T 0483/23 () of 19.3.2025

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2025:T048323.20250319
Datum der Entscheidung: 19 März 2025
Aktenzeichen: T 0483/23
Anmeldenummer: 18703242.0
IPC-Klasse: G02C 13/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: COMPUTERIMPLEMENTIERTES VERFAHREN ZUR BESTIMMUNG EINER REPRÄSENTATION EINES BRILLENFASSUNGSRANDS ODER EINER REPRÄSENTATION DER RÄNDER DER GLÄSER EINER BRILLE
Name des Anmelders: Carl Zeiss Vision International GmbH
Carl Zeiss AG
Name des Einsprechenden: Rodenstock GmbH
Mathys & Squire Europe Patentanwälte
Partnerschaft mbB
Kammer: 3.4.02
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention R 99(1)(a)
European Patent Convention R 99(1)(c)
European Patent Convention R 101(2)
European Patent Convention R 106
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Öffentlichkeitsgrundsatz der mündlichen Verhandlung - gewahrt (ja)
Zulässigkeit der Beschwerde (ja)
Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerdeschrift
Zulässigkeit der Beschwerde - Antrag in dem Beschwerdegegenstand festgelegt wird
Zulässigkeit der Beschwerde - Name und Anschrift des Beschwerdeführers
Zulässigkeit der Beschwerde - nach Beseitigung von Mängeln
Rügepflicht - Einwand zurückgewiesen
Änderungen - zulässig (nein)
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein)
Orientierungssatz:

Die Aufnahme eines Hinweises in dem Online-Kalender der mündlichen Verhandlungen der Beschwerdekammern ist keine Voraussetzung für die Wahrung des Grundsatzes d er Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlungen (siehe Entscheidungsgründe, Punkt 1.2).

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/12
T 0298/97
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1713/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die Einsprechenden (O1: Rodenstock GmbH; O2: Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB; Beschwerdeführerinnen) haben gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent Nr. 3574370 in geändertem Umfang aufrechtzuerhalten, Beschwerde eingelegt.

Mit den Einsprüchen war das Patent in gesamtem Umfang im Hinblick auf Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 (1) und 56 EPÜ sowie auf Artikel 100 b) EPÜ angegriffen worden.

Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der von den Patentinhaberinnen (im Folgenden Patentinhaberin) im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß dem am 11. August 2022 eingereichten dritten Hilfsantrag das europäische Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des EPÜ genügten.

II. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK, die als Anlage einer Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige und unverbindliche Meinung zu bestimmten, wesentlichen Aspekten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens mit.

III. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 19. März 2025 statt. Nach Ansicht der Patentinhaberin entspreche die Durchführung der mündlichen Verhandlung nicht dem Grundsatz der Öffentlichkeit.

IV. Die Einsprechenden beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Streitpatents.

V. Die abschließenden Anträge der Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) waren, die Beschwerden der Einsprechenden O1 und O2 als unzulässig zu verwerfen, den Einspruch der Einsprechenden O2 als unzulässig zu verwerfen, die Beschwerden zurückzuweisen (d.h. Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des am 11. August 2022 eingereichten dritten Hilfsantrags) oder hilfsweise das Patent auf der Grundlage eines der in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereichten Hilfsanträge 3.0, 3.1 und 3.2 aufrechtzuerhalten.

Weiter beantragte die Patentinhaberin, das vorliegende Verfahren bis zum Vorliegen der Entscheidungsgründe im anhängigen Verfahren G1/24 auszusetzen.

VI. Die vorliegende Entscheidung nimmt Bezug auf die folgenden Dokumente:

D33: Notarielle Urkunde V02257/2020, "Ersteintragung Partnergesellschaft mit beschränkter Berufshaftung", 25. November 2020,

D34: Notarielle Urkunde V00559/2021, "Ergänzung zur Anmeldung der Mathys & Squire Patentanwälte Partnerschaft mbB, München", 18. März 2021,

D35: Registerauszug aus dem Partnerschaftsregister des Amtsgerichts München, Nummer der Partnerschaft: PR 2210.

