalls gewährbar.
11.8. Anspruch 7 weist eine erfinderische Tätigkeit auf und ist damit ebenfalls gewährbar, weil der Stoff, der aus dem erfinderischen Garn nach den Ansprüchen 1 bis 6 hergestellt wird, die unter Nummer 11.4 genannten überraschenden Eigenschaften aufweist.
12.1. Da bei einem unabhängigen Erzeugnisanspruch die Patentfähigkeit des Erzeugnisses nicht unbedingt etwas über die Patentfähigkeit eines Anspruchs aussagt, der auf das Verfahren zur Herstellung dieses Erzeugnisses gerichtet ist, gilt es nunmehr zu prüfen, ob es für den Fachmann aufgrund des bekannten Stands der Technik naheliegend gewesen wäre, zu dem Verfahren nach Anspruch 8 zu gelangen.
12.2. Entgegenhaltung 2 offenbart ein Verfahren zur Zahnradkräuselung von unverstrecktem oder verstrecktem Polyamid-(Nylon-)Zuführgarn. Das aus dem unverstreckten Garn gewonnene Garn weist eine unzureichende Kräuselung auf, während das aus einem unverstreckten Garn mit einer Abzugsspannung von 0,39 g/dtex gewonnene Garn einen optimalen Wert im Stranglängentest erreicht. Die Entgegenhaltung erwähnt auch die naheliegendsten Zuführgarne sowie unter anderem die Verwendung eines Polyestergarns, ohne jedoch hierfür ein Beispiel zu nennen. Es wäre zwar für einen Fachmann aufgrund der Lehre dieser Entgegenhaltung naheliegend, ein unverstrecktes Polyester-Zuführgarn zu verarbeiten, man würde jedoch gewiß nicht erwarten, daß er die Ergebnisse, die mit einer Abzugsspannung erzielt werden, die bei Nylon-Zuführgarn zu optimalen Ergebnissen führt, als Hinweis für die Verarbeitung von Polyester-Zuführgarn verwendet. Er würde also zweifellos darangehen, die Verfahrensbedingungen mit Hilfe des üblichen Stranglängentests weiter zu verbessern, was den Ausführungen der Beschwerdeführerin zufolge unvermeidlich zu erheblich höheren Abzugsspannungen für Polyester-Speisegarne führen würde. Aus Entgegenhaltung 2 läßt sich daher nicht ableiten, daß die zur Verarbeitung von Nylon-Speisegarn empfohlene Abzugsspannung ohne weiteres auch bei der Verarbeitung von Polyestergarn verwendet werden kann. Dieselbe Überlegung gilt auch für das in Entgegenhaltung 1 offenbarte Kräuselungsverfahren mittels Zahnrädern, das noch weiter von dem erfindungsgemäßen Verfahren entfernt ist, weil dort Polyestergarn überhaupt nicht erwähnt wird; die Entgegenhaltung ist auch hinsichtlich der empfohlen Abzugsspannung nicht relevanter. Entgegenhaltung 3 ist ebenfalls weiter entfernt, weil die dort angegebenen Abzugsspannungen alle außerhalb des in Anspruch 8 genannten Bereichs liegen.
12.3. Geht man davon aus, daß sich der Fachmann, der eine Aufgabe lösen soll, auch in den angrenzenden Gebieten der Technik umsieht, etwa bei anderen Verfahren zur Kräuselung von Polyestergarn, die nicht, wie das offenbarte Verfahren, mit Zahnrädern arbeiten (s. z. B. Entgegenhaltungen 4 und 5), so ist zu prüfen, ob er dort etwas finden würde, was in Verbindung mit der Lehre der Entgegenhaltung 2 möglicherweise zu der Erfindung führen könnte. Diese Frage kann aus folgenden Gründen nicht bejaht werden: Obwohl Engegenhaltung 5 ein Verfahren zur Kräuselung mittels eines Falschzwirnvorgangs betrifft und sogar die Verwendung eines teilorientierten (verstreckbaren) Polyester-Zuführgarns mit einer Doppelbrechung von höchstens 0,04 lehrt, enthält sie keinerlei Angaben oder Hinweise darauf, welche Abzugsspannungswerte für die Verarbeitung derartiger Garne geeignet wären; der Fachmann hätte also keine Veranlassung, von der zu hohen Abzugsspannung, die sich aus Entgegenhaltung 2 entnehmen läßt, abzugehen. Demnach würde also auch die Kombination der Lehren der Entgegenhaltungen 2 und 5 keineswegs zu einem Verfahren führen, das dem des Anspruchs 8 gleicht oder ähnlich ist. Dies trifft auch für eine Kombination der Entgegenhaltungen 2 und 4 zu, da in Entgegenhaltung 4 ebenfalls keine Zahnradvorrichtung zum Kräuseln verwendet wird und somit zwangsläufig auch kein Hinweis darauf gegeben wird, welche Abzugsspannungen als geeignet in Frage kämen.
