European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2025:T171322.20250320 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 20 März 2025 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1713/22 | ||||||||
Anmeldenummer: | 17179990.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | G02C 13/00 G06Q 30/06 G06T 19/20 G06T 17/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN, VORRICHTUNG UND COMPUTERPROGRAMM ZUM VIRTUELLEN ANPASSEN EINER BRILLENFASSUNG | ||||||||
Name des Anmelders: | Carl Zeiss Vision International GmbH Carl Zeiss AG |
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Name des Einsprechenden: | Mathys & Squire Europe LLP | ||||||||
Kammer: | 3.4.02 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Öffentlichkeitsgrundsatz der mündlichen Verhandlung - gewahrt (ja) Änderung nach Ladung - Ermessensausübung Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein) Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein) Neuheit - (nein) Rügepflicht - Einwand zurückgewiesen Zurückverweisung - (ja) |
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Orientierungssatz: |
Die Aufnahme eines Hinweises in dem Online-Kalender der mündlichen Verhandlungen der Beschwerdekammern ist keine Voraussetzung für die Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlungen (siehe Entscheidungsgründe, Punkt 1.3). |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechende hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Patent Nr. 3425446 zurückzuweisen, Beschwerde eingelegt.
Mit dem Einspruch war das Patent in vollem Umfang im Hinblick auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54(1) und 56 EPÜ angegriffen worden.
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegenstünden.
II. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK, die als Anlage einer Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige und unverbindliche Meinung zu bestimmten, wesentlichen Aspekten des vorliegenden Beschwerdeverfahrens mit.
III. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 20. März 2025 statt. Nach Ansicht der Patentinhaberin entspreche die Durchführung der mündlichen Verhandlung nicht dem Grundsatz der Öffentlichkeit.
IV. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
V. Die Patentinhaberinnen (Beschwerdegegnerinnen; im Folgenden Patentinhaberin) beantragten die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Ferner beantragten sie die Zurückweisung der Beschwerde (das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten) oder hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der erstinstanzlich eingereichten Hilfsanträge 1 bis 15.
VI. Die vorliegende Entscheidung nimmt Bezug auf die folgende, aus dem erstinstanzlichen Verfahren bekannte Druckschrift:
D2: JP6-118349, wobei konkret auf die mit der Beschwerdebegründung eingereichte manuelle Übersetzung Bezug genommen wird.
Die Schriftsätze der Beteiligten werden wie folgt bezeichnet:
O1: Beschwerdebegründung der Einsprechenden vom 13. September 2022,
O2: Schreiben der Einsprechenden vom 13. Februar 2025,
P1: Beschwerdeerwiderung der Patentinhaberin vom 27. Januar 2023,
P2: Schreiben der Patentinhaberin vom 18. Februar 2025.
VII. Der Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag lautet (Nummerierung der Merkmale M1 bis M5 von der Kammer hinzugefügt):
M1 "Computerimplementiertes Verfahren zur virtuellen Brillenanpassung, umfassend:
M2 Definieren von ersten Messpunkten an einem 3D-Modell eines Kopfes (122) einer Person, wobei Messpunkte Punkte an einem Modell sind, welche einer nachfolgenden Brillenanpassung dienen können, und
M3 Anpassen (128) eines Modells einer Brillenfassung (120) an das 3D-Modell des Kopfes (122) auf Basis der ersten Messpunkte,
dadurch gekennzeichnet, dass das Definieren der ersten Messpunkte umfasst:
M4 Anpassen (124) eines parametrischen Kopfmodells an das 3D-Modell des Kopfes der Person, und
M5 Bestimmen der ersten Messpunkte auf Basis von an dem parametrischen Kopfmodell definierten zweiten Messpunkten und des Anpassens des parametrischen Kopfmodells an das 3D-Modell des Kopfes".
Entscheidungsgründe
1. Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung vor der Kammer
Der Öffentlichkeitsgrundsatz der mündlichen Verhandlung ist im vorliegenden Fall gewahrt.
