European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2024:T199922.20240627 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 27 Juni 2024 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1999/22 | ||||||||
Anmeldenummer: | 17175798.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | B21D 11/07 B21D 11/12 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Biegevorrichtung zum Biegen eines Drahts für eine Gitterträgerschweissmaschine | ||||||||
Name des Anmelders: | MBK MASCHINENBAU GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Progress Maschinen & Automation AG | ||||||||
Kammer: | 3.2.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: | |||||||||
Schlagwörter: | Erteiltes Patent, Hilfsanträge I bis VI - unzulässige Erweiterung (ja) Hilfsantrag VII - Ausführbarkeit (ja) Hilfsantrag VII und VIII - Neuheit (nein) Zurückverweisung (ja) |
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Orientierungssatz: |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass unter Berücksichtigung der von der Patentinhaberin im Einspruchsverfahren vorgenommenen Änderungen gemäß Hilfsantrag VII das europäische Patent Nr. 3 269 466 den Erfordernissen des EPÜ genügt.
II. Der Einspruch war gegen das Patent in vollem Umfang eingelegt und auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 54 EPÜ (fehlende Neuheit) und Artikel 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) und Artikel 100 c) EPÜ gestützt worden.
III. Am 15. Mai 2024 erging eine Mitteilung der Beschwerdekammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK.
IV. Am 27. Juni 2024 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
V. Anträge
- Die Beschwerdeführerin I (Einsprechende) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
- Die Beschwerdeführerin II (Patentinhaberin) beantragte,
- die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Einspruch zurückzuweisen, d.h. das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten (Hauptantrag),
- hilfsweise, die Beschwerde der Beschwerdeführerin I zurückzuweisen, d.h. das Patent in geänderter Fassung gemäß Hilfsantrag VII gemäß der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung aufrechtzuerhalten,
- weiter hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung gemäß einem der Hilfsanträge I bis VI, VIII, VIIIb, IX bis XIII, alle eingereicht mit ihrer Beschwerdebegründung, oder der Hilfsanträge XIV bis XVI, eingereicht mit ihrer Beschwerdeerwiderung, aufrechtzuerhalten.
Weiter wurde für den Fall, dass der Hilfsantrag VII für nicht gewährbar erachtet wird, hilfsweise eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung beantragt.
VI. Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1 des erteilten Patents lautet wie folgt (die von der Einspruchsabteilung verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern eingefügt):
"[M1] Biegevorrichtung (1) zum Biegen eines Drahts (11, 12) für eine Gitterträgerschweißmaschine (8), [M2] wobei die Vorrichtung (1) zwei Klemmeinheiten (2, 3) zum Klemmen des Drahts (11, 12) umfasst, [M3] wobei eine erste Klemmeinheit (2) positionsfest in Richtung einer Biegestrecke vorhanden ist [M4] und eine zweite Klemmeinheit (3) parallel zur Biegestrecke verschiebbar vorhanden ist, wobei die Biegestrecke in einer Vorschubrichtung des Drahts (11, 12) parallel zu einer Längsachse des umgebogenen Drahts (11, 12) zu sehen ist, [M6] wobei die Biegevorrichtung (1) einen Biegestempel (4) umfasst, wobei [M10] die Biegevorrichtung (1) eine Biegefläche (16, 17) aufweist, über welche der Draht (11, 12) beim Biegevorgang verläuft, [M7] wobei der Biegestempel (4) zwischen der ersten (2) und der zweiten Klemmeinheit (3) vorhanden ist, [M9] wobei der Biegestempel (4) an einem zweiten Ende (15) an einem Maschinenrahmen (7) der Gitterträgerschweißmaschine (8) schwenkbar befestigt ist, [M8] wobei eine Verschiebeeinheit vorhanden ist, welche mittels eines Schwenkarms (6) beweglich mit einem ersten Ende (22) des Biegestempels (4) verbunden ist, dadurch gekennzeichnet, dass [M11] die Biegefläche (16, 17)) [sic], über welche der Draht (11, 12) verläuft, [M12] zu einer Längsachse des Biegestempels (4) versetzt [M11] am Schwenkarm (6) vorhanden ist."
VII. Die Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen, über die in dieser Entscheidung entschieden wurde, weisen folgende Änderungen auf:
Der Anspruch 1 des Hilfsantrags VII entspricht dem erteilten Anspruch 1, wobei das Merkmal M12 folgendermaßen geändert ist (Nummerierung durch die Kammer hinzugefügt): "[M12vii] zu einer Längsachse des Biegestempels (4) in Richtung der ersten Klemmeinheit (2) versetzt am ersten Ende (22) des Biegestempels (4) angeordnet ist und wobei die Biegefläche (16, 17) [M11] am Schwenkarm (6) vorhanden ist."
