T 2217/22 () of 9.9.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T221722.20240909
Datum der Entscheidung: 09 September 2024
Aktenzeichen: T 2217/22
Anmeldenummer: 16823270.0
IPC-Klasse: B09B 3/00
B09B 5/00
C22B 1/00
C22B 7/00
C22B 21/00
G01N 23/222
G01N 23/223
G01N 21/71
B07C 5/00
B07C 5/34
C22C 21/00
B07C 5/346
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN UND VORRICHTUNG FÜR DAS RECYCLING VON METALLSCHROTTEN
Name des Anmelders: Speira GmbH
Name des Einsprechenden: C-TEC CONSTELLIUM TECHNOLOGY CENTER /
CONSTELLIUM NEUF-BRISACH
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 100(a)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 112a(2)(c)
European Patent Convention Art 113(1)
European Patent Convention R 106
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(4)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(6)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein)
Änderungen - Hilfsantrag
Änderungen - zulässig (nein)
Änderung des Vorbringens - zugelassen (nein)
Rügepflicht - Einwand zurückgewiesen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0009/92
G 0004/93
G 0001/03
G 0002/03
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberin und die gemeinsam Einsprechenden legten jeweils form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der festgestellt wurde, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen das Patent Nr. 3 393 687 und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, den Erfordernissen des Übereinkommens genügen.

II. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK vom 11. Juni 2024 teilte die Kammer den Beteiligten ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerden voraussichtlich zurückzuweisen sein dürften.

III. Die Patentinhaberin nahm mit Schriftsatz datiert auf den 8. August 2024 und die Einsprechenden nahmen mit Schriftsatz datiert auf den 7. August 2024 zu dieser Mitteilung inhaltlich Stellung.

IV. Am 9. September 2024 fand die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.

V. Die gemeinsam Einsprechenden nahmen im Verlauf der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ihre gemeinsam eingelegte Beschwerde zurück und hatten fortan die Parteistellung als gemeinsame Beschwerdegegnerinnen zur Beschwerde der Patentinhaberin inne.

VI. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen.

VII. Der Tenor der Entscheidung wurde am Schluss der mündlichen Verhandlung verkündet.

VIII. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) beantragte zuletzt im Rahmen ihrer allein verbleibenden Beschwerde

die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung (Hauptantrag),

hilfsweise

bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung,

die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf Grundlage des Hilfsantrags 1, 5, 6, 3, 4 oder 7,

eingereicht jeweils als Hilfsantrag I, IV, V, II, III und VI am 28. April 2022.

IX. Die gemeinsam Einsprechenden (Beschwerdegegnerinnen) beantragten zuletzt

die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.

X. In dieser Entscheidung wird auf das folgende Dokument Bezug genommen:

D2: WO 97/05969 A1.

XI. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

"Verfahren für das Recycling von Metallschrotten, insbesondere Aluminiumschrotten,

- bei dem eine Menge Metallschrott (14), insbesondere Aluminiumschrott, in Form einer Mehrzahl von voneinander separierten Teillosen (6a-l) bereitgestellt wird,

- bei dem für jedes Teillos (6a-l) eine Zusammensetzungsanalyse durchgeführt und dem jeweils analysierten Teillos (6a-l) eine auf der Zusammensetzungsanalyse basierende Zusammensetzungsinformation (38a-l) zugeordnet wird und

- bei dem aus einer Mehrzahl von Teillosen (6a-l) mit jeweils zugeordneter Zusammensetzungsinformation (38a-l) für die Herstellung einer Legierung mit vorgegebener Spezifikation für die zu erzielende Legierungszusammensetzung eine Teilmenge (76) geeigneter Teillose (6a-l) ausgewählt wird, und zwar als Funktion der den Teillosen (6a-l) zugeordneten Zusammensetzungsinformationen (38a-l) und der vorgegebenen Spezifikation."

