European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2024:T147222.20241217 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 Dezember 2024 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1472/22 | ||||||||
Anmeldenummer: | 13734315.8 | ||||||||
IPC-Klasse: | E05B 85/26 E05B 83/24 E05B 85/20 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | SCHLOSS FÜR EINE KLAPPE ODER TÜR | ||||||||
Name des Anmelders: | Kiekert Aktiengesellschaft | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Brose Schliesssysteme GmbH & Co. KG | ||||||||
Kammer: | 3.2.04 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - Hauptantrag (nein) Neuheit - Hilfsantrag (nein) Ermessen, Vorbringen nicht zuzulassen - Voraussetzungen des Art. 12 (3) VOBK 2020 erfüllt (nein) Ermessen, Vorbringen nicht zuzulassen - Vorbringen zugelassen (nein) Änderung des Vorbringens - Gründe für Änderung im Beschwerdeverfahren erfolgt (ja) Änderung des Vorbringens - zugelassen (ja) Änderung des Vorbringens - zugelassen (nein) Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein) Änderung nach Ladung - stichhaltige Gründe (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerden richten sich gegen die Zwischen-entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 2 929 114 in geändertem Umfang nach Artikel 101 (3) (a) und 106 (2) EPÜ aufrechtzuerhalten.
II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags (erteilte Fassung) und der während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 1 und 2 nicht neu sei. Das Patent wurde in geändertem Umfang auf Basis des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 3 aufrecht erhalten.
In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen berücksichtigt:
D1 US 4 783 102 A
D2 GB 2 409 706 A
D4 WO 2010/142261 A1
Die folgenden weiteren, mit der Beschwerdebegründung der Einsprechenden bzw. der Patentinhaberin eingereichten Beweismittel werden in der vorliegenden Entscheidung behandelt:
PI6 von der Patentinhaberin kommentierte
Figuren 1-4 der D1
D12 Anlagenkonvolut zu einer offenkundigen
Vorbenutzung
D13 Einspruchsschrift der Kiekert AG gegen
das Patent EP 2 803 796
D14 WO 2011/120482 A1
D15 grafische Ableitung der Gesperregeometrie
aus D12
III. Mit einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung mit. Die mündliche Verhandlung fand am 17. Dezember 2024 in Anwesenheit beider Parteien statt.
IV. Die Beschwerdeführerin Patentinhaberin (nachfolgend Patentinhaberin) beantragt die Aufhebung der Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise auf Basis eines der bereits der Einspruchsabteilung während der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsanträge 1-5 sowie auf Basis der mit ihrer Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 6-10. Außerdem beantragt sie die Nichtzulassung der erstmals mit der Beschwerdebegründung der Einsprechenden vorgelegten Vorbenutzung D12 sowie der weiteren Dokumente D13 und D14.
V. Die Beschwerdeführerin Einsprechende (nachfolgend Einsprechende) beantragt die Aufhebung der Entscheidung und den Widerruf des Patents.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 der für diese Entscheidung relevanten Anträge hat den folgenden Wortlaut:
Hauptantrag (erteilte Fassung)
"Schloss für eine Tür oder Klappe mit einem Gesperre aus Drehfalle (1) und mindestens einer Sperrklinke (2) für ein Verrasten der Drehfalle (1), wobei Drehfalle (1) und Sperrklinke (2) so beschaffen sind, dass die Drehfalle (1) ein öffnendes Drehmoment (M) in die Sperrklinke (2) einzuleiten vermag, wobei das Drehmoment (M) von der Raststellung der Sperrklinke (2) abhängt, dadurch gekennzeichnet, dass die Drehfalle (1) ein erstes öffnendes Moment in die Sperrklinke (2) einzuleiten vermag, wenn sich die Sperrklinke (2) vollständig in ihrer Raststellung befindet, und die Drehfalle (2) ein zweites, größeres, öffnendes Moment in die Sperrklinke (2) einzuleiten vermag, wenn die Sperrklinke teilweise aus ihrer Raststellung heraus bewegt worden ist, jedoch die Sperrklinke (2) die Drehfalle (1) daran hindert, in ihre geöffnete Stellung bewegt zu werden, wobei das zweite Moment in die Sperrklinke (2) eingeleitet wird, bevor die Sperrklinke um 10 bis 15 Grad verschwenkt worden ist."