Der Anspruch 1 des Hilfsantrags I entspricht dem erteilten Anspruch 1, wobei im Anspruch 1 des Hilfsantrags I das Merkmal M12 folgendermaßen lautet (Änderungen gegenüber dem erteilten Anspruch 1 sind unterstrichen, Nummerierung durch die Kammer hinzugefügt): "[M12i] zu der Längsachse des Biegestempels (4) oder zu allen Längsachsen des Biegestempels (4) versetzt [M11] am Schwenkarm (6) vorhanden ist."
Der Anspruch 1 des Hilfsantrags II entspricht dem erteilten Anspruch 1, wobei im Anspruch 1 des Hilfsantrags II das Merkmal M12 folgendermaßen lautet (Änderungen gegenüber dem erteilten Anspruch 1 sind unterstrichen; Nummerierung durch die Kammer hinzugefügt): "[M12ii] zu der Längsachse (B) des Biegestempels (4) versetzt [M11] am Schwenkarm (6) vorhanden ist," und der Anspruch danach um folgendes Merkmal ergänzt ist (Nummerierung durch die Kammer hinzugefügt): "[M13] [M13-1] wobei der Biegestempel (4) mit dem ersten Ende an einem Drehlager (10) des Schwenkarms (6) drehbar mit dem Schwenkarm (6) verbunden ist, [M13-2] wobei der Biegestempel (4) über eine Schwenkachse schwenkbar mit einem Maschinenrahmen der Gitterträgerschweißmaschine verbindbar ist, wobei die Längsachse (B) des Biegestempels (4) durch das Drehlager (10) und die Schwenkachse verläuft."
Der Anspruch 1 des Hilfsantrags III entspricht dem Anspruch 1 des Hilfsantrags II, wobei Anspruch 1 des Hilfsantrags III nach dem Merkmal M13 um folgendes Merkmal ergänzt ist (Nummerierung durch die Kammer hinzugefügt): "[M14] wobei ein Abstand der Biegefläche (16, 17) zu einer Klemme der ersten Klemmeinheit (2) kleiner ist, als ein Abstand des Drehlagers (10) des Schwenkarms (6) zur Klemme der ersten Klemmeinheit (2)."
Der Anspruch 1 des Hilfsantrags IV entspricht dem des Hilfsantrags III, wobei das Merkmal M6 folgendermaßen ergänzt ist (Nummerierung durch die Kammer hinzugefügt): "[M6iv] wobei der Biegestempel (4) aus einem Biegezylinder (18, 19) und einem Biegekolben (20, 21) besteht,"
Der Anspruch 1 des Hilfsantrags V entspricht dem des Hilfsantrags IV, wobei im Anspruch 1 des Hilfsantrags V gegenüber dem Anspruch 1 des Hilfsantrags IV nach dem Merkmal M6iv folgendes Merkmal eingefügt ist (Nummerierung durch die Kammer hinzugefügt): "[M6v] wobei die Biegevorrichtung (1) eine Verstelleinrichtung zum linearen Verstellen des Biegestempels (4) parallel zur Vorschubrichtung des Drahts (11, 12) aufweist, wobei der Biegestempel (4) an einem zweiten Ende über die Verstelleinrichtung an einem Maschinenrahmen der Gitterträgerschweißmaschine (8) anordenbar ist,"
Der Anspruch 1 des Hilfsantrags VI entspricht dem des Hilfsantrags V, wobei am Ende des Anspruchs 1 des Hilfsantrags V folgendes Merkmal hinzugefügt ist (Nummerierung durch die Kammer hinzugefügt): "[M15] wobei der Schwenkarm (6) L-förmig ausgebildet ist."
Der Anspruch 1 des Hilfsantrags VIII entspricht dem des Hilfsantrags I, wobei das Merkmal M12i folgendermaßen geändert ist (Nummerierung durch die Kammer hinzugefügt; Änderungen sind unterstrichen): "[M12viii] zu der Längsachse des Biegestempels (4) oder zu allen Längsachsen des Biegestempels (4) in Richtung der erster [sic] Klemmeinheit (2) versetzt am ersten Ende (22) des Biegestempels (4) angeordnet ist und [M11] wobei die Biegefläche (16, 17) am Schwenkarm (6) vorhanden ist."
VIII. In dieser Entscheidung wird auf das Dokument EP 2 789 406 A1 (Dokument D1) Bezug genommen.
IX. Die Beteiligten haben im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
a) Erteiltes Patent: Unzulässige Erweiterung - Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ
i) Einsprechende
Der Gegenstand des erteilten Anspruch 1 gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, da der Versatz der Biegefläche zu einer Längsachse des Biegestempels nur im Zusammenhang mit dem Merkmal offenbart sei, dass die Biegefläche am ersten Ende des Biegestempels angeordnet sei. Dies gehe aus den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 2 und 7 und aus den Absätzen [0016] und [0030] der A1-Schrift hervor.
ii) Patentinhaberin
Die vorläufige Auffassung der Kammer in Bezug auf Punkt 7.3 und 7.6 der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK werde geteilt, insbesondere dass eine Befestigung und/oder Anordnung mittelbar oder unmittelbar sein könne, dass diesbezüglich im Patent nicht unterschieden werde, und dass das Merkmal, dass die Biegefläche am ersten Ende des Biegestempels angeordnet ist, so auszulegen sei, dass die Biegefläche nicht unmittelbar, sondern auch mittelbar am ersten Ende des Biegestempels angeordnet sein könne, dass aber auf Grund der Präposition "an" eine gewisse räumliche Nähe der Biegefläche zum ersten Ende des Biegestempels vorhanden sein müsse.