XII. Der Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag 1 mit kennzeichnender Unterstreichung der Ergänzungen gegenüber Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

"Verfahren für das Recycling von Metallschrotten, insbesondere Aluminiumschrotten,

- bei dem eine Menge Metallschrott (14), insbesondere Aluminiumschrott, in Form einer Mehrzahl von voneinander separierten, mehrere Schrottkörner umfassenden Teillosen (6a-l) bereitgestellt wird,

- bei dem für jedes Teillos (6a-l) eine Zusammensetzungsanalyse durchgeführt und dem jeweils analysierten Teillos (6a-l) eine auf der Zusammensetzungsanalyse basierende Zusammensetzungsinformation (38a-l) zugeordnet wird und

- bei dem aus einer Mehrzahl von Teillosen (6a-l) mit jeweils zugeordneter Zusammensetzungsinformation (38a-l) für die Herstellung einer Legierung mit vorgegebener Spezifikation für die zu erzielende Legierungszusammensetzung eine Teilmenge (76) geeigneter Teillose (6a-l) ausgewählt wird, und zwar als Funktion der den Teillosen (6a-l) zugeordneten Zusammensetzungsinformationen (38a-l) und der vorgegebenen Spezifikation."

XIII. Angesichts der Entscheidung der Kammer über die Nichtzulassung erübrigt sich eine Wiedergabe der Hilfsanträge 5, 6, 3, 4 und 7.

XIV. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.

Entscheidungsgründe

1. Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (Artikel 100 a) und 54 EPÜ)

1.1 Der Einwand der Patentinhaberin gegen die Feststellung in Punkt II.12 der Entscheidungsgründe, dass der Gegenstand von Anspruch 1 nicht neu gegenüber der Lehre von Dokument D2 sei, gründete sich vor allem auf der Frage, wie der Begriff "Teillos" zu verstehen ist.

1.2 Die Patentinhaberin trug vor, dass unter Berücksichtigung der Qualifikation der maßgeblichen Fachperson, nämlich eines Fachhochschul­ingenieurs­abschlusses im Fach Hüttenwesen mit Erfahrungen im Bereich des Metallrecyclings, und des Kontextes des Streitpatents sich die Bedeutung des Begriffs "Teillos" als Menge mehrerer Schrottkörner ergebe. Die Fachperson würde im Kontext des Recyclings von Schrott ein einzelnes Schrottfragment nicht als Schrottmenge betrachten. Dieses Verständnis werde zudem auch durch die Beschreibung gestützt, da beispielsweise gemäß [0009] der Schrott eines Teilloses zusammengefasst werde. Das Verständnis, dass ein Teillos eine Menge Schrott - d.h. eine Vielzahl von Schrottfragmenten - bezeichnet, durchziehe das gesamte Streitpatent.

1.3 Die Kammer kann sich dieser Argumentation nicht anschließen.

1.4 Das Vorbringen der Patentinhaberin zum Verständnis des Begriffs "Teillos" durch die Fachperson bleibt eine unbelegte Behauptung. Es ist nicht zu erkennen, weshalb die Fachperson unter dem Begriff "Teillos" nicht auch ein Los, das bedeutet eine bestimmte Mengeneinheit, verstünde, das nur ein einzelnes Schrottfragment umfasst. Eine Menge ist nämlich gerade kein Begriff, der zwingend als eine Größe mit einer Kardinalzahl zu verstehen ist. Eine Menge kann sich vielmehr auf einen bestimmte Anteil, beispielsweise einen bestimmten, abgegrenzten Massenanteil des Metallschrotts beziehen, so dass die Kammer mit der Feststellung der Einspruchsabteilung in Punkt 12.3 der Entscheidungsgründe übereinstimmt, dass jedes Schrottstück (Pi) im aus dem Dokument D2 bekannten Verfahren als ein Teillos im Sinnen von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag angesehen werden kann.