Hilfsantrag 1
Anspruch 1 ist wie im Hauptantrag, wobei der Anspruch die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Unterstreichung hervorgehoben):
"Schloss für eine Tür oder Klappe mit einem Gesperre aus Drehfalle (1) und mindestens einer Sperrklinke (2) für ein Verrasten der Drehfalle (1), und mit einem Blockadehebel (3), der die Sperrklinke (2) in ihrer Raststellung zu blockieren vermag, wobei die Drehfalle (1)... um 10 bis 15° verschwenkt worden ist, und wobei ein Mitnehmer (9) vorhanden ist, der im Falle eines Öffnens des Gesperres die Sperrklinke (2) aus ihrer Raststellung heraus zu bewegen vermag und der Mitnehmer (9) so angeordnet ist, dass dieser nur dann die Sperrklinke (2) aus ihrer Raststellung heraus bewegt, wenn die Sperrklinke (2) nicht aufgrund eines öffnenden Momentes aus ihrer Raststellung heraus bewegt wird, welches durch die Drehfalle (1) in die Sperrklinke (2) in der Raststellung eingeleitet wird."
Hilfsantrag 2
Anspruch 1 ist wie im Hilfsantrag 1, wobei das folgende Merkmal am Ende des Kennzeichens hinzugefügt wurde:
"wobei der Mitnehmer (9) an einem Auslösehebel (4) des Gesperres angebracht ist".
Hilfsantrag 3
Anspruch 1 ist wie im Hilfsantrag 2, wobei das folgende Merkmal am Ende des Kennzeichens hinzugefügt wurde:
"wobei der Auslösehebel (4) den Blockadehebel (3) aus seiner blockierenden Stellung heraus zu bewegen vermag."
Hilfsantrag 4
Anspruch 1 ist wie im Hilfsantrag 3, wobei das folgende Merkmal am Ende des Kennzeichens hinzugefügt wurde:
"wobei der Auslösehebel (4) drei Hebelarme umfasst, wobei mithilfe eines ersten Hebelarms der Blockadehebel (3) aus seiner blockierenden Stellung für ein Entriegeln des Gesperres bewegt wird, wobei ferner mithilfe eines zweiten Hebelarms des Auslösehebels (4) vorzugsweise die Sperrklinke (2) entlastet wird, also während eines Öffnens des Gesperres die Federkraft zumindest reduziert wird, die die Sperrklinke (2) in Richtung Raststellung zu bewegen vermag und wobei mit dem dritten Hebelarm der Auslösehebel (4) mithilfe eines elektrischen Antriebes betätigt wird."
Hilfsantrag 5
Anspruch 1 ist wie im Hilfsantrag 4, wobei der Anspruch die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):
"...dass die Drehfalle (1) ein erstes öffnendes Moment in die Sperrklinke (2) einzuleiten vermag, wenn sich die Sperrklinke (2) vollständig in ihrer [deleted: Raststellung] Hauptraststellung befindet, und die Drehfalle (2) ein zweites, größeres, öffnendes Moment in die Sperrklinke (2) einzuleiten vermag, wenn die Sperrklinke (2) teilweise aus ihrer [deleted: Raststellung] Hauptraststellung heraus bewegt worden ist..."
Hilfsantrag 6
Anspruch 1 ist wie im Hauptantrag, wobei der Anspruch die folgenden Änderungen aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):
"Schloss für eine Tür oder Klappe mit einem Gesperre aus Drehfalle (1) und [deleted: mindestens] nur einer Sperrklinke (2) für ein Verrasten der Drehfalle (1), ... dass die Drehfalle (1) ein erstes öffnendes Moment in die Sperrklinke (2) einzuleiten vermag, wenn sich die Sperrklinke (2) vollständig in ihrer [deleted: Raststellung] Hauptraststellung befindet, und die Drehfalle (2) ein zweites, größeres, öffnendes Moment in die Sperrklinke (2) einzuleiten vermag, wenn die Sperrklinke (2) teilweise aus ihrer [deleted: Raststellung] Hauptraststellung heraus bewegt worden ist......"
Hilfsanträge 7-9
Anspruch 1 ist wie in einem der Hilfsanträge 2-4, wobei der Anspruch die folgende Änderung aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):
"Schloss für eine Tür oder Klappe mit einem Gesperre aus Drehfalle (1) und [deleted: mindestens] nur einer Sperrklinke (2) für ein Verrasten der Drehfalle (1), ..."
Hilfsantrag 10
Anspruch 1 ist wie im Hilfsantrag 9, wobei der Anspruch die folgende Änderung aufweist (von der Kammer mit Durch- und Unterstreichung hervorgehoben):
"...dass die Drehfalle (1) ein erstes öffnendes Moment in die Sperrklinke (2) einzuleiten vermag, wenn sich die Sperrklinke (2) vollständig in ihrer [deleted: Raststellung] Hauptraststellung befindet..."
VII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerden sind zulässig.
2. Hauptantrag - Neuheit
Die angefochtene Entscheidung verneinte die Neuheit von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1, siehe Absatz 7.2.2 der Entscheidungs-gründe. Die Patentinhaberin bestreitet diesen von der Einsprechenden als Beschwerdegegnerin geteilten Befund der Entscheidung, der unbestritten auch für den Hauptantrag gelten muss.
