European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2024:T055323.20240719 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 19 Juli 2024 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0553/23 | ||||||||
Anmeldenummer: | 19164008.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | G06Q 10/08 G06Q 50/28 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN ZUM ÖFFNEN EINER TÜR EINES LIEFERWAGENS | ||||||||
Name des Anmelders: | Deutsche Post AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | - | ||||||||
Kammer: | 3.5.01 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit Ausreichende Offenbarung - Hauptantrag (nein) Ausreichende Offenbarung - Hilfsanträge 1 bis 3 (ja) Erfinderische Tätigkeit - nächstliegender Stand der Technik Zurückverweisung an die erste Instanz Zurückverweisung - (ja) |
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Orientierungssatz: |
In einem Anspruch wird allgemein versucht, eine Vorrichtung unter Idealbedingungen zu definieren. Kann sich der Fachmann unter Berücksichtigung der Offenbarung und des allgemeinen Fachwissens erschließen, was funktioniert und was nicht, ist eine beanspruchte Erfindung hinreichend offenbart, auch wenn eine breite Auslegung einen Gegenstand einschließen könnte, der nicht funktioniert. Im vorliegenden Fall ist der Fachmann in der Lage, Situationen direkt zu erkennen und auszuschließen, die offenkundig die angestrebte Wirkung nicht erzielen (etwa aufgrund einer verdeckten Sicht) und darauf durch eine angepasste Positionsbestimmungsvorrichtung zu reagieren. Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass der Fachmann im Rahmen seines allgemeinen Fachwissens das funktionale Merkmal einer optischen Positionsbestimmungsvorrichtung den Größenverhältnissen der zu transportierenden Objekte anpassen würde (vgl. Entscheidungsgründe 3.6 und 3.7). Zur Bewertung der erfinderischen Tätigkeit sollte als nächstliegender Stand der Technik in der Regel ein Dokument des Stands der Technik herangezogen werden, das einen Gegenstand offenbart, der zum gleichen Zweck oder mit demselben Ziel entwickelt wurde. Dabei sollte der Formulierung der ursprünglichen Aufgabe und der beabsichtigten Verwendung sowie der zu erzielenden Wirkungen generell mehr Gewicht beigemessen werden als einer Höchstzahl identischer technischer Merkmale (vgl. Entscheidungsgründe 4.2 bis 4.5). |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung auf Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 19164008.5 mangels Ausführbarkeit gemäß Artikel 83 EPÜ und mangels erfinderischer Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ. Gegen den Hilfsantrag 2 wurde ein Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ vorgebracht.
II. Die Beschwerdeführerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf der Grundlage des der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegenden Patentbegehrens gemäß Hauptantrag oder gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 3. Weiter hilfsweise beantragt sie eine mündliche Verhandlung und noch weiter hilfsweise die Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung wegen wesentlicher Mängel in der Entscheidung.
III. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag lautet:
"1. Computerunterstütztes Verfahren zum Lokalisieren wenigstens eines in einem Laderaum (3) eines Lieferwagens (1) transportierten Objektes (8), wobei der Laderaum (3) eine Mehrzahl Türen (7) zum Entnehmen des wenigstens einen Objektes (8) aus dem Laderaum (3) und eine an der Decke des Laderaums (3) vorgesehene Positionierbestimmungseinrichtung (9) aufweist, und der Lieferwagen (1) eine Steuerung (10) aufweist, mit den Schritten:
Erfassen eines Ablageortes des Objektes (8) in dem Laderaum (3) beim Beladen des Laderaumes (3) mittels einer mit der Steuerung (10) in Kommunikationsverbindung stehenden und eine Kamera und/oder einen Laserscanner umfassende Positionierbestimmungseinrichtung (9),
während einer Fahrt des Lieferwagens (1) Nachhalten einer in der Datenbank der Steuerung (10) hinterlegten aktuellen Position des Objektes (8) auf Basis einer von einem Algorithmus zur Bildverarbeitung aus den von der Positionierbestimmungseinrichtung (9) erhaltenen Informationen ermittelten aktuellen Position des Objektes (8) mittels der Steuerung (10), und
zum Entnehmen des wenigstens einen Objektes (8) aus dem Laderaum (3), Bestimmen der Tür (7) aus der Mehrzahl Türen (7) mit dem geringsten Abstand zu der in der Datenbank hinterlegten aktuellen Position mittels der Steuerung (10),
Anzeigen der bestimmten Tür (7) mittels einer mit der Steuerung (10) in Kommunikationsverbindung stehenden Anzeigeneinrichtung (11),
Öffnen der bestimmten Tür (7) mittels der Steuerung (10) und
Anzeigen der in der Datenbank hinterlegten aktuellen Position des wenigstens einen Objektes (8) in dem Laderaum (3) mittels der Anzeigeneinrichtung (11)."
