T 1256/22 () of 27.2.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T125622.20240227
Datum der Entscheidung: 27 Februar 2024
Aktenzeichen: T 1256/22
Anmeldenummer: 16728259.9
IPC-Klasse: F01P 11/16
F01P 3/18
F28F 9/02
F28F 27/02
F01P 7/16
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUM BETREIBEN EINES KÜHLSYSTEMS
Name des Anmelders: Volkswagen Aktiengesellschaft
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 111(1)
Schlagwörter: Patentansprüche - Auslegung mehrdeutiger Begriffe
Patentansprüche - Deutlichkeit (nein)
Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/04
T 2968/19
T 0169/20
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Anmelderin) hat Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung eingelegt, mit der die europäische Patentanmeldung mit der Nummer 16 728 259.9 zurückgewiesen wurde.

II. Die Prüfungsabteilung hat die Zurückweisung unter anderem mit einem Mangel an Klarheit (Artikel 84 EPÜ, Hauptantrag) sowie damit begründet, dass die in Hilfsantrag 5 (entsprechend den Änderungen in Hilfsantrag 4 im Beschwerdeverfahren) gemachten Änderungen Sachverhalte einbrächten, die über den Gegenstand der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinausgingen.

III. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1 bis 6, eingereicht mit dem Schreiben vom 12. Januar 2024, zu erteilen.

IV. In einer Mitteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung teilte die Kammer der Beschwerdeführerin ihre vorläufige Meinung zu den strittigen Punkten der Klarheit sowie der unzulässigen Erweiterung mit.

V. Im Verlauf der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nahm die Beschwerdeführerin die Hilfsanträge 1-3 zurück.

VI. Am Schluss der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin daher, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Grundlage des Hauptantrags oder der Hilfsanträge 4 bis 6, alle eingereicht mit dem Schreiben vom 12. Januar 2024, zu erteilen.

VII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt (mit der von der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung verwendeten Merkmalsgliederung):

M1.1 |,,Verfahren zum Betreiben eines Kühlsystems, das |

M1.2 |einen einen Wärmetauscher (38) integrierenden großen Kühlkreis und |

M1.3 |einen den Wärmetauscher (38) ausschließenden kleinen Kühlkreis ausbildet, wobei |

M1.4 |der Wärmetauscher (38) |

M1.4.1 |eine Mehrzahl von Wärmetauscherrohren (44), die für eine Durchströmung mittels eines Kühlmittels und für eine Umströmung mittels eines Kühlmediums vorgesehen sind, und |

M1.4.2 |an die Wärmetauscherrohre (44) an deren Enden angeschlossene Wärmetauscherkästen (48, 58) umfasst, |

M1.4.3 |wobei zumindest ein erster (48) der Wärmetauscherkästen |

M1.4.3.1|einen Einlass (50) und einen Auslass (52) aufweist, und |

M1.4.3.2|dieser erste Wärmetauscherkasten (48) zwischen dem Einlass (50) und dem Auslass (52) mittels eines Verschlusselements (40) variabel verschließbar ist, und |

M1.5 |wobei zum Umschalten von einem Betrieb des Kühlsystems in dem kleinen Kühlkreis auf einen Betrieb in dem großen Kühlkreis ein Umschaltventil (28) betätigt wird, |

|dadurch gekennzeichnet, dass |

M1.6 |für zumindest zwei aufeinanderfolgende Umschaltungen von dem kleinen Kühlkreis auf den großen Kühlkreis der Grad des Verschlusses des ersten Wärmetauscherkastens (48) durch Einstellen verschiedener Stellungen des Verschlusselements (40) verändert wird."|

VIII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 lautet wie folgt (Änderungen gegenüber dem Hauptantrag durch die Kammer mittels Unterstreichung hervorgehoben):

M1.1 |,,Verfahren zum Betreiben eines Kühlsystems, das |

M1.2 |einen einen Wärmetauscher (38) integrierenden großen Kühlkreis und |

M1.3 |einen den Wärmetauscher (38) ausschließenden kleinen Kühlkreis ausbildet, wobei |

M1.4 |der Wärmetauscher (38) |

M1.4.1 |eine Mehrzahl von Wärmetauscherrohren (44), die für eine Durchströmung mittels eines Kühlmittels und für eine Umströmung mittels eines Kühlmediums vorgesehen sind, und|