Allerdings sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht unzulässig erweitert, da sich aus der Formulierung des erteilten Anspruchs 1, insbesondere dem Merkmal M8, implizit ergebe, dass die Biegefläche auch am ersten Ende des Biegestempels angeordnet sei.
b) Hilfsantrag VII: Ausführbarkeit i.S.v. Artikel 83 EPÜ
i) Einsprechende
Die Patentanmeldung enthalte zwei unterschiedliche konkurrierende Ausführungsformen, die sich einerseits in den ursprünglich eingereichten abhängigen Ansprüchen 1 und 7 und Absatz [0017] der A1-Schrift und andererseits im ursprünglich eingereichten Anspruch 10 und Absatz [0037] der A1-Schrift wiederfänden. Die Biegefläche sei in der ersten Ausführungsform am ersten Ende des Biegestempels angeordnet und in einer zweiten Ausführungsform, die in den Figuren des Patents dargestellt sei, versetzt zur Längsachse des Biegestempels am Schwenkarm, aber nicht am ersten Ende des Biegestempels vorhanden. Beide Ausführungsformen würden sich gegenseitig ausschließen, da die Biegefläche nur entweder am ersten Ende des Biegestempels oder aber versetzt zur Längsachse am Schwenkarm vorhanden sein könne. Die Auslegung durch die Einspruchsabteilung sei nicht durch das Patent gestützt, insbesondere seien die Figuren des Patents nicht erfindungsgemäß, da sie keine am ersten Ende des Biegestempels angeordnete Biegefläche zeigten. Daher enthalte die Beschreibung kein einziges Ausführungsbeispiel, weshalb in dieser Hinsicht eine mangelnde Ausführbarkeit vorläge.
ii) Patentinhaberin
Die von der Einsprechenden zitierten Ausführungsformen würden sich nicht gegenseitig ausschließen, da im Anspruch 1 des Hilfsantrags VII nicht zwischen einer mittelbaren und unmittelbaren Anordnung der Biegefläche am Biegestempel unterschieden werde. Ferner würde sich der ursprünglich eingereichte abhängige Anspruch 10, der laut der Einsprechenden die zweite Ausführungsform darstelle, auf die ursprünglich eingereichten abhängigen Ansprüche 2 und 7, die laut der Einsprechenden die erste Ausführungsform darstellten, rückbeziehen. Auch zeigten die Figuren des Patents ein erfindungsgemäßes Ausführungsbeispiel, da dort gemäß der Anspruchsauslegung die Biegefläche am Schwenkarm versetzt zu einer Längsachse des Biegestempels am ersten Ende des Biegestempels angeordnet sei. Dies werde durch Absatz [0017] des Patents gestützt, wonach die Biegefläche am ersten Ende des Biegestempels anschraubt und/oder angeschweißt sei.
c) Hilfsantrag VII: Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber dem Dokument D1 (Artikel 54 EPÜ)
i) Einsprechende
Die in den Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 gezeigte Ausführungsform sei neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags VII. Insbesondere die streitigen Merkmale des Kennzeichens des Anspruchs 1 des Hilfsantrags VII seien in den Figuren 1 bis 3 des Dokuments unmittelbar und eindeutig offenbart.
Die Kröpfung des Biegestößels bzw. des Biegestempels 2 und die damit versetzte Anordnung der Verbindungsachse des Biegestempels mit der Schubstange bzw. des Schwenkarms 7 sei - auch wenn und obwohl es sich bei den Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 um schematische Zeichnungen handle - in allen drei Figuren unmittelbar und eindeutig erkennbar. Um eine in den Figuren rechts dargestellte senkrecht verlaufende rechte Kante des zu biegenden Drahtes erzeugen zu können, sei eine Kröpfung und damit eine versetzt zur Längsachse des Biegestempels angebrachte Biegefläche unerlässlich, da andernfalls die in den Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 fest angebrachte Klemme 4 nicht hintergriffen werden könne. Anhand des fehlenden Pfeils bei der Klemme 4 sei den Figuren entnehmbar, dass die Klemme 4 fest angebracht sei, während die Klemme 5 und der Linearantrieb 14 in Pfeilrichtung beweglich seien.