1.1 In dem Fall T 483/23, in dem die gegenwärtige Patentinhaberin und die gegenwärtige Einsprechende ebenfalls Beteiligte sind, fand die mündliche Verhandlung vor der gegenwärtigen Kammer am 19. März 2025 statt, d.h. einen Tag vor der gegenwärtigen mündlichen Verhandlung.
Zu Beginn der mündlichen Verhandlung in dem vorliegenden Fall verwies die Patentinhaberin auf ihren bereits in dem Fall T 483/23 erhobenen Einwand hinsichtlich der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatz der gegenständlichen mündlichen Verhandlung, ohne jedoch ihre Argumente im Einzelnen zu wiederholen. Auch die Einsprechende verwies diesbezüglich lediglich auf die bereits in dem Fall T 483/23 vorgebrachten Argumente. Die Kammer hat in dem vorliegenden Fall den Einwand aus den gleichen Gründen wie in dem Fall T 483/23 zurückgewiesen. In den folgenden Punkten 1.2 und 1.3 wird der Text aus der Entscheidung T 483/23 wörtlich wiedergegeben (nur das Datum des 19. März 2025 der mündlichen Verhandlung in dem Fall T 483/22 wurde durch das Datum 20. März 2025 der gegenwärtigen mündlichen Verhandlung ersetzt; des Weiteren wurde der Hinweis hinsichtlich dem Fehlen der Ausschilderung gestrichen). Dieser Text gilt gleichermaßen für den vorliegenden Fall:
1.2 "Einwand der Patentinhaberin
Zu Beginn der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wies die Patentinhaberin darauf hin, dass die mündliche Verhandlung nicht im öffentlichen Online-Kalender der mündlichen Verhandlungen der Beschwerdekammern eingetragen war. Die Öffentlichkeit habe sich daher nicht darüber informieren können, dass in der vorliegenden Sache am [20. März 2025] eine mündliche Verhandlung stattfinden würde. Zur Öffentlichkeit gehöre nicht nur die "interessierte Öffentlichkeit", die sich ohnehin für den vorliegenden Fall interessiere und daher möglicherweise durch die Online-Akte über den Termin der mündlichen Verhandlung informiert worden sei, sondern "jedermann". Da die mündliche Verhandlung am [20. März 2025] auch nicht gesondert am Eingang des Gebäudes in Haar angekündigt worden sei (sondern nur gemeinsam mit vier weiteren mündlichen Verhandlungen der Patentinhaberin, die alle am 18. März 2025 angekündigt waren) [deleted: und nicht einmal am Eingang zum Verhandlungssaal ausgeschildert gewesen sei], habe die "allgemeine Öffentlichkeit" mangels der erforderlichen Information nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen können.
Dies stelle einen Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz dar, der Teil des Rechts auf rechtliches Gehör nach Artikel 113(1) EPÜ sei, wonach das Verfahren unter der Kontrolle der Öffentlichkeit stattfinden müsse. Dieses wichtige rechtliche Erfordernis sei nicht dadurch erfüllt, dass der Termin der mündlichen Verhandlung in der öffentlichen Online-Akte zu finden gewesen sei. Der Öffentlichkeit könne nicht zugemutet werden, sich durch alle anhängigen Akten "durchzuklicken", um festzustellen, dass am [20. März 2025] eine mündliche Verhandlung in der vorliegenden Sache stattfinde.
1.3 Die Kammer teilt die Ansicht der Patentinhaberin nicht.
Wie [von der Einsprechenden] in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, war der Verhandlungstermin für die Öffentlichkeit problemlos in der Online-Akte einsehbar. Am Empfang im Gebäude der Verhandlungssäle wurde man auf den Saal verwiesen, in dem diese Verhandlung stattfand. Durch die Einstellung des Verhandlungstermins in die Online-Akte hatte die Öffentlichkeit ausreichend die Möglichkeit, sich über die Durchführung der Verhandlung zu informieren, insbesondere darüber, dass die Verhandlung am 20. März 2025 stattfindet. Dies allein genügt nach Einschätzung der Kammer dem Grundsatz der Öffentlichkeit. Nach Auffassung der Kammer ist die Aufnahme eines entsprechenden Hinweises in dem Online-Kalender der mündlichen Verhandlungen der Beschwerdekammern keine Voraussetzung für die Wahrung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlungen.