2.1 Das Dokument D1 offenbart ein Schloss mit einer Drehfalle 1, die ein öffnendes Moment in die Sperrklinke 6 einleiten kann, siehe Spalte 2, Zeilen 55-58 des Dokuments. Die in Figur 1 des Dokuments von der Drehfalle auf die Sperrklinke 6 ausgeübte Kraft F1 wirkt rechts und oberhalb des Drehpunkts 9 auf die Nase 7a der Sperrklinke ein. Das Moment der Kraft F1 um den Drehpunkt 9 der Sperrklinke ist ein öffnendes Moment, da es eine Drehung der Sperrklinke in Richtung des Uhrzeigersinns bewirkt, siehe den Richtungspfeil R in Figur 1. Die Patentinhaberin bestreitet jedoch die Offenbarung eines zweiten, größeren öffnenden Moments in D1 ("die Drehfalle (2) ein zweites, größeres, öffnendes Moment in die Sperrklinke (2) einzuleiten vermag").
2.2 Im Hinblick auf ein öffnendes Moment war die angefochtenen Entscheidung unter Verweis auf die Figuren 1-3 der D1 zum Ergebnis gelangt, dass in diesem Dokument implizit offenbart werde, dass die Drehfalle ein zweites, größeres, öffnendes Moment in die Sperrklinke einzuleiten vermag, wenn die Sperrklinke teilweise aus ihrer Raststellung heraus bewegt worden ist, wobei das zweite Moment in die Sperrklinke eingeleitet wird, bevor die Sperrklinke um 10 bis 15° verschwenkt worden ist, siehe Absatz 7.2.2 der Entscheidungsgründe. Laut Absatz 7.2.2. ii) der angefochtenen Entscheidung dreht sich die Wirkungslinie der Kraft F1 im Dokument D1 während des Öffnungs-vorgangs des Schlosses im Uhrzeigersinn, so dass die Größe der Kraft laut Absatz 7.2.2 iii) beim Öffnungsvorgang zunehme. Da Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags im Hinblick auf das öffnende Moment unbestritten breiter formuliert ist, gilt dieser Befund auch für den Hauptantrag.
2.3 Die Patentinhaberin hat mit der Beschwerdebegründung die Anlage PI6 eingereicht, in welcher sie gemäß dem Befund der Einspruchsabteilung in Absatz 7.2.2 der Entscheidungsgründe die Kraft F1 in Figur 3 der D1 eingetragen hat. Dabei hat die Patentinhaberin die Punkte i) und ii) von Absatz 7.2.2 berücksichtigt, wonach der Angriffspunkt der Kraft F bezüglich dem ersten Arm 7 der Sperrklinke 6 von der Kerbe 12 radial nach außen bezüglich der Drehachse der Drehfalle bzw. der Sperrklinke verschoben wird, und wonach die Wirkungslinie der Kraft F im Uhrzeigersinn dreht und senkrecht zu den Kontaktflächen am Kontaktpunkt steht. Jedoch möchte die Patentinhaberin durch eine Messung der Abstände zwischen dem Drehpunkt 2 der Drehfalle 1 und der Wirkungslinie der Kraft F1 den Punkt iii) der Begründung der Einspruchsabteilung widerlegen, wonach die Größe der Kraft F zunimmt, da der Abstand abnimmt.
2.4 Dazu hat die Kammer in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK, Abschnitt 6.1.3, bereits die folgende vorläufige Auffassung vertreten:
"6.1.3 Dagegen scheint die von der Patentinhaberin in den Figuren 1 und 3 durchgeführte Messung der Abstände den Befund der angefochtenen Entscheidung nicht zu widerlegen. Die in Absatz 7.2.2iii) der Entscheidung angesprochene Abnahme des Abstands zwischen dem Drehpunkt 2 der Drehfalle 1 und der Wirkungslinie der Kraft betrifft nach Auffassung der Kammer nicht den von der Patentinhaberin gemessenen Abstand zum Angriffspunkt der Kraft an der Drehfalle, sondern den für das Moment der Kraft relevanten Hebelarm. Dieser Hebelarm verläuft jedoch senkrecht zur Wirkungslinie der Kraft, siehe oben, und verkürzt sich aus den genannten Gründen in Figur 3 gegenüber der Figur 1."
Die Patentinhaberin hat zu dieser Sichtweise nicht weiter Stellung genommen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer vorläufigen Auffassung abzuweichen. Daher offenbart D1 nicht, wie von der Patentinhaberin behauptet, dass der Abstand zwischen dem Drehpunkt 2 der Drehfalle 1 und der Wirkungslinie der Kraft F1 zwischen den Figuren 1 und 3 zunimmt, und dass somit die Kraft beim Öffnungsvorgang abnimmt. Folglich hat die Patentinhaberin durch die Anlage PI6 nicht den Befund in Absatz 7.2.2 iii) der Entscheidungsgründe widerlegt. Mangels gegenteiliger Beweise durch die Patentinhaberin akzeptierte die Kammer deshalb den von der Einsprechenden geteilten Befund der angefochtenen Entscheidung zur mangelnden Neuheit gegenüber D1.