M1.4.2 |an die Wärmetauscherrohre (44) an deren Enden angeschlossene Wärmetauscherkästen (48, 58) umfasst, |

M1.4.3 |wobei für eine U-förmige Strömungsführung des Kühlmediums zumindest ein erster (48) der Wärmetauscherkästen |

M1.4.3.1|einen Einlass (50) des Wärmetauschers (38) und einen Auslass (52) des Wärmetauschers (38) aufweist, und |

M1.4.3.2|dieser erste Wärmetauscherkasten (48) zwischen dem Einlass (50) und dem Auslass (52) mittels eines Verschlusselements (40) variabel verschließbar ist, und |

M1.5 |wobei zum Umschalten von einem Betrieb des Kühlsystems in dem kleinen Kühlkreis auf einen Betrieb in dem großen Kühlkreis ein außerhalb des Wärmetauschers vorgesehenes Umschaltventil (28) betätigt wird,|

|dadurch gekennzeichnet, dass |

M1.6 |für zumindest zwei aufeinanderfolgende Umschaltungen von dem kleinen Kühlkreis auf den großen Kühlkreis der Grad des Verschlusses des ersten Wärmetauscherkastens (48) durch Einstellen verschiedener Stellungen des Verschlusselements (40) verändert wird, indem für eine erste Umschaltung von dem kleinen Kühlkreis auf den großen Kühlkreis der Grad des Verschlusses des ersten Wärmetauscherkastens (48) durch Einstellen einer ersten Stellung des Verschlusselements (40) auf einen ersten Wert eingestellt wird und für eine auf die erste Umschaltung folgende zweite Umschaltung von dem kleinen Kühlkreis auf den großen Kühlkreis der Grad des Verschlusses des ersten Wärmetauscherkastens (48) durch Einstellen einer zweiten Stellung des Verschlusselements (40), die sich von der ersten Stellung unterscheidet, auf einen zweiten Wert, der sich von dem ersten Wert unterscheidet, eingestellt wird."|

IX. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Anspruch 1 des Hauptantrags sei klar im Sinne des Artikels 84 EPÜ.

Wie und ob die Ventilstellung während eines andauernden Betriebs in dem großen Kühlkreis verändert werde, sei nicht Teil des Anspruchs. Dies sei bewusst offen gelassen, begründe jedoch keinen Mangel an Klarheit.

Auch hinsichtlich einer U-förmigen Durchströmung seien alle wesentlichen strukturellen Merkmale im Anspruch 1 definiert. Dass die U-förmige Durchströmung nicht explizit beansprucht sei, begründe ebenfalls keinen Mangel an Klarheit.

Die Präposition ,,für" sei eindeutig und so zu verstehen, dass damit ein Kausalzusammenhang definiert werde. Jeder Umschaltung von dem kleinen auf den großen Kühlkreis sei somit eine bestimmte Stellung des Verschlusselements zugeordnet, welche dann bei der nächsten Umschaltung verändert werde. Andere Lesarten stünden im Widerspruch zur Beschreibung, welche zur Interpretation der Ansprüche herangezogen werden müsse. Die Ansprüche sollten nicht isoliert von der Beschreibung auf eine Art ausgelegt werden, welche nicht von der Beschreibung gestützt wäre, wobei wiederum ein Erfordernis des Artikels 84 EPÜ nicht erfüllt wäre.

Das Verschlusselement und das Umschaltventil definierten zwei funktionale Komponenten, die strukturell von derselben Einheit umgesetzt werden könnten. Die Ausführungen in der Beschreibung, wonach Verschlusselement und Umschaltventil durch dasselbe Bauteil gebildet werden könnten, stehe dazu nicht im Widerspruch.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 4 erfülle die Voraussetzung des Artikels 123 (2) EPÜ. Es sei nicht ersichtlich, welche ursprünglich nicht offenbarte inhaltliche Änderung mit Ausnahme einer begrifflichen Unterscheidung der zwei Umschaltungen, Stellungen und Werte verbunden sein könnte.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Artikel 84 EPÜ

Anspruch 1 des Hauptantrags genügt nicht dem Erfordernis der Deutlichkeit gemäß Artikel 84 EPÜ. Die Formulierung ,,für zumindest zwei aufeinanderfolgende Umschaltungen von dem kleinen Kühlkreis auf den großen Kühlkreis" lässt mehrere Lesarten zu, wobei nicht klar ist, welche davon den Schutzumfang definiert. Darüber hinaus ist aufgrund der Ausführungen in der Beschreibung, wonach das Verschlusselement auch als Umschaltventil dienen kann, unklar, ob es sich dabei um ein und dasselbe Bauteil oder um separate Bauteile handelt.