Der unabhängige Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 3 fügt unter anderem eine "Mehrzahl auf einer Ladefläche (4) des Laderaums (3) nebeneinander angeordneter Objekte (8)" hinzu.
Alle Anträge umfassen einen jeweils korrespondierenden unabhängigen Systemanspruch 3, welcher auf einen Lieferwagen gerichtet ist.
IV. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin werden im Folgenden jeweils im Zusammenhang mit den Entscheidungsgründen der Kammer wiedergegeben.
Entscheidungsgründe
1. Die Erfindung betrifft die Lokalisierung von Objekten in einem Laderaum eines Transportfahrzeugs, wobei der Laderaum über eine Mehrzahl von Türen zugänglich ist. Mittels einer optischen Positionserkennung wird die beim Beladen ermittelte Position eines Objekts nachverfolgt, so dass Positionsänderungen (z.B. auf Grund von Verrutschen) bekannt sind und beim Ausliefern angezeigt wird, über welche Tür am effektivsten auf das Objekt zugegriffen werden kann.
Die Anmeldung wurde im Wesentlichen zurückgewiesen, weil keiner der Anträge die Erfordernisse der Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ) und der erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) ausgehend von D1 (US 2016/0238374 A1) erfülle.
Hauptantrag
2. Artikel 83 EPÜ - Ausführbarkeit
Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung nach Artikel 83 EPÜ nicht erfüllt, wenn eine im Anspruch ausgedrückte Wirkung nicht reproduziert werden kann (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 10. Auflage, 2022, II.C.6.1; so unter anderem in T 1473/13 und T 1845/14).
2.1 Die Prüfungsabteilung hat die Ausführbarkeit der beanspruchten Lehre auf Grund der Problematik eines verdeckten Sichtfelds für die optische Positionsbestimmung zurecht in Frage gestellt. Denn um ein stetes Nachverfolgen der Position eines Objekts im Laderaum zu gewährleisten, muss dieses jederzeit optisch erkennbar sein. Dies trifft vor allem dann nicht zu, wenn bei einer mehrlagigen Beladung mit Objekten außer denjenigen in der obersten Schicht weitere Objekte nicht mehr sicher optisch "getracked" werden können.
2.2 Darüber hinaus hat die Prüfungsabteilung diesen Einwand auch für den Fall erhoben, dass Objekte nur nebeneinander angeordnet sind, also nur eine Lage bilden, weil große Objekte auch in diesem Fall die Sicht der optischen Positionsbestimmung auf kleine Objekte verdecken könnten. In beiden Fällen, die vom Wortlaut des Anspruchs 1 umfasst sind, wäre ein Nachverfolgen der Position eines Objekts im Laderaum und damit der Zweck der beanspruchten Lehre nicht sicher erreichbar.
2.3 In ihrer Beschwerdebegründung argumentiert die Beschwerdeführerin, dass Anspruch 1 auch den speziellen Fall umfasse, dass genau ein Objekt transportiert wird. Dabei könne die Problematik eines verdeckten Sichtfelds für die optische Positionsbestimmung gar nicht auftreten und damit sei die Lehre auf jeden Fall ausführbar.
