T 1401/23 (Verbundgebilde mit selektiver Beschichtung/JOANNEUM) of 17.7.2025

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2025:T140123.20250717
Datum der Entscheidung: 17 Juli 2025
Aktenzeichen: T 1401/23
Anmeldenummer: 18171006.2
IPC-Klasse: C09D 5/00
B05D 5/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERBUNDGEBILDE MIT SELEKTIVER BESCHICHTUNG UND HERSTELLUNGSVERFAHREN
Name des Anmelders: Joanneum Research Forschungsgesellschaft mbH
Name des Einsprechenden: Leonhard Kurz Stiftung & Co. KG
Kammer: 3.3.09
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 111(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 011
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - (ja)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1051/09
T 2128/13
T 0731/17
T 2450/17
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent zu widerrufen.

II. In ihrer Einspruchsschrift hatte die Einsprechende den Widerruf des Patents unter anderem gemäß Artikel 100 b) EPÜ beantragt.

III. Der Einspruchsabteilung kam zu den Schluss, dass die gemäß allen Anträgen beanspruchte Erfindung nicht ausführbar sei.

IV. Für diese Entscheidung ist lediglich Hilfsantrag 1 relevant (Hauptantrag). Die unabhängigen Ansprüche 1, 8 und 12 dieses Antrags haben folgenden Wortlaut:

"1. Verbundgebilde, das eine Trägerschicht (1), eine gehärtete Prägelackschicht (2) und eine Funktionsschicht (3) in dieser Reihenfolge umfasst, wobei die gehärtete Prägelackschicht (2) einen Bereich aufweist, der eine geprägte und von der Funktionsschicht (3) freie Vertiefung (4) einer Tiefe von 1 bis 200 mym umfasst und der außerhalb der Vertiefung vollständig mit der Funktionsschicht (3) bedeckt ist, wobei das Verhältnis der Tiefe der Vertiefung (4) zu dem Mittenrauwert Ra des Bereichs außerhalb der Vertiefung (4) mindestens 20 beträgt, wobei die Vertiefung (4) einen V-förmigen Querschnitt aufweist, das Tiefen-zu-Breiten-Verhältnis der Vertiefung (4) mindestens 1,0 beträgt und das Verhältnis (1-Phi s)/(r-Phi s) kleiner 0,5 ist, worin Phi s der Plateauflächenanteil der gehärteten Prägelackschicht (2) und r der als Quotient aus tatsächlicher Oberfläche und ihrer horizontalen Projektion definierte Rauheitsfaktor der gehärteten Prägelackschicht (2) ist."

"8. Verfahren zur selektiven Beschichtung von Oberflächenbereichen eines Verbundgebildes nach einem der vorstehenden Ansprüche, das eine Trägerschicht (1), eine gehärtete Prägelackschicht (2) und eine Funktionsschicht (3) in dieser Reihenfolge aufweist, gekennzeichnet durch folgende Schritte in der angegebenen Reihenfolge:

a) das Bereitstellen einer Trägerschicht (1),

b) das Aufbringen einer Lackschicht auf die Trägerschicht (1),

c) das Prägen einer Vertiefung (4) in die Lackschicht unter Bildung einer Prägelackschicht,

d) das Härten der Prägelackschicht unter Bildung einer gehärteten Prägelackschicht (2),

e) das Aufbringen einer ausschließlich die Vertiefung der geprägten Vertiefung der gehärteten Prägelackschicht (2) benetzenden und füllenden Ablöselackschicht (5),

f) das Aufbringen einer Funktionsschicht (3) und

g) das Einwirkenlassen eines Ablösemittels, wobei die Ablöselackschicht (5) und die darauf aufgebrachte Funktionsschicht (3) vollständig entfernt werden und die gehärtete Prägelackschicht (2) und die darauf aufgebrachte Funktionsschicht (3) nicht entfernt werden."

"12. Verwendung des Verbundgebildes nach einem der Ansprüche 1 bis 7 als optisches Element, Lichtfilter, (opto)elektronisches Bauteil, Sensor oder Dekorelement."

V. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen vorgetragen, die Beschreibung des Patents stelle ausreichende Anleitungen für das Nacharbeiten der Erfindung bereit. Die Fachperson könne geeignete Kombinationen von Parametern anhand der Anleitung im Patent ermitteln, um die geforderten Maßgaben einer von einer Funktionsschicht freien Vertiefung und eines vollständig mit einer Funktionsschicht bedeckten Bereichs zu erreichen. Anspruch 1 sei durch Merkmale eingeschränkt, die das gewünschte selektive Befüllen der Vertiefungen erzielten.

VI. Die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) hat im Wesentlichen vorgetragen, die Erfindung sei nicht über die gesamte beanspruchte Breite ausführbar. Zudem fehle im Patent ein konkretes Ausführungsbeispiel, das die Fachperson befolgen könne. Daher räume Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 die erhobenen Einwände nach Artikel 83 EPÜ nicht aus. Weder der darin definierte Rauheitsfaktor noch der Plateauflächenanteil stellten Kriterien dar, wodurch die Benetzung ausschließlich im Bereich der Mikrokanäle beeinflusst werde könne.

VII. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patentes gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 3, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, sowie die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Prüfung.

VIII. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Entscheidungsgründe

1. Streitpatent

1.1 Das Streitpatent betrifft ein Verbundgebilde mit selektiver Oberflächenbeschichtung sowie ein Verfahren zur Herstellung desselben. Bei der Herstellung von optischen Elementen sowie elektronischen Bauteilen ist eine selektive und passgenaue Beschichtung von glatten Oberflächenbereichen beispielsweise mit metallischen Schichten erforderlich (Absätze [0001] und [0007]).

1.2 Derartige Verbundgebilde können durch das anspruchsgemäße Verfahren (s. oben, Punkt IV.) hergestellt werden.

2. Offenbarung der Erfindung

2.1 Die Einspruchsabteilung kam zu dem Schluss, dass die in Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 beanspruchte Erfindung nicht ausführbar sei. Der Anspruch enthalte keine Information zu dem die Vertiefung umgebenden Bereich. Die in Anspruch 1 aufgenommene Definition zum Plateauflächenanteil Phi s stelle nicht sicher, dass die Vertiefungen selektiv mit Ablöselack befüllt seien, nicht aber die im umgebenden Bereich vorhandenen Ausnehmungen. Dies werde anhand des von der Einsprechenden vorgebrachten Beispiels A verdeutlicht. Somit sei der von Hilfsantrag 1 beanspruchte Gegenstand nicht über die gesamte Breite des Anspruchs ausreichend offenbart.

2.2 An dieser Stelle ist festzuhalten, dass das erwähnte Beispiel A erdacht wurde, ohne ein tatsächliches Experiment auszuführen. Es basiert allein auf theoretischen Überlegungen, die auf der Grundlage der Offenbarung des Streitpatents getätigt wurden. Nach diesen Überlegungen wird von einer Struktur ausgegangen, die außerhalb der Vertiefungen aus einer rechteckförmigen periodischen Reliefstruktur mit einer Relieftiefe von 10 nm und einer Periode von 10 nm besteht.

2.3 Diese Entscheidung der Einspruchsabteilung gilt es zu überprüfen.

2.4 Wie die Beschwerdegegnerin zutreffend ausgeführt hat, enthält das Streitpatent keine Ausführungsbeispiele, die bei der Durchführung der Erfindung befolgt werden können.

2.5 Allerdings sind solche Beispiele nicht zwingend notwendig, um die Ausführbarkeit der Offenbarung der Erfindung zu bejahen. Vielmehr ist es entscheidend, ob die Fachperson in die Lage versetzt wird, die Erfindung anhand der Offenbarung des Patents (und gegebenenfalls ihres Fachwissens) ohne unzumutbaren Aufwand und im Wesentlichen über den gesamten beanspruchten Bereich nachzuarbeiten.

2.6 Anspruch 1 fordert unter anderem, dass die gehärtete Prägelackschicht des Verbundgebildes einen Bereich aufweist, der eine geprägte und von der Funktionsschicht freie Vertiefung umfasst, und der außerhalb der Vertiefung vollständig mit der Funktionsschicht bedeckt ist. Streitpatentgemäß wird eine solche Struktur dadurch erzeugt, dass zunächst eine ausschließlich - also selektiv - die Vertiefung benetzende und füllende Ablöselackschicht aufgebracht wird. Sodann wird die Funktionsschicht aufgebracht. Schließlich wird mit einem Ablösemittel die Ablöselackschicht und die darauf aufgebrachte Funktionsschicht vollständig entfernt, wobei die gehärtete Prägelackschicht und die darauf aufgebrachte Funktionsschicht nicht entfernt wird. Dies ist auch so im Verfahrensanspruch 8 beschreiben (s. Punkt IV.).