Auch die Beschreibung bietet keinen Anlass für ein anderes Verständnis des Begriffs "Teillos". Sie mag sich mit Ausführungsbeispielen auseinandersetzen, in denen Teillose eine Mehrzahl von Schrottfragmenten aufweisen. Sie enthält dennoch weder eine eindeutige Definition des Begriffes "Teillos", noch scheint die in ihr enthaltene Lehre im Widerspruch zu dem Fall zu stehen, in dem das Teillos nur ein einzelnes Schrottfragment enthält.

Die Einspruchsabteilung stellte somit zurecht fest, dass der Begriff "Teillos" für die Fachperson auf eine bestimmte (nicht-leere) Teilmenge Schrott hinweist, die einen Anteil der zu bearbeitenden größeren Menge Metallschrott darstellt. Als solche kann sie auch lediglich ein einzelnes Schrottfragment enthalten.

1.5 Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses des Begriffs "Teillos" können die Argumente der Patentinhaberin zur Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag gegenüber der Offenbarung von Dokument D2 nicht überzeugen.

1.6 Soweit die Patentinhaberin weiter vortrug, dass der erteilte Anspruch 1 eine implizite Reihenfolge enthalte, war dieser Vortrag für die Frage der Neuheit gegenüber Dokument D2 nicht erheblich, denn für den Fall eines aus einem einzelnen Schrottfragments bestehenden Teilloses können die Verfahrensschritte des Bereitstellens eines Teilloses und einer Zusammensetzungsanalyse zusammentreffen, so dass insoweit die Argumentation der Einsprechenden aus den Punkten 4 bis 10 ihrer Beschwerdebegründung überzeugend ist.

1.7 Vielmehr ist die Feststellung in Punkt 12.1 der Entscheidungsgründe zutreffend, dass Dokument D2 das Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags beschreibt und der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag gegenüber jener Offenbarung nicht neu ist.

2. Unzulässige Änderungen in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 (Artikel 123 (2) EPÜ)

2.1 Die Patentinhaberin wendete sich ferner gegen die Feststellung in Punkt II.16 der Entscheidungsgründe, dass die Änderungen in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ entsprechen.

2.2 Dabei ist unstrittig, dass die gegenüber dem Hauptantrag hinzugefügte Änderung in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, wonach das Teillos mehrere Schrottkörner umfasst, den ursprünglichen Unterlagen nicht explizit zu entnehmen ist.

2.3 Die Patentinhaberin gründete ihren Einwand darauf, dass die Änderung durch eine implizite Offenbarung in den ursprünglich eingereichten Unterlagen gestützt sei. Sie trug vor, dass der Fachperson aus der Gesamtoffenbarung der ursprünglichen Unterlagen, bspw. aus dem ursprünglichen Anspruch 1, deutlich werde, dass das in dem ursprünglichen Anspruch 2 genannte Merkmal einer Zusammensetzungsanalyse des gesamten Schrotts eines Teilloses optional sei. Dass einzelne Teillose mehrere Schrottkörner aufwiesen, ergebe sich aus der ursprünglichen Beschreibung, insbesondere aus dem zweiten Absatz der Seite 4 der ursprünglichen Beschreibung. Weiterhin sei im letzten Absatz von Seite 2 der ursprünglichen Beschreibung von "dem Schrott des Teilloses" die Rede, was der Fachperson klar vermittele, dass ein Teillos nicht aus einem einzelnen Schrottfragment bestehe.

2.4 Diese Argumentation der Patentinhaberin überzeugt die Kammer nicht von einer Unrichtigkeit der Feststellung der Einspruchsabteilung, dass in den ursprünglichen Unterlagen ein mehrere Schrottkörner umfassendes Teillos unzertrennlich mit einer vollständigen Zusammensetzungsanalyse offenbart ist.

