European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2025:T187422.20250522 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 22 Mai 2025 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1874/22 | ||||||||
Anmeldenummer: | 16702018.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | H01F 7/02 G01D 5/14 G01D 5/244 G01L 3/10 H02K 1/27 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | MAGNETANORDNUNG UND KUNSTSTOFFGEBUNDENER DAUERMAGNET FÜR EINE SOLCHE MAGNETANORDNUNG | ||||||||
Name des Anmelders: | HELLA GmbH & Co. KGaA | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Valeo Schalter und Sensoren GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.4.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerde hinreichend begründet (ja) Erfinderische Tätigkeit - (nein) Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Alternative Ermessen, Vorbringen nicht zuzulassen - Voraussetzungen des Art. 12 (3) VOBK 2020 erfüllt (nein) Ermessen, Vorbringen nicht zuzulassen - Vorbringen zugelassen (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 3 387 658 B1 zurückzuweisen. Der Einspruch war gegen das Patent im gesamten Umfang gerichtet und auf eine unzulässige Erweiterung (Artikel 100 c) EPÜ), mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a), 52 (1), 54 und 56 EPÜ) gestützt.
II. Mit der Beschwerdebegründung wurde von der Einsprechenden nur der Einspruchsgrund der mangelnden erfinderischen Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 52 (1) und 56 EPÜ) weiterverfolgt.
III. Die Anträge der Parteien am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer waren wie folgt:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt als Hauptantrag die Zurückweisung der Beschwerde, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt. Hilfsweise beantragt sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf Grundlage der Ansprüche gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 5, eingereicht im Einspruchsverfahren mit Schreiben vom 28. Februar 2022.
IV. Es wird auf folgendes Dokument Bezug genommen:
D1: DE 10 2009 039 082 A1
V. Anspruch 1 des Patents wie erteilt lautet wie folgt (die Merkmalsnummerierung in eckigen Klammern wurde von der Kammer hinzugefügt):
"[M1.1] Magnetanordnung (1) umfassend
[M1.2] einen ringförmigen hülsenförmigen kunststoffgebundenen Dauermagneten (2) und
[M1.3] eine zu dem Dauermagneten koaxial angeordnete und mit dem Dauermagneten dauerhaft verbundene Trägerhülse (3) aus Metall, welche mindestens ein stirnseitiges Flanschelement (5, 5', 6, 6') aufweist,
[M1.4] wobei der kunststoffgebundene Dauermagnet (2) mit einer seiner Stirnseiten (8) unmittelbar an dem mindestens einen Flanschelement (5, 5', 6, 6') der Trägerhülse anliegt,
dadurch gekennzeichnet, dass
[M1.5] der kunststoffgebundene Dauermagnet genau drei oder vier jeweils gleichmässig voneinander beabstandete Ausformungen (10, 11, 10', 11') aufweist und
[M1.6] mittels dieser von der genannten Stirnseite (8) des kunststoffgebundenen Dauermagneten wegragenden Ausformungen (10, 10', 11, 11') des kunststoffgebundenen Dauermagneten formschlüssig mit dem einen Flanschelement oder formschlüssig mit den mehreren Flanschelementen (5, 5', 6, 6') der Trägerhülse verbunden ist,
[M1.7] so dass der kunststoffgebundene Dauermagnet und die Trägerhülse in koaxialer Richtung durch den Formschluss miteinander fest verbunden sind."
VI. Die für die Entscheidung wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Beschwerde sei ausreichend begründet, da sie, die Beschwerdeführerin, auf die Entscheidung eingegangen sei und es sich weder um eine "copy-and-paste"-Version noch um eine "cut-and-paste"-Version der Einspruchsschrift handele.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents wie erteilt beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, da er ausgehend vom Dokument D1 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen nahegelegt sei.
Die Hilfsanträge 1 bis 5 seien, da unsubstantiiert, nicht in das Verfahren zuzulassen.