VII. Die Schriftsätze der Einsprechenden O1 werden wie folgt bezeichnet:

O1-1: Beschwerdebegründung vom 3. Mai 2023,

O1-2: Schreiben vom 5. Dezember 2023,

Die Schriftsätze der Einsprechenden O2 werden wie folgt bezeichnet:

O2-1: Beschwerdebegründung vom 12. Mai 2023,

O2-2: Schreiben vom 18. Dezember 2024,

O2-3: Schreiben vom 17. Februar 2025.

Die Schriftsätze der Patentinhaberin werden wie folgt bezeichnet:

P1: Beschwerdeerwiderung vom 27. September 2023,

P2: Schreiben vom 18. Februar 2025.

VIII. Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag (d.h. gemäß dem am 11. August 2022 eingereichten dritten Hilfsantrags) lautet (Nummerierung 1.1 bis 1.7 der Merkmale des Anspruchs 1 von der Kammer hinzugefügt):

1.1 "Computerimplementiertes Verfahren zur Bestimmung einer Repräsentation eines Brillenfassungsrands oder einer Repräsentation der Ränder der Gläser einer Brille,

1.2 wobei mindestens zwei aus unterschiedlichen Blickrichtungen aufgenommene Bilder eines die Brillenfassung bzw. die Brille tragenden Kopfes bereitgestellt werden,

1.3 wobei die mindestens zwei Bilder zueinander kalibriert sind, wobei die Kalibrierung die extrinsischen und intrinsischen Eigenschaften der die Bilder aufnehmenden Kamera oder Kameras umfasst,

1.4 und wobei in jedem Bild Daten für zumindest Teile der Ränder der Brillenfassung bzw. der Ränder der Gläser bestimmt werden,

dadurch gekennzeichnet, dass

1.5 ein dreidimensionales, auf geometrischen Parametern beruhendes Modell der Brillenfassung bzw. der Brille bereitgestellt wird

1.6 und dass die geometrischen Parameter zur Anpassung des Modells an die detektierten Ränder optimiert werden,

1.7 wobei die Form der Brillenfassung oder Brille und die Orientierung der Brille oder Brillenfassung im Raum definierende Parameter optimiert werden".

Entscheidungsgründe

1. Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung vor der Kammer

Der Öffentlichkeitsgrundsatz der mündlichen Verhandlung ist im vorliegenden Fall gewahrt.

1.1 Einwand der Patentinhaberin

Zu Beginn der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wies die Patentinhaberin darauf hin, dass die mündliche Verhandlung nicht im öffentlichen Online-Kalender der mündlichen Verhandlungen der Beschwerdekammern eingetragen war. Die Öffentlichkeit habe sich daher nicht darüber informieren können, dass in der vorliegenden Sache am 19. März 2025 eine mündliche Verhandlung stattfinden würde. Zur Öffentlichkeit gehöre nicht nur die "interessierte Öffentlichkeit", die sich ohnehin für den vorliegenden Fall interessiere und daher möglicherweise durch die Online-Akte über den Termin der mündlichen Verhandlung informiert worden sei, sondern "jedermann". Da die mündliche Verhandlung am 19. März 2025 auch nicht gesondert am Eingang des Gebäudes in Haar angekündigt worden sei (sondern nur gemeinsam mit vier weiteren mündlichen Verhandlungen der Patentinhaberin, die alle am 18. März 2025 angekündigt waren) und nicht einmal am Eingang zum Verhandlungssaal ausgeschildert gewesen sei, habe die "allgemeine Öffentlichkeit" mangels der erforderlichen Information nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen können.

Dies stelle einen Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz dar, der Teil des Rechts auf rechtliches Gehör nach Artikel 113(1) EPÜ sei, wonach das Verfahren unter der Kontrolle der Öffentlichkeit stattfinden müsse. Dieses wichtige rechtliche Erfordernis sei nicht dadurch erfüllt, dass der Termin der mündlichen Verhandlung in der öffentlichen Online-Akte zu finden gewesen sei. Der Öffentlichkeit könne nicht zugemutet werden, sich durch alle anhängigen Akten "durchzuklicken", um festzustellen, dass am 19. März 2025 eine mündliche Verhandlung in der vorliegenden Sache stattfinde.