12.4. Die naheliegende Kombination der Abzugsspannung der Entgegenhaltung 2 mit den in den Entgegenhaltungen 5 und 4 angegebenen Doppelbrechungswerten führt sogar von der Erfindung weg, weil das bis zum Zeitpunkt der Erfindung gebräuchliche Verfahren zur Optimierung der Stranglänge zweifellos dazu führen würde, daß bei der Verarbeitung von Polyestergarnen sehr viel höhere Abzugsspannungen als die in der vorliegenden Erfindung vorgeschlagenen verwendet werden. Damit wiederum würde eher eine Randkräuselung als eine echte Zahnradkräuselung bewirkt, die nach der Entwicklung im Stoff keine brauchbare Bauschigkeit ergibt. Um vom bekannten Stand der Technik zu der Erfindung zu gelangen, müßte man nicht nur von einem verstreckten oder unverstreckten zu einem innerhalb des beanspruchten Doppelbrechungsbereichs liegenden teilverstreckten Garn übergehen, sondern auch die richtige Abzugsspannung durch Optimierung anhand des DIN-53840-Tests auswählen. Vor allem handelt es sich bei der Abzugsspannung von 0.15 bis 0.5 g/dtex am verstreckten Garn um einen Wert, auf den der Fachmann nicht kommen würde. Demnach sind die für das beanspruchte Verfahren relevanten Parameter, also die Parameter für die Doppelbrechung und die Abzugsspannung, zwar bei gekräuselten Garnen jeder für sich bekannt, bei Verfahren zur Herstellung von zahnradgekräuselten Polyestergarnen aber nicht bekannt oder als gebräuchlich anzusehen; die ausgewählten Bereiche ergeben überraschend eine verbesserte latente Bauschung bei zahnradgekräuselten Polyestergarnen. Die Kammer sieht keinen Grund dafür, die beanspruchten Doppelbrechungs- und Abzugsspannungsbereiche auf die Bereiche zu beschränken, die die besten Ergebnisse bringen. Die überraschende technische Wirkung, auf der die Patentierbarkeit des Gegenstands des Anspruchs 8 beruht, tritt nämlich nicht nur bei den für KB und EK angegebenen Höchstwerten auf, was aus den Beispielen 1 bis 14 der Anmeldung deutlich hervorgeht.
12.5. Der Gegenstand des Anspruchs 8 ist daher für den Fachmann nicht naheliegend. Somit weist das Verfahren nach Anspruch 8 eine erfinderische Tätigkeit auf und ist nach den Artikeln 52(1) und 56 EPÜ gewährbar.
13. Die Ansprüche 9 bis 11 enthalten besondere Verfahrensvarianten der Erfindung nach Anspruch 8 und sind somit ebenfalls gewährbar.
14. Der von der Beschwerdeführerin im einleitenden Teil der Beschreibung (s. S. 1 der Anmeldung) unter Hinweis auf das britische Patent Nr. 984 922 angegebene Stand der Technik gibt den im vorliegenden Verfahren behandelten nächstliegenden Stand der Technik (Entgegenhaltung 2) hinreichend wieder, da die in beiden Veröffentlichungen offenbarten Hauptmerkmale im wesentlichen übereinstimmen. Die Beschreibung in der eingereichten Fassung entspricht damit den Erfordernissen der Regel 27 EPÜ und braucht daher nicht geändert zu werden.
15. Der Antrag der Beschwerdeführerin, die Beschwerde als Ganzes gemäß Artikel 112(1)a) EPÜ an die Große Beschwerdekammer zu überweisen, wird zurückgewiesen, weil er auf einem Mißverständnis beruht. Die Große Beschwerdekammer darf nur mit vom jeweiligen Sachverhalt abgeleiteten Rechtsfragen befaßt werden; nach Ansicht der Kammer besteht im vorliegenden Fall auch keine Gefahr einer uneinheitlichen Rechtsanwendung.
16. Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 67 EPÜ ist nicht beantragt worden und wäre nach den Umständen des vorliegenden Falles auch nicht gerechtfertigt.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entscheiden:
Die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 28. Dezember 1981 wird aufgehoben. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, aufgrund folgender Unterlagen ein europäisches Patent zu erteilen: Beschreibung Seiten 1 bis 12 in der ursprünglich eingereichten Fassung; Zeichnungsblatt 1/1 in der ursprünglich eingereichten Fassung Ansprüche 1 bis 11, eingegangen am 19. Juli 1983.