| European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2025:T138523.20250715 | ||||||||
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| Datum der Entscheidung: | 15 Juli 2025 | ||||||||
| Aktenzeichen: | T 1385/23 | ||||||||
| Anmeldenummer: | 19152570.8 | ||||||||
| IPC-Klasse: | A61F 13/537 D04H 1/4374 D04H 1/559 |
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| Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
| Verteilung: | D | ||||||||
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| Bezeichnung der Anmeldung: | FLÜSSIGKEITSAUFNAHME UND -VERTEILVLIES FÜR HYGIENEARTIKEL | ||||||||
| Name des Anmelders: | Sandler AG | ||||||||
| Name des Einsprechenden: | TWE MEULEBEKE | ||||||||
| Kammer: | 3.2.06 | ||||||||
| Leitsatz: | - | ||||||||
| Relevante Rechtsnormen: |
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| Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - Verbesserung nicht für gesamte beanspruchte Breite nachgewiesen | ||||||||
| Orientierungssatz: |
- |
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| Angeführte Entscheidungen: |
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| Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt, in welcher diese den Einspruch zurückgewiesen hatte.
II. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
III. Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Sofern die Kammer zu der Auffassung gelangen sollte, dass die Offenkundigkeit der Vorbenutzung gemäß den Dokumenten D6 bis D8 ausreichend dargelegt wurde, beantragte sie die Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung.
IV. Die Parteien wurden zu einer mündlichen Verhandlung vor der Kammer geladen. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung informierte die Kammer die Parteien über ihre vorläufige Beurteilung der Sache. Sie merkte an, dass darüber zu diskutieren sein werde, ob der von der Beschwerdegegnerin geltend gemachte technische Effekt einer besonders vorteilhaften Flüssigkeitsaufnahme der Oberseite bei gleichzeitig guter Flüssigkeitsverteilung der Unterseite über die gesamte Anspruchsbreite erreicht wird. Die Kammer wies insbesondere darauf hin, dass die Diskussion über den über die gesamte Anspruchsbreite erzielten technischen Effekt wesentlich für den Verfahrensausgang sein werde.
V. Zum Schluss der mündlichen Verhandlung bestätigten die Beteiligten ihre anfangs gestellten Anträge.
VI. Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut (unter Verwendung der von der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung verwendeten Merkmalsgliederung, hier jedoch in der für die Entscheidung relevanten Verfahrenssprache):
1F.1 |,,Mehrlagiges Flüssigkeitsaufnahme und -verteilvlies für Hygieneprodukte welches |
1F.2 |eine Oberseite, welche in Hygieneprodukten zum Benutzer hin gewandt ist, und |
1F.3 |eine Unterseite, welche in Hygieneprodukten zum Saugkörper hin angebracht ist, aufweist, |
1F.3.1|wobei die Unterseite aus einem Vliesstoff besteht, |
1F.3.2|dessen Fasermischung aus 50 bis 80 Gewichtsprozent Saugfasern und 50 bis 20 Gewichtsprozent Schmelzfasern besteht |
1F.2.1|und die Oberseite aus einem Vliesstoff besteht, |
1F.2.2|dessen Fasermischung aus 50 bis 100 Gewichtsprozent Schmelzfasern und 50 bis 0 Gewichtsprozent Matrixfasern besteht, |
1F.1.1|die Fasermischung des die Unterseite bildenden Vliesstoffs einen geringeren mittleren Fasertiter aufweist als die Fasermischung des die Oberseite bildenden Vliesstoffs, |
1F.1.2|wobei die Oberseite mit der Unterseite ausschließlich thermisch schmelzverbunden ist |
1F.1.3|und das Flüssigkeitsaufnahme und -verteilvlies eine Dichte von 35 kg/m**(3) oder weniger beträgt [sic], |
|dadurch gekennzeichnet, dass |
1F.2.3|- die Oberseite einen mittleren Titer der Fasermischung > 4,0 dtex, |
1F.2.4|eine Dicke > 0,002 m |
1F.2.5|und ein Gewicht > 0,04 kg/m**(2) aufweist, |
1F.3.3|- die Unterseite einen mittleren Titer der Fasermischung < 6,0 dtex, |
1F.3.4|eine Dicke < 0,001 m |
1F.3.5|und ein Gewicht < 0,06 kg/m**(2) aufweist, |
1F.2.6|- die Dicke der Oberseite einen Anteil von mindestens 60% der Gesamtdicke aufweist, |
1F.1.4|- die Dichte der Unterseite mindestens doppelt so hoch ist wie die Dichte der Oberseite |
1F.1.5|- der mittlere Fasertiter der Fasermischung des die Unterseite bildenden Vliesstoffs mindestens 2 dtex geringer ist als der mittlere Fasertiter der Fasermischung des die Oberseite bildenden Vliesstoffs."|
VII. Folgendes Dokument ist für die gegenständliche Entscheidung relevant:
D1|EP 3 238 680 A1|
VIII. Die für die gegenständliche Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Schutzumfang des Anspruchs 1 sei viel zu breit im Vergleich zu dem, was funktionieren dürfte, um dem Material die beanspruchten Flüssigkeitsaufnahme- und Verteileigenschaften zu verleihen.
