T 1366/21 () of 21.3.2024

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2024:T136621.20240321
Datum der Entscheidung: 21 März 2024
Aktenzeichen: T 1366/21
Anmeldenummer: 17168241.2
IPC-Klasse: B21B 45/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: KÜHLUNG EINES WALZGUTS
Name des Anmelders: Primetals Technologies Austria GmbH
Name des Einsprechenden: SMS group GmbH
Kammer: 3.2.03
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 52(1)
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal Art 13(2)
European Patent Convention Art 69(1)
Schlagwörter: Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - Hilfsantrag 1 (nein)
Zulassung - Hilfsantrag 1a - außergewöhnliche Umstände (nein) - zugelassen (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 2 (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 3 (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1473/19
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Streitpatent zu widerrufen.

II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem festgestellt, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht neu gegenüber der Entgegenhaltung D1 sei. Zudem hatte sie befunden, dass der Gegenstand von Anspruch 1 der damaligen Hilfsanträge 1 bis 4 entweder ebenfalls nicht neu gegenüber D1 sei oder ausgehend von D1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer in Form einer Videokonferenz statt.

IV. Am Ende der mündlichen Verhandlung lauteten die Anträge der Beteiligten wie folgt.

Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise in geändertem Umfang gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 4, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, oder gemäß Hilfsantrag 1a, eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.

V. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D1: EP 0 099 213 A1

D3: DE 40 09 868 A1

D6: Auszug aus Prospekt der Fa. Lechler GmbH "Präzisionsdüsen und Zubehör"; Edition 112; 01/12

D8: F. A. Flórez Otero, Dissertation "Air Entrainment in Free Falling Water Jets", TU Wien, September 2016

VI. Die betrachteten Ansprüche haben den folgenden Wortlaut.

1.1 Der erteilte Anspruch 1 (Hauptantrag) lautet (mit hinzugefügter Merkmalsgliederung in eckigen Klammern in Anlehnung an die Beschwerdeerwiderung):

"[M1] Kühlbalken (1) zur Kühlung eines in einer Transportrichtung (3) bewegten Walzguts (5), der Kühlbalken (1) umfassend

- [M2] eine mit einem Kühlmittel befüllbare Sprühkammer (7),

- [M3] eine Verteilerkammer (9) zur Zwischenspeicherung des Kühlmittels,

[M4] die mit der Sprühkammer (7) durch wenigstens eine Durchlassöffnung (13) zur Befüllung der Sprühkammer (7) mit Kühlmittel aus der Verteilerkammer (9) verbunden ist,

- [M5] wobei jede Durchlassöffnung (13) zwischen der Verteilerkammer (9) und der Sprühkammer (7) an einer Oberseite der Verteilerkammer (9) angeordnet ist,

- [M6] und mehrere aus der Sprühkammer (7) mit Kühlmittel speisbare Vollstrahldüsen (11), durch die jeweils ein Kühlmittelstrahl eines Kühlmittels mit einem nahezu konstanten Strahldurchmesser in einer Ausgaberichtung (15) zu dem Walzgut (5) ausgebbar ist,

- [M7] wobei jede Vollstrahldüse (11) einen rohrartigen Düsenkörper (19) aufweist, der ein in einem oberen Bereich des Kühlbalkens (1) innerhalb der Sprühkammer (7) angeordnetes offenes Ende (21) zur Einspeisung von Kühlmittel in die Vollstrahldüse (11) aufweist,

- [M8] wobei das offene Ende (21) oberhalb der Höhe der Oberseite der Verteilerkammer (9) angeordnet ist."

1.2 Anspruch 1 von Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 wie erteilt (Hauptantrag) durch die folgenden, hervorgehobenen Änderungen an den Merkmalen M4 und M5:

"[M4'] die mit der Sprühkammer (7) durch [deleted: wenigstens eine]mehrere Durchlassöffnungen (13) zur Befüllung der Sprühkammer (7) mit Kühlmittel aus der Verteilerkammer (9) verbunden ist,

- [M5'] wobei jede Durchlassöffnung (13) zwischen der Verteilerkammer (9) und der Sprühkammer (7) an einer Oberseite der Verteilerkammer (9) angeordnet ist und die Durchlassöffnungen (13) quer zu der Transportrichtung (3) hintereinander an einer Oberseite der Verteilerkammer (9) angeordnet sind,"

und das zusätzliche Merkmal:

"- [M9] und der Düsenkörper (19) innerhalb der Sprühkammer (7) von einem Boden der Sprühkammer (7) zu dem offenen Ende (21) des Düsenkörpers (19) verläuft."