1.2 Die Kammer teilt die Ansicht der Patentinhaberin nicht.

Wie von den Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, war der Verhandlungstermin für die Öffentlichkeit problemlos in der Online-Akte einsehbar. Am Empfang im Gebäude der Verhandlungssäle wurde man auf den Saal verwiesen, in dem diese Verhandlung stattfand. Durch die Einstellung des Verhandlungstermins in die Online-Akte hatte die Öffentlichkeit ausreichend die Möglichkeit, sich über die Durchführung der Verhandlung zu informieren, insbesondere darüber, dass die Verhandlung am 19. März 2025 stattfindet. Dies allein genügt nach Einschätzung der Kammer dem Grundsatz der Öffentlichkeit. Nach Auffassung der Kammer ist die Aufnahme eines entsprechenden Hinweises in dem Online-Kalender der mündlichen Verhandlungen der Beschwerdekammern keine Voraussetzung für die Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlungen.

Daher weist die Kammer den Einwand der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes der Patentinhaberin zurück.

1.3 Beanstandung eines Verfahrensmangels

Nachdem die Kammer den Einwand der Patentinhaberin zurückgewiesen und die mündliche Verhandlung fortgesetzt hatte, beanstandete die Patentinhaberin einen Verfahrensmangel nach Regel 106 EPÜ wegen eines schwerwiegenden Verstoßes gegen Artikel 113 EPÜ aufgrund einer Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes der mündlichen Verhandlung.

Die Kammer wies den Einwand nach Regel 106 EPÜ aus den oben in Punkt 1.2 angeführten Gründen zurück.

2. Zulässigkeit der Beschwerde der Einsprechenden O1

Die Beschwerde der Einsprechenden O1 ist zulässig (Regel 99(1) c) EPÜ).

2.1 Die Patentinhaberin trug schriftlich vor, dass die Beschwerdeschrift der Einsprechenden O1 nicht der Regel 99(1) c) EPÜ entspräche, weil sie keinen Antrag enthielte, in dem der Beschwerdegegenstand festgelegt sei: "[v]öllig offen lässt die Beschwerdeschrift jedoch die Frage, ob und in welchem Umfang O1 im Rahmen des Beschwerdeverfahrens auch gegen nachgelagerte Hilfsanträge der Patentinhaberin (Hilfsanträge 3.1 und 3.2) vorgehen will" (P1, Seite 4, vorletzter Absatz).

2.2 Obwohl die Kammer in der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK den Parteien ihre vorläufige Meinung bereits mitgeteilt hatte, dass die Beschwerde der Einsprechenden O1 zulässig zu sein schien, hielt die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung ihren Einwand aufrecht ohne weitere Argumente mündlich vorzutragen.

2.3 Wie in der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK ausgeführt, ist die Kammer nicht überzeugt von dem Argument der Patentinhaberin, da nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern das Erfordernis der Regel 99(1) c) EPÜ bereits dadurch erfüllt ist, dass in der Beschwerdeschrift beantragt wird, die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufzuheben ist. Dies ist hier der Fall. Hinsichtlich der "nachgelagerten Hilfsanträge" bemerkt die Kammer, dass zum Zeitpunkt der Einreichung der Beschwerdeschrift der Einsprechenden O1 die Hilfsanträge 3.1 und 3.2 sich sowieso (noch) nicht in dem Beschwerdeverfahren befunden haben.

3. Zulässigkeit des Einspruchs und der Beschwerde der Einsprechenden O2

Der Einspruch und die Beschwerde der Einsprechenden O2 sind zulässig (Regel 101(2) EPÜ).

3.1 Chronologie der maßgeblichen Tatsachen

25. November 2020: Anmeldung zur Eintragung in das Partnerschaftsregister der Mathys & Squire Patentanwälte Partnerschaft mbB (D33),

17. März 2021: Einlegung des Einspruchs im Namen der Mathys & Squire GbR,

18. März 2021: Namensänderung der Mathys & Squire Patentanwälte Partnerschaft mbB in die Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB (D34),

16. August 2021: Eintragung der Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB in das Partnerschaftsregister (D35),

2. März 2023: Einlegung der Beschwerde im Namen der Mathys & Squire GbR, jedoch mit dem Namen Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB im Briefkopf,

12. Mai 2023: Einreichung der Beschwerdebegründung im Namen der Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB.

3.2 Einspruch

Da die Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB erst am 16. August 2021 wirksam in das Partnerschaftsregister eingetragen wurde, ist der am 17. März 2021 eingelegte Einspruch zu Recht im Namen der Mathys & Squire GbR und nicht im Namen der Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB eingelegt worden. Daher sieht die Kammer keinen Grund die Zulässigkeit des Einspruchs der Einsprechenden O2 in Frage zu stellen.