Die Biegefläche sei aus den Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 unmittelbar und eindeutig zu entnehmen. In diesen drei Figuren werde der Ablauf des Biegevorgangs an einer konkreten Biegemaschine dargestellt. Die Biegung des Drahtes erfolge an der Stelle, an der sich die Biegefläche befinde. Der in den Figuren dargestellte Verbindungsbolzen setze eindeutig dort an, wo sich die Biegung des Drahtes befinde. Aufwändige technische Zeichnungen seien für den Fachmann nicht erforderlich, um das grundlegende Konzept beziehungsweise die dargestellte Geometrie des Biegestempels aus dem Offenbarungsgehalt der Figuren ableiten zu können. Das wesentliche Kriterium sei, dass das bewusste Ergebnis der technischen Überlegung erkennbar sei, welche für den Fachmann auf diesem Gebiet im Kontext von elastischen Rückfederungsprozessen und zu generierenden Biegewinkeln aufgrund seines allgemeinen Fachwissens offensichtlich gegeben sei (siehe auch Entscheidung T 398/00). In der Entscheidung T 451/88 werde beispielsweise festgehalten, dass auch schematische Zeichnungen genügten, um wesentliche Bestandteile der Erfindung aufzuzeigen, wenngleich kein genaues Verhältnis zwischen Größenordnungen hergeleitet werden könne, was für das grundsätzliche Vorhandensein einer Abweichung von der Symmetrieachse auch nicht erforderlich sei. In der Entscheidung T 748/91 sei sogar in Bezug auf relative Größenordnungen festgestellt worden, dass aus schematischen Zeichnungen Größenverhältnisse abgeleitet werden könnten.
In der Figur 4 des Dokuments D1 sei eindeutig eine andere Ausführungsform dargestellt, bei der der Schwenkarm abgewinkelt und der Biegestempel nicht gekröpft sei. Auch der gebogene Draht weise nicht die unterschiedlichen Biegewinkel wie in den Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 auf.
ii) Patentinhaberin
Die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 des Hilfsantrags VII seien den Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 keinesfalls unmittelbar und eindeutig zu entnehmen, weshalb der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags VII gegenüber dem Dokument D1 neu sei.
Aus Absatz [0021] des Dokuments D1, insbesondere dem dort verwendeten bestimmten Artikel, gehe hervor, dass die Figuren 1 bis 4 jeweils die gleiche Biegemaschine zeigten. Die Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 seien nur schematisch gezeichnet, während die perspektivische Darstellung der Figur 4 eher eine technische Zeichnung sei. Daher würde sich der Fachmann an der Offenbarung der Figur 4 des Dokuments D1 orientieren, welche aber keine Kröpfung des Biegestempels zeige. Zudem sei in keiner der Figuren des Dokuments D1 eine Längsachse des Biegestempels eingezeichnet. In diesen Figuren werde die Biegefläche zwar mit dem Bezugszeichen 6 beschrieben, der Pfeil deute aber sehr vage auf den Verbindungsbolzen des Biegestemples mit dem Schwenkarm, so dass die Biegefläche diesen Figuren nicht unmittelbar und eindeutig entnehmbar sei. Die einzige Offenbarung zur Biegefläche finde sich im Zusammenhang mit der Figur 4 im Absatz [0021] des Dokuments D1, der folgendermaßen laute: "Die Biegeflächen liegen dabei an einem Bolzen, der sowohl durch die Enden der gabelförmigen Schubstange 7 als auch durch ein gabelförmiges Ende des Stößels 2 geführt ist." Allerdings sei kein Versatz der Biegefläche offenbart und es sei nicht erkennbar, wo die Biegefläche am Draht angreife.
Die in den Figuren 1 bis 3 gezeigte Kröpfung stelle nicht unmittelbar und zweifelsfrei einen Versatz der Biegefläche dar, da die Kröpfung auch zufälligerweise zustande gekommen sein könnte, um den Bolzen in der Zeichnung besser unterzubringen.
Was schematischen Zeichnungen entnehmbar sei, sei unter anderem in den Gründen unter Punkt 2.3 der Entscheidung T 451/88 behandelt worden. Demnach könnten einer üblichen Schemazeichnung nur für die Erfindung wesentliche Merkmale entnommen werden. Übertragen auf die vorliegende Sache bedeute dies, dass die Figuren im Wesentlichen den Kurbelantrieb zeigten.
In der Entscheidung T 748/91 seien aus den Zeichnungen Dickenverhältnisse abgelesen worden. Da aber vorliegend keine Längsachse eingezeichnet sei, könne auch kein Versatz abgelesen werden.
Gemäß der Entscheidung T 398/00 hätten einer Zeichnung lediglich eine Achse für den Motor, aber keine detaillierten Informationen zu dessen Lage entnommen werden können.
