T 1361/23 () of 28.5.2025

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2025:T136123.20250528
Datum der Entscheidung: 28 Mai 2025
Aktenzeichen: T 1361/23
Anmeldenummer: 18213638.2
IPC-Klasse: A01N 25/28
A01N 43/80
A01N 47/12
A01N 43/653
A01P 1/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: MIKROKAPSELN ENTHALTEND OIT IN KOMBINATION MIT PROPICONAZOL UND/ODER IPBC
Name des Anmelders: LANXESS Deutschland GmbH
Name des Einsprechenden: Thor GmbH
Kammer: 3.3.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0936/96
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden (nachfolgend Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 3 669 654 zurückzuweisen.

II. Im Einspruchsverfahren wurden unter anderem folgende Dokumente eingereicht:

D2: WO 02/15693 A1

D5: DE 10 2006 061 890 A1

D6: JP H06-16506A

III. Die Einspruchsabteilung kam unter anderem zum

Schluss, dass der Gegenstand der Ansprüche des Hauptantrags auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D5 als nächstliegendem Stand der Technik beruht.

IV. Die Parteien wurden antragsgemäß zu einer mündlichen Verhandlung geladen. Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung erging eine Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK.

V. Am 28. Mai 2025 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer in Form einer Videokonferenz in Anwesenheit beider Parteien statt.

VI. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Anträge

Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents in vollem Umfang.

Die Beschwerdegegnerin beantragt die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag; einziger Antrag).

VII. Bezüglich der für die vorliegende Entscheidung relevanten Ausführungen der Parteien wird auf die nachfolgenden Entscheidungsgründe verwiesen.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag (Streitpatent in der erteilten Fassung) - Erfinderische Tätigkeit - Artikel 100(a) und 56 EPÜ

1. Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass der Gegenstand der Ansprüche des erteilten Patents gegenüber D5 als nächstliegendem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

1.1 Die vorliegende Erfindung betrifft Mikrokapseln enthaltend wenigstens zwei spezielle Biozide sowie zumindest ein Melamin-Formaldehyd-Polymer als Kapselmaterial, ein Verfahren zu ihrer Herstellung, sowie ihre Verwendung zum Schutz von technischen Materialien (Streitpatent, Absatz [0001]). Es wird im Streitpatent anerkannt, dass aus dem Stand der Technik wie z.B. D5 mittels mikroverkapselten Bioziden vor mikrobiologischem Befall geschützte technische Materialien wie Dichtungsmassen bereits bekannt waren. D5 beschreibt Dichtungsmassen, die als Biozid 2-n-Octyl-4-isothiazolin-3-on (OIT) enthalten, wobei das Biozid in Mikropartikeln aus einem Harz eingeschlossen ist. Im Hinblick auf das Leachingverhalten von OIT aus den Mikropartikeln der D5 besteht laut Streitpatent Verbesserungspotential. Entsprechend besteht die Aufgabe der vorliegenden Erfindung laut Streitpatent darin, das Leachingverhalten von OIT zu verbessern (Patent, Absätze [0002] - [0005]).

1.2 Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:

"Mikrokapseln, enthaltend

a) zumindest ein Melamin-Formaldehyd Polymer als Kapselmaterial und

b) als Biozid wenigstens

b1) OIT und

b2) Propiconazol und/oder 3-Iod-2-propinyl-butyl-carbamat (IPBC),

dadurch gekennzeichnet, dass das Gewichtsverhältnis von OIT zur Summe von Propiconazol und/oder IPBC

5 : 1 bis 1 : 5, vorzugsweise von 1 : 1 bis 1 : 5, insbesondere von 1 : 1,5 bis 1 : 3 beträgt."

2. Der nächstliegende Stand der Technik

2.1 Im Einklang mit der angefochtenen Entscheidung (Seite

7, erster Absatz) stimmen die Parteien darüber überein, dass D5 als der nächstliegende Stand der Technik angesehen werden kann. Auch die Kammer sieht keinen Grund, von dieser Sichtweise abzuweichen.

2.2 Die Patentschrift D5 betrifft mit einem bioziden Wirkstoff ausgerüstete Kleb- und Dichtungsmassen. Der biozide Wirkstoff ist dabei in einem Harz eingeschlossen (D5, Absatz [0001]). Beispiel 1 der D5 beschreibt die Herstellung von Mikrokapseln, enthaltend ein Melamin-Formaldehyd Polymer als Kapselmaterial, in denen OIT als Biozid eingeschlossen ist (D5, Absätze [0129] - [0130]). Beispiel 2 der D5 zeigt die verbesserte antimikrobielle Wirksamkeit dieses in dem Melamin-Formaldehyd Harz verkapselten OITs gegenüber nicht-verkapseltem OIT.