1.3 Anspruch 1 von Hilfsantrag 1a entspricht Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 mit folgenden seitens der Kammer hervorgehobenen Änderungen an Merkmal M9:

"- [M9'] und der Düsenkörper (19) vollständig innerhalb der Sprühkammer (7), und zwar von einem Boden der Sprühkammer (7) zu dem offenen Ende (21) des Düsenkörpers (19) verläuft."

1.4 Anspruch 1 von Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 durch das zusätzliche Merkmal:

"- [M10] und wobei die Vollstrahldüsen (11) jeweils eine Auslassöffnung (22) aufweisen, deren Auslassdurchmesser (D) zwischen 3 mm und 12 mm beträgt."

1.5 Anspruch 1 von Hilfsantrag 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 durch das zusätzliche Merkmal:

"- [M11] und die Vollstrahldüsen (11) in mehreren quer zur Transportrichtung (3) verlaufenden Düsenreihen (23 bis 25) angeordnet sind und die Vollstrahldüsen (11) verschiedener Düsenreihen (23 bis 25) in Transportrichtung (3) gegeneinander versetzt angeordnet sind."

VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin kann wie folgt zusammengefasst werden.

Hauptantrag

D1 offenbare weder ausdrücklich noch implizit Vollstrahldüsen. Dies ergebe sich auch nicht aus den darin verwendeten Begriffen "water columns or rods". Folglich sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu gegenüber D1.

Hilfsantrag 1

Merkmal M9 verlange, dass der gesamte Düsenkörper vollständig innerhalb der Sprühkammer verlaufe. Dies sei in D1 nicht der Fall. Daher sei der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 neu gegenüber D1.

Hilfsantrag 1a

Außergewöhnliche Umstände für die Zulassung des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 1a lägen darin, dass die vorläufige Einschätzung der Kammer erst gut einen Monat vor der mündlichen Verhandlung mitgeteilt wurde und die Änderung lediglich das von der Beschwerdeführerin stets vertretene Verständnis von Merkmal M9 klarstelle.

Hilfsantrag 2

Es werde bestritten, dass die anspruchsgemäß geforderten Auslassdurchmesser der Düsen im fachüblichen Bereich lägen. Daher beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 ausgehend von D1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Hilfsantrag 3

Es sei mit der Lehre von D1 nicht vereinbar und wäre für den Fachmann daher nicht naheliegend gewesen, unter der dachartigen Sprühkammerspitze von D1 mehrere Düsenreihen hintereinander unterzubringen. Daher beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

VIII. Die Beschwerdegegnerin trug im Wesentlichen Folgendes vor.

Hauptantrag

D1 offenbare zur Lösung derselben Problematik wie im Streitpatent den Einsatz von Düsen, die "water columns or rods", also Wasserstrahlen mit konstantem Strahldurchmesser, ausgäben und daher Vollstrahldüsen im Sinne des Patents darstellten. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei daher nicht neu gegenüber D1.

Hilfsantrag 1

Merkmal M9 verlange lediglich, dass der innerhalb der Sprühkammer verlaufende Teil der Düsenkörper von einem Boden der Sprühkammer bis zu ihrem offenen Ende verlaufe, was aus D1 ebenfalls bekannt sei. Daher sei auch der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 nicht neu gegenüber D1.

Hilfsantrag 1a

Die Beschwerdeführerin selbst habe die Frage der Auslegung von Merkmal M9 bereits in der Beschwerdebegründung thematisiert. Es seien daher keine außergewöhnlichen Umstände ersichtlich, weshalb ein auf die von der Beschwerdeführerin gewünschte Auslegung gerichteter Antrag erst in der mündlichen Verhandlung eingereicht wurde. Der Hilfsantrag 1a solle daher nicht in das Verfahren zugelassen werden.

Hilfsantrag 2

Der mit dem Hilfsantrag 2 beanspruchten Einschränkung der Vollstrahldüsen auf bestimmte Auslassdurchmesser lasse sich kein technischer Effekt zuordnen. Vielmehr handele es sich um eine willkürliche Auswahl im fachüblichen Bereich, die keine erfinderische Tätigkeit begründen könne.