1.1 Stellung des Verschlusselements während eines andauernden Betriebs des Kühlsystems in dem großen Kühlkreis

In der angefochtenen Entscheidung (siehe Entscheidungs­gründe 20.3) hat die Prüfungsabteilung die Auffassung vertreten, dass das kennzeichnende Merkmal M1.6 unter anderem deshalb unklar sei, weil daraus nicht herausgelesen werden könne, wann der Grad des Verschlusselements geändert werde und wann nicht. Insbesondere sei es möglich, dass das Verschlusselement zum Beispiel zwischen den Umschaltungen permanent in einer geöffneten Stellung bleiben könnte. Das Kühlsystem würde dabei mit einem permanent geöffneten Bypass betrieben werden, was für eine fachkundige Person keinen Sinn ergebe.

Hierzu hat die Kammer bereits in ihrer Mitteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung dahingehend Stellung genommen, dass sie jedenfalls allein aus diesem Grund in diesem Punkt keinen Klarheitsmangel erkenne. Denn der Anspruch lasse es tatsächlich offen, ob das Verschlusselement nach dem Umschalten vom kleinen auf den großen Kühlkreis noch für einige Zeit oder sogar auf Dauer offen bleibe.

Die Kammer stimmt vielmehr der Beschwerdeführerin darin zu, dass es nicht Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist, wie und ob die Ventilstellung während eines andauernden Betriebs in dem großen Kühlkreis dann jeweils noch verändert wird. Wie von der Beschwerdeführerin argumentiert, umfasst das beanspruchte Verfahren auch die Möglichkeit, dass das Verschlusselement während des gesamten Betriebs in dem großen Kühlkreis mit teilweise geöffnetem Verschlusselement betrieben wird. Dies würde zwar zu einem nicht optimalen Betrieb des Kühlsystems führen, ein Mangel an Klarheit ergibt sich allein daraus jedoch nicht (siehe jedoch unten, Entscheidungsgründe 1.4).

Die Kammer hat daher keinen Grund, von ihrer vorläufigen Meinung abzugehen und bestätigt diese hiermit. Das Verfahren des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist in Bezug auf die Ventilstellung während eines andauernden Betriebs in dem großen Kühlkreis nicht eingeschränkt.

1.2 In ihrer Mitteilung hat die Kammer darüber hinaus die drei im Folgenden abgehandelten Punkte erwähnt, die auf die Erfüllung des Erfordernisses der Klarheit im Sinne des Artikels 84 EPÜ zu prüfen sind.

1.3 Einschränkung auf eine U-förmige Durchströmung

In ihrer Mitteilung (siehe Punkt 3.2) hat die Kammer ausgeführt, dass der Anspruch 1 nicht auf eine U-förmige Durchströmung eingeschränkt ist. In Übereinstimmung mit der Beschwerdeführerin bestätigt die Kammer hiermit diese Einschätzung.

In ihrer Mitteilung hat die Kammer darüber hinaus ausgeführt, dass bei einem nicht U-förmig, sondern längsdurchströmten Wärmetauscher die genannte Temperaturdifferenz zwischen zwei benachbarten Strömungskanälen und die damit verbundenen Wärmespannungen nicht aufträten. Die Beschwerdeführerin hat dazu argumentiert, dass ein Fachmann den Anspruch mit all seinen darin definierten, strukturellen Merkmalen so lesen würde, dass sich etwaige Unklarheiten auflösten und der beanspruchte Gegenstand technisch Sinn ergebe. Im Anspruch 1 sei ein Wärmetauscher mit einem ersten Wärmetauscherkasten, umfassend einen Einlass und einen Auslass, definiert. Damit seien alle relevanten Merkmale im Anspruch genannt. Aus der Beschreibung sei klar erkennbar, dass die genannte Problematik bei U-förmigen Wärmetauschern auftrete.