3.3 Beschwerde

3.3.1 Die Kammer stimmt mit der Patentinhaberin darin überein, dass der Name der Beschwerdeführerin in der Beschwerdeschrift fälschlicherweise Mathys & Squire GbR lautete (Regel 99(1) a) EPÜ).

3.3.2 Die Verfahrensbeteiligte, die durch die erstinstanzliche Entscheidung der Einspruchsabteilung beschwert und insoweit beschwerdebefugt war, führte den Namen Mathys & Squire GbR bis zu dem Zeitpunkt des Übergangs in die Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB am 16. August 2021. Wie die Einsprechende O2 schriftlich und in der mündlichen Verhandlung vortrug, "handelt es sich bei dem Übergang einer GbR (Gesellschaft bürgerlichen Rechts) in eine Part mbB (Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung) nach deutschem Recht um einen identitätswahrenden Vorgang. Die Part mbB ist also nach dem Übergang dieselbe Rechtsperson wie die GbR, nur in einer anderen Rechtsform. [...] Im Außenverhältnis ging die GbR mit Eintragung am 16. August 2021 lückenlos und identitätswahrend in die Europe mbB über" (O2-2, Punkt 7).

Ab dem 16. August 2021 war somit die Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB berechtigt, die Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung einzureichen.

3.3.3 Gemäß G1/12 kann ein versehentlicher Fehler in der Namensbezeichnung der Beschwerdeführerin in der Beschwerdeschrift nach Regel 101(2) EPÜ auf einen Antrag hin korrigiert werden. Die Einsprechende O2 bestätigte während der mündlichen Verhandlung, dass sie einen entsprechenden Antrag auf Korrektur des Namens stellen werde: der korrekte Name der Beschwerdeführerin in der Beschwerdeschrift sollte Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB lauten. Daher sieht die Kammer keinen Grund die Zulässigkeit der Beschwerde der Einsprechenden O2 in Frage zu stellen.

3.3.4 Argumente der Patentinhaberin für die Unzulässigkeit der Beschwerde

a) Die Patentinhaberin trug in der mündliche Verhandlung vor, dass der Übergang der Mathys & Squire GbR in die Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB entgegen der Behauptung der Einsprechenden O2 kein identitätswahrender Vorgang gewesen sei. Unter Verweis auf das Dokument D33, Punkt 1, machte die Patentinhaberin geltend, dass "Gesellschafterin der Mathys & Squire GbR [...] bisher neben den Herren Fiesser und Wietzke auch die Mathys & Squire LLP" gewesen sei. Da die ursprüngliche GbR mindestens drei Gesellschafter gehabt habe und die daraus hervorgegangene jetzige mbB nur zwei Gesellschafter (die Herren Fiesser und Wietzke) habe, liege keine identitätswahrende Rechtsnachfolge vor.

Die Kammer ist nicht überzeugt von diesem Argument. Wie von der Einsprechenden O2 in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, geht aus dem Dokument D33 hervor, dass der Übergang der Mathys & Squire GbR in die Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB gleichzeitig mit dem Ausscheiden der Mathys & Squire LLP stattfand. Dieses Ausscheiden der Mathys & Squire LLP erfolgte u.a. aufgrund einer "Austrittsvereinbarung der Mathys & Squire LLP aus der Mathys & Squire GbR unter Einwilligung in der Firmenfortführung" (D33, Seite 2). Wie weiter von der Einsprechenden O2 vorgetragen, ändert das reine Ausscheiden der Mathys & Squire LLP aus der Mathys & Squire GbR bei gleichzeitigem Verbleib der beiden anderen Gesellschafter, der Herren Fiesser und Wietzke, in der neu errichteten Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB grundsätzlich nichts an der Identität der Einsprechenden im Sinne einer wirtschaftlichen oder funktionalen Kontinuität der Position der Einsprechenden.

b) Des Weiteren ist nach Ansicht der Patentinhaberin nicht bekannt, ob die Mathys & Squire GbR nach dem Übergang in die Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB am 16. August 2021 weiter existierte. Somit sei unbekannt, ob die von der Mathys & Squire GbR eingereichte Beschwerde am 2. März 2023 überhaupt von einer noch existierenden Rechtsperson eingereicht wurde.