2.5 Weder dem letzten Absatz der Seite 2 der ursprünglichen Beschreibung noch dem ursprünglichen Anspruch 1 entnimmt die Fachperson unmittelbar und eindeutig eine konkrete Information zu der Zusammensetzung des Teilloses. Bereits der von der Patentinhaberin angeführte zweite Absatz der Seite 4 der ursprünglichen Beschreibung weist hingegen im letzten Satz explizit auf eine vollständige Analyse der Teillose hin: "Durch die vollständige Analyse der Teillose ist es möglich, derartige Vermischungen zuverlässig zu identifizieren und bei der weiteren Verwendung der Teillose zu berücksichtigen" (Seite 4, Zeilen 21 bis 23, der ursprünglichen Beschreibung).

2.6 Den oben angeführten Offenbarungsstellen ist im Einklang mit der Argumentation der Einsprechenden zudem, wie ebenfalls der von der Patentinhaberin zusätzlich angegebenen Offenbarung auf Seite 12, Absatz 3, der ursprünglichen Beschreibung, keine auf Schrottkörner bezogene Lehre zu entnehmen.

Eine Offenbarung von Schrottkörnern, die einem Teillos zugeordnet sind, findet sich in den ursprünglichen Unterlagen allein auf den die Seiten 5 und 6 überbrückenden Absatz der ursprünglich eingereichten Beschreibung, der dem Absatz [0023] des Streitpatents entspricht, wie es die Einspruchsabteilung zutreffend in Punkt II.15.2 der Entscheidungsgründe festgestellt hat. Diese Stelle ist die einzige Offenbarung von Schrottkörnern in den ursprünglich eingereichten Unterlagen und steht ausdrücklich in Bezug zu einer Analyse des gesamten Schrotts eines Teilloses.

2.7 Der von der Patentinhaberin vorgebrachte Verweis auf die Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer G 1/03 und G 2/03 kann ebenfalls nicht überzeugen, da im gegebenen Fall die mit dem Hilfsantrag 1 vorgenommen Änderung weder ein beschränkendes Merkmal, also keinen Disclaimer im Sinne der zitierten Entscheidungen, darstellen, noch war die Änderung durch eine zufällige Vorwegnahme des Hauptantrags im Stand der Technik veranlasst, so dass die Voraussetzungen der zitierten Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer nicht vorliegen und diese folglich im gegebenen Fall nicht einschlägig sind.

2.8 Die Fachperson entnimmt vielmehr der ursprünglichen Offenbarung nicht unmittelbar und eindeutig, dass ein Teillos aus mehreren Schrottkörnern unabhängig von einer vollständigen Zusammensetzungsanalyse des Teilloses zu betrachten ist.

2.9 Im Ergebnis ist die Kammer damit nicht von einer Unrichtigkeit der Feststellung der Einspruchsabteilung überzeugt, dass die Änderung in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 nicht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ genügt.

3. Zulassung der Hilfsanträge 5, 6, 3, 4 und 7 in das Beschwerdeverfahren (Artikel 12 (4) und 12 (6) VOBK)

3.1 Die Patentinhaberin beantragte im Rahmen ihrer Beschwerde die Aufrechterhaltung des Patents in beschränktem Umfang auf Basis der Hilfsanträge 5, 6, 3, 4 und 7.

3.2 Die Hilfsanträge 5, 6, 3, 4 und 7 wurden erstmals im Einspruchsverfahren mit Schriftsatz vom 28. April 2022 als damalige Hilfsanträge IV, V, II, III und VI eingereicht.

3.3 Allerdings wurden die Hilfsanträge 5, 6, 3, 4 und 7 im Einspruchsverfahren nicht vorrangig zum jetzigen Hilfsantrag 2 zur Entscheidung gestellt, sondern aufgrund einer eigenverantwortlichen Prozessführungsentscheidung der Patentinhaberin während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung dem jetzigen Hilfsantrag 2 nachgeordnet, der anschließend zur Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung führte.