Der Kammer erkennt darin jedoch keine Einschränkung auf eine U-förmige Durchströmung. Sie kommt allerdings nunmehr auch zu dem Schluss, dass dies keine Unklarheit begründet. Der Anspruch ist vielmehr hinsichtlich der Durchströmungsrichtung bzw. -form nicht eingeschränkt. Gemäß denselben Überlegungen wie oben hinsichtlich der Stellung des Verschlusselements während eines dauernden Betriebs in dem großen Kühlkreis (siehe oben, Entscheidungsgründe 1.1) ist der Umstand, dass gewisse Probleme nicht bei allen vom Anspruch mit umfassten Ausgestaltungen auftreten oder manche dieser Ausgestaltungen im Hinblick auf die Aufgabenstellung weniger sinnvoll sind als andere, kein Indiz für eine mangelnde Klarheit.

Er stellt auch keinen Anlass für eine einschränkende Lesart dar. Ein nicht im Anspruch definiertes Merkmal kann nicht willkürlich durch Hinzuziehung der Beschreibung in den Anspruch hineingelesen werden. In diesem Punkt ist der Anspruch daher breit auszulegen. Auf den konkreten Fall bezogen bedeutet dies, dass Anspruch 1 nicht auf eine U-förmige Durchströmung und damit auch nicht auf einen bestimmten Wärmetauschertyp beschränkt auszulegen ist.

Selbst wenn die Frage der Hinzuziehung der Beschreibung anders gesehen würde, käme es hierauf im Ergebnis nicht an, weil es Anspruch 1 des Hauptantrags jedenfalls aus den folgenden Gründen an Klarheit mangelt.

1.4 Bedeutung der Präposition ,,für" und Auslegung des Merkmals M1.6

1.4.1 Die Prüfungsabteilung hat in ihrer Entscheidung (siehe Entscheidungsgründe 20.6) festgestellt, dass das Wort ,,für" im Kontext des Anspruchs 1 keine eindeutige Bedeutung habe. Die Kammer kommt, wenn auch mit anderer Begründung, im Ergebnis ebenfalls zu diesem Schluss, so dass das Merkmal M1.6 das Erfordernis der Klarheit gemäß Artikel 84 EPÜ nicht erfüllt.

1.4.2 Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, dass das Wort ,,für" in Merkmal M1.6 einen Kausalzusammenhang definiere. Jeder Umschaltung vom kleinen auf den großen Kühlkreis sei eine bestimmte Stellung des Verschluss­elements zugeordnet. Diese Stellung bestimme den Grad des Verschlusses des ersten Wärmetauscher­kastens. Der Grad des Verschlusses werde bei der nächsten Umschaltung verändert, damit sich der Punkt der höchsten Wärme­wechsel­beanspruchung im Wärmetauscher jeweils verlagere. Die Zuordnung des Grads des Verschlusses zur jeweiligen Umschaltung werde durch die Formulierung ,,für zumindest zwei aufeinanderfolgende Umschaltungen" zum Ausdruck gebracht.

Dies stellt jedoch nur eine mögliche Lesart des Merkmals M1.6 dar. Die Kammer hält mindestens zwei weitere, technisch sinnvolle Lesarten für möglich, und zwar wie folgt:

1.4.3 Zum einen kann sich die Präposition ,,für" auf eine Zeitspanne beziehen (im Sinne von ,,für zwei Wochen"). Der Ausdruck ,,für zumindest zwei aufeinanderfolgende Umschaltungen" kann daher als die Zeitspanne zwischen einer ersten und einer darauffolgenden zweiten Umschaltung aufgefasst werden. Das Merkmal M1.6 kann daher auch dahingehend ausgelegt werden, dass der Grad des Verschlusses des ersten Wärmetauscherkastens während dieser Zeitspanne durch Einstellen verschiedener Stellungen des Verschlusselements verändert wird.