Die vier im Streitpatent gezeigten Ausführungsbeispiele deckten lediglich eine einzige Art zur Herstellung der thermischen Schmelzverbindung ab. Weiterhin werde in allen Ausführungsbeispielen ein wasserstrahlverfestigter Precursor verwendet. Die Ausführungsbeispiele deckten hinsichtlich der Dicke der Oberseite lediglich einen Teilbereich ab. Dass der geltend gemachte Effekt einer verbesserten Flüssigkeitsaufnahme bei gegebenen Verteileigenschaften auch ohne diese Voraussetzungen erreicht werde, sei nicht nachgewiesen.
Zur mit der beanspruchten Erfindung erreichten Verteilwirkung beinhalte das Streitpatent keinerlei Erläuterung. Von den in Tabelle 1 angegebenen Werten für "rewet" könne nicht auf die Verteilwirkung geschlossen werden.
Weitere Tests darüber, ob die technische Wirkung einer verbesserten Flüssigkeitsaufnahme auch in von den Ausführungsbeispielen nicht abgedeckten Voraussetzungen erreicht werde, seien nicht nötig. Da sowohl das Streitpatent als auch der nächstliegende Stand der Technik gemäß D1 von der Anmelderin stammten, könne man auf die in D1 gemachten Angaben vertrauen. Insbesondere gebe D1 an, dass rein thermisch mittels Schmelzfasern verfestigte Vliesstoffe eine hohe Dicke und eine damit verbundene gute Flüssigkeitsaufnahme hätten. Durch die vergleichsweise hohe Porosität sei aber die Verteilwirkung sehr gering.
IX. Die für diese Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Es sei die objektive technische Aufgabe bei vergleichbaren Materialien und ausreichender Verteilwirkung eine verbesserte Aufnahmefähigkeit zu erreichen.
Ein Fachmann habe keinen Anlass innerhalb aller beanspruchten Bereiche zu arbeiten.
Das hinsichtlich der Ausführungsbeispiele beschriebene Wasserstrahlverfahren zur Vorbehandlung der Unterseite werde zwar nicht beansprucht, der Anspruch 1 enthalte jedoch weitere Einschränkungen, beispielsweise sei die Dichte der Unterseite doppelt so hoch wie jene der Oberseite. Die Dicke der Oberseite spiele hinsichtlich des erreichten Werts für den "strike-through" eine untergeordnete Rolle. Der Fachmann verstehe, dass er je nach Anwendungsfall einen höheren Wert wählen müsse.
Sollten von der Kammer weitere Tests zum Nachweis, dass der geltend gemachte technische Effekt einer verbesserten Flüssigkeitsaufnahme bei gegebener Verteilwirkung über die gesamte Anspruchsbreite erreicht werde, als nötig erachtet werden, könnten diese nachgereicht werden. Dazu werde gegebenenfalls beantragt, die Verhandlung zu vertagen.