Dieser Einwand ist insofern irrelevant, als die Bezeichnung der Mathys & Squire GbR als Beschwerdeführerin in der Beschwerdeschrift irrtümlich erfolgte. Der korrekte und bei Einlegung der Beschwerdeschrift existierende Name der Beschwerdeführerin lautete Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Mathys & Squire GbR zum Zeitpunkt der Einreichung der Beschwerde noch existierte.

c) Unter der Annahme, dass die Mathys & Squire GbR zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde noch existiert habe, stelle sich das Problem, dass die von der Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB eingereichte Beschwerdebegründung nicht von der beschwerten Rechtsperson selbst eingereicht wurde. Unter Verweis auf die Entscheidung T 298/97 schlussfolgerte die Patentinhaberin, dass die Beschwerde auch aus diesem Grund unzulässig sei.

Dieser Einwand ist insofern irrelevant, als die Bezeichnung der Mathys & Squire GbR als Beschwerdeführerin in der Beschwerdeschrift irrtümlich erfolgte. Der korrekte Name der Beschwerdeführerin lautete Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB und ist somit identisch mit dem Namen der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung. Die in der Entscheidung T 298/97 beschriebene Konstellation liegt somit nicht vor.

4. Änderungen

Der Anspruch 1 weist eine Änderung auf, die über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht (Artikel 123(2) EPÜ).

4.1 Anspruch 1 weist das Merkmal 1.7 auf, das entgegen der Auffassung der Patentinhaberin aus den folgenden Gründen nicht aus der ursprünglich eingereichten Anmeldung, Seite 2, Zeile 26 bis Seite 3, Zeile 3, zu entnehmen ist.

4.1.1 Laut der ursprünglich eingereichten Anmeldung, Seite 2, Zeile 26 bis Seite 3, Zeile 3, beruht das dreidimensionale Modell der Brillenfassung oder Brille (im Folgenden vereinfacht "Brille" genannt) auf geometrischen Parameter, die die Form der Brille definieren und zur Anpassung des Modells an die Brillenränder optimiert werden. Eine Änderung dieser Parameter führt zu einer Änderung der Form der Brille. "Zudem ist es möglich, weitere geometrische Parameter zu optimieren, beispielsweise solche, die die Orientierung der Brillenfassung oder Brille im Raum definieren". Das bedeutet, dass die Optimierung der Parameter einer ersten Art, die die Form verändern, ausreicht, dass aber zusätzlich die Optimierung der Parameter einer zweiten Art möglich (aber nicht notwendig) ist. Diese Parameter zweiter Art sind beispielsweise Parameter, die die Orientierung definieren, könnten aber auch Parameter sein, die andere Eigenschaften der Brille definieren.

4.1.2 Unter den Wortlaut des Merkmals 1.7 fällt die Optimierung von Parametern einer dritten Art, die sowohl die Form als auch die Orientierung der Brille definieren. Diese Parameter dritter Art sind daher nicht identisch mit den in der ursprünglichen Beschreibung offenbarten Parametern erster oder zweiter Art.

4.1.3 Folglich, entgegen ihrer vorläufigen Meinung (siehe Mitteilung gemäß 15(1) VOBK, Punkt 10.1.1), schließt sich die Kammer der Auffassung der Einsprechenden O2 an, dass das Merkmal 1.7 nicht das Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ erfüllt, weil einerseits das Merkmal 1.7 Parameter definiert, die gleichzeitig ("at the same time"; im Sinne von "sowohl als auch") die Form und die Orientierung der Brille definieren, und andererseits aus der ursprünglichen Beschreibung hervorgeht, dass zwei unterschiedliche Parameter die Form und die Orientierung definieren (O2-1, Punkt IV).

