T 2624/22 (Staubsaugerfilterbeutel/EUROFILTERS) of 4.12.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T262422.20241204
Datum der Entscheidung: 04 Dezember 2024
Aktenzeichen: T 2624/22
Anmeldenummer: 16160922.7
IPC-Klasse: B01D 39/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: STAUBSAUGERFILTERBEUTEL AUS RECYCLIERTEN KUNSTSTOFFEN
Name des Anmelders: Eurofilters N.V.
Name des Einsprechenden: Wolf PVG GmbH & Co. KG
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 111(1)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 123(3)
European Patent Convention R 80
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 11
Schlagwörter: Änderung veranlasst durch Einspruchsgrund - (ja)
Änderungen - zulässig (ja)
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein)
Änderungen - Ausdehnung des gewährten Schutzes (nein)
Zurückverweisung - besondere Gründe für Zurückverweisung (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/93
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Patentinhaberin (Beschwerde­führerin) betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent EP 3 219 374 B1 zu widerrufen.

II. Unter anderem waren die folgenden für diese Entscheidung relevanten Dokumente Gegenstand im Einspruchsverfahren:

D8 |"Kunststoffe - Kunststoff-Rezyklate - Charakterisierung von Kunststoffabfällen; Deutsche Fassung EN 15347:2007", DIN EN 15347, 2008|

D14|"Kunststoffe - Kunststoff-Rezyklate - Charakterisierung von Polystyrol (PS)-Rezyklaten; Deutsche Fassung EN 15342:2007", DIN EN 15342, 2008|

D15|"Kunststoffe - Kunststoff-Rezyklate - Charakterisierung von Polypropylen (PP)-Rezyklaten; Deutsche Fassung EN 15345:2007", DIN EN 15345, 2008|

D16|"Kunststoffe - Kunststoff-Rezyklate - Charakterisierung von Polyethylen (PE)-Rezyklaten; Deutsche Fassung EN 15344:2007", DIN EN 15344, 2008|

D18|"Kunststoffe - Kunststoff-Rezyklate - Leitfaden für die Entwicklung von Normen für Kunststoff-Rezyklate; Deutsche Fassung CEN/TR 15353:2007", DIN-Fachbericht CEN/TR 15353, 2007|

III. Die Einspruchsabteilung war unter anderem zum Schluss gekommen, dass jeder der ihr vorliegenden Anträge Artikel 123(2) EPÜ und/oder Artikel 123(3) EPÜ verletzt.

IV. Die unabhängigen Ansprüche des im Beschwerdeverfahren zentralen Hilfsantrags 1B (Hervorhebungen im Original) lauten wie folgt:

"1. Staubsaugerfilterbeutel, umfassend einen Innenraum umschließende Wandung aus einem luftdurchlässigen Material sowie eine in die Wandung eingebrachte Einlassöffnung,

d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t, d a s s

das luftdurchlässige Material mindestens eine Lage eines Vliesstoffes und/oder eine Lage aus einem Faservlies umfasst, der bzw. das Fasern umfasst oder hieraus besteht, die aus einem recyclierten Kunststoff oder mehreren recyclierten Kunststoffen [deleted: gemäß der Norm DIN EN 15347:2007 ]gebildet sind, wobei

der recyclierte Kunststoff ausgewählt ist aus der Gruppe bestehend aus recyclierten Polyestern, [deleted: insbesondere recycliertem Polyethylenterephthalat (rPET), gemäß der Norm DIN EN 15353:2007,] recycliertem Polybutylenterephthalat (rPBT), recylcierter [sic] Polymilchsäure (rPLA), recycliertem Polyglycolid und/oder recycliertem Polycaprolacton; recyclierten Polyolefinen, insbesondere recycliertem Polypropylen (rPP) gemäß der Norm DIN 15345:2008, recycliertem Polyethylen gemäß der Norm DIN 15344:2008und/oder [sic] recycliertem Polystyrol (rPS) gemäß der Norm DIN 15342:2008; recycliertem Polyvinylchlorid (rPVC), gemäß der Norm DIN 15346:2015, recyclierten Polyamiden sowie Mischungen und Kombinationen hiervon."

"12. Verwendung von recyclierten Kunststoffen [deleted: gemäß der Norm DIN EN 15347:2007 ]ausgewählt aus der Gruppe bestehend aus recyclierten Polyestern, [deleted: insbesondere recycliertem Polyethylenterephthalat (rPET), gemäß der Norm DIN EN 15353:2007,] recycliertem Polybutylenterephthalat (rPBT), recylcierter [sic] Polymilchsäure (rPLA), recycliertem Polyglycolid und/oder recycliertem Polycaprolacton; recyclierten Polyolefinen, insbesondere recycliertem Polypropylen (rPP) gemäß der Norm DIN 15345:2008, recycliertem Polyethylen gemäß der Norm DIN 15344:2008und/oder [sic] recycliertem Polystyrol (rPS) gemäß der Norm DIN 15342:2008; recycliertem Polyvinylchlorid (rPVC), gemäß der Norm DIN 15346:2015, recyclierten Polyamiden sowie Mischungen und Kombinationen hiervon für die Herstellung von Form von [sic] Vliesstoffen und/oder Faservliesen für Staubsaugerfilterbeutel."