2.5 Die Kammer schließt aus alledem, dass das in D1 offenbarte Schloss alle Merkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags aufweist, so dass dessen Gegenstand nicht neu ist, Artikel 100(a) i.V.m. Artikel 54 EPÜ. Somit kann die während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ebenfalls diskutierte Neuheit gegenüber der Offenbarung der D2 dahingestellt bleiben.
3. Hilfsanträge 1 und 2 - Zulassung
3.1 Die Hilfsanträge 1 und 2 lagen bereits der Einspruchs-abteilung vor und wurden mit der Beschwerdebegründung der Patentinhaberin erneut gestellt. Die angefochtenen Entscheidung war zum Ergebnis gelangt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 dieser Hilfsanträge nicht neu gegenüber D1 sei, siehe die Absätze 7.2 und 8.2 der Entscheidungsgründe. Die Beschwerdebegründung der Patentinhaberin enthält zu diesen Hilfsanträgen keine Argumente und geht im Zusammenhang mit der Neuheit von Hilfsanträgen nur auf das Dokument D2 ein, siehe die Seiten 11 und 12 der Beschwerdebegründung. Die Erwiderung der Patentinhaberin vom 15. Dezember 2022 auf die Beschwerdebegründung der Einsprechenden geht im Zusammenhang mit der Neuheit von Hilfsanträgen nur auf das Dokument D4 ein, siehe deren Seiten 9 und 10.
3.2 Zur Zulassung der Hilfsanträge 1 und 2 zum Beschwerdeverfahren hat die Kammer in ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK, Abschnitt 7.1, bereits die folgende vorläufige Auffassung vertreten:
"Im Hinblick auf den Hilfsantrag 1 war die angefochtene Entscheidung zum Ergebnis gelangt, dass dessen Anspruch 1 nicht neu gegenüber Dl sei, siehe Absatz 7.2.2 der Entscheidungsgründe. Die Beschwerdebegründung der Patentinhaberin und ihre Erwiderung vom 15. Dezember 2022 scheinen nicht auf Hilfsantrag 1 im Lichte der Dl, und überhaupt nicht auf die Hilfsanträge 2 und 5 einzugehen. Die Beschwerdebegründung und Erwiderung sollten aber den vollständigen Sachvortrag einer Beschwerdeführerin enthalten, Artikel 12(3) VOBK. Nach Art. 12(5) VOBK berücksichtigt die Kammer das Vorbringen der Beteiligten "soweit es ... die Erfordernisse nach Absatz 3 erfüllt"."
3.3 Die Patentinhaberin ist zwar in ihrer Erwiderung vom 14. Oktober 2024 auf die Mitteilung der Kammer, siehe die Seiten 11 und 13, im Zusammenhang mit den Hilfsanträgen 1 und 2 auf das Dokument D1 eingegangen, hat aber zu obiger Sichtweise der Kammer weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung weiter Stellung genommen. Sie hat auch keine sonstigen Gründe, geschweige denn außergewöhnliche Umstände (Artikel 13(2) VOBK) angegeben, warum die Substantiierung dieser Anträge nicht bereits in ihrer Beschwerdebegründung erfolgt ist. Gemäß Artikel 12(3) VOBK müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung den vollständigen Sachvortrag der Beteiligten enthalten. Der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern ist in ihrer Gesamtheit zu entnehmen, dass das Beschwerdeverfahren primär ein schriftliches ist, wobei Artikel 12 (3) VOBK festlegt, dass das vollständige Vorbringen der Beteiligten bereits zu Beginn des Verfahrens zu erfolgen hat. Zweck dieser Bestimmung ist es, ein faires Verfahren für alle Beteiligten sicherzustellen und es der Kammer zu ermöglichen, ihre Arbeit auf der Basis eines vollständigen Vorbringens beider Seiten zu beginnen. Wenn Hilfsanträge vorgelegt werden, erfordert dies in der Regel auch eine Begründung inwiefern diese Einwände hierdurch ausgeräumt werden - zumindest wenn dies anhand der hierin eingefügten Änderungen nicht offensichtlich ist, siehe RdBK, 10. Auflage 2022, V.A.3.2.2 und V.A.4.2.2.i). Im vorliegenden Fall ist für die Kammer anhand des unstreitig zulässigen schriftlichen Vorbringens der Patentinhaberin auch nicht direkt ersichtlich, wie die Hilfsanträge 1 und 2 die Einwände gegen die Neuheit ausräumen können. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat die Patentinhaberin auf einen diesbezüglichen Vortrag verzichtet. Daher kann die Kammer nicht erkennen, wie durch die Änderungen in den Hilfsanträgen 1 und 2 der Einwand gegen die Neuheit ausgeräumt werden kann. Aus diesen Gründen entschied die Kammer in Ausübung ihres Ermessens, die Hilfsanträge 1 und 2 nicht zuzulassen, Artikel 12(5) VOBK.