4.2 Argumente der Patentinhaberin

Die Patentinhaberin machte schriftsätzlich (P1, Punkt VI) und in der mündlichen Verhandlung geltend, dass die Beschreibung der ursprünglich eingereichten Anmeldung zwei alternative Parameter offenbare, die die Form bzw. die Orientierung der Brille definierten. Diese zwei Alternativen fänden sich in dem Wortlaut des Merkmals 1.7 wieder.

Die Kammer ist nicht überzeugt von diesem Argument. Die Formulierung des Merkmals 1.7 umfasst die Optimierung von Parameter, die sowohl die Form als auch ("gleichzeitig") die Orientierung der Brille definieren. Solche Parameter sind nicht in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart.

4.3 Angefochtene Entscheidung

Gemäß der angefochtenen Entscheidung, Punkt 20.7, wird "[m]it dem Merkmal M1.7 [...] spezifiziert, dass sowohl Parameter, die die Form definieren, als auch Parameter, die die Orientierung im Raum definieren, optimiert werden".

Aus dem im Punkt 4.1 angegebenen Grund teilt die Kammer nicht die Auffassung der Einspruchsabteilung.

5. Berücksichtigung der Hilfsanträge 3.0, 3.1 und 3.2

Die neuen Hilfsanträge 3.0, 3.1 und 3.2 werden nicht berücksichtigt (Artikel 13(2) VOBK).

5.1 Die neuen Hilfsanträge 3.0, 3.1 und 3.2 wurden erstmalig in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Gemäß der Patentinhaberin übernehme Anspruch 1 des neuen Hilfsantrags 3.0 den exakten Wortlaut der ursprünglichen Beschreibung von Seite 2, Zeile 26, bis Seite 3, Zeile 3, und räume daher den gegen den vorliegenden Hauptantrag erhobenen Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ aus. Die neuen Hilfsanträge 3.1 und 3.2 entsprächen den erstinstanzlich am 11. August 2022 eingereichten Hilfsanträgen 3.1 und 3.2 und seien ebenfalls dahingehend geändert worden, um den gegen den vorliegenden Hauptantrag erhobenen Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ zu beheben.

5.2 "Änderungen des Beschwerdevorbringens [...] nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung bleiben grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen" (Artikel 13(2) VOBK).

5.3 In dem vorliegendem Fall kann die Kammer keine derartigen außergewöhnlichen Umstände erkennen. Der Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ gegen das Merkmal 1.7 wurde bereits in dem erstinstanzlichen Verfahren von der Einsprechenden O2 in ihrem Schriftsatz vom 10. Oktober 2022, Punkt II, Seite 3, erhoben und während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung diskutiert. Der Einwand wurde von der Einsprechenden O2 in der Beschwerdebegründung aufrechterhalten (O2-1, Punkt IV). Da dieser Einwand der Patentinhaberin somit vor Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer bekannt war, hätte die Patentinhaberin etwaige Änderungen, um dem Einwand unter Artikel 123(2) zu begegnen, früher einreichen können und müssen.

5.4 Die Patentinhaberin brachte folgende Gründe für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände vor, die die Berücksichtigung der neuen Hilfsanträge 3.0, 3.1 und 3.2 rechtfertigten:

5.4.1 Das vorliegende Merkmal 1.7 entspreche dem erteilten Anspruch 2. Daher hätte der Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ gegen Merkmal 1.7 bereits in der Einspruchsschrift vorgebracht werden müssen. Der Einwand sei jedoch von der Einsprechenden O2 verspätet nur zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung erhoben worden und hätte daher von der Einspruchsabteilung nicht zugelassen werden dürfen.

Die Kammer kann in der Art und Weise, wie die Einspruchsabteilung den Fall behandelte, keine unzulässige Ermessensausübung erkennen (z.B. Anwendung falscher Kriterien oder unangemessene Ausübung des Ermessens). Daher hält die Kammer die Entscheidung der Einspruchsabteilung aufrecht, den Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ gegen Merkmal 1.7 in das Verfahren zuzulassen.