1.4.4 Zum anderen kann die Präposition ,,für" auch als Definition eines Kausalzusammenhangs im engeren Sinn verstanden werden (im Sinne von ,,für einen bestimmten Zweck", das Eine ist der Grund für das Andere). Versteht man das Merkmal M1.6 in diesem Sinn, so würde der Grad des Verschlusses dazu verändert werden, um damit die zumindest zwei aufeinander­folgenden Umschaltungen zu erreichen. Dies geschieht auch tatsächlich in der in der Beschreibung (siehe Seite 15, dritter vollständiger Absatz) beschriebenen Alternative, in der das Verschlusselement 40 auch als Umschaltventil 28 dient (und somit kein separates Umschaltventil vorhanden ist). Während der Aufwärmphase bleibt in diesem Fall das Verschlusselement 40 geöffnet, und der erste Wärmetauscherkasten wird als Bypass genutzt, um das Kühlmittel in dem kleinen Kühlkreis zirkulieren zu lassen. Hat der Motor seine Betriebstemperatur erreicht, wird das Verschlusselement 40 geschlossen und damit der Bypass durch den ersten Wärmetauscherkasten versperrt. Das Kühlmittel fließt dann im großen Kühlkreis durch den Wärmetauscher. Dabei stellt das geöffnete Verschlusselement eine erste Stellung und damit einen ersten Grad des Verschlusses des ersten Wärmetauscherkastens dar, und das geschlossene Verschlusselement eine zweite Stellung und damit einen zweiten Grad des Verschlusses des ersten Wärmetauscherkastens. Die Veränderung des Grades des Verschlusses von der geöffneten Stellung zu der geschlossenen Stellung geschieht damit zum Zweck der (bzw. ,,für die") Umschaltung von dem kleinen Kühlkreis auf den großen Kühlkreis. Da dies bei jeder Umschaltung vom kleinen auf den großen Kühlkreis erfolgt, geschieht es auch ,,für zumindest zwei aufeinanderfolgende Umschaltungen".

1.4.5 Keine der drei Lesarten lässt sich allein aus dem Kontext des Anspruchs 1 ausschließen. Weder sind einzelne Lesarten technisch unsinnig, noch stehen sie im Widerspruch zu anderen Merkmalen des Anspruchs. Das Merkmal M1.6 lässt sich daher auf verschiedene Weisen verstehen, ohne dass von vornherein klar wäre, welche davon den Schutzumfang definiert. Das Merkmal M1.6 ist somit mehrdeutig.

1.4.6 Die Beschwerdeführerin hat dazu argumentiert, dass zumindest gemäß einem Teil der Rechtsprechung der Kammern zur Auslegung der Ansprüche die Beschreibung nicht außer Acht gelassen werden dürfe. Vielmehr müsse der Wortlaut eines Anspruchs im Kontext der gesamten Anmeldung gelesen werden. Aus der Beschreibung und der der Anmeldung zugrundeliegenden Problematik sei klar, wie das Merkmal M1.6 zu verstehen sei. Da die Beschreibung nur diese eine Auslegung ermögliche, seien etwaige andere Auslegungen entgegen dem dritten Erfordernis des Artikels 84 EPÜ nicht von der Beschreibung gestützt. Der Patentanspruch solle nicht gemäß einem Verständnis ausgelegt werden, welches wiederum selbst nicht durch die Beschreibung gestützt wäre und damit wiederum dieses Erfordernis des Artikels 84 EPÜ nicht erfüllen würde.

Diesem Argument folgt die Kammer nicht. Ein Rückgriff auf die Beschreibung ist im vorliegenden Fall nicht angezeigt. Die Beschwerdeführerin hat sich zwar auf einen ,,Teil der Rechtsprechung" bezogen, jedoch keine konkrete Beschwerdekammerentscheidung zitiert. Ausführungen über einen eventuell möglichen Rückgriff auf Artikel 84 EPÜ und das Erfordernis der Stützung durch die Beschreibung zum Zweck der Auslegung der Patentansprüche finden sich beispielsweise in der Entscheidung T 169/20 (siehe Entscheidungsgründe 1.2.1, 1.2.2, 1.2.4, 1.2.5 und 1.2.7). Die Ausführungen in dieser Entscheidung lassen jedoch ebenfalls nur die Schlussfolgerung zu, dass im vorliegenden Fall die Beschreibung gerade nicht zur Auslegung eines mehrdeutigen Merkmals heranzuziehen ist.