Die Kammer stimmt dem zwar zu, jedoch muss die beanspruchte Lehre in ihrer ganzen Breite ausführbar sein, also auch für den eigentlichen Anwendungsfall der Erfindung, bei dem eine Mehrzahl von Objekten nebeneinander und in mehreren Lagen transportiert werden.
2.4 Was den Fall einer mehrlagigen Anordnung von Objekten betrifft, stimmt die Kammer der angefochtenen Entscheidung zu, dass nicht alle Objekte sicher optisch lokalisiert werden können. Dies gilt unabhängig von der räumlichen Anordnung einer Kamera oder eines Laserscanners im Laderaum. Damit wird der angestrebte Zweck mit den beanspruchten Mitteln nicht sicher erreicht. Daran können auch Versuche des Fachmanns nichts ändern.
2.5 Die Beschwerdeführerin argumentiert, dass die Problematik der verdeckten Sicht eine übliche Messunsicherheit darstelle (vgl. z.B. Seite 7, letzter Absatz der Beschwerdebegründung). Die Kammer ist davon nicht überzeugt, da im Fall eines verdeckten Sichtfeldes gar nicht gemessen werden kann. Eine Messunsicherheit bzw. ein Messfehler bedeutet einen falschen Wert zu ermitteln. Im Falle eines verdeckten Sichtfeldes kann jedoch gar keine Messung durchgeführt werden. Dies ist aus Sicht der Kammer keine Messunsicherheit.
2.6 In der vorliegenden Anmeldung wird kein konkreter Bildverarbeitungsalgorithmus offenbart. Damit können Überlegungen, was zu Problemen für den Bildverarbeitungsalgorithmus führt und was nicht (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 10 oben), zur Lösung der oben diskutierten Problematik nicht beitragen. Hieran kann auch eine Zeugeneinvernahme des Erfinders nichts ändern, da diese die Offenbarung nicht ersetzen kann.
2.7 Ein einmaliges Ermitteln der Position eines Objekts beim Beladen und die Verwendung dieses Wertes zur Bestimmung, welche Tür des Laderaums zu öffnen ist (vgl. Seite 8 unten der Beschwerdebegründung), fällt nicht unter den Anspruchswortlaut, weil der Schritt des Nachhaltens der Position fehlt. Anders sieht dies aus für den Fall, dass ein verdecktes Objekt wieder ins Sichtfeld rutscht, weil dann der Schritt des Nachhaltens der Position erfolgt.
2.8 Es ist nicht nachvollziehbar, wie die optische Positionsbestimmungsvorrichtung zu einer Bestimmung des Gewichts eines Objektes herangezogen werden könnte (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 6, Absatz 2).
2.9 Aus den genannten Gründen ist die Kammer der Auffassung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 für den umfassten mehrlagigen Fall mit übereinandergestapelten Objekten nicht das Erfordernis der Ausführbarkeit gemäß Artikel 83 EPÜ erfüllt.
Hilfsanträge
3. Artikel 83 EPÜ - Ausführbarkeit
Anspruch 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 3 fügt eine "Mehrzahl auf einer Ladefläche (4) des Laderaums (3) nebeneinander angeordneter Objekte (8)" hinzu.
3.1 Der Fall nur eines transportierten Objekts ist damit nicht mehr umfasst, ebenso wie der im Hinblick auf die Ausführbarkeit problematische mehrlagige Fall mit übereinandergestapelten Objekten.
3.2 Unter Annahme der Einschränkung, dass die Objekte nur in einer Lage nebeneinander im Laderaum angeordnet sind, hängt die Frage, ob das Sichtfeld der Kamera auf ein kleines Objekt durch ein anderes vergleichsweise größeres Objekt verdeckt ist, von der räumlichen Anordnung der Kamera ab. In Anspruch 1 ist spezifiziert, dass die Positionsbestimmungsvorrichtung an der Decke des Laderaums angebracht ist. Vor diesem Hintergrund kann keine eindeutige Aussage getroffen werden, ob ein großes Objekt das Sichtfeld auf ein kleines Objekt verdeckt. Eine solche Möglichkeit besteht immerhin, da Anspruch 1 keine Angaben zur Größe der Objekte macht. Damit schließt Anspruch 1 in seiner gesamten Breite zumindest Konstellationen ein, in denen es zu einem solchen verdeckten Sichtfeld kommen kann.