5.4.2 Die Einspruchsabteilung habe in der angefochtenen Entscheidung den auf Artikel 123(2) EPÜ gestützten Einwand der Einsprechenden O2 zurückgewiesen. Auch die Kammer sei gemäß ihrer vorläufigen Meinung nicht von dem Einwand der Einsprechenden O2 überzeugt gewesen. Es habe daher keine Dringlichkeit oder Notwendigkeit bestanden, etwaige Änderungen des Anspruchs 1 einzureichen.

Die Kammer ist nicht überzeugt von diesem Argument. Selbst wenn die Einspruchsabteilung einen Einwand der Einsprechenden zurückweist, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass die Kammer dieser erstinstanzlichen Entscheidung folgt. Entscheidend ist, dass die Einsprechende einen Einwand erhoben hat und die Patentinhaberin rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eine entsprechende Änderung zur Behebung des Einwandes einreichen muss, damit sie in das Verfahren zugelassen werden kann.

Unabhängig davon, ob die Kammer in ihrer vorläufigen Stellungnahme von dem Einwand der Einsprechenden überzeugt ist oder nicht, hätte die Änderung zur Behebung des Einwandes bereits mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht werden müssen, um in das Verfahren zugelassen zu werden (Artikel 12 und 13 VOBK).

5.4.3 Die Einsprechenden O1 und O2 haben nicht mit Gegenargumenten auf die für die Patentinhaberin positive vorläufige Meinung der Kammer hinsichtlich Artikel 123(2) EPÜ reagiert. Das habe die Auffassung der Patentinhaberin bestätigt, dass der Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ nicht relevant gewesen sei.

Das Ausbleiben von Gegenargumenten seitens der Einsprechenden O1 und O2 im schriftlichen Beschwerdeverfahren kann die Patentinhaberin nicht von der Pflicht entbinden, rechtzeitig, insbesondere bereits mit der Beschwerdeerwiderung, etwaige Änderungen zur Ausräumung des Einwandes unter Artikel 123(2) EPÜ einzureichen.

5.4.4 Die Kammer habe erst in der mündliche Verhandlung ihre für die Patentinhaberin positive vorläufige Meinung hinsichtlich Artikel 123(2) EPÜ geändert. Diese Umkehr der vorläufigen Meinung der Kammer rechtfertige die Berücksichtigung von geänderten Ansprüchen.

Die Stellungnahme der Kammer in der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK gibt die vorläufige Einschätzung der Kammer wieder. Im weiteren Verlauf des Verfahrens, insbesondere bei der Anhörung in der mündlichen Verhandlung, kann sich diese vorläufige Einschätzung ändern. Daher ist unerlässlich, dass die Patentinhaberin etwaige Änderungen zur Behebung von Einwänden rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung einreicht.

6. Aussetzung des Verfahrens

Das gegenständliche Verfahren wird nicht bis zum Vorliegen der Entscheidungsgründe im Verfahren G 1/24 ausgesetzt.

6.1 Die Patentinhaberin beantragte schriftlich "im Hinblick auf die von der Kammer in der Ladungsmitteilung in Ziffer 10.2.3 b) zu Merkmal 1.7 vertretene Auslegung hilfsweise, das vorliegende Verfahren auszusetzen bis zum Vorliegen der Entscheidungsgründe im anhängigen Verfahren G1/24" (P2, Punkt I).

6.2 Die in Punkt 10.2.3 b) der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK dargelegte Auslegung des Merkmals 1.7 durch die Kammer betrifft die Frage, "inwieweit Merkmal 1.7 tatsächlich verlangt, dass die Form der Brille variiert". Dieser Aspekt spielt eine gewisse Rolle bei der Prüfung der Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1. Da die Kammer jedoch zu dem Schluss kam, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht das Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ erfüllt, wurde die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 nicht geprüft. Die in Punkt 10.2.3 b) der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK dargelegte Auslegung des Merkmals 1.7 durch die Kammer ist daher im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich. Eine Aussetzung des Verfahrens auf Antrag der Patentinhaberin ist nicht erforderlich.

Der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens wird somit zurückgewiesen.

7. Aus den oben dargelegten Gründen kommt die Kammer zum Schluss, dass keiner der Anträge der Patentinhaberin gewährbar bzw. zuzulassen ist und deshalb das Patent widerrufen werden muss.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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