European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2024:T229322.20240424 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 24 April 2024 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2293/22 | ||||||||
Anmeldenummer: | 12196950.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | H04L 12/24 H04L 12/28 G06F 3/0484 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Verfahren zum Betreiben eines Systems zur Heimautomatisierung sowie ein Heimautomatisierungssteuerungssystem | ||||||||
Name des Anmelders: | innogy SE | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Albrecht Jung GmbH Insta GmbH GIRA Giersiepen GmbH & Co. KG |
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Kammer: | 3.5.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - Hauptantrag und Hilfsantrag 7 (nein) Zulassung von im Einspruchsverfahren behandelten Anspruchsänderungen - Hilfsanträge 1 bis 6 (nein): kein vollständiger Sachvortrag Zulassung von erst mit der Beschwerde eingereichten Anspruchsänderungen - Hilfsantrag 8 (nein): wäre bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorzubringen gewesen |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde betrifft die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das vorliegende Patent zu widerrufen. Die Einspruchsabteilung befand, dass das Patent (Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 6) nicht das Erfordernis der Neuheit erfülle (Artikel 54 EPÜ).
II. In ihrer Entscheidung berücksichtigte die Einspruchsabteilung unter anderem folgende Dokumente:
D4: DE 10 314 134 A1
D8: DE 10 2009 050 171 A1.
III. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragt, die Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent in der erteilten Fassung (Hauptantrag) oder gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 6 oder gemäß einem der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 7 und 8 aufrechtzuerhalten.
IV. Die drei Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende O1 bis O3) beantragen jeweils, die Beschwerde zurückzuweisen.
V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer ihre vorläufige Auffassung mit. Die Kammer teilte hierbei die Auffassung der Einspruchsabteilung, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht neu sei (Artikel 54 EPÜ). Ferner beabsichtigte die Kammer Hilfsanträge 1 bis 6 mangels Substanziierung unberücksichtigt zu lassen. Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 war nach Auffassung der Kammer nicht neu (Artikel 54 EPÜ). Schließlich neigte die Kammer dazu, Hilfsantrag 8 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
VI. Mit ihrem Schreiben vom 15. April 2024 teilte die Patentinhaberin mit, dass sie nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde. Dementsprechend werde eine Entscheidung nach Aktenlage beantragt.
VII. Die anberaumte mündliche Verhandlung wurde daraufhin abgesetzt.
VIII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"Verfahren zum Betreiben eines Systems zur Heimautomatisierung umfassend:
- Empfangen einer einen Gerätetyp kennzeichnenden Kennung (42) von einem Haushaltsgerät (40),
gekennzeichnet durch
- Empfangen von für den Gerätetyp angepassten Parameteroptionen (52) für eine Einstellung von Sensoren (2) und/oder Aktoren (12) des Heimautomatisierungssystems,
- Bereitstellen der empfangenen Parameteroptionen (52) auf einer Benutzeroberflache zur Auswahl durch einen Benutzer."
IX. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 7 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hauptantrags dadurch, dass folgende Merkmale angefügt sind:
"wobei eine Information über das Haushalts-gerät (40) dem Benutzer auf der Benutzeroberfläche angezeigt wird,
wobei die Parameteroptionen lokal in einer Datenbank oder in einem netzseitigen, entfernt von dem Heimautomatisierungssystem angeordneten Zentralrechner in einer Datenbank gespeichert sind und wobei einer benutzergesteuerten Auswahl des angezeigten Haushaltsgeräts (40) die für den entsprechenden Gerätetyp angepassten Parameteroptionen (52) von dem Zentralrechner (30) oder der Datenbank angefordert werden und wobei die für den Gerätetyp angepassten Parameter-optionen (52) mittels der den Gerätetyp kennzeichnenden Kennung (42) ausgewählt werden."
X. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 8 unterscheidet sich von Anspruch 1 von Hilfsantrag 7 dadurch, dass dessen erster Verfahrensschritt wie folgt geändert ist:
"- Empfangen einer einen Gerätetyp kennzeichnenden Kennung (42) von einem Haushaltsgerät (40), wobei die den Gerätetyp kennzeichnende Kennung (42) unmittelbar von dem Haushaltsgerät (40) ausgesendet wird".