Die Kammer hat in T 169/20 grundsätzlich die Gültigkeit der Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ als Rechtsgrundlage für die Entwicklung von Argumenten im Einspruchs- oder Einspruchs­beschwerde­verfahren bejaht. Sie kam zu dem Schluss, dass die Bedingung ,,durch die Beschreibung gestützt" in Artikel 84 EPÜ eine Rechtsgrundlage dafür darstelle, wie und wann Ansprüche im Hinblick auf die Beschreibung ausgelegt werden sollen (siehe Entscheidungsgründe 1.2.5, dritter Absatz). In demselben Absatz unmittelbar darauffolgend betont die Kammer jedoch auch, dass die Rolle der Beschreibung als Mittel zur Auslegung des Anspruchsgegenstandes auf jene Ausnahmesituationen beschränkt ist, in welchen dieser Rückgriff sowohl notwendig als auch möglich ist.

Der vorliegende Fall betrifft die Auslegung eines mehrdeutigen Anspruchsmerkmals im Erteilungs- bzw. Erteilungs­beschwerde­verfahren, wo es dem Anmelder freisteht, im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung die Ansprüche zu ändern. Insbesondere kann er ein mehrdeutiges Anspruchsmerkmal durch Aufnahme einer Klarstellung ergänzen oder das mehrdeutige Merkmal durch ein eindeutiges ersetzen. Ein Rückgriff auf die Beschreibung zur Auslegung des mehrdeutigen Merkmals ist daher im vorliegenden Fall nicht notwendig.

Zum selben Schluss kam auch die Beschwerdekammer in T 2968/19 (siehe Entscheidungsgründe 1.3.4) unter Verweis auf die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/04, Gründe 6.2, sowie auf die Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage 2022, II.A.3.1. Demgemäß soll die Bedeutung der Merkmale für einen Fachmann aus dem Wortlaut des Anspruchs allein klar hervorgehen.

1.4.7 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass das Merkmal M1.6 aufgrund der Formulierung ,,für zumindest zwei aufeinanderfolgende Umschaltungen von dem kleinen Kühlkreis auf den großen Kühlkreis" nicht eindeutig ist und somit dem Erfordernis der Deutlichkeit des Artikels 84 EPÜ nicht genügt. Eine auf eine mögliche Lesart eingeschränkte Auslegung im Hinblick auf die Beschreibung ist nicht angezeigt.

1.5 Möglichkeit der Identität von Umschaltventil und Verschlusselement

1.5.1 Anspruch 1 des Hauptantrags ist auf ein Verfahren gerichtet, in dem ein Kühlsystem betrieben wird, welches bestimmte, im Anspruch definierte, strukturelle Merkmale umfasst. So wird in Merkmal M1.4.3.2 definiert, dass der erste Wärmetauscherkasten zwischen dem Einlass und dem Auslass mittels eines Verschlusselements (40) variabel verschließbar ist. In Merkmal M1.5 ist festgelegt, dass zum Umschalten von einem Betrieb des Kühlsystems in dem kleinen Kühlkreis auf einen Betrieb in dem großen Kühlkreis ein Umschaltventil (28) betätigt wird. Nichts deutet darauf hin, dass es sich bei den separat eingeführten Merkmalen ,,Verschlusselement" und ,,Umschaltventil" um ein und dasselbe Bauteil handeln könnte. Anspruch 1 ist in diesem Punkt als klar im Sinne des Artikels 84 EPÜ anzusehen, da eindeutig zwei verschiedene Merkmale zur Definition von zwei verschiedenen Bauteilen eingeführt werden. Dieses Verständnis wird zusätzlich auch noch dadurch bestärkt, dass den Merkmalen unterschiedliche Bezugszeichen zugeordnet sind.

1.5.2 Die Ausführungen in der Beschreibung, Seite 15, dritter vollständiger Absatz, wonach das Verschlusselement 40 auch als Umschaltventil 28 dienen kann, stehen dazu jedoch im Widerspruch. Entgegen den Anforderungen des Artikels 84 EPÜ ist Anspruch 1 in diesem Punkt daher nicht von der Beschreibung gestützt.

1.5.3 Die Beschwerdeführerin hat argumentiert, dass Anspruch 1 in diesem Punkt bewusst breit formuliert sei. Es seien zwei funktionale Komponenten definiert, die strukturell von derselben Einheit umgesetzt werden könnten. Darin sei kein Widerspruch zu einem der Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ zu sehen.