3.4 Die Entscheidung der Patentinhaberin, den jetzigen Hilfsantrag 2 im Einspruchsverfahren vorrangig zu den Hilfsanträgen 5, 6, 3, 4 und 7 zu stellen, erfolgte zwar nach einem verfahrensleitenden Hinweis der Einspruchsabteilung, die Reihenfolge der Hilfsanträge zu überdenken. Keinesfalls beeinflusste die Einspruchsabteilung jedoch die Patentinhaberin darin, welchen und in welcher Reihenfolge sie die von ihr bereits vorgelegten zahlreichen Hilfsanträge vorzubringen habe, wie auch die Patentinhaberin selber angab. Die Entscheidung über die Reihenfolge der zu behandelnden Hilfsanträge lag im gesamten Einspruchsverfahren jederzeit bei der Patentinhaberin im Rahmen der ihr zustehenden Verfahrensdisposition. Entsprechend ihres selbst gewählten Vorbringens wurde folglich im Einspruchsverfahren zunächst gegenüber den Hilfsanträgen 5, 6, 3, 4 und 7 vorrangig über den jetzigen Hilfsantrag 2 verhandelt und entschieden.

3.5 Im Einspruchsverfahren stellte sich somit nicht die Frage, ob die Hilfsanträge 5, 6, 3, 4 und 7 zum Gegenstand der Entscheidung zu machen wären. Diese wurde vielmehr nicht prozessual wirksam, da bereits der damalige Hilfsantrag 2 erfolgreich war. Entsprechend stellen die Hilfsanträge 5, 6, 3, 4 und 7 zurecht keinen Teil der angefochtenen Entscheidung dar. Ihre jetzige Vorlage ist folglich eine Änderung im Sinne des Artikels 12 (4) VOBK bzw. hätten die nunmehr gewählte Reihenfolge der Anträge bereits im Einspruchsverfahren erfolgen können (Artikel 12 (6) Satz 2 VOBK). Es liegt somit im Ermessen der Kammer, diese Änderung ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.

3.6 Die Kammer erkennt keine rechtfertigenden Gründe für eine nunmehr erstmalig vorrangige Behandlung der Hilfsanträge 5, 6, 3, 4 und 7.

Der von der Patentinhaberin geltend gemachte Umstand, dass die Einspruchsabteilung darauf hingewiesen habe, dass die Zulassung von weiteren Hilfsanträgen in ihrem Ermessen stehe, und dabei für sie erhebliche Ermessenskriterien nannte, mag subjektiv für die Patentinhaberin ein Dilemma bei der Entscheidung über die Ausübung der ihr im Rahmen ihrer Verfahrensdisposition zur Verfügung stehenden Möglichkeiten gewesen sein.

Objektiv ist eine solche Erklärung der Einspruchsabteilung jedoch nicht geeignet, die Verfahrensdisposition der Patentinhaberin zu beschränken, da es sich allenfalls um einen verfahrensleitenden Hinweis der Einspruchsabteilung handeln konnte. Wie die Patentinhaberin bestätigte, war sie jederzeit in der Auswahl ihrer Anträge frei. Sie war insofern insbesondere auch nicht in ihrem Recht auf rechtliches Gehör verletzt.

Es ist kein Verfahrensfehler der Einspruchsabteilung ersichtlich. Die Nachrangigkeit der Hilfsanträge Hilfsanträge 5, 6, 3, 4 und 7 war eine freie, von außen nicht beeinflusste Entscheidung der Patentinhaberin.

3.7 Somit können die Hilfsanträge 5, 6, 3, 4 und 7 nicht im Rahmen des Beschwerdebegehrens der Patentinhaberin vorrangig gegenüber der aufrechterhaltenen Fassung des Patents begehrt werden. Die Hilfsanträge 5, 6, 3, 4 und 7 sind im Rahmen der Beschwerde der Patentinhaberin nicht zu berücksichtigen (Artikel 12 (4) und 12 (6) Satz 2 VOBK).