Daher weist die Kammer den Einwand der Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes der Patentinhaberin zurück."
1.4 Beanstandung eines Verfahrensmangels
Nachdem die Kammer den Einwand der Patentinhaberin zurückgewiesen und die mündliche Verhandlung fortgesetzt hatte, beanstandete die Patentinhaberin einen Verfahrensmangel nach Regel 106 EPÜ wegen eines schwerwiegenden Verstoßes gegen Artikel 113 EPÜ aufgrund einer Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes der mündlichen Verhandlung.
Die Kammer wies den Einwand nach Regel 106 EPÜ aus den oben in Punkt 1.3 angeführten Gründen zurück.
2. Zulässigkeit der Beschwerde
Der Einwand der Patentinhaberin, dass die Beschwerde der Einsprechenden unzulässig sei, wird nicht berücksichtigt (Artikel 13(2) VOBK).
2.1 Die Patentinhaberin machte erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer geltend, dass die Beschwerde der Einsprechenden unzulässig sei. Der Einspruch sowie die Beschwerdeschrift seien im Namen von Mathys & Squire Europe LLP eingereicht worden. Die Beschwerdebegründung sei jedoch im Namen von Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB. Diese beiden juristischen Personen seien möglicherweise koexistent, aber nicht identitätsgleich. Unter Hinweis auf die Entscheidung T 298/97 trug die Patentinhaberin vor, dass in einer Konstellation wie der vorliegenden, in der die Beschwerdebegründung nicht von der beschwerten Beteiligten eingereicht worden sei, die Beschwerde unzulässig sei.
Des Weiteren trug die Patentinhaberin vor, dass gemäß der Rechtsprechung des Beschwerdekammern des EPA die Prüfung der Zulässigkeit der Beschwerde und die Stellung der Beschwerdeführerin als Beteiligte von Amts wegen in allen Stadien des Verfahrens zu erfolgen habe, insbesondere auch dann, wenn die Kammer, wie in dem vorliegendem Fall, von der Patentinhaberin erst in der mündlichen Verhandlung auf die zweifelhafte Beteiligtenstellung der Beschwerdeführerin aufmerksam gemacht wurde. Die Patentinhaberin verwies in diesem Zusammenhang beispielhaft auf die Entscheidungen T 15/01, T 501/09, T 2223/10 und T 198/15.
2.2 Die Einsprechende beantragte, den Einwand der Patentinhaberin nicht zuzulassen, da keine außergewöhnlichen Umstände vorlägen, die eine Zulassung in diesem späten Verfahrensstadium rechtfertigten. Des Weiteren trug die Einsprechende vor, dass der in der Beschwerdebegründung angegebene Name der Beschwerdeführerin Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB jederzeit berichtigt und durch den Namen der Einsprechenden Mathys & Squire Europe LLP ersetzt werden könne.
2.3 Nach Ansicht der Kammer war die Einreichung der Beschwerdebegründung im Namen von Mathys & Squire Europe Patentanwälte Partnerschaft mbB fehlerhaft. Richtig wäre Mathys & Squire Europe LLP gewesen.