Alternativ könne auch von den in Tabelle 1 angegebenen Werten für "rewet" auf die Verteilwirkung geschlossen werden.
Entscheidungsgründe
1. Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Einspruchsgrund des Artikels 100 (a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Patents entgegen.
1.1 D1 beschreibt ein zweilagiges Flüssigkeitsaufnahme- und -verteilvlies, bei welchem die beiden Lagen mittels Wasserstrahlvernadelung miteinander verbunden sind. Wie auch von der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung ausgeführt, unterscheidet sich das Flüssigkeitsaufnahme- und -verteilvlies gemäß Anspruch 1 des Streitpatents von dem Ausführungsbeispiel Nummer 3 der D1 (siehe Tabelle 1) in folgenden Punkten:
i. 1F.2.2|Die Fasermischung der Oberseite besteht aus 50-100 Gewichtsprozent Schmelzfasern, anstatt 10% in Beispiel 3 der D1 (die restlichen 90% in D1 bestehen aus Matrixfasern).|
ii. 1F.3.2|Die Fasermischung der Unterseite beinhaltet zusätzlich zu 50-80 Gewichtsprozent Saugfasern 50-20 Gewichtsprozent Schmelzfasern, während jene des Beispiels 3 der D1 zusätzlich zu 60 Gewichtsprozent Saugfasern (was innerhalb des beanspruchten Bereichs liegt) 40 Gewichtsprozent Füllfasern beinhaltet.|
iii. 1F.1.2|Die Oberseite ist mit der Unterseite ausschließlich schmelzverbunden, anstatt einer Verbindung mittels Wasserstrahlvernadelung in D1. |
iv. 1F.1.3|Das Flüssigkeitsaufnahme- und -verteilvlies hat eine Dichte von 35 kg/m**(3) oder weniger, anstatt 68,2 kg/m**(3) in D1. |
v. 1F.2.4|Die Dicke der Oberseite ist größer als 0,002 m (das heißt größer als 2 mm), anstatt 0,00081 m (entsprechend 0,81 mm) in D1. |
Diese Unterscheidungsmerkmale waren zwischen den Parteien unstrittig. Die Analyse der Beschwerdegegnerin in der Beschwerdeerwiderung (siehe Seiten 11 und 12) deckt sich exakt mit jener der Beschwerdeführerin.
1.2 Im schriftlichen Verfahren hat die Beschwerdeführerin argumentiert, dass es für einen Fachmann eine naheliegende Alternative sei, die beiden Schichten des in D1 beschriebenen Flüssigkeitsaufnahme- und -verteilvlieses mittels einer Schmelzverbindung zu verbinden und dass sich alle Unterschiede dabei von selbst ergäben. Die Beschwerdegegnerin hielt dagegen, dass ein solcher Wechsel der Verbundmethode nicht angeregt sei und deshalb eine erfinderische Tätigkeit vorliege (in diesem Sinne hat auch die Einspruchsabteilung entschieden).
1.3 Bevor jedoch darüber entschieden werden kann, ob der Fachmann im Stand der Technik eine Anregung erhält, die objektive technische Aufgabe mittels bestimmter Merkmale zu lösen, muss diese Aufgabe erst formuliert werden. Dabei kam die Kammer zu dem Schluss, dass die von der Beschwerdegegnerin formulierte Aufgabe, die Flüssigkeitsaufnahmefähigkeit bei gegebener Verteilwirkung zu verbessern, nicht die objektive technische Aufgabe ist, weil nicht belegt wurde, dass sie über die gesamte Breite des Anspruchs 1 gelöst wird.
1.4 Die Beschwerdeführerin hat darauf hingewiesen, dass der Schutzumfang des Anspruchs 1 viel zu breit sei, weil die geltend gemachten Flüssigkeitsaufnahme- und -verteileigenschaften nicht über dessen gesamte Breite erreicht würden. Insbesondere seien die physikalischen Eigenschaften der jeweils verwendeten Fasern in Anspruch 1 nicht definiert. Die Art der Fasern, ob diese hydrophil oder hydrophob seien, als auch eine etwaige Behandlung mit Finishern habe großen Einfluss auf die Eigenschaften des letztlich erhaltenen Flüssigkeitsaufnahme- und -verteilvlieses.