VII. Die für die Entscheidung wesentlichen Argumente der Beschwerdegegnerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Beschwerde sei nicht zulässig, da sich die Beschwerdeführerin nicht mit den Entscheidungsgründen der Einspruchsabteilung ausreichend auseinandergesetzt habe, sondern den Vortrag aus der Einspruchsbegründung im Wesentlichen unverändert vorgetragen habe.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents wie erteilt sei erfinderisch, da die Unterschiedsmerkmale vom Fachmann erwogen werden könnten, es aber keinen Hinweis gebe, warum er dies tun würde. Darüber hinaus sei die Auswahl von genau drei oder vier Ausformungen nicht naheliegend, da sie besondere Vorteile biete. Auch sei die Lösung der genannten Aufgabe (Kostenreduzierung) ausgehend vom Dokument D1 weder gelöst noch sei sie in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen naheliegend.
Die Hilfsanträge 1 bis 5 seien in das Verfahren zuzulassen, da sie nicht weiter zu substantiieren gewesen seien. Die Änderungen dieser Hilfsanträge seien selbsterklärend, sodass eine gewisse Subsumtion des vorliegenden Sachverhalts der Kammer und der Beschwerdeführerin zumutbar sei.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit der Beschwerde
1.1 Die Beschwerdebegründung ist entgegen der Behauptung der Beschwerdegegnerin weder eine "copy-and-paste-Version" (also eine komplette Übernahme) noch eine "cut-and-paste-Version" (also eine teilweise Übernahme) der Einspruchsschrift. Auch wenn einzelne Absätze der Beschwerdebegründung identisch aus der Einspruchsschrift übernommen wurden, so betreffen diese Absätze den Sachvortrag zur erfinderischen Tätigkeit, welcher inhaltlich unverändert gegenüber dem Einspruchsverfahren geblieben ist. Darüber hinaus wurde der Sachvortrag zur erfinderischen Tätigkeit nicht in seiner Gesamtheit identisch aus der Einspruchsschrift übernommen, sondern es wurden Argumente der Einspruchsabteilung aufgegriffen und behandelt (beispielsweise Beschwerdebegründung, Seite 5, letzter Absatz bis Seite 6, erster Absatz). Somit hat sich die Beschwerdeführerin mit der erstinstanzlichen Entscheidung, wenn auch nur kurz und knapp, doch zweifelsohne auseinandergesetzt. Dies ist als Begründung für die Beschwerde gemäß Artikel 108 EPÜ sowie für die Anforderungen an die Beschwerdebegründung gemäß Regel 99 (2) EPÜ ausreichend.
Die Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde steht auch nicht im Widerspruch zu den Ausführungen in T 349/09, da die vorliegende Beschwerdebegründung - im Unterschied zur Sachlage in T 349/09 - keine "copy-and-paste-version" der Einspruchsschrift ist. Aus der Beschwerdebegründung ist eindeutig erkennbar, welche Argumente der angefochtenen Entscheidung die Beschwerdeführerin nicht teilt.
1.2 Folglich erfüllt die Beschwerde die Erfordernisse des Artikels 108 EPÜ sowie der Regel 99 (2) EPÜ und ist somit zulässig.
2. Die Erfindung
Das vorliegende Patent betrifft eine Magnetanordnung mit einem ringförmigen, kunststoffgebundenen Dauermagneten, welcher auf eine metallene Trägerhülse mit Flansch aufgesetzt wird. Derartige Magnetanordnungen werden beispielsweise in Drehmoment- oder Drehwinkelsensoren verwendet. Der ringförmige Dauermagnet muss mechanisch fest und zuverlässig mit der Trägerhülse verbunden werden und weist hierzu an seiner Stirnseite wegragende Ausformungen auf. Die Ausformungen greifen in Öffnungen im Flansch, um dort fest und formschlüssig mit der Trägerhülse verbunden zu werden. Die Magnetanordnung gemäß erteiltem Anspruch 1 weist genau drei oder vier Ausformungen auf, mit Hilfe derer die formschlüssige feste Verbindung an den sogenannten Fügestellen hergestellt wird.
3. Patent wie erteilt - erfinderische Tätigkeit
3.1 Nächstliegender Stand der Technik
Das Dokument D1 stellt einen geeigneten nächstliegenden Stand der Technik dar. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.