3.3 Abgesehen davon, dass eine Kamera an der Decke des Laderaums angeordnet ist, fehlen in Anspruch 1 nähere Informationen zur räumlichen Anordnung der Kamera oder des Laserscanners, die eine Ausführbarkeit der Erfindung für alle möglichen unterschiedliche Größen von Objekten gewährleistet. Andererseits sind zumindest Anordnungen (z.B. eines Laserscanners mit Spiegeln oder mehrere über die Decke verteilte Kameras) vorstellbar, in denen alle Objekte unabhängig von ihrer Größe erkennbar sind. Es kann also (anders als beim mehrlagigen Fall mit übereinandergestapelten Objekten) nicht pauschal angenommen werden, dass die beanspruchte Lehre nicht ausführbar sei. Jedoch muss der Fachmann zumindest Versuche bezüglich der räumlichen Anordnung einer Kamera oder eines Laserscanners durchführen, wozu ihm die Anmeldungsunterlagen abgesehen von dem Ausführungsbeispiel nach Figur 1, wonach eine Kamera an der Decke des Laderaums zentral angeordnet ist, keine Hilfestellung bieten. In Anspruch 1 nach Hilfsantrag 1 kann der Fachmann somit auf Konstellationen treffen, in denen er Versuche bezüglich der räumlichen Anordnung der Kamera oder des Laserscanners vornehmen muss, um eine Ausführbarkeit für alle möglichen Größen von Objekten zu gewährleisten (siehe hierzu auch Seite 9, Absatz 2 der Beschwerdebegründung).
3.4 Dies führt zu der Frage, ob der Fachmann mit zumutbarem Aufwand dazu in der Lage wäre, allein anhand der Information, dass die Positionsbestimmungsvorrichtung an der Decke des Laderaums angebracht ist, die Wirkung der Erfindung sicher zu reproduzieren.
3.5 Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist nicht erforderlich, dass eine Reproduktion in jeder denkbaren theoretischen Konstellation gelingt.
Ein Anspruch auf einem Gebiet der Mechanik, der - oft mit funktionellen oder anderen generischen Begriffen - (hier: Positionsbestimmungsvorrichtung) versucht, das Wesen einer konkreten Maschine oder mechanischen Konstruktion (oder deren Betrieb) zu erfassen, ist naturgemäß schematisch und lässt einen gewissen Auslegungsspielraum zu. Bei einer geschickten Auslegung könnte möglicherweise innerhalb dieses Spielraums ein Gegenstand gefunden werden, der die Aufgabe nicht löst oder die gewünschte Wirkung nicht erzielt (hier die theoretische Möglichkeit einer verdeckten Sicht bei ungünstigen Größenverhältnissen der Objekte). Dies ist normalerweise keine Frage der unzureichenden Offenbarung, sondern der Anspruchsauslegung. Ob Ansprüche, Beschreibung und Abbildungen dem Fachmann ausreichende Informationen für die Ausführung der Erfindung an die Hand geben, ist eine rein technische Frage, die unabhängig von Erwägungen ist, die bei vernünftiger Betrachtung in den Bereich der Anspruchsformulierung fallen. Kann sich der Fachmann unter Berücksichtigung der gesamten Offenbarung und möglicherweise des allgemeinen Fachwissens erschließen, was funktioniert und was nicht, ist eine beanspruchte Erfindung hinreichend offenbart, auch wenn eine breite Auslegung einen Gegenstand einschließt, der nicht funktioniert (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 10. Auflage, 2022, II.C.5.4; T 2773/18).
So verhält es sich hier. In einer Vielzahl von Fällen werden sich die Objekte nicht verdecken und eine Positionsbestimmung, wie in den Figuren 1 und 2 der Anmeldung gezeigt, wird gelingen. Damit kann die Wirkung der Ermittlung der effektivsten Tür zum Erreichen eines Objektes und damit die im Anspruch ausgedrückte Wirkung reproduziert werden.