In Reaktion auf diesen Einwand hat die Beschwerdegegnerin während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer die Aufgabe umformuliert, und zwar darauf, bei vergleichbaren Materialien die Flüssigkeitsaufnahmefähigkeit bei gegebener Verteilwirkung zu verbessern.
1.5 Doch auch hinsichtlich dieser Aufgabe ist nicht belegt worden, dass sie über die gesamte Breite gelöst wird.
Die im Streitpatent angeführten, anspruchsgemäßen Beispiele ("Muster 2" bis "Muster 5") wurden allesamt unter bestimmten Randbedingungen hergestellt, welche jedoch nicht beansprucht sind. So beinhalten beispielsweise alle Ausführungsbeispiele Bikomponentenfasern. Die Unterseite wurde mit einem wasserstrahlvernadeltem Precursor hergestellt. Alle Ausführungsbeispiele wurden mittels einer Heißluftverfestigung in einem Bandtrockner behandelt. Alle Fasern der Oberseite enthalten eine hydrophile Avivage.
Anspruch 1 beinhaltet keine dieser Einschränkungen und deckt damit Ausführungen ab, in denen anders behandelte Fasern verwendet werden, deren Unterseite nicht wasserstrahlverfestigt ist und die auf andere Art oder auch gar nicht heißluftverfestigt sind. Insbesondere sind jedoch, wie von der Beschwerdeführerin argumentiert, Schmelzverbindungen mitumfasst, bei welchen keine von oben nach unten gerichtete Heißluft Verwendung findet. Ein Vergleich mit dem einzigen im Streitpatent angegebenen Beispiel aus dem Stand der Technik ("Muster 1") oder mit einem der in D1 angegebenen Beispiele des Stands der Technik (Tabelle 1 in D1) ist daher ausschließlich hinsichtlich der vier konkreten Ausführungsbeispiele des Streitpatents ("Muster 2" bis "Muster 4") möglich. Welche Eigenschaften sich ergäben, wenn andere Randbedingungen gewählt würden, kann auf Grundlage der Angaben im Streitpatent nicht festgestellt werden.
1.6 Die Beschwerdegegnerin hat dazu angeboten, weitere Vergleichstests durchzuführen und dazu beantragt, die Verhandlung nötigenfalls zu verschieben. Dies hat die Kammer jedoch abgelehnt, wie nachfolgend begründet.
Gemäß der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 2/21 (siehe Entscheidungsgründe 94 sowie Entscheidungsformel Punkt 2) kann sich "ein Patentanmelder oder -inhaber ... zum Nachweis der erfinderischen Tätigkeit auf eine technische Wirkung berufen, wenn der Fachmann ausgehend vom allgemeinen Fachwissen und auf der Grundlage der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung schlussfolgern würde, dass diese Wirkung von der technischen Lehre umfasst und von derselben ursprünglich offenbarten Erfindung verkörpert wird." Andernfalls kann also eine behauptete technische Wirkung nicht zur Stützung der erfinderischen Tätigkeit verwendet werden.
Im gegenständlichen Fall hat sich die Beschwerdegegnerin auf die behauptetermaßen durch die Unterscheidungsmerkmale hervorgerufene technische Wirkung berufen, dass bei vergleichbaren Materialien eine verbesserte Aufnahmefähigkeit erreicht werde, während gleichzeitig die Verteilwirkung erhalten bleibe. Dass dieser Effekt jedoch über die gesamte Anspruchsbreite auftritt, ergibt sich nicht aus der technischen Lehre des Streitpatents. Beispielsweise wird die Heißluftverfestigung nach dem Durchströmungsprinzip in Absatz [0043] als "notwendig" angeführt. Weiterhin wird erwähnt, dass die heiße Luft den Faserflor von oben nach unten durchströmt. Dass also der Effekt, auf den sich die Beschwerdegegnerin in ihrer Argumentation berufen hat, auch ohne dieses Verfestigungsverfahren erreicht werden könnte, wird im Streitpatent nicht behauptet und ergibt sich auch nicht ausgehend vom allgemeinen Fachwissen des Fachmanns.