2.4 Gleichwohl schließt sich die Kammer der in der Entscheidung T 458/22 vertretenen Auffassung an, dass "eine Beschwerdekammer nicht verpflichtet ist, Tatsachen zu berücksichtigen, die eine Verfahrensbeteiligte bezüglich der Zulässigkeit einer Beschwerde in irgendeinem Stadium des Verfahrens verspätet vorbringt" (Orientierungssatz der Entscheidung T 458/22). Im Gegensatz zu den von der Patentinhaberin zitierten Entscheidungen der Beschwerdekammern ist die erkennende Kammer aus den in den Entscheidungsgründen 1.2 bis 1.6 der Entscheidung T 458/22 dargelegten Gründen der Auffassung, dass es in ihrem Ermessen steht, den erst in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Einwand bzw. Hinweis auf die zweifelhafte Beteiligtenstellung der Beschwerdeführerin zu berücksichtigen. Da der Fehler in dem Namen der Einsprechenden-Beschwerdeführerin bereits bei der Einreichung ihrer Beschwerdebegründung erfolgte, sieht die Kammer keinen triftigen Grund dafür, dass die Patentinhaberin diesen Einwand bzw. Hinweis erst in mündlichen Verhandlung vorgebracht hat. Deshalb übt die Kammer ihr Ermessen gemäß Artikel 13(2) VOBK dahingehend aus, den entsprechenden Vortrag der Patentinhaberin nicht zu berücksichtigen.
Die Einsprechende wurde ferner aufgefordert, den Schreibfehler in der Beschwerdebegründung bezüglich ihres Namens zu korrigieren.
3. Hauptantrag - Neuheit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist nicht neu gegenüber dem aus D2 bekannten Verfahren (Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54(1) EPÜ).
3.1 Die Druckschrift D2 enthält folgende für die Neuheitsprüfung des Gegenstands von Anspruch 1 relevante Sätze:
- Satz 1: "To address this, a matching process to match the standard face model 2 to the face original image 1 is performed in the model matching process 3" (D2a, [0011]),
- Satz 2: "Note that, in the examples described above, the face original image 1 was a front still image, but image data obtained from the front, horizontal face, etc., and from a plurality of face original images may be mapped to the standard face model 2" (D2a, [0016]).
- Satz 3: "However, the composite position 8 of the spectacle image 6 in the spectacle composite process 7 can be found from the positions or the like of the eyes and ears recognized in the model matching process 3, and thus it is possible to automatically determine the composite position without requiring designation by the customer" (D2a, [0015]).
- Satz 4: "First, on the face original image 1 in FIG. 2(b), feature points indicated by black circles are designated interactively, for example, or automatically detected by image processing" (D2a, [0011]),
- Satz 5: "Note that these features [sic] points select points included in the constituent points of the standard face model 2" (D2a, [0011].
3.2 3D-Modell eines Kopfes einer Person (Merkmale M2 bis M5)
Bei den in den Absätzen [0004] bis [0015] von D2 beschriebenen Ausführungsbeispielen scheint es sich bei dem Kopfmodell der Person um ein 2D-Modell zu handeln, das z. B. in den Absätzen [0004] und [0016] als "front still image" bezeichnet wird. Im Hinblick auf Satz 2 offenbart D2 als Ausgangspunkt der Erfindung jedoch nicht nur ein 2D-Modell des Kopfes, das aus einem einzigen frontalen Gesichtsbild besteht, sondern auch Ausführungsbeispiele, bei denen der Ausgangspunkt aus mehreren Bildern des Kopfes besteht: "image data obtained from the front, horizontal face, etc., and from a plurality of face original images".
Anspruch 1 verwendet den Begriff "3D-Modell", definiert aber keine spezifischen technischen Eigenschaften des 3D-Modells. Der Begriff "3D-Modell" ist daher so breit wie technisch sinnvoll auszulegen. Insbesondere die Gesamtheit von zwei (oder mehr) zweidimensionalen Bildern stellt ein 3D-Modell im weitesten Sinne dar. Somit offenbart D2 implizit ein Verfahren zur Brillenanpassung, bei dem ein 3D-Modell des Kopfes einer Person verwendet wird.
3.3 Merkmale M1 bis M5
Die Merkmale M1 bis M3 sind in den folgenden Passagen von D2 offenbart:
- Anspruch 1 und Absatz [0009] offenbaren implizit das Merkmal M1.