2.3 Somit offenbaren die Beispiele der D5 Mikrokapseln enthaltend die anspruchsgemäßen Materialien a) und b1).

2.4 Zudem können gemäß D5 in den Mikrokapseln neben OIT zusätzlich noch ein oder mehrere andere Biozide verwendet werden. Hierbei ist IPBC, das zweite im vorliegenden Anspruch 1 unter b2) genannte Biozid, in einer langen Liste möglicher Biozide aufgeführt (D5, Absatz [0101], insbesondere Zeile 1, Seite 12).

3. Die Unterscheidungsmerkmale

Es ist unbestritten, dass sich der Gegenstand des

Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag vom Beispiel 1 der D5 darin unterscheidet, dass neben dem Biozid OIT ein weiteres Biozid b2) in dem Melamin-Formaldehyd Polymer mikroverkapselt vorliegt, und dass das Gewichtsverhältnis von OIT zu diesem weiteren Biozid im Bereich von 5:1 bis 1:5 liegt.

4. Die objektive technische Aufgabe

Die Beschwerdegegnerin macht geltend, dass die technische Wirkung des Unterscheidungsmerkmals in einer verbesserten, d.h. reduzierten Freisetzung (auch als "Leaching" bezeichnet) von OIT bestehe. Diese Wirkung werde in den Beispielen des Patents nachgewiesen.

4.1 Die Beispiele des Patents

4.1.1 Absätze [0063] und [0064] des Patents beschreiben die Herstellung der Mikrokapseln der Beispiele 1 bis 7. Alle Mikrokapseln enthalten die gleichen Inhaltsstoffe, die gleiche Wirkstoffmenge (Tabelle in Absatz [0062]) und das gleiche Verhältnis von OIT zu Melamin-Formaldehyde Polymer (Absätze [0063], Zeile 6) und unterscheiden sich nur durch das Verhältnis von Propiconazol, d. h. einem der beiden in Anspruch 1 genannten Alternativen für die Komponente b2), zu OIT. Die resultierenden OIT enthaltenden Mikrokapseln werden gemäß dem in Absatz [0060] beschriebenen Leaching-Test geprüft. Die Ergebnisse des Leaching-Tests hinsichtlich der Freisetzung von OIT aus den Mikrokapseln, sind in Tabelle 1 (Absatz [0066]) aufgeführt.

4.1.2 Vergleichsbeispiel A (Absatz [0065]) betrifft Mikrokapseln, die auf die gleiche Weise wie die Mikrokapseln der Beispiele 1 bis 7 hergestellt werden, jedoch nur mit OIT als Wirkstoff. Das Ergebnis des Leaching-Tests für das Vergleichsbeispiel A ist in Tabelle 2 angegeben.

4.1.3 Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, zeigen Beispiele 1 bis 7 des Patents eine Verlangsamung der Freisetzung von OIT im Vergleich zum Vergleichsbeispiel A für Verhältnisse von Propiconazol:OIT von 5:1 bis 1:10 (Tabelle 1). Die Anwesenheit von Propiconazol verlangsamt daher die Freisetzung von OIT aus den Mikrokapseln.

4.1.4 Die Kammer merkt an, dass Beispiel 7 zwar ebenfalls diese technische Wirkung belegt, das Verhältnis von IPBC:OIT indessen bei 1:10 liegt und daher nicht anspruchsgemäß ist.

4.1.5 Beispiele 8 und 9 enthalten die zweite für Komponente b2) genannte Alternative, nämlich IBPC (anstelle des Propiconazols). In ähnlicher Weise wie die Beispiele 1 bis 7 zeigen diese Beispiele eine Verlangsamung der Freisetzung von OIT im Vergleich zum Vergleichsbeispiel A für Verhältnisse von IPBC:OIT von 3:1 und 2:1 (Absätze [0067] und [0068] und Tabelle 3).

4.1.6 Im Lichte der Beispiele 1 bis 6, 8 und 9 kann die zu lösende technische Aufgabe somit in der Bereitstellung von OIT-haltigen Mikrokapseln gesehen werden, bei denen die Freisetzung von OIT verlangsamt ist.