Entscheidungsgründe
1. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren, einen Steuerrechner und ein System zur Heimautomatisierung mit benutzerfreundlicher Programmierung der Einstellungen.
2. Hauptantrag
2.1 Der vorliegende Hauptantrag ist identisch mit dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hauptantrag.
2.2 Anspruch 1 des Hauptantrags enthält die folgenden einschränkenden Merkmale:
1.1 Verfahren zum Betreiben eines Systems zur Heimautomatisierung umfassend:
1.2 Empfangen einer einen Gerätetyp kennzeichnenden Kennung von einem Haushaltsgerät,
1.3 Empfangen von für den Gerätetyp angepassten Parameteroptionen für eine Einstellung von Sensoren und/oder Aktoren des Heimautomatisierungssystems,
1.4 Bereitstellen der empfangenen Parameteroptionen auf einer Benutzeroberflache zur Auswahl durch einen Benutzer.
2.3 Neuheit gegenüber Dokument D4 (Artikel 54 (1) EPÜ)
2.3.1 Die Kammer stimmt der Analyse der Einspruchsabteilung zu, dass das Dokument D4 alle Merkmale von Anspruch 1 offenbart (vgl. Gründe 6.3 der angefochtenen Entscheidung).
2.3.2 Die Patentinhaberin bringt vor, dass das Merkmal 1.3 neu sei, da Dokument D4 keine Anpassung der Parameteroptionen offenbare.
2.3.3 Dieses Argument verfängt nicht, da in Anspruch 1 die "Anpassung der Parameteroptionen" nicht als automatischer Verfahrensschritt beansprucht ist, wie auch seitens der Einsprechenden bemängelt wurde. Vielmehr ist darin nur von "angepassten Parameteroptionen" die Rede, worunter auch die in Dokument D4 offenbarten, manuell angepassten Parameter fallen.
2.3.4 Der Gegenstand von Anspruch 1 ist somit nicht neu gegenüber der Offenbarung von Dokument D4 (Artikel 54 EPÜ).
2.4 Neuheit gegenüber Dokument D8 (Artikel 54 (1) EPÜ)
2.4.1 Der Analyse der Einspruchsabteilung folgend stellt die Kammer fest, dass auch Dokument D8 alle Merkmale von Anspruch 1 offenbart (vgl. Gründe 5.3.1 der angefochtenen Entscheidung).
2.4.2 Das Argument der Beschwerdeführerin, dass die beanspruchten "angepassten Parameteroptionen" gemäß Merkmal 1.3 eine Beziehung zu weiteren im Heimautomatisierungssystem betriebenen Geräten spezifizierten, vermag die Kammer nicht zu überzeugen. Der Gegenstand von Anspruch 1 schließt nämlich offensichtlich auch den Fall ein, dass das System nur ein einziges "Haushaltsgerät" umfasst. Ein Bezug zu weiteren Haushaltsgeräten kann im Anspruchswortlaut also nicht impliziert sein. Wie von den Einsprechenden vorgetragen, kann die darauf gerichtete Offenbarung in der Beschreibung des Streitpatents nicht dazu verwendet werden, den Gegenstand von Anspruch 1 zum Vorteil der Patentinhaberin enger auszulegen.
2.4.3 Der Gegenstand von Anspruch 1 ist somit auch nicht neu gegenüber der Offenbarung von Dokument D8 (Artikel 54 EPÜ).
2.5 Aufgrund der vorstehenden Feststellungen ist der Hauptantrag nach Artikel 54 EPÜ nicht gewährbar.
3. Hilfsanträge 1 bis 6
3.1 Diese Anträge wurden von der Einspruchsabteilung aufgrund mangelnder Neuheit für nicht gewährbar erachtet.
3.2 Die Patentinhaberin hat mit der Beschwerdebegründung nicht dargelegt, weshalb sie dies für nicht zutreffend halte. Wie von den Einsprechenden zu Recht bemängelt, hat die Patentinhaberin somit ihren Fall nicht vollständig vorgetragen. Die Kammer stellt daher fest, dass aufgrund des unvollständigen Sachvortrags die Hilfsanträge 1 bis 6 nicht die Erfordernisse von Artikel 12 (3) VOBK erfüllen ("Dementsprechend [muss die Beschwerdebegründung] deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen").