Dies überzeugt die Kammer nicht. Insbesondere ist Anspruch 1 in diesem Punkt eben gerade nicht breit formuliert, sondern führt an zwei verschiedenen Stellen zwei verschiedene Begriffe für zwei verschiedene strukturelle Merkmale ein. Mittels des Verschlusselements soll der erste Wärmetauscherkasten variabel verschlossen werden, während mittels des Umschaltventils von einem Betrieb im kleinen Kühlkreis auf einen Betrieb im großen Kühlkreis umgeschaltet werden soll. Entgegen der Argumentation der Beschwerdeführerin handelt es sich dabei nicht lediglich um funktionale Komponenten, sondern um die strukturellen Merkmale ,,Verschlusselement" und ,,Umschaltventil", welche zur Definition der Verfahrensschritte bzw. Funktionen in einem Verfahrensanspruch an sich gar nicht nötig wären. Hätte die Beschwerdeführerin den Anspruch bewusst breit halten wollen, wäre es daher möglich gewesen, nur die Verfahrensschritte ohne Hinweis auf die strukturellen Merkmale zu definieren. Das explizite Einführen der strukturellen Merkmale aber, mittels welcher einerseits der erste Wärmetauscherkasten variabel verschlossen wird und andererseits der Betrieb vom kleinen Kühlkreis auf den großen Kühlkreis umgeschaltet wird, lässt keinen anderen Schluss zu, als dass sich die Beschwerdeführerin in Anspruch 1 bewusst auf ein Verfahren festgelegt hat, in welchem die separat eingeführten strukturellen Merkmale ,,Verschlusselement" und ,,Umschaltventil" auch jeweils getrennt voneinander als solche vorliegen. Die Beschreibung steht jedoch zu diesem Verständnis eindeutig im Widerspruch, was an sich, d. h. im Hinblick auf dieses Verständnis, von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten wurde.

1.5.4 Die Beschreibung steht daher im Widerspruch zu Anspruch 1, welcher ein separates Vorliegen von Umschaltventil und Verschlusselement voraussetzt. Der Anspruch ist in diesem Punkt nicht vollumfänglich von der Beschreibung gestützt. Auch deshalb ist den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ nicht Genüge getan. Die Erteilung eines Patents auf der Grundlage der Ansprüche des Hauptantrags kommt daher nicht in Betracht.

2. Hilfsantrag 4 - Artikel 84 EPÜ

Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 erfüllt nunmehr das Erfordernis der Klarheit im Sinne des Artikels 84 EPÜ.

2.1 Von den drei Möglichkeiten, das Merkmal M1.6 des Hauptantrags auszulegen, werden durch die in Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 angefügten Konkretisierungen zwei Auslegungen ausgeschlossen. Dadurch, dass explizit auf ,,für eine erste Umschaltung" und auf ,,für eine zweite Umschaltung" Bezug genommen wird, kann es sich nicht mehr um die Zeitspanne zwischen der ersten und zweiten Umschaltung handeln. Dadurch, dass eine erste Stellung und eine zweite Stellung, die sich von der ersten Stellung unterscheidet, definiert werden, ist auch ausgeschlossen, dass das Verschlusselement beide Male in dieselbe Stellung gebracht wird. Somit kann es sich nicht sowohl bei der ersten als auch bei der zweiten Umschaltung lediglich um das Schließen des Verschlusselementes handeln. Letzteres Verständnis ist außerdem deshalb ausgeschlossen, weil im Merkmal M1.5 gemäß Hilfsantrag 4 explizit ein ,,außerhalb des Wärmetauschers vorgesehenes Umschaltventil" definiert ist, mittels welchem von dem kleinen auf den großen Kühlkreis umgeschaltet wird.

Es verbleibt somit nur noch die von der Beschwerdeführerin vertretene Auslegung des Merkmals M1.6, wonach jeder Umschaltung von dem kleinen auf den großen Kühlkreis eine bestimmte, jedoch gegenüber der bei der vorherigen Umschaltung eingenommenen Stellung verschiedenen Stellung des Verschlusselements zugeordnet ist. Die Mehrdeutigkeit des Merkmals M1.6 ist damit ausgeräumt.

2.2 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 ist noch deutlicher als jener des Hauptantrags auf strukturell separat vorliegende Bauteile eines Umschaltventils sowie eines Verschlusselements gerichtet. Der Anspruch lässt in diesem Punkt keine Zweifel offen und erfüllt somit das Klarheitserfordernis des Artikels 84 EPÜ.