4.2 Die Beschwerdeführerin war mit dieser Formulierung der objektiven technischen Aufgabe nicht einverstanden. Es wurde zwar von der Beschwerdeführerin nicht bestritten, dass die Daten in den Tabellen 1 bis 3 des Streitpatents für die getesteten Mikrokapseln eine Verlangsamung der Freisetzung von OIT in Anwesenheit von Propiconazol oder IPBC zeigen.

4.2.1 Von der Beschwerdeführerin wurde jedoch auf der Grundlage eines Vergleichs von Beispiel 10 mit Beispiel 4 (Tabelle 4 des Patents) argumentiert, dass die im Patent beschriebene Methode zur Durchführung des Leaching-Tests für OIT enthaltende Mikrokapseln (Absatz [0060]) nicht geeignet sei, um das Leachingverhalten von Mikrokapseln zu testen. Daher konnten nach Auffassung der Beschwerdeführerin die in den Beispielen 1 bis 9 erzielten Ergebnisse bei der Formulierung der dem Anspruch 1 zugrunde liegenden objektiven technischen Aufgabe nicht herangezogen werden.

4.2.2 Beispiel 10 des Patents offenbart die Herstellung von OIT und Propiconazol enthaltenden Mikrokapseln mit einem Verhältnis von Propiconazol zu OIT von 2:1. Das Verhältnis von Wirkstoffgesamtmenge zu Melamin-Formaldehyd Polymer in Beispiel 10 liegt bei 1:1. Die Freisetzung von OIT aus den Mikrokapseln dieses Beispiels wurde von der Beschwerdeführerin mit derjenigen des Beispiels 4 verglichen. Die Mikrokapseln von Beispiel 4 weisen das gleiche Verhältnis von Propiconazol zu OIT auf wie diejenigen des Beispiels 10, haben aber ein höheres Verhältnis von Wirkstoffgesamtmenge zu Melamin-Formaldehyd Polymer (dem Kapselwandmaterial), nämlich 2,4:1, was einer dünneren Kapselwand entspricht. Die Ergebnisse der Tabelle 4 (Absatz [0071]) zeigen, dass die Mikrokapseln des Beispiels 10 mit einem Verhältnis von Wirkstoffgesamtmenge zu Melamin-Formaldehyd Polymer von 1:1 eine höhere Freisetzung von OIT aufweisen als diejenigen des Beispiels 4 mit einem geringeren Verhältnis von Wirkstoffgesamtmenge zu Melamin-Formaldehyd Polymer 2,4:1 und damit einer dünneren Kapselwand.

4.2.3 Die Kammer erkennt zwar im Einklang mit ihrem gemäß Artikel 15(1) VOBK erlassenen Bescheid an, dass das aus dem Vergleich der Beispiele 4 und 10 resultierende Ergebnis zumindest fragwürdig ist, da dieses Ergebnis bedeutet, dass eine dünnere Kapselwand eine größere Barriere für OIT darstellt und damit zu einer verlangsamten OIT-Freisetzung führt. Diese beiden Beispiele betreffen jedoch die Variation des Verhältnisses von Wirkstoffgesamtmenge zu Melamin-Formaldehyd-Polymer bei gleichbleibendem Verhältnis von Propiconazol zu OIT, während sich Beispiele 1 bis 6, 8 und 9 mit der Variation des Verhältnisses von Propiconazol oder IPBC zu OIT bei gleichbleibendem Verhältnis von OIT zu Polymer beschäftigen. Somit stehen die von der Beschwerdeführerin herangezogenen Beispiele 4 und 10 im Gegensatz zu den Beispielen 1 bis 6, 8 und 9 überhaupt nicht im Zusammenhang mit dem gegenüber der D5 vorliegenden Unterscheidungsmerkmal. Noch entscheidendender ist die Tatsache, dass, wie oben erläutert, die Ergebnisse des Beispiels 10 nicht der Erwartung der Fachperson entsprechen. Darüber hinaus, kann Beispiel 10 nicht die Auffassung der Beschwerdeführerin stützen, wonach bei einer dickeren Kapselwand der Effekt des zusätzlichen Propiconazole verloren geht. Daher kann der auf der Grundlage der beiden Beispiele 4 und 10 in Tabelle 4 des Patents von der Beschwerdeführerin angestellte Vergleich nicht als Beweis dafür dienen, dass der in den Beispielen 1 bis 6, 8 und 9 des Patents oben dargelegte auf das Unterscheidungsmerkmal zurückgehende Gesamttrend fehlerhaft oder als nicht glaubwürdig angesehen werden kann.