Hilfsantrag 3

Die Anordnung mehrerer Düsenreihen hintereinander sei fachbekannt und beispielsweise in D3 (Figur 5a) offenbart. Daher beruhe der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 ausgehend von D1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Hauptantrag - Neuheit, D1

1.1 Zwischen den Beteiligten war unstreitig, dass D1 die Merkmale M1 bis M5, M7 und M8 des erteilten Anspruchs 1 sowie mehrere aus der Sprühkammer mit Kühlmittel speisbare Düsen offenbart, durch die jeweils ein Kühlmittelstrahl eines Kühlmittels in einer Ausgaberichtung zu dem Walzgut ausgebbar ist (Teil von Merkmal M6).

1.2 Streitig war somit nur, ob es sich bei den Düsen in D1 gemäß Merkmal M6 um "Vollstrahldüsen" handelt, durch die jeweils ein Kühlmittelstrahl "mit einem nahezu konstanten Strahldurchmesser" ausgebbar ist.

1.3 Der Begriff "Vollstrahldüse" wird in Anspruch 1 ebenso wie im Streitpatent (Absatz [0015]) als eine Düse verstanden, durch die ein im Wesentlichen gerader (unzerstäubter) "Vollstrahl" eines Kühlmittels "mit einem nahezu konstanten Strahldurchmesser" ausgebbar ist. Es handelt sich folglich um eine funktionale Einschränkung der Düse.

1.4 Streitpatentgemäß dient der konstante Strahldurchmesser dazu, eine Unabhängigkeit der Kühlwirkung vom Abstand des Kühlbalkens zum Walzgut zu erzielen, eine gegenseitige Beeinflussung der Strahlen auch sehr eng benachbarter Düsen zu vermeiden und einen hohen Aufschlagdruck zu gewährleisten. Dies ist erforderlich, um die auf dem Walzgut bereits vorliegende Kühlmittelschicht zu durchdringen und eine gute Kühlwirkung zu erzielen (siehe Absätze [0015] und [0016] des Patents).

1.5 D1 offenbart auf Seite 1, Zeile 21, bis Seite 2, Zeile 18, dieselbe Problematik wie das Patent hinsichtlich der benötigten Kühlmittelstrahlstärke, um die das Walzgut bedeckende Kühlmittelschicht zu durchdringen und aufzuwirbeln, und das auch bei großen Abständen zwischen Kühlbalken und Walzgut. Dafür sei es erforderlich, die konzentrische Geschwindigkeit oder Dichte des Wasserstrahls zu erhöhen.

Weiter beschäftigt sich D1 mit dem Ziel, wie die Kühlung möglichst instantan und ohne Nachlaufen unterbrochen und schnell wieder aufgenommen werden kann (Seite 3, dritter Absatz). Dies erfordert, dass die Sprühkammer oberhalb der offenen Enden der Düsenkörper ein möglichst kleines Volumen aufweist, was jedoch einer ausreichenden Druckbeaufschlagung der Düsen und einer stabilen Strahlbildung entgegenstehen kann.

Auf Seite 7, Zeile 11, bis Seite 8, Zeile 22, wird dargestellt, wie beide Ziele zugleich erreicht werden können. Insbesondere wird dabei ein ausreichender Zuflussquerschnitt, ein Verhältnis zwischen Länge L und Innendurchmesser d der rohrförmigen Düsen L/d>=5 und ein Mindestdruck offenbart, um eine stabile Strahlbildung ("jetting") zu erzielen. Als Ergebnis offenbart D1 auf Seite 8, Zeile 23, bis Seite 9, Zeile 6, dass ein Kühlwasserstrahl in Form einer Säule oder Stange ("water columns or rods") erzielt wird, der die benötigte Aufschlagkraft erreicht.

Nach Ansicht der Kammer bringt dies zum Ausdruck, dass die Düse von D1 ein Strahlprofil mit nahezu konstantem Durchmesser ausgibt, also eine Vollstrahldüse im Sinne des Streitpatents darstellt.

1.6 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass die Begriffe "Säule" oder "Stange" sich nicht unbedingt auf einen konstanten Durchmesser des Wasserstrahls bezögen, und D1 daher nicht eindeutig offenbare, dass der ausgegebene Kühlstrahl sich nicht weite. Zudem argumentierte sie auf der Grundlage der Lehre der D8, dass eine kreiszylindrische Düse, wie sie in D1 offenbart sei ("tubular nozzles", Seite 5, zweiter Absatz; Figuren 3 und 4), mit Wasser als Kühlmittel wie in D1, mit Düsendimensionen und Drücken wie im Streitpatent und mit einer Strahlausgabegeschwindigkeit gemäß dem Diagramm von Seite 5-2 der D6 nicht in der Lage sei, einen Vollstrahl im Sinne des Patents, nämlich mit einem über eine Länge bis etwa 1500mm (Absatz [0015]) nahezu konstantem Strahldurchmesser, auszugeben.