4. Weitere Einwände der Einsprechenden

Angesichts der Rücknahme der Beschwerde der Einsprechende und des Verbots der reformatio in peius (vgl. G 9/92 und G 4/93) im Beschwerdeverfahren, sind vor dem Hintergrund der oben wiedergegebenen Schlussfolgerungen die weiteren Einwände der Einsprechenden gegen das Patent, insbesondere der Einwand mangelnder Offenbarung der Erfindung gemäß Artikel 100 b) und 83 EPÜ für die vorliegende Entscheidung nicht erheblich, soweit sie sich auf die durch die angefochtene Entscheidung aufrechterhaltene Fassung beziehen.

5. Rüge gemäß Regel 106 EPÜ

5.1 Die Patentinhaberin erhob zum Ende der mündlichen Verhandlung eine Rüge gemäß Regel 106 EPÜ, mit der sie einen wesentlichen Verfahrensfehler in Gestalt einer Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 EPÜ geltend machte.

5.2 Die Patentinhaberin sah den wesentlichen Verfahrensfehler in der Nichtzulassung der Hilfsanträge 5, 6, 3, 4 und 7 in das Verfahren.

Sie trug vor, dass sie sich während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung gezwungen sah, den Hilfsantrag 2 vorrangig vor den genannten Hilfsanträgen zu stellen, um eine Zulassungsentscheidung der Einspruchsabteilung zu vermeiden, die als Ermessensentscheidung nicht einer vollumfänglichen Überprüfung durch die Beschwerdekammer unterliege. Sie habe daher in der mündlichen Verhandlung vor einem Dilemma gestanden, dass sich unmittelbar aus der Verfahrensführung der Einspruchsabteilung ergab. Daher habe sie bereits vor der Einspruchsabteilung eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs gerügt.

Die Kammer habe nun diese Gehörsverletzung dadurch perpetuiert, dass die Hilfsanträge 5, 6, 3, 4 und 7 nicht zugelassen wurden.

5.3 Ein wesentlicher Verfahrensfehler im Sinne von Artikel 112a (2) c) EPÜ in Gestalt einer Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ, wie von der Beschwerdegegnerin gerügt, ist nicht ersichtlich.

Soweit die Patentinhaberin vorträgt, dass die Verfahrensführung der Einspruchsabteilung eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstelle, weist die Kammer darauf hin, dass ein Einwand eines angeblich wesentlichen Verfahrensfehlers der Einspruchsabteilung vor der Kammer erst bei Erhebung der Rüge nach Regel 106 EPÜ ausdrücklich geltend gemacht wurde, wie es auch die Patentinhaberin auf Nachfrage durch die Kammer bestätigte.

Zudem erkennt die Kammer in dem Verfahrenshinweis der Einspruchsabteilung hinsichtlich der Reihenfolge der Hilfsanträge keinen wesentlichen Verfahrensfehler, insbesondere keine Verletzung rechtlichen Gehörs, wie unter Punkt 3.6 oben dargelegt.

5.4 Aber auch bereits grundsätzlich vermag die Rüge der Patentinhaberin nicht zu überzeugen.

Die Patentinhaberin bestreitet mit ihrer Rüge nämlich nicht, dass ihr von der Kammer ausreichend rechtliches Gehör gewährt wurde.

Die Entscheidung über die Nichtzulassung ist unstrittig auf das Übereinkommen und die geltende Verfahrensordnung gestützt, wie es die Kammer in Punkt 3. oben dargelegt hat, und erfolgte, nachdem die Kammer der Patentinhaberin ihre vorläufige Auffassung zu der Frage der Zulassung in Punkt 12 ihrer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK darlegte und die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Protokolls hinreichend Gelegenheit erhielt gegenüber der Kammer zu dieser Frage Stellung zu nehmen.

Die Kammer gelangte somit unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin bis zu diesem Zeitpunkt vorgebrachten Argumente zu der Ermessensbeurteilung im Rahmen des Artikels 12 VOBK. Das rechtliche Gehör der Patentinhaberin wurde gewahrt.

5.5 Die Rüge der Patentinhaberin wird folglich zurückgewiesen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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