Gemäß der ständigen Rechtsprechung gälten für nur in einer Zeichnung gezeigte Merkmale weiter gehende Anforderungen. So sollte nicht nur die Struktur des Merkmals hinreichend deutlich aus der Zeichnung hervorgehen, sondern auch die technische Funktion daraus ableitbar sein (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 10. Auflage, Juli 2022, "Rechtsprechung", I.C.4.6.). Eine Funktion der gezeigten Kröpfung sei im Dokument D1 jedoch nicht ableitbar. Das von der Einsprechenden erwähnte Hintergreifen der Klemme sei im Dokument D1 nicht offenbart. Für den Biegestempel gebe es keinen Anschlag und das Einstellen der verschieden Biegewinkel erfolge im Dokument D1 über die beiden Lagereinrichtungen 11 und 12.
Ebenso wenig sei aus Absatz [0025] des Dokuments D1 eine gekröpfte Form des Biegestempels ableitbar. Dort sei lediglich erwähnt, dass der Biegestempel nicht stabförmig sein müsse, sondern auch andere Geometrien, insbesondere eine zu einer Sichelform gebogene, denkbar seien.
Es sei zu beachten, dass im Rahmen der Artikel 123 EPÜ und 54 EPÜ ein einheitliches Offenbarungskonzept anzuwenden sei. Alles in allem offenbare das Dokument D1 weder eine Längsachse des Biegestempels noch einen Versatz der Biegefläche in Richtung der ersten Klemmeinheit noch eine Biegefläche an sich.
d) Hilfsanträge I bis VI und VIII
Die Beteiligten hatten keine Anmerkungen.
e) Zurückverweisung
i) Einsprechende
Es solle aus verfahrensökonomischen Gründen nicht zurückverwiesen werden.
ii) Patentinhaberin
Es solle an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen werden.
Entscheidungsgründe
1. Erteiltes Patent: Unzulässige Erweiterung - Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ
1.1 Gemäß der Auffassung der Einspruchsabteilung ist der erteilte Anspruch 1 unzulässig erweitert, da in der ursprünglich eingereichten Anmeldung das Merkmal der versetzten Anordnung (Merkmal M12) der Biegefläche nur in Verbindung mit dem Merkmal des ursprünglich eingereichten Anspruchs 2, dass die Biegefläche "an einem ersten Ende des Biegestempels angeordnet ist", offenbart sei (siehe angefochtene Entscheidung, Gründe, Punkt 2).
1.2 Die Kammer schließt sich dieser Meinung an. Insbesondere kann aus den Merkmalen M10 (die Biegevorrichtung weist eine Biegefläche auf), M9 (Biegestempel an einem zweiten Ende an einem Maschinenrahmen der Gitterträgerschweißmaschine schwenkbar befestigt), M8 (Schwenkarm verbindet Verschiebeeinheit mit einem ersten Ende des Biegestempels) und M11/M12 (Biegefläche ist versetzt zu einer Längsachse des Biegestempels am Schwenkarm vorhanden) nur gefolgert werden, dass die Biegefläche am Schwenkarm vorhanden ist, und dass der Schwenkarm mit dem ersten Ende des Biegestempels verbunden ist. Es geht entgegen der Argumentation der Patentinhaberin aus diesen Merkmalen nicht hervor, wo am Schwenkarm die Biegefläche vorhanden ist, insbesondere nicht, ob die Biegefläche am ersten Ende des Biegestempels oder entfernt davon am Schwenkarm vorhanden ist. Das Merkmal, dass die Biegefläche an einem ersten Ende des Biegestempels angeordnet ist, ist daher auch nicht implizit im erteilten Anspruch 1 offenbart, wie von der Patentinhaberin unter Verweis auf die Entscheidung T 917/94 vorgetragen wurde. In dieser Entscheidung entschied die Kammer, dass das Weglassen eines Anspruchsmerkmals nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ 1973 verstoße, wenn dieses Merkmal implizit durch zwei andere Merkmale definiert werde; da es daher überflüssig sei, schaffe dieses Weglassen keinen Gegenstand, der über den der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe (siehe Rechtsprechung, II.E.1.3.3). Diese Bedingungen sind vorliegend aus obigen Gründen nicht gegeben.
1.3 Auch in der ursprünglich eingereichten Anmeldung gibt es keine Offenbarungsstelle, die den Versatz der Biegefläche zu einer Längsachse des Biegestempels unabhängig von der Anordnung der Biegefläche an einem ersten Ende des Biegestempels offenbart. Dieser Versatz wird nur im Zusammenhang mit der Anordnung am ersten Ende des Biegestempels beschrieben, wie aus den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 2 und 7 sowie der ursprünglich eingereichten Beschreibung (Seite 4, dritter Absatz und Seite 6, letzter Absatz, entsprechend den von der Einsprechenden zitierten Absätzen [0016] und [0030] der A1-Schrift) hervorgeht.