4.3 In einer weiteren Argumentationslinie wurde von der Beschwerdeführerin vorgebracht, dass der auf den Beispielen 1 bis 9 und Vergleichsbeispiel A beruhende Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik D5 nicht so angelegt sei, dass die angeblichen Vorteile auf das Unterscheidungsmerkmal gegenüber D5 zurückgeführt werden können. Konkret betrage in Beispiel 1 von D5 das Verhältnis von OIT zu Melamin-Formaldehyd Polymer 1:1, während im Vergleichsbeispiel A des Patents dieses Verhältnis 2,4:1 betrug. Die Mikrokapseln des Vergleichsbeispiels A seien daher aufgrund ihrer deutlich dünneren Kapselwand permeabler für OIT, was zu der höheren Freisetzung von OIT (Patent, Tabelle 2) führen müsse. Nach Ansicht der Beschwerdeführerin wurde daher die Offenbarung von D5 durch die Verwendung einer dünneren Kapselwand manipuliert, so dass überhaupt erst ein Problem auftrat. Weil dieses Problem gegenüber Dokument D5 nicht bestanden habe, könne gegenüber D5 die objektive technische Aufgabe nicht darin gesehen werden, die Freisetzung von OIT zu verlangsamen.

4.3.1 Dieses Argument ist nicht überzeugend. Insbesondere ist das Verhältnis von Wirkstoffgesamtmenge zu Melamin-Formaldehyd Polymer in allen Beispielen 1 bis 9 identisch zu demjenigen im Vergleichsbeispiel A, nämlich 2.4:1. Somit weisen die Beispiele 1 bis 9 und Vergleichsbeispiel A die gleiche Kapselwandstärke auf. Daher zeigt der oben diskutierte Vergleich dieser Beispiele 1 bis 6, 8 und 9 mit dem Vergleichsbeispiel A eindeutig die Wirkung der verlangsamten OIT-Freisetzung als Folge des gegenüber D5 vorliegenden Unterscheidungsmerkmales und nicht als Folge einer Änderung der Kapselwandstärke.

4.3.2 Es gibt keinen Grund, warum diese für ein OIT zu Melamin-Formaldehyd Polymerverhältnis von 2.4:1 gezeigte Wirkung nicht auch bei anderen Verhältnissen von OIT zu Melamin-Formaldehyd Polymer vorhanden sein sollte, einschließlich des in D5 vorliegenden, einer dickeren Kapselwand entsprechenden Verhältnisses von 1:1. Wie oben erläutert, zeigen Beispiele 1 bis 6, 8 und 9 des Patents eine Verlangsamung der Freisetzung von OIT im Vergleich zum Vergleichsbeispiel A. Insbesondere in Beispiel 6, das den höchsten OIT-Gehalt im Verhältnis zu IPBC (5:1) aufweist, wird die Freisetzung von OIT in Vergleich zu Vergleichsbeispiel A um mehr als das Zweifache reduziert (von 148 ppm auf 63,6 ppm). Die Fachperson würde daher erwarten, dass diese Wirkung auch bei einer dickeren Wandstärke auftreten würde, oder zumindest würde sie nicht erwarten, dass diese Wirkung ganz entfällt. Angesichts des Ausmaßes der im Patent belegten Wirkung bestehen daher keine vernünftigen Zweifel, dass die in den Beispielen 1 bis 6, 8 und 9 des Patents für eine dünne Kapselwand gezeigte Wirkung, nämlich eine Verlangsamung der Freisetzung von OIT aus den Mikrokapseln durch den Zusatz der Komponente b2) zumindest zu einem gewissen Maß auch für dickere Kapselwände und damit über die gesamte Anspruchsbreite auftreten muss.