3.2 Unterschiedsmerkmale
Auch sind sich die Parteien einig, dass sich der in Anspruch 1 definierten Gegenstand von der Lehre des Dokuments D1 lediglich durch das Unterschiedsmerkmal M1.5 unterscheidet, d.h. dass der "kunststoffgebundene Dauermagnet genau drei oder vier jeweils gleichmässig voneinander beabstandete Ausformungen ... aufweist" (Unterstreichung durch Kammer). Die Kammer sieht keinen Grund hiervon abzuweichen.
Im Dokument D1 weist der kunststoffgebundene Dauermagnet in einem Ausführungsbeispiel acht Ausformungen in Form von Domen auf, welche in Löcher oder Durchbrüche des Flansches der Trägerhülse greifen und dort mittels eines Umformverfahrens so verformt werden, dass an diesen sogenannten Fügestellen eine feste Verbindung zwischen dem Dauermagneten und der Trägerhülse hergestellt wird (Absätze [0018] und [0029]; Abbildungen 1 und 2).
3.3 Objektive technische Aufgabe - technischer Effekt
3.3.1 In der Patentschrift wird als technische Aufgabe
die kostengünstige Herstellung einer Magnetanordnung genannt (Absatz [0004]). Nach Meinung der Kammer wird diese Aufgabe durch die Unterschiedsmerkmale gelöst, weswegen für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit die objektive technische Aufgabe als die kostengünstige Herstellung einer Magnetanordnung gesehen wird.
3.3.2 Die Beschwerdegegnerin hat ebenfalls nur zu dieser Aufgabenstellung vorgetragen.
3.4 Naheliegen der beanspruchten Lösung
3.4.1 Ausgehend von der gestellten objektiven technischen Aufgabe würde der Fachmann nach einer Vereinfachung des aus Dokument D1 bekannten Aufbaus suchen. Dass eine Vereinfachung des Aufbaus eine Kostenreduzierung mit sich bringt, gehört nach Meinung der Kammer zum allgemeinen Fachwissen.
3.4.2 Das Dokument D1 weist in Absatz [0019] explizit darauf hin, dass nicht zwingend acht Dome erforderlich sind, sondern dass die "Festigkeit der Verbindung" durch die Anzahl und die Geometrie der Dome "einstellbar" ist.
3.4.3 Weder Absatz [0019] noch Absatz [0020] des Dokuments D1 weist, wie von der Beschwerdegegnerin behauptet, von einer Verringerung der Anzahl der Fügestellen bzw. Dome weg. Der in Absatz [0019] verwendete Begriff "einstellbar" ist neutral und beinhaltet sowohl die Möglichkeit der Erhöhung als auch der Verringerung der Anzahl der Dome. Dass bei einer Verringerung der Anzahl der Dome darauf geachtet werden muss, dass die gewünschte Festigkeit gewährleistet bleibt, mag Absatz [0019] zu entnehmen sein. Dies bedeutet aber nicht, dass dieser Absatz grundsätzlich von einer Reduzierung der Anzahl der Dome wegweist, sondern nur, dass die Dome so ausgestaltet sein müssen, dass sie auch bei reduzierter Anzahl die gewünschte Festigkeit der Verbindung bieten.
Absatz [0020] lehrt darüber hinaus, dass "Reserve"-Dome verwendet werden können, sodass auch bei Ausfall eines Domes dennoch die nötige Festigkeit der Verbindung erhalten bleibt. Somit besagt Absatz [0020] lediglich, dass z. B. bei den später im Detail beschriebenen acht Domen bei einem Abbrechen eines Domes die übrigen sieben Dome eine ausreichende Festigkeit bieten können. Somit betrifft Absatz [0020] unter gewissen Umständen (Ausfall eines Domes) die Möglichkeit der Reduzierung der Anzahl der Dome. Absatz [0020] impliziert auch nicht, dass die im Absatz [0019] genannte Anzahl der Dome nicht reduziert werden dürfte. Wie die Beschwerdeführerin richtig vorgetragen hat, weiß der Fachmann, dass unter gewissen Umständen auch eine einzige Fügestelle, wie beispielsweise die Befestigung der Räder mit einer zentralen Radmutter an einem Formel-1-Rennwagen, die gewünschte Festigkeit gewährleisten kann. Somit ist die Kammer der Ansicht, dass der Fachmann Absatz [0020] im Hinblick auf den vorliegenden Kontext und die zylindrische Geometrie der offenbarten Magnetbaugruppe so verstehen würde, dass - selbst wenn "Reserve"-Dome verwendet werden sollen - drei oder vier Dome ausreichend sein können.