4. Zulassung der Vorbenutzung D12 zum Verfahren
4.1 Mit der Beschwerdebegründung macht die Einsprechende basierend auf dem Beweiskonvolut D12 eine offenkundige Vorbenutzung geltend. Die Vorbenutzung betrifft den Vertrieb des Schlosses "TSF Türschloss ZV SES" durch die Patentinhaberin. Dieses Vorbringen erfolgt nach Ablauf der Einspruchsfrist, und ist somit in Übereinstimmung mit der Sichtweise der Patentinhaberin verspätet.
4.2 Dagegen teilt die Kammer nicht die Auffassung der Patentinhaberin, wonach die Vorbenutzung bereits vor der Einspruchsabteilung vorzubringen gewesen wäre. Denn die Beschwerdebegründung der Einsprechenden richtet sich gegen die aufrechterhaltene Fassung des Patents, die auf dem erst während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag 3 basiert. Etwaige Feststellungen der Einspruchsabteilung im Ladungsbescheid, beispielsweise in dessen Absatz 8.4 zur Offenbarung des Dokuments D4 (dort als E4 bezeichnet), sind im vorliegenden Fall irrelevant für die Zulassung dieser Vorbenutzung, da zum Zeitpunkt der Ladung noch keine Hilfsanträge vorlagen, siehe die Absätze 3.4 und 3.5 der Darstellung des Sachverhalts in der angefochtenen Entscheidung. Außerdem bestand für die Einsprechende keine Veranlassung dazu, die Vorbenutzung vor der mündlichen Verhandlung vorzulegen, da der Ladungsbescheid bereits die Dokumente E2 (D2 im Beschwerdeverfahren) und E3 als neuheitsschädlich für die erteilte Fassung des Patents ansah, siehe deren Absätze 8.2 und 8.3 (für die vergleichbare Situation von Hilfsanträgen, die theoretisch an sich hätten gestellt werden können, siehe T 0141/20, Orientierungssatz und 5.4 der Gründe).
4.3 Stattdessen steht es gemäß Artikel 12(4) VOBK im Ermessen der Kammer, das neue Vorbringen zuzulassen. Gemäß der nicht-erschöpfenden Liste von Kriterien in Artikel 12(4) Satz 5 VOBK berücksichtigt die Kammer bei der Ausübung ihres Ermessens beispielsweise die Komplexität der Änderung oder das Gebot der Verfahrensökonomie. Im vorliegenden Fall enthält das von der Patentinhaberin stammende Dokument D12 mit der technischen Zeichnung D7b auf der zweiten Seite des Dokuments eine maßstäbliche technische Zeichnung des Schlosses mit Drehfalle 1, einer (Primär-)Sperrklinke 2a und einem (als Sekundärsperrklinke bezeichneten) Blockierhebel 2b, siehe auch die Ausführungen der Patentinhaberin auf den Seiten 13 und 14 der D13. Nach Auffassung der Kammer ist D12 daher insbesondere für die Patentinhaberin leicht verständlich. Zudem ermöglicht das Dokument eine Analyse der Bewegungen von Drehfalle und Sperrklinke beim Öffnen des Schlosses, wenn man diese Bauteile z.B. wie in D15 in ein CAD-Programm überträgt und um ihre Drehpunkte dreht. Daher lassen sich Kraftwirkungslinien für die Kontaktkraft sowie die jeweiligen Hebelarme der Kontaktkraft bezogen auf die Drehpunkte von Drehfalle bzw. Sperrklinke ableiten. Das ermöglicht selbst bei einer gewissen Ungenauigkeit der Übertragung in ein CAD-Programm zumindest qualitative Aussagen zum Drehmoment, das die Drehfalle in die Sperrklinke einleitet. Das Dokument D12 betrifft daher nach Auffassung der Kammer ein Merkmal, das für den Ausgang des Beschwerdeverfahrens wesentlich ist.