1.7 Diese Argumentation überzeugt die Kammer nicht.

Auch wenn eine "Säule" oder "Stange" (bzw. "columns or rods" in D1) - im Allgemeinen und für sich genommen - nicht unbedingt einen konstanten Durchmesser aufweisen muss, so ist dies im vorliegenden Fall in Bezug auf den in D1 beschriebenen Kühlwasserstrahl dennoch - nämlich aufgrund des Zusammenhangs mit den in D1 geschilderten Anforderungen an die Aufschlagskraft auch bei großem Abstand - für den Fachmann zweifelsfrei in D1 offenbart.

In Absatz [0015] des Patents wird zwar beschrieben, dass der Vollstrahl typischerweise einen geraden Kühlstrahl erzeugt, der eine Beabstandung des Kühlbalkens von "bis etwa 1500mm" erlaubt. Anspruch 1 enthält jedoch keine Angabe, über welche Länge der Durchmesser des ausgegebenen Strahls nahezu konstant sein muss. Ob der in D1 beschriebene Kühlwasserstrahl in Form einer "Säule" oder "Stange" eine Länge von 1500 mm aufweist oder nicht, ist für die Beurteilung der Neuheit des Gegenstands von Anspruch 1 daher unerheblich.

Folglich ist es auch unerheblich, wenn Berechnungen auf Grundlage der D8 unter speziellen Annahmen eine geringere Abreißlänge als 1500 mm ergeben.

Darüber hinaus beruhen schon die anhand der Formel aus D8 (siehe Seite 70, Gleichung 4.12) seitens der Beschwerdeführerin berechneten Werte für die Weberzahl auf einer fragwürdigen Grundlage. Insbesondere wurde nämlich ohne Berücksichtigung des Düsendurchmessers jeweils von derselben Austrittsgeschwindigkeit ausgegangen, wie sie der Kennlinie einer nicht näher spezifizierten Vollstrahldüse von Seite 5.2 der D6 entnommen wurde. Aber selbst mit den von der Beschwerdeführerin gewählten Parametern und vorgetragenen Werten der Weberzahl ergibt sich für eine Düse mit 20mm Auslassdurchmesser (also an der Obergrenze des im Patent genannten Bereichs) anhand des Diagramms von Figur 4.10 der D8 bereits eine Abreißlänge ("jet breakup length L") von etwa 5 Metern. Auch wenn die Zone A des Vollstrahls kürzer als die Abreißlänge ist (siehe D8, Seite 19, Figur 2.8), kann mit diesen Berechnungen folglich nicht belegt werden, dass eine Düse gemäß D1 keinen Vollstrahl im Sinne des Streitpatents ausgeben kann.

Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass D1 auch das Merkmal M6 offenbart.

1.8 Somit ist der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht neu gegenüber D1. Der Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.

2. Hilfsantrag 1 - Neuheit, D1

2.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 fordert mehrere Durchlassöffnungen, die quer zur Transportrichtung hintereinander an einer Oberseite der Verteilerkammer angeordnet sind (Merkmale M4' und M5'). Dies ist unstreitig aus D1 ebenfalls bekannt (Öffnungen 7, Seite 5, Zeilen 18 bis 22, Figuren 2 und 3).

2.2 Weiter verlangt Anspruch 1 des Hilfsantrags 1, dass der Düsenkörper (jeder Vollstrahldüse) innerhalb der Sprühkammer von einem Boden der Sprühkammer zu einem offenen Ende des Düsenkörpers verläuft (Merkmal M9).

2.3 Die Beschwerdeführerin trug vor, Merkmal M9 verlange, dass der gesamte Düsenkörper vollständig innerhalb der Sprühkammer verlaufe, und zwar von einem Boden der Sprühkammer zu einem offenen Ende des Düsenkörpers. D1 offenbare das Merkmal M9 nicht, weil sich die Düsenkörper dort auch durch die Verteilerkammer und sogar darüber hinaus nach unten erstreckten.

Die Einspruchsabteilung habe das Merkmal M9 hingegen so ausgelegt, dass nur der innerhalb der Sprühkammer angeordnete Abschnitt des Düsenkörpers von einem Boden der Sprühkammer zu einem offenen Ende des Düsenkörpers verlaufe. Nach Artikel 69 (1), Satz 2 EPÜ sei jedoch die Auslegung gemäß dem Streitpatent zu verwenden, insbesondere wenn es mehrere denkbare Auslegungen gebe.