4.4 In einem ähnlichen Zusammenhang argumentierte die Beschwerdeführerin, dass im vorliegenden Anspruch 1 das Verhältnis von Kapselmaterial zu Biozid fehlt. Folglich seien Mikrokapseln mit einer sehr dicken bzw. für OIT undurchlässigen Wand, als auch Mikrokapseln mit einer sehr dünnen, durchlässigen Wand von dem Gegenstand des Anspruchs erfasst. Wie von der Beschwerdegegnerin dargelegt, scheint dies ein Argument dafür zu sein, dass die in den Beispielen 1 bis 6, 8 und 9 des Patents gezeigte Wirkung nicht über den gesamten Umfang von Anspruch 1 glaubwürdig ist. Wie jedoch bereits oben in Punkt 4.3.2 ausgeführt, sieht die Kammer keinen Grund, weshalb eine bei einer bestimmten Kapselwandstärke auf die Anwesenheit von Propiconazol oder IPBC zurückgehende Wirkung nicht auch bei einer anderen Kapselwandstärke auftreten sollte. Diesbezüglich wurden von der Beschwerdeführerin auch keinerlei Nachweise vorgelegt.

4.5 Wie in dem Bescheid der Kammer bereits ausgeführt, wurde von der Beschwerdeführerin noch vorgebracht, dass die verlangsamte OIT-Freisetzung zu Mikrokapseln führt, die für ihren Verwendungszweck nicht geeignet sind, da der Wirkstoff nicht über einen längeren Zeitraum in den für die antimikrobielle Wirkung erforderlichen Mengen aus der Kapsel freigesetzt werden kann.

4.5.1 Dieses Argument ist ebenfalls aus den von der Beschwerdegegnerin angeführten Gründen nicht überzeugend. Wenn, wie in den Beispielen des Patents nachgewiesen, weniger OIT ausgewaschen wird, kann OIT länger wirken, da sich der Kapselinhalt über einen längeren Zeitraum verteilt. Die bloße Behauptung der Beschwerdeführerin, dass eine Mikrokapsel mit stark zurückgehaltenem Wirkstoff nach einer bestimmten Zeit keine ausreichende mikrobielle Wirksamkeit mehr hat, wird durch keinerlei Belege gestützt und ist daher nicht überzeugend.

4.5.2 Dieses Argument ist auch deswegen nicht überzeugend, weil die Absolutmenge an freigesetztem OIT nicht der aus einer einzigen Kapsel freigesetzten Menge, sondern der gesamten aus allen Mikrokapseln freigesetzten Menge an OIT entspricht. Durch Wahl einer geeigneten Gesamtmenge an Mikrokapseln sowie eines geeigneten Verhältnisses b1) zu b2) sowie des Verhältnisses Melamin-Formaldehyd Polymer zu OIT hat die Fachperson die Möglichkeit, das Leaching-verhalten zu kontrollieren und an die Bedürfnisse des jeweiligen Produkts anzupassen. Auf diese Weise kann daher eine ausreichende OIT-Gesamtmenge auch über einen längeren Zeitraum gewährleistet werden.

4.6 In einer weiteren Argumentationslinie brachte die Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf die Entscheidung T 936/96 vor, dass ausgehend von D5 als nächstliegendem Stand der Technik eine zusätzliche objektive technische Aufgabe formuliert werden könne. Ausgehend von dieser zusätzlichen Aufgabe fehle es dem beanspruchten Gegenstand an erfinderischer Tätigkeit.

4.6.1 Hierbei machte die Beschwerdeführerin ausgehend von D5 insbesondere geltend, dass eine synergistische biozide Wirkung von OIT in Kombination mit IPBC in den Mikrokapseln eine weitere technische Wirkung des beanspruchten Gegenstands darstelle. Daher lasse sich ausgehend von D5 eine weitere realistische technische Aufgabe formulieren, nämlich ausgehend von den OIT-enthaltenden Mikrokapseln der D5, wirkverbesserte Mikrokapseln bereitzustellen. Die Lösung dieser Aufgabe müsse ebenfalls erfinderisch sein. Jedoch sei die synergistische Wirkung von IPBC und OIT bereits aus D2 oder D6 bekannt. In D2 sei eine biozide Zusammensetzung mit OIT und IPBC im Verhältnis 1,5:1 beschrieben (Seite 34, Zeile 1-5). In D6 sei eine synergistische Zusammensetzung mit OIT und IPBC in einem Verhältnis von 9:1, 1:1 bzw. 1:9 offenbart (Tabellen 1, 3 und 5). Die beanspruchte Lösung sei daher naheliegend. Die im Patent nachgewiesene verlangsamte Freisetzung von OIT sei daher im Wesentlichen ein so genannter "Bonuseffekt".

4.6.2 Dieses Argument ist ebenfalls aus den von der Beschwerdegegnerin angeführten Gründen nicht überzeugend. Es gibt keine Belege dafür, dass die beanspruchten Mikrokapseln, die Mischungen aus OIT und IPBC enthalten, eine synergistische Wirkung aufweisen, wie sie für die in D2 und D6 offenbarten Mischungen, die nicht eingekapselt sind, erzielt wird.