3.4.4 Laut Beschwerdegegnerin erfordere die Reduzierung der Fügestellen bzw. Dome eine Geometrieanpassung, was zwingend eine Kostenerhöhung mit sich bringe. Die Aufgabenstellung sei folglich nicht gelöst bzw. Absatz [0019] weise von einer Reduzierung der Fügestellen weg. Wenn nämlich die Anzahl der Fügestellen reduziert werde, könne die Festigkeit nur dann unverändert erhalten bleiben, wenn die Dome im Durchmesser vergrößert und somit die Flansche verbreitert würden. Dies erfordere einen erhöhten Materialverbrauch, was die Kosten erhöhe.
3.4.5 Hiervon ist die Kammer aus folgenden Gründen nicht überzeugt. Wie die Beschwerdeführerin überzeugend vorgetragen hat, müssen die Dome nicht zwingend rund ausgeformt werden, sondern könnten beispielsweise oval ausgeformt werden. Somit könnte bei einer reduzierten Anzahl an Fügestellen jede Fügestelle für sich vergrößert werden, ohne dass hierbei der Flansch verbreitert werden müsste. Bei gleichbleibender Größe der Magnetanordnung, v.a. des Flansches der Trägerhülse, könnte dennoch eine größere Festigkeit jeder einzelnen Fügestelle erreicht werden, sodass die gesamte Festigkeit auch bei einer reduzierten Anzahl an Fügestellen erhalten bleibt. Eine Anpassung der Geometrie erfordert folglich nicht zwingend eine Vergrößerung der Magnetanordnung, sodass sich die Herstellungskosten nicht erhöhen, sondern wegen der geringeren Anzahl an Fügestellen in der Herstellung verringern.
3.4.6 Auch kann nicht zwingend abgeleitet werden, dass bei einer Reduzierung der Fügestellen überhaupt eine Anpassung der Geometrie erforderlich ist. Der in Anspruch 1 definierte Gegenstand legt nämlich weder die Geometrie der Fügestellen fest noch die verwendete Verbindungstechnik noch irgendwelche Anforderungen an die nötige oder gewünschte Festigkeit der Verbindung. Wie oben bereits ausgeführt kann auch nur eine Fügestelle abhängig vom gewählten Typ der Verbindung ausreichend Festigkeit bieten. Da der Anspruchsgegenstand hinsichtlich der Art und Anwendung der Verbindung sowie der Anforderung an die Festigkeit vage und undefiniert ist, ist das Argument der Beschwerdegegnerin, dass der Fachmann die Anzahl der Fügestellen wegen der dann verringerten Festigkeit nicht reduzieren würde, nicht überzeugend. Darüber hinaus wird im Dokument D1 die Verbindung zwischen Trägerhülse und Dauermagneten nur beispielhaft als Umformverfahren neben weiteren möglichen Verbindungsmöglichkeiten genannt (siehe Dokument D1, Absätze [0013] und [0018]). Somit würde der Fachmann bei der Reduzierung der Fügestellen sowohl die Geometrie als auch die Art der Verbindung so wählen, dass die Magnetanordnung für ihre gewünschte Anwendung ausreichend Festigkeit bietet.