Die abhängigen Ansprüche 2 bis 11 betreffen besondere Ausführungsformen.

V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 vertrat die Kammer die Meinung, dass der damalige Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 und 1A nicht die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ erfüllen.

Dagegen sei Hilfsantrag 1B zu berücksichtigen und erfülle die Erfordernisse von Artikel 123(2) und 123(3) EPÜ, sowie die Erfordernisse von Regel 80 EPÜ.

Damit sei die Sache an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

VI. Für den Fall, dass die Kammer bei ihrer vorläufigen Meinung bliebe, zogen die Beschwerdeführerin und die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) daraufhin ihre Anträge auf mündliche Verhandlung zurück, die Beschwerdeführerin zudem die höherrangigen Anträge, d.h. den Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 und 1A.

VII. Anträge

Die Patentinhaberin beantragt nunmehr die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf der Basis von Hilfsantrag 1B.

Hilfsweise beantragt sie die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf der Basis eines der Hilfsanträge 2 bis 2C, 3 bis 3C, 4 bis 4C, 5 bis 5B, 6 bis 6C und 7 bis 7C. Alle diese Hilfsanträge wurden am 11. August 2022 vor der Einspruchsabteilung eingereicht.

Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückweisen.

Entscheidungsgründe

Hilfsantrag 1B

Aus den folgenden Gründen ist dieser Antrag im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen und erfüllt auch die Erfordernisse von Artikel 123(2) und (3) EPÜ.

1. Berücksichtigung

Die Beschwerdegegnerin beantragt, diesen Anspruchssatz aus mehreren Gründen nicht zu berücksichtigen:

(a) er sei nicht konvergent;

(b) er verletze Artikel 123(2) EPÜ;

(c) die Streichung des optionalen Merkmals "insbesondere recycliertem Polyethylenterephthalat (rPET), gemäß der Norm DIN EN 15353:2007" stehe im Widerspruch zu Regel 80 EPÜ.

Diese Einwände überzeugen jedoch nicht:

zu (a): Hilfsantrag 1B war bereits vor der Einspruchsabteilung eingereicht worden und wird in der angefochtenen Entscheidung abgehandelt. Unter diesen Umständen bietet das EPÜ keine Rechtsgrundlage dafür, diesen Hilfsantrag im Beschwerdeverfahren auszuschließen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, V.A.3.4.4).

zu (b): Dieser in Wahrheit inhaltliche Einwand wird unter Punkt 2. unten behandelt. Einer Berücksichtigung des Anspruchssatzes steht er nicht entgegen.

zu (c): Die Streichung dieses Merkmals zielt unter anderem darauf ab, einen von der Beschwerde­gegnerin erhobenen Einwand unter Art 100(c) EPÜ zu beheben. Daher sind die Erfordernisse von Regel 80 EPÜ erfüllt.

Aus diesen Gründen ist Hilfsantrag 1B zu berücksichtigen.

2. Artikel 100 (c) EPÜ in Verbindung mit Artikel 123(2) EPÜ

Die Beschwerdegegnerin ist der Auffassung, dass Anspruch 1 durch grammatikalische Unklarheiten und eine inkonsistente Kommasetzung in Bezug auf die dort genannten Normen Artikel 123(2) EPÜ verletzt.

Es ist jedoch unmittelbar erkennbar, dass sich die in den unabhängigen Ansprüchen genannten Normen:

- DIN 15345 (D15) auf recycliertes Polypropylen (PP),

- DIN 15344 (D16) auf recycliertes Polyethylen (PE) und

- DIN 15342 (D14) auf recycliertes Polystyrol (PS)

beziehen.

Zudem stellt Seite 8, Zeilen 16 bis 18 der Beschreibung wie ursprünglich eingereicht klar, dass sich das Patent "die Definitionen dieser internationalen Normen zu Eigen" macht.

Unter diesen Umständen sind die Erfordernisse von Artikel 123(2) EPÜ erfüllt.

3. Artikel 100(c) EPÜ in Verbindung mit Artikel 123(3) EPÜ

3.1 Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass das Streichen des Merkmals "gemäß der Norm DIN EN 15347:2007" (D8) in den Ansprüchen 1 und 12 den Schutzumfang erweitere, da es technische Relevanz besitze. So unterscheide die Norm D8 zwischen normgemäßen und nicht-normgemäßen Kunststoffen und schränke daher den Fundus der zur Verfügung stehenden Kunststoffe ein.