4.4 Die Kammer merkt an, dass in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern eine neue Vorbenutzung, die erst im Beschwerdeverfahren geltend gemacht wird, regelmäßig nicht zugelassen wird. Der Grund dafür ist jedoch in den meisten Fällen, dass die Vorbenutzung aus dem Umfeld der Einsprechenden stammt und es für die Patentinhaberin praktisch unmöglich ist, die vorgebrachten Umstände unabhängig zu prüfen. Im vorliegenden Fall sieht die Kammer daher einen außergewöhnlichen Umstand darin, dass die Vorbenutzung nicht nur von der Patentinhaberin stammt, sondern dass die Patentinhaberin die relevanten Tatsachen selbst und sogar im Verfahren vor dem EPA vorgetragen hat. Damit entfällt die Schwierigkeit einer Beweiswürdigung auf Seiten der Patentinhaberin. Sie kann sich auch nicht auf Unkenntnis unerwarteter Tatsachen berufen. Unter diesen Umständen ist die Kammer der Ansicht, dass die bloße Tatsache, dass die Einsprechende das Dokument D12 rein theoretisch früher hätte einreichen können, als Grund für eine Nichtzulassung nach Artikel 12(4), zweiter Unterabsatz und 12 (5) VOBK nicht ausreicht.
4.5 Mithin gefährdet die Zulassung von D12 die Verfahrensökonomie nicht. Aus diesen Gründen entschied die Kammer in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 114(2) EPÜ und Artikel 12(4) VOBK, das Dokument D12 zuzulassen.
5. Hilfsantrag 3 - Neuheit
Die Neuheit von Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 wurde gegenüber der Offenbarung des Dokuments D12 bestritten.
5.1 Das Dokument D12 offenbart ein Schloss mit einer Drehfalle 1, einer Sperrklinke 2a und einem Blockier-hebel 2b, siehe oben. Die Patentinhaberin bestreitet jedoch die Offenbarung eines zweiten, größeren öffnenden Moments in D12 ("die Drehfalle (2) ein zweites, größeres, öffnendes Moment in die Sperrklinke (2) einzuleiten vermag").
5.2 Die Einsprechende hat die Drehfalle, die Sperrklinke und den Blockierhebel auf Grundlage der technischen Zeichnung D7b auf Seite 2 der D12 in ein CAD-Programm übertragen. Dabei hat sie die Sperrklinke um 3°, 10° und 15° im Gegenuhrzeigersinn verdreht, um eine Veränderung der Hebelarme der Kontaktkraft in Bezug auf die Drehpunkte der Drehfalle und der Sperrklinke zu ermitteln, siehe die Seiten 4-6 der D15. Für diese drei Stellungen der Sperrklinke wurde die Drehklinke ebenfalls durch Drehung im Gegenuhrzeigersinn an die Sperrklinke angelegt. Senkrecht zum Kontaktpunkt wurde die Kraftwirkungslinie der Kontaktkraft zwischen Drehfalle und Sperrklinke eingetragen. Davon ausgehend wurden für jede der drei Stellungen die Hebelarme der Kontaktkraft bezogen auf die Drehpunkte der Drehfalle und der Sperrklinke eingetragen. Anhand dieser Hebelarme hat die Einsprechende anhand der zeichnerisch ermittelten effektiven Hebelarme rDF und rSK jeweils das auf die Sperrklinke übertragene Moment MSK ins Verhältnis zum Moment MDF gesetzt, das auf die Drehfalle wirkt.
Die Kammer muss darum nun prüfen, ob daraus zu entnehmen ist, dass ein zweites, größeres, öffnendes Moment in die Sperrklinke eingeleitet wird.
5.2.1 In der unverdrehten Stellung von Drehfalle und Sperrklinke beträgt das auf die Sperrklinke übertragene Moment MSK das 0,22-fache des auf die Drehfalle wirkenden Moments MDF. Für die drei Stellungen der um 3°, 10° bzw. 15° verdrehten Sperrklinke wurde das Moment MSK zu 0,25 * MDF, 0,73 * MDF und zu 3,10 * MDF ermittelt, siehe jeweils links oben auf den Seiten 3-6 der D15. Wegen der im Vergleich zum Faktor 0,22 größeren Werte von 0,25 bis 3,10 leitet die Drehklinke in den drei gezeigten Stellungen der Sperrklinke ein größeres Moment in die Sperrklinke ein, als wenn die Sperrklinke sich in ihrer Raststellung laut Seite 3 der D15 befindet.
5.2.2 Dagegen vertrat die Patentinhaberin in ihrer Erwiderung vom 15. Dezember 2022 die Auffassung, dass die Überlegungen der Einsprechenden zu D12 falsch seien, da in D15 ein falscher Maßstab gewählt worden sei. In Anbetracht des auf der dritten Seite von D12 angegebenen Radius von 13,52 mm müsse der Radius der Sperrklinke rSK auf der vierten Seite der D15 6,4 mm betragen. Angesichts des stattdessen dort genannten Wertes von 12,70 mm müsse die zeichnerisch ermittelte Länge der effektiven Hebelarme rDF und rSK unzutreffend sein, so dass sich D15 insgesamt in Spekulationen erschöpfe.