3.6 In einem Anspruch wird allgemein versucht, eine Vorrichtung unter Idealbedingungen zu definieren, also den Bedingungen einer theoretisch optimalen oder normalen Funktionsweise. Der Fachmann, an den sich der Anspruch richtet, begreift jedoch, dass die in der Praxis vorliegenden Bedingungen nicht den im Anspruch definierten Idealbedingungen entsprechen. So erkennt der Fachmann beim Lesen des Anspruchs die praktische Funktionsweise der Positionsbestimmung im Sinne des Tracking der Objekte, welches niemals eine Zuverlässigkeits- oder Erfolgsquote von 100 % wird haben können (vgl. dazu auch T 383/14).
3.7 Im vorliegenden Fall ist der Fachmann in der Lage, Ausführungsformen bzw. Situationen direkt zu erkennen und auszuschließen, die offenkundig die angestrebte Wirkung nicht erzielen (etwa aufgrund einer verdeckten Sicht) und darauf durch eine angepasste Positionsbestimmungsvorrichtung zu reagieren. Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass der Fachmann im Rahmen seines allgemeinen Fachwissens das funktionale Merkmal einer optischen Positionsbestimmungsvorrichtung den Größenverhältnissen der zu transportierenden Objekte anpassen würde, etwa durch eine geeignete räumliche Anordnung an der Decke des Laderaums oder durch eine mehrteilige Ausgestaltung, welche eine ausreichende Sicht gewährleistet, so dass die damit verbundene Funktion auch erreicht wird. Die Kammer kann dabei keine technischen Hürden erkennen, die außerhalb des allgemeinen Fachwissens liegen.
3.8 Aus diesen Gründen sieht die Kammer den Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 der Hilfsanträge 1 bis 3 als ausführbar im Sinne der Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ an. Das gleiche gilt für den jeweils nebengeordneten auf einen korrespondierenden Lieferwagen gerichteten unabhängigen Anspruch.
4. Artikel 56 EPÜ - Erfinderische Tätigkeit
4.1 Es ist Ziel der Erfindung, bei einem Lieferfahrzeug beim Zugriff auf ein Objekt im Laderaum aus einer Mehrzahl von Türen diejenige auszuwählen, die den direktesten Zugang zu diesem Objekt ermöglicht (vgl. [0004] bis [0006] der A1-Schrift). Das bedeutet aber auch, dass diese Problematik und die beanspruchte Lehre ohne eine Mehrzahl von Türen überhaupt nicht zum Tragen kommen.
4.2 Zur Bewertung der erfinderischen Tätigkeit ist als nächstliegender Stand der Technik in der Regel ein Dokument des Stands der Technik heranzuziehen, das einen Gegenstand offenbart, der zum gleichen Zweck oder mit demselben Ziel entwickelt wurde wie die beanspruchte Erfindung und die wichtigsten technischen Merkmale mit ihr gemein hat, der also die wenigsten strukturellen Änderungen erfordert (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 10. Auflage, 2022, I.D.3.2.). Ein weiteres Kriterium bei der Wahl des erfolgversprechendsten Ausgangspunkts ist die Ähnlichkeit der technischen Aufgabe (siehe I.D.3.3.).
Als nächstliegender Stand der Technik soll derjenige als "Sprungbrett" gewählt werden, den der Fachmann realistischerweise im Hinblick auf die gegebenen "Umstände" der beanspruchten Erfindung genommen hätte. Aus den gegebenen "Umständen" sollte Aspekten wie der Bezeichnung des Gegenstands der Erfindung, der Formulierung der ursprünglichen Aufgabe und der beabsichtigten Verwendung sowie der zu erzielenden Wirkungen generell mehr Gewicht beigemessen werden als einer Höchstzahl identischer technischer Merkmale (vgl. dazu T 870/96, T 66/97, T 314/15).