1.7 Dies gilt sinngemäß auch für weitere Randbedingungen, unter denen die im Streitpatent angeführten Ausführungsbeispiele hergestellt wurden. Aus dem Streitpatent ergibt sich, wie von der Beschwerdeführerin argumentiert, beispielsweise auch nicht, dass der behauptete Effekt ohne die Verwendung eines wasserstrahlverfestigten Precursors für den die Unterseite bildenden Vliesstoff erreicht würde.
Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass der Anspruch 1 zwar nicht auf einen wasserstrahlverfestigten Precursor, jedoch auf eine unterschiedliche Dichte der Unter- und Oberseite eingeschränkt sei, überzeugt die Kammer nicht. Die Wasserstrahlverfestigung beeinflusst nicht nur die Dichte, sondern auch andere Eigenschaften. Nicht zuletzt werden dabei eventuell vorhandene Avivagen abgewaschen und die Faserrichtung wesentlich geändert, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen. Anspruch 1 umfasst somit Ausführungen, bei welchen nur aufgrund der unterschiedlichen Dichte nicht davon ausgegangen werden kann, dass die hinsichtlich der Ausführungsbeispiele mit einem wasserstrahlverfestigten Precursor erreichten Effekte auch ohne diesen erzielt werden, und dies lediglich aufgrund der unterschiedlichen Dichte von Unter- und Oberseite.
1.8 Ebensowenig lassen die im Streitpatent angegebenen Beispiele mit einer Dicke der Oberseite von zwischen 3,8 mm und 6,3 mm darauf schließen, dass der behauptete Effekt auch bei der beanspruchten Untergrenze von größer als 2 mm erreicht werden könnte. Die Oberseite des Ausführungsbeispiels mit der geringsten Dicke der Oberseite (Muster 5) ist mit ihren 3,8 mm beinahe doppelt so dick wie die Untergrenze des beanspruchten Bereichs.
Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass der Fachmann je nach Anwendungsfall eine unterschiedliche Dicke der Oberseite wählen würde, überzeugt die Kammer nicht. Selbst wenn dies so sein sollte, ist noch immer nicht nachgewiesen, dass der geltend gemachte Effekt in jenen Anwendungsfällen erreicht wird, in denen der Fachmann nahe der beanspruchten Untergrenze von 2 mm Dicke der Oberseite arbeiten würde. Diese Untergrenze ist explizit beansprucht, sodass ein Fachmann nicht von vornherein ausschließen würde, auch solche geringen Dicken anzuwenden.
1.9 Dazu kommt, dass im Streitpatent eine Wirkung der Unterscheidungsmerkmale auf die Verteilfähigkeit überhaupt nicht erwähnt wird. Auch ein die Verteilfähigkeit charakterisierender Parameter (wie beispielsweise die Steighöhe) wurde nicht gemessen und fehlt daher gänzlich. Anders verhält es sich in D1, wo zu jedem Beispiel sowie zum Vergleichstest eines Flüssigkeitsaufnahme- und -verteilvlieses gemäß dem Stand der Technik die Steighöhe angegeben wird. Außerdem ist in D1 (siehe Absatz [0029]) explizit angegeben, dass der Flüssigkeitstransport mittels des Parameters Steighöhe beschrieben wird. Darüber hinaus lehrt D1 (siehe Absatz [0061]), wie von der Beschwerdeführerin argumentiert, dass ein Produkt aus zwei unterschiedlichen Lagen, die gleichzeitig verfestigt und miteinander verbunden werden, zwar eine gute Ansaugzeit in Verbund mit gutem "rewet" zeige, allerdings sei die Steighöhe und in Folge die Verteilwirkung ungenügend.