5.2.3 Die Kammer sieht das anders, da sich das auf die Sperrklinke übertragene Moment MSK durch Multiplikation des auf die Drehfalle wirkenden Moments MDF mit dem Verhältnis rSK / rDF der effektiven Hebelarme ergibt. Wenn der zur Sperrklinke gehörende Radius rDF mittels eines falschen Maßstabs ermittelt wurde, unterscheidet er sich um einen festen Faktor vom tatsächlichen Radius. Da dieser Faktor sowohl im Zähler als auch im Nenner des Bruchs rSK / rDF enthalten ist, kürzt er sich heraus und fällt bei der Berechnung des auf die Sperrklinke wirkenden Moments MSK weg. Es ist daher unerheblich, ob die auf den Seiten 4-6 der D15 eingetragenen Werte der Radien rDF und rSK mit dem falschen Maßstab ermittelt wurden. Mithin teilt die Kammer die Auffassung der Einsprechenden, wonach die Drehfalle der D12 in ihren verdrehten Stellungen ein zweites, größeres, öffnendes Moment in die Sperrklinke einzuleiten vermag.
5.3 In ihrer Erwiderung vom 14. Oktober 2024 auf die Mitteilung der Kammer ist die Patentinhaberin im Zusammenhang mit dem Hilfsantrag 3 nicht auf das Dokument D12 eingegangen, siehe die Seite 14 der Erwiderung. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vertrat die Patentinhaberin die Auffassung, dass das Dokument D12 keinen Mitnehmer am Auslösehebel bzw. keine Hinweise auf dessen Funktionsweise offenbare.
5.3.1 Dieser Einwand wurde weder in der Erwiderung der Patentinhaberin vom 15. Dezember 2022 noch in einem anderen Teil des schriftlichen Verfahrens erhoben. Daher handelt es sich um eine Änderung des Beschwerde-vorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung. Solche Änderungen bleiben grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen. Die Patentinhaberin verweist darauf, dass es bisher nicht erforderlich gewesen sei, alle Unterscheidungsmerkmale gegenüber D12 darzulegen, da das Dokument nur als Beleg für die Offenbarung der D4 herangezogen worden sei.
5.3.2 Dagegen kann die Kammer keine überraschende Wendung des Falles erkennen. In ihrer Einschätzung, dass das Dokument D12 alle Merkmale von Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 offenbare, siehe Absatz 7.2.1 des Kammerbescheids, ist die Kammer nämlich einem Einwand der Einsprechenden gefolgt. Dieser Einwand wurde bereits mit der Beschwerdebegründung, siehe den vierten Absatz auf deren Seite 20 vorgetragen wurde, also mehr als zwanzig Monate vor der Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer. Was auch immer der Grund für das Ausbleiben einer Reaktion der Patentinhaberin - mit ihrer Erwiderung vom 15. Dezember 2022 oder vor der Ladung zur mündlichen Verhandlung - auf diesen Einwand der Einsprechenden gewesen sein mag, ausreichend Zeit dafür wäre vorhanden gewesen. Die Tatsache, dass sich die Kammer einem Argument der Einsprechenden anschließt, ist insoweit weder überraschend noch unvorhersehbar, sondern liegt in der Natur der Sache eines einer Entscheidungsinstanz aufgegebenen Rechtsfindungsprozesses.
5.3.3 Aus diesen Gründen ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass Umstände vorliegen, mit welchen der verspätet erhobene Einwand eines nicht in D12 offenbarten Mitnehmers am Auslösehebel bzw. dessen nicht aus dem Dokument ableitbare Funktionsweise zu rechtfertigen wäre. Daher entschied die Kammer, diesen Einwand nicht ins Verfahren zuzulassen, Artikel 13(2) VOBK.
5.4 Die Patentinhaberin hat keine weiteren Unterscheidungs-merkmale gegenüber D12 geltend gemacht. Daher schließt die Kammer aus alledem, dass das im Rahmen der Vorbenutzung D12 offenbarte Schloss alle Merkmale von Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 aufweist, so dass dessen Gegenstand nicht neu ist, Artikel 54 EPÜ. Somit kann die während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ebenfalls diskutierte Neuheit gegenüber der Offenbarung der D4 dahingestellt bleiben.