2.7 Entscheidend ist also, dass zunächst ausschließlich die Vertiefung mit Ablöselack befüllt wird. Gemäß dem Streitpatent (Absatz [0075]) wird der Wicking-Effekt dazu ausgenutzt, eine spontane, ausschließliche Benetzung der Mikrokanäle (also der Vertiefungen) zu erzielen. Dieser Effekt basiert auf einer Abstimmung der Oberflächenenergie von Prägelack und Ablöselack sowie der Geometrie der Mikrokanäle.

2.8 In Anspruch 1 wird die Vertiefung unter anderem durch ihre Tiefe (1 bis 200 mym), ihre Form (V-förmiger Querschnitt) sowie das Tiefen-zu-Breiten-Verhältnis (mindestens 1,0) definiert. Unter diesen Bedingungen ist der die Neigung der Vertiefung beschreibende Kantenwinkel (im Querschnitt durch die Prägelackschicht) größer als 60°. Dies haben auch die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer übereinstimmend erklärt.

2.9 Wie die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung zutreffend festgehalten hat, stellt die anspruchsgemäße V-förmige Vertiefungsform zusammen mit dem Tiefen-zu-Breiten-Verhältnis sicher, dass ein geringer Kantenwinkel ausgeschlossen wird. Die Kammer stimmt der Einspruchsabteilung auch darin zu, dass aufgrund des ausreichend hohen Kantenwinkels, der für den Wicking-Effekt unabdingbar sei, "die erfolgreiche Befüllung solcher Vertiefungen mithilfe des Wicking-Effekts glaubhaft ist".

2.10 Die Beschwerdegegnerin war der Auffassung, dass Ausnehmungen im Plateauflächenanteil der Prägelackschicht, die in dem die Vertiefung umgebenden Bereich vorhandenen sind, ebenfalls mit Ablöselack befüllt werden könnten. Das anspruchsgemäß definierte Verhältnis (1-Phi s)/(r-Phi s) lasse allenfalls statistische Aussagen über die Oberflächenstruktur zu, es könne aber die Ausführbarkeit nicht stützen.

2.11 Vorliegend ist es angesichts der für die Fachperson vorhandenen Lehre nicht relevant, ob die anspruchsgemäßen Merkmale hinsichtlich des Plateauflächenanteils, des Rauheitsfaktors und des Verhältnisses (1-Phi s)/(r-Phi s) die Ausführbarkeit stützen.

2.12 Im Streitpatent wird nämlich dargelegt, dass die Ablöselackschicht nur im Bereich der Mikrokanäle aufgetragen werden kann, beispielsweise kann sie gedruckt werden (Absatz [0068]). Zwar waren sich die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer uneins, mit welcher Genauigkeit das Auftragen von Ablöselack in einem Druckverfahren erfolgt. Für die Kammer steht jedenfalls fest, dass diese Maßnahme im Rahmen der Auflösung des Druckverfahrens dazu geeignet ist, die Ablöselackschicht nur im Bereich der Mikrokanäle aufzutragen.

2.13 Darüber hinaus ist im Streitpatent durchgehend davon die Rede, dass die Prägelackschicht glatt sein soll, zum Beispiel im Absatz [0045]. Die Rauheit kann bei Bedarf eingestellt und minimiert werden. Patentgemäß wird vorgeschlagen, die Prägung mit Nickelstempeln durchzuführen, mit denen geringe Mittenrauwerte erzielt werden können (Absatz [0127]).

2.14 Schließlich wird die Fachperson angeleitet, die Oberflächenenergie von Prägelack und Ablöselack abzustimmen, beispielsweise durch die Wahl des Ablöselacks (Absätze [0073] bis [0075]) oder durch eine Behandlung der Oberfläche (Absatz [0134]).