4.3 Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin vor diesem Hintergrund zu, dass die Druckschrift D1 nicht als nächstliegender Stand der Technik zur Prüfung auf erfinderische Tätigkeit geeignet ist.
Die Prüfungsabteilung argumentiert in der angefochtenen Entscheidung, dass D1 in [0035] eine Mehrzahl von Türen offenbare ("Such a container has at least one opening through which it may be loaded"). Jedoch wird an keiner Stelle in D1 ein konkretes Beispiel offenbart, in dem mehrere Türen verwendet werden oder eine Entscheidung zu treffen ist, welche von mehreren Türen verwendet werden soll. Die Figuren 3A-3E in D1 zeigen jeweils nur eine Tür.
4.4 Die Beschwerdeführerin argumentiert (vgl. Punkt III. auf Seite 10 ff. der Beschwerdebegründung), dass die D1 einen Laderaum eines Containers offenbare, der gemäß Absatz [0035] der D1 auch als Laderaum eines Lieferwagens ausgestaltet sein könne. Allerdings offenbare die D1 nicht unmittelbar und eindeutig, dass dieser Laderaum eine Mehrzahl von Türen aufweist, sondern nur, dass der Laderaum mindestens eine Türe aufweist. In keinem der Ausführungsbeispiele der D1 weise der als Container ausgeführte Laderaum mehr als eine Türe auf. Das Merkmal, dass der Laderaum eine Mehrzahl von Türen aufweist, sei in der D1 auch nicht implizit offenbart, da sich durch die Beschreibung der D1, dass der Laderaum mehr als eine Türe aufweisen kann, bei Nacharbeitung der Lehre der D1 nicht zwangsläufig ergäbe, dass der Laderaum eine Mehrzahl von Türen aufweist. Genauso sei es möglich, dass der Laderaum der D1 nur eine Türe aufweist, so dass das Merkmal des Anspruchs, dass der Laderaum eine Mehrzahl an Türen aufweist auch nicht implizit in der D1 offenbart sein könne.
4.5 Die Kammer stimmt dieser Interpretation der D1 zu. Damit stellt sich in D1 die erfindungsgemäße Aufgabe des Öffnens der nächstgelegenen Tür nicht und D1 ist als nächstliegender Stand der Technik zur Prüfung auf erfinderische Tätigkeit ungeeignet. Darüber hinaus betrifft D1 auch nicht die Positionsbestimmung von Objekten im Laderaum, sondern die Ermittlung der Kapazität eines Laderaums. Dies stellt einen weiteren bedeutenden Unterschied zur Ermittlung des Ablageorts von einzelnen Objekten dar.
4.6 Demgegenüber betrifft die Druckschrift D3 (EP 3 171 307 A1) einen Lieferwagen mit einer Lokalisierungseinrichtung, wobei beim Beladen der Ablageort erfasst wird und beim Ausliefern angezeigt wird (siehe z.B. D3, [0026]). Dies kommt der erfindungsgemäßen Aufgabenstellung wesentlich näher und ist daher vor dem Hintergrund der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ein realistisches "Sprungbrett" für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit.
5. Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ gegen den Hilfsantrag 2
Die Prüfungsabteilung hat unter Punkt 2.4.2 der Entscheidung das Merkmal "mittels chaotischer Lagerhaltung" in Anspruch 1 als unzulässige Änderung bemängelt. Dabei wird auf den Anspruchssatz vom 3. November 2020 Bezug genommen. Die Kammer stellt fest, dass es sich dabei nicht um den geltenden Hilfsantrag 2 handelt, der der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegt. Der geltende Anspruch 1 dieses Antrags weist das bemängelte Merkmal gar nicht auf. Damit fehlt dem Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ die Grundlage.
6. Beantragte Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung
Im Hinblick auf das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen, ist das Beschwerdevorbringen der Beteiligten auf die Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel zu richten, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen (Artikel 12(2) VOBK). Hierzu stellt die Kammer fest, dass eine beschwerdefähige Entscheidung über die erfinderische Tätigkeit ausgehend von D3 nicht vorliegt.
