T 1520/21 (Stahl mit regenerativer Energie/Voestalpine) of 13.10.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T152021.20231013
Datum der Entscheidung: 13 October 2023
Aktenzeichen: T 1520/21
Anmeldenummer: 13765312.7
IPC-Klasse: C21B 13/00
C01B 3/02
C25B 1/04
C21B 13/14
C22C 37/00
C22C 38/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: VERFAHREN ZUM ERZEUGEN VON STAHL MIT REGENERATIVER ENERGIE
Name des Anmelders: Voestalpine Stahl GmbH
Name des Einsprechenden: HYBRIT Development AB
Tenova S.P.A.
Salzgitter Flachstahl GmbH
SHS IP Solutions GmbH
Danieli & C. Officine Meccaniche S.p.A.
Kammer: 3.3.05
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1132/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Einsprechenden 1 bis 5 (Beschwerdeführerinnen 1 bis 5) betreffen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die Einsprüche gegen das europäische Patent No. EP 2 895 631 B1 zurückzuweisen.

II. In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 war die Beschwerdekammer der vorläufigen Meinung, dass das Patent zu widerrufen sei.

III. In der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2023 reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) einen neuen, nunmehr einzigen Antrag ein. Anspruch 1 lautet wie folgt.

"1. Verfahren zum Erzeugen von Stahl, wobei Eisenerz mit Wasserstoff reduziert wird und das so gewonnene Zwischenprodukt aus reduziertem Eisenerz und gegebenenfalls Begleitstoffen metallurgisch weiterverarbeitet wird, dadurch gekennzeichnet, dass der Wasserstoff durch Elektrolyse von Wasser erzeugt ist, wobei die zur Elektrolyse notwendige elektrische Energie regenerative Energie ist, welche aus Wasserkraft und/oder Windkraft und/oder Fotovoltaik oder anderen regenerativen Energieformen stammt und wobei der Wasserstoff und/oder das Zwischenprodukt unabhängig von der momentanen Nachfrage immer dann erzeugt wird, wenn ausreichend regenerativ erzeugte elektrische Energie vorhanden ist, wobei nicht nachgefragtes Zwischenprodukt bis zur Nachfrage/Verwendung gelagert wird, so dass auch die regenerative Energie, die darin gespeichert ist, gelagert wird, dadurch gekennzeichnet, dass bei der Reduktion des Eisenerzes zum Zwischenprodukt, dem Wasserstoff ein kohlenstoff- bzw. wasserstoffhältiges [sic] Gas zugesetzt wird, um Kohlenstoff im Zwischenprodukt einzubauen und dass dem Wasserstoff zur Reduktion mindestens so viel kohlenstoff- bzw. wasserstoffhältiges Gas zugesetzt wird, dass der Kohlenstoffgehalt im Zwischenprodkt [sic] 0,0005 Masse-% bis 6,3 Masse-% beträgt, wobei das kohlenstoff- bzw. wasserstoffhältige Gas Methan oder andere Kohlenstoffträgergase aus der Biogaserzeugung oder Pyrolyse oder Synthesegas aus Biomasse sind."

IV. Die Beschwerdegegnerin argumentierte, dass bis zu diesem Zeitpunkt keine Notwendigkeit zum Einreichen eines neuen Antrags bestand und dass der Antrag eine angemessene, nicht überraschende Reaktion auf das Gesamtverfahren darstelle. Erst in der mündlichen Verhandlung sei es endgültig klar gewesen, dass die Beschwerdekammer den Angriff unter Artikel 100(c) wirklich als durchgreifend ansah. Der neue Antrag würde nicht zu einer neuen Diskussion führen.

V. Die Argumente der Beschwerdeführerinnen spiegeln sich in den untenstehenden Entscheidungsgründen wider.

VI. Die Beschwerdeführerinnen 1 bis 5 (Einsprechende 1 bis 5) beantragten, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten, einzigen Antrags.

Entscheidungsgründe

1. Artikel 13(2) VOBK 2020

Gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, stichhaltige Gründe werden dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.

Im vorliegenden Fall liegen aus folgenden Gründen keine außergewöhnlichen Umstände vor.

Der jetzige, einzige Antrag wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereicht, nachdem die Kammer nach Beratung verkündet hatte, dass sie unter Berücksichtigung der vorherigen Diskussion die in der Mitteilung unter Artikel 15(1) VOBK 2020 vorgebrachte Meinung betreffend Artikel 100(c) EPÜ weiterhin als gültig ansehen würde.

Der Einwand unter Artikel 100(c) EPÜ betreffend das Merkmal "wobei das kohlenstoff- bzw. wasserstoffhältige Gas, Methan oder andere Kohlenstoffträgergase Gase aus der Biogaserzeugung oder Pyrolyse nachwachsender Rohstoffe oder Synthesegas aus Biomasse sind" im erteilten Anspruch 1 (Hervorhebung durch die Kammer) wurde erstmalig in der Einspruchsschrift der Einsprechenden 2 (siehe Punkt 5, v.a. Seiten 7 bis 9) erhoben. Dieser Einwand war Teil des gesamten Einspruchsverfahrens und wurde in der angefochtenen Entscheidung unter Punkt 2 abgehandelt. In den Beschwerdebegründungen wurde der Einwand nochmals von den Beschwerdeführerinnen 1 (siehe Punkt 6, Seiten 22 bis 25 der Beschwerdebegründung), 2 (siehe Punkt 1, Seiten 4 bis 12 der Beschwerdebegründung) und 4 (siehe Punkt IV, Seite 19 bis 21 der Beschwerdebegründung) ausführlich dargelegt. Die Beschwerdegegnerin hat jedoch daraufhin mit ihrer Antwort keinen Antrag gestellt, der als Reaktion auf diese Einwände angesehen werden könnte. Aus Artikel 12(3) VOBK 2020 ergibt sich, dass die Erwiderung das vollständige Beschwerdevorbringen enthalten muss.

In der Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 begründete die Kammer, wieso sie den Einwand unter Artikel 100(c) EPÜ als durchgreifend ansah.

Es ist also ersichtlich, dass die Position der Kammer bezüglich Artikel 100(c)/123(2) EPÜ nur auf Argumenten beruhte, die bereits seit Einlegen der Einsprüche Teil des Verfahrens waren. Es gab also keine neuen Sachverhalte, die einen neuen Antrag zu einem solch späten Verfahrensstadium veranlasst hätten. Deshalb kann die Mitteilung oder die Diskussion in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer im vorliegenden Fall keine außergewöhnlichen Umstände bedingen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, V.A.4.5.6 c)).

Allgemein muss eine Patentinhaberin auch damit rechnen, dass die Kammer die Sachlage anders beurteilt, als die Patentinhaberin es mit größter Wahrscheinlichkeit erwartet hätte. Demzufolge hätte die Patentinhaberin sofort auf Angriffe der Einsprechenden reagieren sollen, selbst wenn die Patentinhaberin die Angriffe als unbegründet erachtet hatte.

Auch stellt die Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 keine Einladung dar, neue Eingaben zu machen (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, V.A.4.5.6 a)).

Der Antrag wird somit nicht berücksichtigt und ist nicht Teil des Verfahrens.

Andere Anträge liegen nicht vor.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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