4.6.3 Wie von der Beschwerdegegnerin aufgeführt, geht es bei der patentgemäßen Erfindung nur um die Verbesserung des Leachingverhaltens von OIT. Das Leachingverhalten der anderen Inhaltsstoffe war dabei nicht von Interesse. Die jeweilige Kombination der Wirkstoffe liegt erfindungsgemäß in der Kapsel in dem anspruchsgemäßen Verhältnis vor. Ob neben OIT auch IPBC bzw. Propiconazol überhaupt die Mikrokapsel verlässt und wenn, in welchem Verhältnis, wurde von der Beschwerdeführerin nicht belegt. Da es aber keinen Beweis dafür gibt, dass die weitere von der Beschwerdeführerin formulierte objektive technische Aufgabe durch den beanspruchten Gegenstand gelöst wurde, muss mindestens aus diesem Grund das Argument des "Bonuseffekts" scheitern.

4.6.4 Unabhängig davon, liegt auch keine "Einbahnstraßen-Situation" vor, und wurde eine solche von der Beschwerdeführerin auch nicht behauptet, auf deren Grundlage eine erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf einen Bonuseffekt verneint werden könnte.

4.7 Mit Schreiben vom 2. Mai 2024 stellte die Beschwerdeführerin schließlich in Frage, ob die in den oben erörterten Beispielen des Patents enthaltenen Ergebnisse auf das oben genannte Unterscheidungsmerkmal gegenüber D5 zurückgeführt werden können. Insbesondere hänge die Freisetzung von Wirkstoffen bei gleicher Wirkstoffbeladung von der Größe der jeweiligen Mikrokapseln ab. So lasse sich bei kleinen Kapseln im Vergleich zu größeren Kapseln bei identischem Wirkstoff-zu-Polymerverhältnis eine erhöhte Wirkstofffreisetzung beobachten. Da in den Beispielen jegliche Information zur Mikrokapselgröße fehle und damit die Kapselgrößen in den Beispielen 1 bis 9 nicht notwendigerweise identisch zu derjenigen des Vergleichsbeispiels A seien, stellten die Beispiele des Patents keinen ausreichenden Beweis für die geltend gemachte Wirkung dar.

4.7.1 Die Kammer stellt fest, dass es sich bei dem Argument der Beschwerdeführerin um eine unsubstantiierte Behauptung handelt, die durch keinerlei Beweise gestützt wird. Insbesondere gibt es keine Belege dafür, dass die Mikrokapselgrößen in den Beispielen des Patents von derjenigen im Vergleichsbeispiel A verschieden sind oder sich in einem Maße unterscheiden, das die festgestellte technische Wirkung allein auf die Größe der Kapselwand statt des gegenüber D5 vorliegenden Unterscheidungsmerkmals zurückgeführt werden könnte.

4.8 Die Argumente der Beschwerdeführerin sind daher nicht überzeugend, und die objektive technische Aufgabe liegt nach wie vor in der Bereitstellung von OIT-haltigen Mikrokapseln, bei denen die Freisetzung von OIT verlangsamt ist.

5. Naheliegen der beanspruchten Lösung

5.1 Die Beschwerdeführerin brachte keine Argumente vor, wonach die Lösung dieser Aufgabe für den Fachmann naheliegend gewesen wäre. Die Kammer sieht auch keinen Grund, den Schlussfolgerungen der Einspruchsabteilung in dieser Hinsicht nicht zuzustimmen. Insbesondere legt weder D5 selbst, noch der weitere zitierte Stand der Technik nahe, dass durch die Verwendung neben OIT von einem weiteren Biozid b2) gemäß Anspruch 1 eine verlangsamte OIT-Freisetzung erhalten werden kann. Der Gegenstand von Anspruch 1 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.

5.2 Alle weiteren unabhängigen Ansprüche 11 bis 15 umfassen in ihrem Schutzbereich die Mikrokapseln nach dem unabhängigen Anspruch 1. Der Gegenstand der Ansprüche 11 bis 15 beruht daher zumindest aus denselben wie oben in Bezug auf Anspruch 1 dargelegten Gründen auf einer erfinderischen Tätigkeit. Das gleiche gilt für die von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2 bis 9.

6. Der Hauptantrag ist daher gewährbar.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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