- Absatz [0011], insbesondere Satz 4 und Figur 2(b), im Zusammenhang mit Satz 2, offenbart das Merkmal M2, i.e. das Definieren von ersten Messpunkten an einem 3D-Modell eines Kopfes einer Person. Denn der Begriff "Messpunkte" ist so breit auszulegen, dass irgendwelche Punkte, die einer Brillenanpassung irgendwie dienen können, unter diesen Begriff fallen. Die "feature points" in D2 weisen diese vage Eigenschaft auf und fallen somit unter den Begriff "erste Messpunkte".
- Absatz [0015], insbesondere Satz 3, im Zusammenhang mit Satz 2, offenbart das Merkmal M3, denn die Position der Augen und der Ohren im Satz 3 wurde auf Basis von den an dem 3D-Modell des Kopfes definierten "feature points" bestimmt.
- Absatz [0011], insbesondere Satz 1, im Zusammenhang mit Satz 2, offenbart das Merkmal M4.
- Absatz [0011], insbesondere Satz 4 und Satz 5, im Zusammenhang mit Satz 2, offenbart das Merkmal M5. Wie in der Figur 2(b) von D2 zu erkennen ist, identifizieren die sogenannten "feature points" im "face original image 1" die Positionen u.a. der Augen und der Ohren. Gemäß dem Satz 5 entsprechen diese "feature points" den "constituent points" des "standard face model 2" d.h. des parametrischen Kopfmodells. Diese "constituent points" entsprechen somit den in Merkmal M5 erwähnten "zweiten Messpunkten". Mit anderen Worten, die Position der Augen und der Ohren (und somit die ersten Messpunkte, die einer nachfolgenden Brillenanpassung dienen können) wird in D2 auf Basis von an dem parametrischen Kopfmodell definierten Punkten bestimmt.
3.4 Argumente der Patentinhaberin für die Neuheit
3.4.1 Die Patentinhaberin trägt schriftlich (P1, Punkt IV.2; P2, Punkt IV.2) und in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vor, dass D2 kein dreidimensionales Modell eines Kopfes offenbare. Auch wenn D2, [0016], mehrere Bilder eines Kopfes offenbare, seien es trotzdem nur zweidimensionale Bilder des Kopfes. Ein dreidimensionales Modell beinhalte eine Tiefeninformation, die in den in D2 offenbarten zweidimensionalen Bildern fehle. "Tiefeninformation [in D2] wird nur durch die Zuordnung der [zweidimensionalen] Bilder zu dem Standard-Gesichtsmodell erzeugt" (P2, Seite 15, erster Absatz).
Die Kammer ist nicht überzeugt von diesem Argument. In der Abwesenheit jeglicher Definition der technischen Eigenschaften des in Anspruch 1 definierten "3D-Modells" muss dieser Begriff breit ausgelegt werden. In diesem Sinne reicht es aus, dass D2 mehrere zweidimensionale Bilder des Kopfes offenbart, damit diese Gesamtheit der zweidimensionalen Bilder unter den in Anspruch 1 verwendeten allgemeinen Begriff "3D-Modell" fällt.
3.4.2 Die Patentinhaberin ist der Ansicht, dass D2 keine Anpassung im Sinne des Anspruchs 1 eines parametrischen Kopfmodells an das 3D-Modell des Kopfes der Person offenbare. Diese Anpassung im Sinne des Anspruchs entspreche einer "mathematischen Ausgleichsrechnung" (P2, Seite 14, fünfter Absatz). Es erfolge ebenfalls "keine Bestimmung von ersten Messpunkten innerhalb dieser [in D2 offenbarten] Bilder" (P2, Seite 15, dritter Absatz). Die Patentinhaberin verweist auf D2, [0011], wo der "model matching process 3" nur für zweidimensionale Koordinaten offenbart sei. "Sofern die nach dem 'model matching process 3' erkannten Punkte innerhalb des Standard-Gesichtsmodells 2 als zweite Messpunkte nach Anspruch 1 verstanden werden können, so sind diese Punkte explizit lediglich durch zweidimensionale Koordinaten definiert. Sie können somit keine ersten Messpunkte innerhalb eines 3D-Modells offenbaren" (P2, Seiten 15 und 16 überbrückender Absatz).