Das überzeugt nicht.

Nach G 1/93 ist es statthaft, ein nicht offenbartes Merkmal ohne jegliche technische Bedeutung aus einem Anspruch zu streichen, ohne dass gegen Artikel 123(3) EPÜ verstoßen wird. Punkt 4 der Entscheidungsgründe hält fest: "Strittig dürfte auch nicht die in der Sache T 231/89 vertretene Auffassung sein, dass ein hinzugefügtes, nicht offenbartes Merkmal ohne jegliche technische Bedeutung aus einem Anspruch gestrichen werden kann, ohne dass gegen Artikel 123(3) EPÜ verstoßen wird".

Dies trifft auch im vorliegenden Fall zu, da die Norm D8 (siehe Punkt 1 auf Seite 5) lediglich ein "Schema für die Charakterisierung von Kunststoff­abfällen" (Hervorhebung durch die Kammer) liefert, also eine Art Etikettierung des Ausgangsmaterials für die Herstellung der Fasern.

Dagegen stellt die Norm ausdrücklich keine Anfor­derungen an die Kunststoff-Rezyklate selbst (siehe die "Anmerkung" in Punkt 1 auf Seite 5 von D8).

So sind auch die von D8 "geforderten Daten" bzw. "freiwilligen Daten" für Kunststoffabfälle (ebd. sowie die Tabellen 1 und 2 auf Seite 7) keine technischen Merkmale des recyclierten Kunstoffes bzw. der recyclierten Kunststoffe an sich. Nach dieser Norm kann ein Kunststoffabfall außerdem auch mit dem Etikett "Nicht klassifiziert" bzw. "Keine Informationen" versehen werden (siehe den ersten Absatz von Punkt 4.2 oder auch die "Anmerkung" in Tabelle 1). Nirgends in D8 wird somit vorgeschrieben, dass bestimmte Kunststoff­abfälle nicht verwendet werden dürfen.

Selbst die mögliche Beeinträchtigung durch Verun­reinigungen (letzter Absatz der Einleitung auf Seite 4) führt zu keinem Ausschluss von Kunststoffabfällen.

Das in Anspruch 1 in der erteilten Fassung enthaltene Merkmal impliziert höchstens, dass es sich bei dem Ausgangsstoff für den recyclierten Kunststoff um Kunststoffabfall bzw. -abfälle handelt. Dies ist aber auch nach dem Streichen des Merkmals der Fall, da sich Anspruch 1 immer noch auf recyclierte(n) Kunststoff(e) bezieht. Wenn ein Kunststoff recycliert werden soll, ist er zwingend ein Kunststoffabfall, denn nur Abfall kann recycliert werden kann.

Insofern stellt das eingefügte Merkmal keine weitere Einschränkung des Fundus der verwendbaren Kunststoffabfälle dar und kann gestrichen werden, ohne Artikel 123(3) EPÜ zu verletzen.

3.2 Bezüglich des Streichens des Merkmals "insbesondere recycliertem Polyethylenterephthalat (rPET), gemäß der Norm DIN EN 15353:2007" in den Ansprüchen 1 und 12 ist die Argumentation der Beschwerdegegnerin wider­sprüchlich. Einerseits sei Regel 80 EPÜ verletzt, da es sich bei dem gestrichenen Merkmal um ein optionales Merkmal handle, andererseits handle es sich um eine unerlaubte Erweiterung des Schutzbereiches.

Dass Regel 80 EPÜ nicht verletzt wird, wurde bereits unter Punkt 1. dargelegt.

Was die Erfordernisse von Artikel 123(3) EPÜ betrifft, ist festzuhalten, dass es eine Norm DIN EN 15353:2007 gar nicht gibt, sondern nur einen "DIN-Fachbericht CEN/TR 15353" (D18). Dies gesteht die Beschwerdegegnerin auch selbst ausdrücklich zu (zweiter Absatz auf Seite 7 der Einspruchsschrift, sowie der die Seiten 6 und 7 überbrückende Absatz der Beschwerdeerwiderung).

Der Verweis auf eine nicht existierende Norm kann keine technische Einschränkung nach sich ziehen.

Somit steht auch diese Streichung nach G 1/93 im Einklang mit den Erfordernissen von Artikel 123(3) EPÜ.

Zurückverweisung

4. Die angefochtene Entscheidung hat sich lediglich mit den Erfordernissen von Artikel 123 EPÜ befasst, nicht aber mit den (weiteren) Voraussetzungen der Patentierbarkeit.

Damit liegen besondere Gründe im Sinne von Artikel 11 VOBK vor, um den Fall zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen (Artikel 111(1) EPÜ).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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