3.3 Aus Sicht der Kammer ist ein unvollständiger Sachvortrag - insbesondere einer, der sich nicht mit den der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Argumenten auseinandersetzt - nicht geeignet, zur diskursiven Fortsetzung eines gerichtlichen Verfahrens in der Berufungsinstanz beizutragen. Insoweit stellt Artikel 12 (3) und (5) VOBK den Ausdruck eines allgemeingültigen Verfahrensgrundsatzes diskursiver Rechtsfindung dar, nämlich dass sich eine Partei oder die Kammer nur mit Vorbringen auseinandersetzen kann oder auseinanderzusetzen hat, das in Erwiderung auf ein vorangegangenes Vorbringen erfolgt: Rede und Gegenrede. Dass ein Beschwerdeführer nicht mit der angefochtenen Entscheidung einverstanden ist, ergibt sich bereits aus der bloßen Einreichung der Beschwerde. Inwieweit er damit nicht einverstanden ist, aus den gestellten Anträgen. Damit lässt sich indessen noch nicht erkennen, warum der Beschwerdeführer damit nicht einverstanden ist. Wird eine begründete Entscheidung angegriffen, so ist es im Sinne diskursiver Rechtsfindung unerlässlich, Argumente aufzuzeigen, die, wenn die Kammer sie für überzeugend hält, zu einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen könnten. Eine solche Begründungspflicht entfällt nur dann, wenn die angefochtene Entscheidung so erkennbar fehlerhaft ist, dass sich eine Begründung erübrigt.
3.4 Das ist vorliegend aber nicht der Fall. Das Fehlen einer Begründung dahingehend, warum die angefochtene Entscheidung die Hilfsanträge 1 bis 6 zu Unrecht für nicht neu gehalten habe, stellt deshalb einen Substanziierungsmangel dar.
3.5 Weil sich eine solche Substanziierung auch vorliegend nicht erübrigt, lässt die Kammer die Hilfsanträge 1 bis 6 in dieser Entscheidung unberücksichtigt.
4. Hilfsantrag 7
4.1 Anspruch 1 umfasst die Merkmale der erteilten Ansprüche 1, 2, 3 und 10 sowie weitere Merkmale aus Absatz [0022] der Patentbeschreibung. Mithin gibt jetzt der geänderte Anspruch 1 ferner an, dass
1.5 eine Information über das Haushaltsgerät dem Benutzer auf der Benutzeroberfläche angezeigt wird,
1.6 die Parameteroptionen lokal in einer Datenbank oder in einem netzseitigen, entfernt von dem Heimautomatisierungssystem angeordneten Zentralrechner in einer Datenbank gespeichert sind,
1.7 einer benutzergesteuerten Auswahl des angezeigten Haushaltsgeräts die für den entsprechenden Gerätetyp angepassten Parameteroptionen von dem Zentralrechner oder der Datenbank angefordert werden und wobei die für den Gerätetyp angepassten Parameteroptionen mittels der den Gerätetyp kennzeichnenden Kennung ausgewählt werden.
4.2 Neuheit (Artikel 54 (1) EPÜ)
4.2.1 Ungeachtet der Frage der Zulassung dieses Hilfsantrags ist der Gegenstand von Anspruch 1 nicht neu.
4.2.2 Die mit Hilfsantrag 7 hinzugefügten Merkmale 1.5 bis 1.7 sind nämlich aus den von den Einsprechenden genannten Gründen bereits aus Dokument D4 bekannt: Absatz [0015] erwähnt eine entsprechende "Datenbank" und gemäß Fig. 5a wird anhand einer Kennung (z. B. "A2.01") eine Parameteroption ("SollTemperatur") angezeigt.