Das Argument der Beschwerdegegnerin, dass die Werte für "rewet" ein Indiz für eine bessere Verteilwirkung sein können, überzeugt die Kammer nicht. Dieser Wert ist vielmehr von mehreren Faktoren abhängig, wobei die Verteilwirkung eine untergeordnete Rolle spielen dürfte, insbesondere gegenüber dem üblichen Testverfahren basierend auf der Steighöhe. Dieser Zusammenhang ist auch in D1 erwähnt (siehe Absatz [0061]).
1.10 Vor diesem Hintergrund kann es nicht nur als nicht belegt, sondern es muss als von der technischen Lehre des Streitpatents als nicht umfasst angesehen werden, dass in allen vom Anspruch 1 abgedeckten Konstellationen eine Verbesserung der Flüssigkeitsaufnahmefähigkeit bei gegebener Verteilwirkung erreicht würde. Gestützt auf die Angaben im Streitpatent würde ein Fachmann dies nicht erwarten.
In einem solchen Fall kann sich gemäß der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 2/21 ein Patentinhaber zum Nachweis der erfinderischen Tätigkeit jedoch nicht auf diese Wirkung berufen. Als Grund für diese Beschränkung wurde beispielsweise in T 314/20 (siehe Entscheidungsgründe 6.14) zutreffend angegeben, dass damit verhindert werden soll, dass Patente auf Erfindungen erteilt werden, die zum Anmeldezeitpunkt nicht vollständig gemacht worden sind. Dies trifft insbesondere auf Erfindungen zu, bei denen die Existenz eines technischen Effekts oder die Verallgemeinerung auf breitere Parameterbereiche spekulativ ist.
Selbst wenn die Kammer daher der Beschwerdegegnerin die Gelegenheit gegeben hätte, neue Vergleichstests beizubringen, könnten diese, insbesondere soweit sie die Verteilwirkung betreffen, aus den vorgenannten Gründen nicht zum Beleg der von der Patentinhaberin behaupteten technischen Wirkung im Rahmen der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit verwendet werden. Die Vorlage der Ergebnisse solcher Tests hätte somit keine relevante Auswirkung auf den Verfahrensausgang.
1.11 Die Kammer ist daher dem Antrag auf Verlegung der mündlichen Verhandlung zur Beibringung zusätzlicher Vergleichstests nicht nachgekommen.
1.12 Es gibt somit keinen nachgewiesenen Effekt, der den Unterscheidungsmerkmalen über die gesamte beanspruchte Breite zuzurechnen wäre. In einem solchen Fall kann als die objektive technische Aufgabe lediglich das Finden eines alternativen Flüssigkeitsaufnahme- und
-verteilvlieses angenommen werden (siehe auch T 1862/15, Entscheidungsgründe 7.6).
Es war unstrittig, dass die beanspruchten Unterscheidungsmerkmale einem Fachmann an sich bekannt waren. Die Beschwerdegegnerin argumentierte lediglich, dass es keine Veranlassung dazu gab, innerhalb der beanspruchten Bereiche zu arbeiten. Im Hinblick auf die allgemeine Aufgabe, ein alternatives Flüssigkeitsaufnahme- und -verteilvlies zu finden, ist eine konkrete Veranlassung jedoch gar nicht nötig (so auch in T 930/23, Entscheidungsgründe 1.4, sowie in T 1862/15, Entscheidungsgründe 7.6). Ein Merkmal, das nur eine von mehreren an sich bekannten und abhängig von den Umständen auch geeigneten Möglichkeiten darstellt, bleibt für einen Fachmann naheliegend, unabhängig davon ob andere ebenso an sich geeignete Möglichkeiten vom Anspruch mitumfasst oder von diesem ausgeschlossen sind. Auch die Kombination mehrerer an sich bekannter und auf dem jeweiligen technischen Gebiet auch üblicher Merkmale begründet keine erfinderische Tätigkeit, nur weil es noch weitere nicht beanspruchte Möglichkeiten gibt.
1.13 Die Kammer kam daher zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Der Einspruchsgrund des Artikels 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.