1.4 Die Kammer stimmt der Patentinhaberin zu, dass keine wortwörtliche Nennung des Merkmals in der ursprünglich eingereichten Anmeldung erforderlich ist. Allerdings dürfen gemäß der ständigen Rechtsprechung Änderung nur im Rahmen dessen erfolgen, was der Fachmann der Gesamtheit der Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann ("Goldstandard", siehe G 3/89, G 11/91, G 2/10; Rechtsprechung, II.E.1.3.1).
1.5 Schlussfolgerung der Kammer in Bezug auf den Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, und der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ steht der Aufrechterhaltung des erteilten Patents entgegen.
2. Hilfsantrag VII: Ausführbarkeit i.S.v. Artikel 83 EPÜ
2.1 Die Einspruchsabteilung kam zu der Schlussfolgerung, dass der Hilfsantrag VII die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ erfülle, da das Merkmal des Anspruchs 1 des Hilfsantrags VII, wonach die Biegefläche versetzt am ersten Ende des Biegestempels angeordnet sei, nicht bedeute, dass die Biegefläche direkt am ersten Ende des Biegestempels angeordnet sein müsse, sondern dass die Biegefläche näher am ersten Ende als am zweiten Ende des Biegestempels angeordnet sei. Diese Konfiguration sei sehr wohl vom Fachmann ausführbar, da sie beispielsweise in der Figur 1 des Patents gezeigt sei (siehe angefochtene Entscheidung, Gründe, Punkt 3.2).
2.2 Die Kammer folgt dieser Argumentation insoweit, als "am ersten Ende angeordnet" nicht zwingend bedeutet, dass die Biegefläche direkt am ersten Ende angeordnet sein muss, dass aber eine räumliche Nähe zum ersten Ende vorliegen muss.
2.3 Die Kammer stellt ferner in Übereinstimmung mit der Argumentation der Patentinhaberin fest, dass das Patent keine zwei sich gegenseitig ausschließende Ausführungsformen offenbart. Dies ist sowohl anhand der Abhängigkeiten der ursprünglich eingereichten Ansprüche 2, 7 und 10 ersichtlich als auch daraus ableitbar, dass im Anspruch 1 des Hilfsantrags VII nicht zwischen einer mittelbaren und unmittelbaren Anordnung/Befestigung unterschieden wird. Dies wird gestützt durch die Beschreibung, wonach gemäß Absatz [0017] des Patents die Biegefläche am ersten Ende des Biegestempels beispielsweise angeschraubt und/oder angeschweißt sein kann.
2.4 Auf Grundlage dieser Auslegung des Merkmals "am ersten Ende des Biegestempels angeordnet" stellen die Figuren des Patents ein anspruchsgemäßes Ausführungsbeispiel dar.
2.5 Schlussfolgerung der Kammer in Bezug auf die Ausführbarkeit der im Hilfsantrag VII beanspruchten Erfindung
Der Anspruch 1 von Hilfsantrag VII erfüllt die Erfordernisse von Artikel 83 EPÜ.
3. Hilfsantrag VII: Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber dem Dokument D1 (Artikel 54 EPÜ)
3.1 Es ist zwischen den Beteiligten lediglich streitig, ob die Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 die kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 des Hilfsantrags VII neuheitsschädlich vorwegnehmen.
3.2 Gemäß der gängigen Rechtsprechung gelten für die Offenbarung eines nur in einer Zeichnung gezeigten Merkmals gewisse Anforderungen. Wichtig für eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung ist in diesem Fall, dass nicht nur die Struktur dargestellt ist, sondern auch die technische Funktion daraus ableitbar ist, sodass der Fachmann dem nur gezeichneten Merkmal auch ohne Beschreibung eine technische Lehre entnehmen kann (siehe Rechtsprechung, I.C.4.6).
3.3 Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass nach Auffassung der Kammer aus den Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 unmittelbar und eindeutig eine Kröpfung des Biegestempels entnehmbar ist. Diese Kröpfung ist in allen drei Figuren, die den Verlauf des Biegevorgangs zeigen, erkennbar. Der Fachmann weiß, wo die Längsachse des Biegestempels liegt, so dass unmittelbar und eindeutig aus der Zeichnung ersichtlich ist, dass der Verbindungsbolzen in Richtung der ersten Klemmeinheit versetzt ist (siehe Figur 2 des Dokuments D1, mit der von der Einsprechenden hinzugefügten Längsachse des Biegestempels). FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Figur 2 des Dokuments D1, mit der von der Einsprechenden hinzugefügten Längsachse des Biegestempels (siehe angefochtene Entscheidung, Gründe, Punkt 3.3.1)
Die Biegefläche ist in den Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 mit dem Bezugszeichen 6 versehen. Diese zeigt nur vage auf den Verbindungsbolzen. Aus den Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1, die den Ablauf eines Biegevorgangs mit der Biegevorrichtung verdeutlichen, geht allerdings unmittelbar und eindeutig hervor, dass am Verbindungsbolzen des Schwenkarms mit dem Biegestempel die Knickung des Drahtes erfolgt und somit dort die Biegefläche angeordnet ist. Dadurch zeigen diese Figuren somit nicht nur unmittelbar und eindeutig die kennzeichnenden Merkmale, sondern auch deren Funktion beim Biegevorgang.