2.3 Trotz der umfangreichen zusätzlichen Angaben in Anspruch 1 sieht die Kammer keine Verletzung des Knappheitserfordernisses des Artikels 84 EPÜ. Der Anspruch ist zwar lang, dennoch ist kein einzelnes Merkmal unnötig. Insbesondere werden die zusätzlich aufgenommenen Merkmale als notwendig erachtet, um die Klarheit herzustellen.

2.4 Um den Mangel an Stützung durch die Beschreibung auszuräumen, wäre diese noch anzupassen. Insbesondere wäre der die Identität von Verschlusselement und Umschaltventil betreffende Absatz in der Beschreibung zu streichen oder eindeutig als nicht zu der Erfindung gehörend zu kennzeichnen.

3. Hilfsantrag 4 - Artikel 123 (2) EPÜ

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 4 bringt keinen Sachverhalt ein, der über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinausgeht. Das Erfordernis des Artikels 123 (2) EPÜ ist daher erfüllt.

3.1 Die Prüfungsabteilung hat hinsichtlich der Konkretisierung des Merkmals M1.6 (siehe Entscheidungsgründe 26.4) festgehalten, dass in der Beschreibung keine ,,erste Umschaltung" und keine ,,zweite Umschaltung", sowie auch keine ,,erste Stellung" und keine ,,zweite Stellung" offenbart sei. Weiterhin sei auch keine Einstellung ,,auf einen ersten Wert" und ,,auf einen zweiten Wert" offenbart.

Diesem Verständnis kann sich die Kammer nicht anschließen. Wenn es in der Beschreibung auch keine wörtliche Offenbarung dieser Begrifflichkeiten gibt, kann es sich doch bei den bereits im Anspruch 1 gemäß ursprünglicher Fassung genannten zwei aufeinander­folgenden Umschaltungen schwerlich um etwas anderes handeln als um eine erste und eine zweite Umschaltung. Die bloße Benennung zweier aufeinander­folgender Umschaltungen als ,,erste" und ,,zweite" Umschaltung fügt keinerlei neue Information hinzu. Dasselbe gilt sinngemäß für die erste und zweite Stellung hinsichtlich der verschiedenen Stellungen des Verschlusselements sowie für deren ersten und zweiten Wert.

3.2 Das weitere Argument der Prüfungsabteilung, dass sich die Konzepte ,,erste Umschaltung"/,,zweite Umschaltung", ,,erste Stellung"/,,zweite Stellung" und ,,auf einen ersten Wert"/,,auf einen zweiten Wert" nicht in direkter Weise aus der Anmeldung und insbesondere nicht aus dem Anspruch 1 in der eingereichten Fassung ableiten ließen, weil das Kennzeichen des Anspruchs 1 unklar sei, überzeugt die Kammer ebenfalls nicht. Diese Konzepte sind nach Ansicht der Kammer eindeutig aus der Gesamtheit der ursprünglich eingereichten Unterlagen ableitbar, auch wenn der Anspruch 1 in der eingereichten Fassung alternative Lesarten zulässt.

4. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 4 erfüllt daher die Erfordernisse der Artikel 84 und 123 (2) EPÜ. Die Beschreibung ist jedoch nicht an den geänderten Anspruch 1 angepasst und steht daher nicht im Einklang mit dem Erfordernis des Artikels 84 EPÜ, wonach die Ansprüche durch die Beschreibung gestützt sein müssen.

5. Die Kammer hat sich nicht damit befasst, ob die gegenständliche Anmeldung den übrigen Erfordernissen des EPÜ genügt. Insbesondere hat sie nicht geprüft, ob der Gegenstand des Anspruchs 1 neu ist und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Diese Punkte sind jedoch auch nicht Teil der angefochtenen Entscheidung. Es wäre somit an der Kammer, erstmals über diese Patentierbarkeits­voraussetzungen zu entscheiden. Dies widerspräche jedoch dem eigentlichen Sinn und Zweck des Beschwerdeverfahrens, erstinstanzliche Entscheidungen zu überprüfen. Die Kammer übt deswegen das ihr nach Artikel 11 VOBK zustehende Ermessen dahin aus, die Sache an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückzuverweisen (siehe auch Artikel 111 (1) EPÜ).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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