3.4.7 Auch das Argument der Beschwerdegegnerin, dass der Fachmann die Anzahl der Fügestellen zwar reduzieren könne, dass es aber keinen expliziten Hinweis gebe, warum der Fachmann dies auch tun würde, ist, wie im Folgenden erläutert, nicht überzeugend. Absatz [0019] des Dokuments D1 verweist neutral darauf, dass die Anzahl der Fügestellen bzw. Dome "einstellbar" ist, also erhöht oder reduziert werden können. Absatz [0020] des Dokuments D1 verweist explizit darauf, dass bei einem Defekt einer Fügestelle dennoch die Festigkeit gewährleistet bleiben kann. Bei acht Fügestellen können bei Defekt einer Fügestelle auch nur sieben Fügestellen ausreichend Festigkeit bieten. Somit geben beide zitierten Absätze des Dokuments D1 einen expliziten Hinweis, die Anzahl der Fügestellen nicht nur anzupassen, sondern insbesondere auch zu reduzieren. Dieser explizite Hinweis ist ausreichend, dass der Fachmann ausgehend vom Dokument D1 auch Alternativen in Betracht ziehen würde und insbesondere auch eine Reduzierung der Anzahl der Fügestellen erwägen würde.
3.4.8 Auch das weitere Argument der Beschwerdegegnerin, dass die Auswahl von genau drei oder vier Fügestellen keine willkürliche Auswahl darstelle, da dies die niedrigste noch zweckmäßige Anzahl an Fügestellen mit ausreichender Festigkeit sei, welche somit gegenüber einer höheren Anzahl an Fügestellen besonders vorteilhaft und weder gleichwertig noch willkürlich und somit erfinderisch sei, kann nicht überzeugen. Ausgehend vom Dokument D1 würde der Fachmann zur Kostenreduzierung von den im Dokument D1 gezeigten acht Fügestellen nach und nach die Anzahl der Fügestellen reduzieren. Wenn er schließlich bei nur noch zwei Fügestellen feststellt, dass die gewünschte Festigkeit für seine Anwendung nicht mehr ausreichend gegeben ist, insbesondere beim möglichen Ausfall eines Domes, würde er in naheliegenderweise genau drei oder vier Fügestellen wählen. Somit ist die Auswahl von genau drei oder vier Fügestellen naheliegend und nicht erfinderisch, sodass die Frage, ob diese Auswahl willkürlich ist oder nicht, dahingestellt bleiben kann.
3.4.9 Unabhängig hiervon hält es die Kammer für plausibel, dass die Auswahl von genau drei oder vier Fügestellen gleichwertig mit zwei, fünf oder noch mehr Fügestellen ist. Wie oben unter den Punkten 3.4.3 und 3.4.8 ausgeführt, tragen die Geometrie, die Verbindungsart und die Anforderung an die Magnetanordnung bzw. die jeweilige Verwendung der Magnetanordnung wesentlich zur benötigten oder gewünschten Festigkeit der Fügestellen bei. Alle diese Merkmale sind im Anspruch 1 nicht näher definiert, sodass die beabsichtigte Festigkeit der Fügestellen im Anspruch 1 vage und undefiniert ist. Folglich ist es nicht ersichtlich, dass die spezielle Auswahl von genau drei oder vier Fügestellen gegenüber der Auswahl von zwei, fünf oder mehr Fügestellen einen erkennbaren Vorteil bietet. Zu dem beanspruchten Grad der Unbestimmtheit sind alle diese Anzahlen an Fügestellen bei der aus D1 bekannten Magnetanordnung (und auch in Anspruch 1 definierten Magnetanordnung) gleichwertig.
Gemäß gängiger Rechtsprechung (siehe T 894/19, Punkt 3.6; T 1045/12, Punkt 4.7.7; T 1968/08, Punkte 5.4 und 5.5; T 1862/15, Punkt 7.6) bedarf es bei einer Mehrzahl an gleichwertigen Auswahlmöglichkeiten keines weiteren Hinweises, um eine spezielle Auswahl, welche der Fachmann auswählen könnte, als nicht erfinderisch zu beurteilen. Im Fall einer beliebigen oder willkürlichen Auswahl aus einer überschaubaren Anzahl an Auswahlmöglichkeiten, so wie im vorliegenden Fall, findet insbesondere auch der "could-would"-Ansatz keine Anwendung.