3.4 Darüber hinaus hat die Einsprechende auf den in den Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 rechts dargestellten bereits gebogenen Draht und dessen unterschiedliche Biegewinkel hingewiesen. Die Kammer teilt die Auffassung der Einsprechenden, dass der rechte senkrechte Schenkel des Drahtes nur durch die Kröpfung und den Versatz der Biegefläche erreicht werden kann, um so ein Hintergreifen der offensichtlich festen Klemme 4, im Gegensatz zur beweglichen Klemme 5, zu ermöglichen.
3.5 Die Kammer ist nicht überzeugt von der Argumentation der Patentinhaberin, dass den Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung der kennzeichnenden Merkmale des Anspruchs 1 des Hilfsantrags VII entnommen werden könne, da die Figur 4 des Dokuments D1 die gleiche Biegevorrichtung aber ohne Kröpfung zeige.
Auf Grund der deutlichen Unterschiede zwischen der Ausführungsform der Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 einerseits und der der Figur 4 des Dokuments D1 andererseits handelt es sich dabei um verschiedene Ausführungsformen. Der im Absatz [0021] des Dokuments D1 verwendete bestimmte Artikel ändert nichts an der Tatsache, dass in den schematischen Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 der Schwenkarm gerade ist, der Biegestempel gekröpft ist und der rechts in den Figuren dargestellte gebogene Draht unterschiedliche Biegewinkel aufweist, während in der perspektivischen Skizze der Figur 4 des Dokuments D1 der Schwenkarm geknickt und der Biegestempel gerade gezeichnet sind und der gebogene Draht gleichmäßige Biegewinkel aufweist. Die Kammer stellt daher fest, dass für die Betrachtung der Neuheit die in den Figuren 1 bis 3 gezeigte Ausführungsform relevant ist und die Figur 4 eine andere Ausführungsform betrifft.
3.6 Auch eine von der Patentinhaberin vorgebrachte zufällige Darstellung der Kröpfung, um beispielsweise zeichnerisch den Verbindungsbolzen unterbringen zu können, überzeugt die Kammer aus folgenden Gründen nicht: Die Kröpfung ist in allen drei schematischen Darstellungen der Figuren 1 bis 3 gezeigt. Ferner ist diese Kröpfung trotz des hohen Abstraktionsgrades in den schematischen Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 gezeichnet. Zudem kann dieser Kröpfung im Zusammenhang mit dem in den Figuren rechts dargestellten, gebogenen Draht eine Funktion zugeordnet werden (siehe Punkt 3.4), sodass sie Ausdruck einer technischen Lehre ist.
3.7 Die von den Beteiligten zitierten Entscheidungen T 451/88 (Gründe 2.3), T 748/91 und T 398/00 stehen nicht im Widerspruch zur Berücksichtigung der Zeichnungen und deren Aussage in der vorliegenden Sache.
Unter Punkt 2.3 der Gründe der Entscheidung T 451/88 wird der Unterschied zwischen einer Konstruktionszeichnung und einer Schemazeichnung herausgearbeitet. Es ist unbestritten, dass es sich bei den Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 um Schemazeichnungen handelt. Es ist entgegen der Feststellung der Patentinhaberin in dieser Entscheidung nicht ausgesagt, dass einer Schemazeichnung nur für die Erfindung wesentliche Merkmale entnommen werden könnten, sondern dass eine Schemazeichnung das angibt, was in der Erfindung wesentlich erscheint (siehe T 451/88, Gründe 2.3). Rückschlüsse auf darüber hinausgehende Informationen bezüglich nicht-wesentlicher Merkmale sind nicht zulässig. Welche zusätzlichen Informationen einer Schemazeichnung entnommen werden können, ist aus der Rechtsprechung ersichtlich (siehe Rechtsprechung, II.E.1.13.2).
In der Entscheidung T 748/91 sind relative Größenordnungen aus einer Zeichnung entnommen worden. Vorliegend spielen Größenordnungen keine Rolle, weshalb diese Entscheidung für diesen Fall nicht relevant ist.
In der Entscheidung T 398/00, zitiert im Punkt
II.E.1.13.2 der Rechtsprechung, wurde festgestellt, dass ein Merkmal aus den Zeichnungen nur dann abgeleitet werden könnte, wenn der Fachmann aus den Zeichnungen im Kontext der gesamten Beschreibung klar und unmissverständlich erkennen könnte, dass die Position des Motors gemäß diesem Merkmal das bewusste Ergebnis technischer Überlegungen war, die zur Lösung der technischen Aufgabe angestellt wurden. Vorliegend sind die streitigen Merkmale unmittelbar und eindeutig in den Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 gezeigt und der Fachmann erkennt zusätzlich aus der Darstellung des Ablaufs des Biegevorgangs mit der Biegevorrichtung und des rechts davon dargestellten gebogenen Drahtes die Funktion der entsprechenden Merkmale.