4.3 Aufgrund der vorstehenden Feststellungen ist Hilfsantrag 7 nach Artikel 54 EPÜ nicht gewährbar.
5. Hilfsantrag 8
5.1 Anspruch 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 7 dadurch, dass ferner spezifiziert wird, dass:
1.8 die den Gerätetyp kennzeichnende Kennung unmittelbar von dem Haushaltsgerät ausgesendet wird.
5.2 Zulassung (Artikel 12 (4) VOBK)
5.2.1 Es handelt sich hierbei um einen geänderten Anspruchssatz, der das allererste Mal im Beschwerdeverfahren eingereicht wurde. Daher unterliegt dessen Zulassung den Vorschriften von Artikel 12 (4) VOBK.
5.2.2 Die Kammer ist von dem Argument der Patentinhaberin nicht überzeugt, dass dieser Hilfsantrag in das Beschwerdeverfahren zuzulassen sei, weil er die seitens der Einspruchsabteilung erhobenen Einwände in Bezug auf den Hauptantrag prima facie überwinde.
5.2.3 Die Patentinhaberin trägt nicht vor, weshalb dieser Antrag nicht bereits im Einspruchsverfahren eingereicht wurde. Der Einwand der mangelnden Neuheit gegenüber Dokument D4 wurde in der mündlichen Verhandlung bereits diskutiert. Wie von den Einsprechenden vorgetragen, hätte daher dieser Hilfsantrag bereits in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung vorgelegt werden sollen. Der Verhandlung blieb die Patentinhaberin jedoch aus eigenem Entschluss fern. Somit verzichtete sie auf die Möglichkeit, einen weiteren Hilfsantrag zur Behebung der diskutierten Einwände rechtzeitig einzureichen (siehe z. B. T 609/20, Gründe 2.4.3 und 2.6.2 oder T 1502/20, Gründe 3.1.3).
5.2.4 In diesem Zusammenhang merkt die Kammer an, dass es für die Patentinhaberin nicht überraschend sein konnte, dass die Einspruchsabteilung ihre Einschätzung hinsichtlich der Neuheit im Laufe der mündlichen Verhandlung geändert hat. Es ist schließlich Sinn und Zweck einer mündlichen Verhandlung, dass sich das jeweilige Entscheidungsorgan nach Anhörung aller Beteiligten eine endgültige Meinung zu den in der Ladung umrissenen Punkten bildet. Dabei kann selbstverständlich auch von der vorläufigen Meinung abgewichen werden. Nicht zuletzt wurde die Patentinhaberin in der Ladung vom 2. November 2021 unter Verweis auf Regel 115 (2) EPÜ darauf hingewiesen, dass das Verfahren im Falle des Nichterscheinens auch ohne sie fortgesetzt werden könne.
5.2.5 Schon in Anbetracht dieser Erwägungen ist Hilfsantrag 8 gemäß Artikel 12 (6) Satz 2 VOBK nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
5.2.6 Im Übrigen stellt die Kammer auch fest, dass dieser Hilfsantrag nicht eindeutig gewährbar ist. Prima facie sind nämlich einige der gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags hinzugefügten Merkmale aus den von den Einsprechenden genannten Gründen bereits aus Dokument D8 bekannt: Das Übermitteln des Gerätetyps ist in Absatz [0011] offenbart. Dieser Absatz impliziert auch eine entsprechende Datenbank, denn "[b]ei Einbinden ... wird der Gerätetyp ... übermittelt", so dass dieser "abrufbar" ist.
Das Unterscheidungsmerkmal, dass "Parameteroptionen mittels der [...] Kennung ausgewählt werden", dient offensichtlich nicht zur Lösung der von der Patentinhaberin genannten technischen Aufgabe ("Haushaltsgeräte einfach in Systeme einbinden zu können", "Ermöglichen einer mit anderen Geräten abgestimmten Steuerung") und vermag somit auch keine erfinderische Tätigkeit zu begründen.
5.3 Daher kommt die Kammer zu dem Schluss, Hilfsantrag 8 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.