6. Hilfsanträge 4-10 - Zulassung
6.1 Die Hilfsanträge 4 und 5 lagen bereits der Einspruchs-abteilung vor und wurden mit der Beschwerdebegründung der Patentinhaberin erneut gestellt. Diese Anträge wurden nicht in der angefochtenen Entscheidung behandelt, da sie dem Hilfsantrag 3 nachgeordnet waren, auf dessen Basis die Entscheidung erging. Während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer vertrat die Patentinhaberin die Auffassung, dass sie in ihrer Beschwerdebegründung zu diesen Hilfsanträgen allgemein im Rahmen der höherrangigen Hilfsanträge vorgetragen habe. Die Kammer sieht das anders, denn die Beschwerdebegründung der Patentinhaberin geht nur auf die niederrangigen Hilfsanträge 6-10 ein, siehe die Seite 12 der Beschwerdebegründung. Das Schreiben der Patentinhaberin vom 15. Dezember 2022 enthält keine Ausführungen zu den Hilfsanträgen, und das Schreiben der Patentinhaberin vom 14. Oktober 2024 auf die Mitteilung der Kammer geht im Zusammenhang mit dem Hilfsantrag 4 überhaupt nicht und zu Hilfsantrag 5 nicht für das Dokument D12 auf Neuheit oder die erfinderische Tätigkeit ein, siehe die Seiten 15 und 16 des Schreibens. Gemäß Artikel 12(3) VOBK müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung den vollständigen Sachvortrag der Beteiligten enthalten. Im vorliegenden Fall ist für die Kammer anhand des schriftlichen Vorbringens der Patentinhaberin nicht direkt ersichtlich, wie die Hilfsanträge 4 und 5 die Einwände gegen die Neuheit ausräumen können. Aus diesen Gründen entschied die Kammer in Ausübung ihres Ermessens, die Hilfsanträge 4 und 5 nicht zuzulassen, Artikel 12(5) VOBK.
6.2 Im Hinblick auf die Hilfsanträge 6-10 verweist die Beschwerdebegründung der Einsprechenden darauf, dass das laut D12 vorbenutzte Schloss eine als Auslösehebel dienende Vorrastsperrklinke aufweist, die einen Mitnehmer für die Sperrklinke besitzt und dem Bewegen des Blockadehebels dient, siehe Absatz V.2.6 auf den Seiten 22 und 23. Die Erwiderung der Patentinhaberin vom 15. Dezember 2022 auf die Beschwerdebegründung der Einsprechenden enthält im Zusammenhang mit D12 keine Ausführungen zu den Hilfsanträgen, siehe deren Seiten 12-14. Das gilt auch für das Schreiben der Patentinhaberin vom 14. Oktober 2024 auf die Mitteilung der Kammer, da es nicht auf das Dokument D12 eingeht, siehe dessen Seiten 11-16. Die Kammer schließt daraus, dass die Patentinhaberin zum Einwand der Einsprechenden gegenüber der Vorbenutzung D12 nicht Stellung genommen hat. Gemäß Artikel 12 (3) VOBK müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung den vollständigen Sachvortrag der Beteiligten enthalten. Im vorliegenden Fall ist für die Kammer anhand des schriftlichen Vorbringens der Patentinhaberin nicht direkt ersichtlich, wie die Hilfsanträge 6-10 den gegenüber D12 erhobenen Neuheitseinwand ausräumen können.
6.3 Außerdem hat die Kammer zur Zulassung der Hilfsanträge 6-10 zum Beschwerdeverfahren in ihrer Mitteilung gemäß Art. 15(1) VOBK, Abschnitt 7.4, die folgende vorläufige Auffassung vertreten:
"Die Hilfsanträge 1-5 vom 28. Oktober 2021 betreffen einen zu den Hilfsanträgen 6-10 analogen Gegenstand, da sie bereits auf "nur eine Sperrklinke" gerichtet waren. Da sie mit der Stellung der geänderten Hilfsanträge 1-5 während der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurden, ist die Kammer geneigt, die Hilfsanträge 6-10 nicht zuzulassen, Artikel 12(6) VOBK."
Die Patentinhaberin ist zwar in ihrer Erwiderung vom 14. Oktober 2024 auf die Mitteilung der Kammer, siehe die Seite 10, auf den Aspekt einer einzigen Sperrklinke eingegangen, hat dabei aber nur die Offenbarung dieses Merkmals in der ursprünglich eingereichten Anmeldung thematisiert. Dagegen hat sie zu obiger Sichtweise der Kammer weder schriftsätzlich noch in der mündlichen Verhandlung weiter Stellung genommen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer Sichtweise abzuweichen.
6.4 Aus diesen Gründen entschied die Kammer in Ausübung ihres Ermessens, die Hilfsanträge 6-10 nicht zuzulassen, Artikel 12(5) und (6) VOBK.
7. Weder der Hauptantrag noch der Hilfsantrag 3 sind gewährbar, da Anspruch 1 dieser Anträge nicht neu ist, Artikel 100(a) und 54 EPÜ. Die Hilfsanträge 1, 2 und 4-10 wurden nicht zugelassen.
Keine der nach den geltenden Anträgen vorliegenden Fassungen des Patents erfüllt somit die Erfordernisse des EPÜ, so dass Artikel 101(2) und 101(3) b) EPÜ zufolge das Patent zu widerrufen ist.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.