Damit ist aus den genannten Gründen in den Figuren 1 bis 3 des Dokuments D1 unmittelbar und eindeutig offenbart, dass die Biegefläche zu einer Längsachse des Biegestempels in Richtung der ersten Klemmeinheit versetzt am ersten Ende des Biegestempels angeordnet ist, wobei die Biegefläche am Schwenkarm vorhanden ist.
3.8 Schlussfolgerung der Kammer in Bezug auf die Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 des Hilfsantrags VII
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags VII ist nicht neu gegenüber dem Dokument D1.
Der Hilfsantrag VII ist somit nicht gewährbar.
4. Hilfsanträge I bis VI
Im Anspruch 1 der Hilfsanträge I bis VI ist jeweils wie im erteilten Anspruch 1 das Merkmal der versetzten Anordnung der Biegefläche enthalten. Der Gegenstand des jeweiligen Anspruchs 1 der Hilfsanträge I bis VI geht daher aus denselben Gründen wie der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (siehe Punkt 1.). Die Hilfsanträge I bis VI sind somit im Hinblick auf die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ nicht gewährbar.
5. Hilfsantrag VIII
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags VIII wurde gegenüber dem des Hilfsantrags VII lediglich um eine Alternative erweitert, weshalb der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags VIII aus denselben Gründen wie der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags VII nicht neu gegenüber dem Dokument D1 ist (Artikel 54 (1) und (2) EPÜ). Der Hilfsantrag VIII ist somit nicht gewährbar.
6. Zurückverweisung
6.1 Da der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags VII nicht neu gegenüber dem Dokument D1 ist, war die angefochtene Entscheidung aufzuheben.
6.2 In dieser Situation steht es nach Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ im Ermessen der Kammer, hinsichtlich in der angefochtenen Entscheidung nicht verbeschiedener Fragen entweder im Rahmen der Zuständigkeit des Organs tätig zu werden, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, oder die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an dieses Organ zurückzuverweisen. Artikel 11 VOBK besagt, dass eine Kammer die Angelegenheit nur dann zur weiteren Entscheidung an dieses Organ zurückverweist, wenn besondere Gründe dafür sprechen. Besondere Gründe liegen in der Regel vor, wenn das Verfahren vor diesem Organ wesentliche Mängel aufweist. Ob "besondere Gründe" vorliegen, ist von Fall zu Fall zu entscheiden (siehe Erläuterungen zu Artikel 11 VOBK, Zusatzpublikation 2, ABl. EPA 2020).
6.3 Die Kammer hat nicht, wie von der Patentinhaberin beantragt, zur Behandlung der Hilfsanträge I bis VI an die Einspruchsabteilung zurückverweisen, da die Einspruchsabteilung bereits über diese Hilfsanträge entschieden hat und da diese Hilfsanträge aus denselben Gründen, die der Aufrechterhaltung des erteilten Patents entgegenstehen, nicht gewährbar sind (siehe Punkt 4.). Die Kammer hat auch nicht zur Behandlung des Hilfsantrags VIII zurückverwiesen, da dieser aus denselben Gründen wie Hilfsantrag VII nicht gewährbar ist (siehe Punkt 5.).
6.4 Im Hinblick auf das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen (siehe auch Artikel 12 (2) VOBK), hält es die Kammer bei der vorliegenden Sachlage jedoch nicht für zweckmäßig, im Rahmen der Zuständigkeit der Einspruchsabteilung tätig zu werden und die Prüfung, ob das Patent in der geänderten Fassung gemäß Hilfsantrag VIIIb die Voraussetzungen des EPÜ erfüllt, erstmalig selbst durchzuführen. Da also besondere Gründe im Sinne des Artikels 11 VOBK vorliegen, hält es die Kammer für angebracht, die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen (Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ), zumal die Patentinhaberin eine Zurückverweisung beantragt hat und in Bezug auf den Hilfsantrag VIIIb Einwände erhoben worden sind, zu denen nicht umfassend vorgetragen worden ist. Zudem liegt auch in Bezug auf die weiteren Hilfsanträge, die bislang noch nicht von der Einspruchsabteilung geprüft worden sind, kein vollumfänglicher Sachvortrag vor. Die Kammer hat beim Ausüben ihres Ermessens berücksichtigt, dass sich die Einsprechende auf Grund der Verfahrensökonomie und einer mit einer Zurückverweisung einhergehenden Verfahrensverzögerung gegen eine Zurückverweisung ausgesprochen hat. Die Kammer hielt diese Kriterien im vorliegenden Fall jedoch für weniger relevant als die zuvor genannten Punkte.
6.5 Die Kammer verweist daher in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 111 (1) Satz 2 EPÜ und unter Berücksichtigung des Artikels 11 VOBK die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurück.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.