2.15 Es gibt keine Hinweise dafür, dass die Fachperson nicht in der Lage wäre, diese Maßnahmen, falls erforderlich, umzusetzen und gegebenenfalls abzustimmen. Somit hält das Streitpatent eine Lehre bereit, wie die Erfindung erfolgreich ausgeführt werden kann, sodass etwaige Ausnehmungen im Plateauflächenanteil der Prägelackschicht nicht mit Ablöselack befüllt werden. Im Ergebnis stellt die Ausführung der Erfindung anhand der im Streitpatent angegebenen Maßnahmen für die Fachperson keinen ersichtlichen unzumutbaren Aufwand dar.

2.16 Die Beschwerdegegnerin hat dafür auch keine praktischen experimentelle Belege vorgebracht. Zur eingangs erwähnten, rechteckförmigen periodischen Reliefstruktur in der Prägelackschicht gemäß Beispiel A (siehe oben, Punkt 2.2), die einen hohen Kantenwinkel ausweist, ist Folgendes anzumerken.

2.17 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Beispiel A nicht unter Anspruch 1 fällt. Dies wurde bereits in der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK festgehalten. Anspruchsgemäß ist die Vertiefung nämlich enger definiert, und weist anders als die Vertiefung in Beispiel A ein Tiefen-zu-Breiten-Verhältnis von mindestens 1,0 auf. Im Folgenden soll also zugunsten der Beschwerdegegnerin lediglich die in Beispiel A beschriebene, rechteckförmige periodische Reliefstruktur in der Prägelackschicht betrachtet werden.

2.18 Wie die Beschwerdeführerin zutreffend festgestellt hat, beruht die angeführte Reliefstruktur ausschließlich auf Ausführungen im Streitpatent. Zwar konnte die Einsprechende anhand von theoretischen Überlegungen insofern eine Reliefstruktur aufzeigen, die womöglich nicht zum erwünschten Ergebnis führt. Jedoch kann die Fachperson bei der Nacharbeitung der Erfindung genau solche theoretische Überlegungen und Berechnungen anhand der Lehre im Streitpatent anstellen, sodass die Erfindung von Beginn an mit Erfolg ausgeführt werden kann. Eine Reliefstruktur wie sie in Beispiel A dargestellt ist, ist demnach zu vermeiden. Sollte jedoch eine solche Struktur in der Praxis tatsächlich vorliegen und auch zu einem nicht-selektiven Auftrag von Ablöselack führen, sind Maßnahmen zu ergreifen, die zu einer glatteren Prägelackschicht führen. Wie bereits oben ausgeführt, enthält das Streitpatent hierzu ausreichend Hinweise.

2.19 Die von der Beschwerdegegnerin angeführten Entscheidungen, T 1051/09 und T 2128/13, sind vorliegend nicht einschlägig. Beide Entscheidungen betreffen die Frage, ob das Patent eine verallgemeinerungsfähige technische Lehre offenbart. Im Lichte des oben Gesagten, ist die Kammer der Auffassung, dass die Fachperson mit ausreichend Hinweise und Maßnahmen ausgestattet wird, sodass sie die Erfindung im Wesentlichen über die gesamte Breite mit Erfolg ausführen kann.

2.20 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass eine mangelnde Offenbarung der beanspruchte Erfindung nicht gezeigt wurde. Dies gilt sowohl für die gemäß Anspruch 1 als auch gemäß den übrigen Ansprüchen ausgestaltete Erfindung. Die Maßgabe gemäß Artikel 83 EPÜ ist daher als erfüllt anzusehen.

3. Zurückverweisung

Die angefochtene Entscheidung behandelt lediglich die mangelnde Offenbarung der Erfindung. Der Zweck des Beschwerdeverfahrens besteht vorrangig darin, die Entscheidung der ersten Instanz zu überprüfen (Artikel 12 (2) VOBK). Daher verweist die Kammer, wie auch von den Beteiligten gewünscht, die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurück (Artikel 111 (1) EPÜ), damit diese die erhobenen Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ prüft (siehe T 731/17, Entscheidungsgründe 7.2; T 2450/17 Entscheidungsgründe 4.2 bis 4.4); im Sinne von Artikel 11 VOBK sprechen besondere Gründe dafür.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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