3.4.10 Zusammenfassend ergibt sich folglich der in Anspruch 1 definierte Gegenstand ausgehend von der Lehre des Dokuments D1 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen in naheliegender Weise und beruht somit nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 52 (1) und 56 EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegen.
4. Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 5
4.1 Mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung hat die Beschwerdegegnerin die Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage eines der im Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5 beantragt (Erwiderung der Beschwerdegegnerin, Seite 1, dritter und zweiter Absatz von unten). Inhaltlich wurde hierzu nicht vorgetragen.
4.2 Gemäß Artikel 12 (3) Sätze 1 und 2 VOBK muss "die Erwiderung ... das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten ... [und muss] deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen; [die Erwiderung soll] ausdrücklich alle geltend gemachten Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel im Einzelnen anführen" (Unterstreichung durch die Kammer). Gemäß Artikel 12 (5) VOBK steht es im Ermessen der Kammer, Vorbringen eines Beteiligten, das die Erfordernisse des Absatzes 3 nicht erfüllt, nicht zuzulassen.
4.3 Gemäß Artikel 12 (3) Sätze 1 und 2 VOBK ist es folglich grundsätzlich nicht ausreichend, die im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5 kommentarlos aufrechtzuerhalten bzw. unter Verweis auf das erstinstanzliche Verfahren erneut einzureichen, ohne hierbei anzugeben, aus welchen Gründen und basierend auf welchen Argumenten die gegenüber dem höherrangigen Antrag (Hauptantrag) erhobenen Einwände durch die Hilfsanträge behoben werden bzw. warum die in den Hilfsanträgen durchgeführten Änderungen nun die Erfordernisse des EPÜ erfüllen, insbesondere, warum die neu aufgenommenen Merkmale einen erfinderischen Beitrag leisten.
4.4 Im vorliegenden Fall konnte zwar gemäß Artikel 12 (3) a) VOBK auf die gesonderte Beifügung der Hilfsanträge als Anlage verzichtet werden, diese Möglichkeit entband die Beschwerdegegnerin jedoch nicht von ihrer prozessualen Pflicht, sich zu den Hilfsanträgen inhaltlich zu äußern. Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe beispielsweise T 2253/16 oder T 2457/16) ist aber das unkommentierte Vorlegen von im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Hilfsanträgen für deren Substantiierung nicht ausreichend. Ein Grund hierfür ist die Tatsache, dass das Beschwerdeverfahren ein vom Einspruchsverfahren unabhängiges Verfahren darstellt, bei dem gemäß Artikel 12 (3) VOBK der gesamte Vortrag, insbesondere auch der Sachvortrag, inklusive der Argumente und Beweismittel, mit der Beschwerdebegründung bzw. der Beschwerdeerwiderung vorzulegen ist.
4.5 Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin war mit der Einreichung der Hilfsanträge 1 bis 5 im Beschwerdeverfahren aus folgenden Gründen keine weitere Substantiierung vonnöten:
- Gemäß Artikel 12 (3) VOBK müsse nur angegeben werden, was genau beantragt werde, nämlich dass im vorliegenden Fall die angefochtene Entscheidung aufrechterhalten bleiben solle; um darüber hinaus das Erfordernis der Knappheit zu erfüllen, sei es nicht nötig gewesen, die Hilfsanträge weiter zu kommentieren, da gegenüber dem im erstinstanzlichen Verfahren gewährten Hauptantrag kein zu überwindender Einwand vorlag. Der Hauptantrag war ja von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachtet worden.
- Obwohl gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 10. Auflage 2022, V.A.5.12.6 alle Anträge substantiiert werden müssten, könne im vorliegenden Fall analog zur Entscheidung T 568/14 darauf verzichtet werden, da die Änderungen der Hilfsanträge aus sich selbst heraus erklärend seien; der Beschwerdeführerin und der Kammer sei in diesem Zusammenhang eine Subsumtion der Sachverhalte zumutbar.
4.6 Dieser Auffassung stimmt die Kammer nicht zu, da gemäß gängiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 10. Auflage 2022, V.A.4.3.5 a) und b) bzw. V.A.5.12.6, neu eingereichte Anträge in aller Regel zu substantiieren sind.