6.1 Nach Artikel 111(1) EPÜ kann die Kammer jede in die Zuständigkeit der Prüfungsabteilung fallende Befugnis ausüben oder die Sache zur weiteren Entscheidung an diese zurückverweisen. Artikel 11 VOBK sieht die Zurückverweisung einer Angelegentheit an die Vorinstanz vor, wenn besondere Gründe dafür sprechen. Im vorliegenden Fall stellt D3 einen besseren Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dar als die in der angefochtenen Entscheidung herangezogene D1. Da die erfinderische Tätigkeit gegenüber D3 nicht beurteilt wurde, liegen besondere Gründe vor, die eine Zurückverweisung zur weiteren Prüfung rechtfertigen (vgl. z.B. T 2496/17, Entscheidungsgründe 6.3 und 6.4).
6.2 Dabei wird die Prüfungsabteilung zu berücksichtigen haben, dass das von ihr in Punkt 2.7 der angefochtenen Entscheidung als unzulässige Änderung kritisierte Merkmal "mittels chaotischer Lagerhaltung" in der geltenden beanspruchten Fassung von Hilfsantrag 2 nicht enthalten ist.
7. Mängel in der angefochtenen Entscheidung
Die Beschwerdeführerin macht wesentliche Mängel der angefochtenen Entscheidung geltend, jedoch ohne diese im einzelnen zu benennen.
Die Kammer kommt zu dem Schluss, dass der beanspruchte Gegenstand der Hilfsanträge für den Fachmann ausführbar offenbart ist und dass die Analyse der Unterscheidungsmerkmale der D1 in der Entscheidungsbegründung nicht zutreffend ist.
Eine fehlerhafte Auslegung einer Druckschrift wie hier der D1 oder eine fehlerhafte Einschätzung zur Ausführbarkeit der Erfindung stellen jedoch keine wesentlichen Verfahrensfehler dar, welche die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigen.
8. Die Entscheidung über die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung kann ohne mündliche Verhandlung getroffen werden. Die Beschwerdeführerin hat zwar einen Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt, dies jedoch ausdrücklich nur für den Fall, dass keinem der vorrangigen Anträge - also weder dem Hauptantrag noch einem der Hilfsanträge - stattgegeben werden kann.
Mit ihrer Entscheidung, dass das Patent auf der Grundlage des Hauptantrags nicht aufrechterhalten werden kann, weil dieser den Erfordernissen des Artikel 83 EPÜ nicht entspricht, und dass die Angelegenheit - im Übrigen, das heißt zur weiteren Prüfung der Hilfsanträge - an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen ist, hat die Kammer der Beschwerde zwar nicht endgültig stattgegeben. In der Sache folgt sie den von der Beschwerdeführerin gegen die angefochtene Entscheidung vorgebrachten Gründen jedoch in vollem Umfang. Die Zurückverweisung erfolgt lediglich zur Prüfung solcher Einwände, die nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung sind und die aus den oben dargelegten Gründen auch in diesem Beschwerdeverfahren nicht geprüft werden können. Unter diesen Voraussetzungen ist die Beschwerdeführerin durch die Zurückverweisungsentscheidung nicht beschwert. Folglich besteht keine Notwendigkeit, dem Hilfsantrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung stattzugeben (vgl. dazu: Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 10. Auflage, 2022, III.C.4.5; und insbesondere die Entscheidungen T 42/90, T 1434/06 und T 1711/13).
Die angefochtene Entscheidung ist angesichts der obigen Ausführungen aufzuheben. Die Kammer hält es, wie dargelegt, im vorliegenden Fall für geboten, ihr Ermessen nach Artikel 111(1) EPÜ dahingehend auszuüben, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückzuverweisen und damit einem entsprechenden Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung zu folgen. Da der Beschwerdeführerin kein Rechtsnachteil aus der Entscheidung der Kammer erwächst, ist die Abhaltung der hilfsweise beantragten mündlichen Verhandlung zur Wahrung des rechtlichen Gehörs nicht erforderlich.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.