Die Kammer kann den Argumenten der Patentinhaberin nicht folgen:
- Der Anspruch ist nicht eingeschränkt auf eine Anpassung eines parametrischen Kopfmodells an das 3D-Modell des Kopfes der Person, die einer "mathematischen Ausgleichsrechnung" entsprechen würde. Anspruch 1 lässt vollkommen offen, auf welche Art die Anpassung erfolgt und ist daher nicht auf eine Anpassung im Sinne einer "mathematischen Ausgleichsrechnung" eingeschränkt. Der in D2, Satz 1, beschriebene "matching process" eines "standard face model 2" an das "face original image 1" entspricht somit der in Anspruch 1 abstrakt definierten Anpassung.
- Auch wenn der Anpassungsprozess in D2, [0011], nur mit zweidimensionalen Koordinaten beschrieben wird, handelt es sich bei mehrfacher Anwendung (D2, [0016]) um eine dreidimensionale Anpassung.
- Des Weiteren ist die Ansicht der Patentinhaberin, dass die zweiten Messpunkte in D2 "keine ersten Messpunkte innerhalb eines 3D-Modells offenbaren" können (P2, Seiten 15 und 16 überbrückender Absatz) nicht von Relevanz, weil der Wortlaut des Anspruchs lediglich ein "Bestimmen der ersten Messpunkte auf Basis von [...] zweiten Messpunkten" verlangt. Der Ausdruck auf Basis von lässt vollkommen offen, auf welche Art die zweiten Messpunkte zu verwenden sind, um zu den ersten Messpunkten zu gelangen. Insbesondere verlangt der Anspruch 1 entgegen der Ansicht der Patentinhaberin nicht, dass die zweiten Messpunkte in D2 die "ersten Messpunkte innerhalb eines 3D-Modells offenbaren".
4. Hilfsanträge - Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung
Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen (Artikel 111 (1) EPÜ und Artikel 11 VOBK).
4.1 Da der Gegenstand des Anspruchs 1 des vorliegenden Hauptantrags entgegen der angefochtenen Entscheidung nicht neu ist, muss die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden.
4.2 Die Patentinhaberin hat eine Vielzahl von Hilfsanträgen eingereicht. Keiner dieser Hilfsanträge wurde jedoch bisher von der Einspruchsabteilung im Hinblick auf die Erfordernisse des EPÜ geprüft. Des Weiteren hat die Einsprechende erstinstanzlich eine Vielzahl von Druckschriften vorgelegt, die angeblich die Neuheit oder die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 in Frage stellen. Die Relevanz dieser Druckschriften für den in den Hilfsanträgen beanspruchten Gegenstand wurde bisher nicht von der Einspruchsabteilung geprüft. Darüber hinaus weicht die von der Kammer vorgenommene Auslegung des erteilten Anspruchs 1 und der Offenbarung der Druckschrift D2 grundlegend von derjenigen ab, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag. Diese neue Auslegung der Kammer könnte erhebliche Auswirkungen auf die Beurteilung der Patentfähigkeit des beanspruchten Gegenstands der Hilfsanträge zur Folge haben. Aus diesen Gründen liegt ein neuer Sachvorhalt vor, dessen erstmalige Prüfung durch die Kammer nicht mit dem vorrangigen Ziel des Beschwerdeverfahrens der gerichtlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung vereinbar ist.
4.3 Sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende stimmten der Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung zu.
4.4 Die Kammer beschließt daher, ihr Ermessen nach Artikel 111 (1) EPÜ und Artikel 11 VOBK dahingehend auszuüben, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.