4.6.1 Im vorliegenden Fall könnte bestenfalls die Frage, ob die in den Hilfsanträgen vorgenommenen Änderungen den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ genügen, möglicherweise durch die Änderungsexemplare, in denen die durchgeführten Änderungen farbig markiert wurden, als selbsterklärend angesehen werden.
4.6.2 Die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist jedoch nicht aus sich selbst heraus erklärend, sondern gab bereits zum höherrangigen Hauptantrag Anlass zu einer umfänglichen Diskussion. Somit wäre es vonnöten gewesen, Argumente bzw. eine Begründung vorzutragen, warum die in den Hilfsanträgen neu in den unabhängigen Anspruch aufgenommenen Merkmale einen erfinderischen Beitrag leisten können. Hierbei ist es belanglos, ob der höherrangige Antrag von der Einspruchsabteilung für gewährbar erachtet wurde oder nicht. Hilfsanträge werden als Rückfallpositionen eingereicht und müssen folglich entsprechend substantiiert werden und dies unabhängig vom Ergebnis der erstinstanzlichen Entscheidung. Da die Beschwerdegegnerin aber zu keinem Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren (und ebenso wenig im Einspruchsverfahren, was aber eine Substantiierung im Beschwerdeverfahren nicht überflüssig gemacht hätte) Argumente oder eine Begründung hinsichtlich des erfinderischen Beitrags der geänderten Merkmale vorgetragen hat, sind diese Hilfsanträge unsubstantiiert.
4.6.3 Schließlich steht auch die Entscheidung T 568/14 nicht im Widerspruch zum vorliegenden Fall, da diese Entscheidung eine andere Sachlage betrifft. In T 568/14 war in Bezug auf einen höherrangigen Antrag ausführlich diskutiert worden, ob ein "product-by-process"-Merkmal in den Erzeugnisansprüchen einschränkend wirkt und ob diese die Erfordernisse des EPÜ erfüllen. Diese Frage stellte sich für die parallel dazu vorliegenden Verfahrensansprüche nicht. Diese Diskussion hat sozusagen die Substantiierung des daraufhin geänderten Hilfsantrags, in dem die Erzeugnisansprüche gestrichen wurden und damit dem Einwand gegen diese Anträge ohne Weiteres die Grundlage entzogen wurde, vorweggenommen. Somit war der Hilfsantrag selbsterklärend bzw. in Zusammenhang mit dem höherrangigen Antrag bereits zuvor substantiiert worden.
4.6.4 Da die vorliegenden Hilfsanträge 1 bis 5 unsubstantiiert sind, müssten sich die Beschwerdeführerin und die Kammer, sofern die Beschwerdegegnerin erst in der mündlichen Verhandlung ihre Anträge substantiieren würde, erstmalig zu diesem späten Zeitpunkt mit der Frage der Gewährbarkeit der Änderungen und der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dieser Hilfsanträge auseinandersetzen. Dies ist zweifelsohne der Verfahrensökonomie abträglich, was gerade durch die Anforderungen gemäß Artikel 12 (3) VOBK vermieden werden soll.
4.7 Somit kommt die Kammer zusammenfassend zum Schluss, dass keiner der Hilfsanträge 1 bis 5 die Erfordernisse des Artikels 12 (3) VOBK erfüllt. Hierauf basierend macht die Kammer gemäß Artikel 12 (5) VOBK von ihrem Ermessen Gebrauch und lässt die Hilfsanträge 1 bis 5 nicht in das Verfahren zu.
5. Schlussfolgerung
Da der Gegenstand des Anspruchs 1 des Patents wie erteilt, also gemäß Hauptantrag der Beschwerdegegnerin, nicht erfinderisch ist und die Hilfsanträge 1 bis 5 gemäß Artikel 12 (3) und (5) VOBK nicht in das Verfahren zugelassen werden, muss die angefochtene Entscheidung der Einspruchsabteilung aufgehoben und das Patent widerrufen werden (Artikel 111 (1) und 101 (2) b) EPÜ).
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.