Das Streitpatent offenbare das Merkmal M9 nur im Zusammenhang mit dem Ausführungsbeispiel der Figur 2, die eindeutig einen Verlauf des gesamten Düsenkörpers innerhalb der Sprühkammer offenbare. Zudem verweise die Beschreibung von Figur 10 in Absatz [0048] mit "jedoch" auf einen Verlauf des Düsenkörpers, der von dem bei Figur 2 offenbarten Merkmal M9 abweiche. Somit offenbare das Streitpatent, dass sich Merkmal M9 darauf beziehe, dass der Düsenkörper vollständig innerhalb der Sprühkammer verlaufe.

2.4 Die Argumentation der Beschwerdeführerin überzeugt die Kammer aus den folgenden Gründen nicht.

Das breitere Merkmalsverständnis, wie es auch die Einspruchsabteilung herangezogen hat, ist hier richtig, weil sich das Merkmal auf den Verlauf der Düse innerhalb der Sprühkammer bezieht und definiert, dass die Düse dort von einem Boden der Sprühkammer bis zu einem offenen Ende des Düsenkörpers verläuft.

Wollte man der engeren Auslegung der Beschwerdeführerin folgen, müsste man die (nachstehend durch Unterstreichung hervorgehobenen) zusätzlichen Einschränkungen mitlesen, dass sich das Merkmal auf den gesamten Düsenkörper bzw. dessen vollständigen Verlauf bezieht, oder dass es auf den Verlauf innerhalb der Sprühkammer und von einem Boden der Sprühkammer zu einem offenen Ende des Düsenkörpers ankommt. Eine solche einschränkende Lesart unter Hinzunahme von Merkmalen, die sich nur der Beschreibung, nicht aber dem Anspruchswortlaut entnehmen lassen, ist auch bei Anwendung von Artikel 69 EPÜ im Hinblick auf das Primat der Ansprüche (vgl. T 1473/19, Schlagwort 2) nicht zulässig (vgl. Rechtsprechung, 10. Auflage 2022, II.A.6.3.4).

Für eine auf das von der Beschwerdeführerin vertretene engere Verständnis eingeschränkte Lesart von Merkmal M9 gibt es daher keinen Anlass.

D1 offenbart in den Figuren, dass der Düsenkörper jeder Vollstrahldüse wie im Wortlaut von Merkmal M9 gefordert innerhalb der Sprühkammer von einem Boden der Sprühkammer zu einem offenen Ende des Düsenkörpers verläuft.

2.5 Folglich ist auch der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 nicht neu gegenüber D1 und der Hilfsantrag 1 damit nicht gewährbar.

3. Hilfsantrag 1a - Zulassung

3.1 In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer legte die Beschwerdeführerin einen geänderten Hilfsantrag 1a vor, der das Merkmal M9 in Anspruch 1 durch die nachfolgend unterstrichen wiedergegebenen Änderungen dahingehend spezifiziert, dass der Düsenkörper vollständig innerhalb der Sprühkammer, und zwar von einem Boden der Sprühkammer zu dem offenen Ende des Düsenkörpers verläuft.

3.2 Der Hilfsantrag 1a stellt eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin dar, deren Zulassung gemäß Artikel 13 (2) VOBK im Ermessen der Kammer steht.

3.3 Die Beschwerdeführerin trug vor, außergewöhnliche Umstände für die Einreichung von Hilfsantrags 1a erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer und dessen Zulassung lägen darin, dass die Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK, in der sie in ihrer vorläufigen Einschätzung der Auslegung der Beschwerdeführerin von Merkmal M9 widersprach, erst gut einen Monat vor der mündlichen Verhandlung erging, und dass mit der Änderung lediglich das von der Beschwerdeführerin stets vertretene Verständnis von Merkmal M9 klargestellt werde.

3.4 Die Kammer stellt fest, dass die von ihr herangezogene Auslegung von Merkmal M9 bereits der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag, und von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung auch diskutiert wurde, ohne einen auf eine entsprechende Klarstellung gerichteten Antrag einzureichen. Selbst mit ihrer Eingabe vom 28. Februar 2024 - bereits in Reaktion auf die Stellungnahme der Kammer - hat sie dies nicht nachgeholt.

Nach Ansicht der Kammer ist die Einreichung von Hilfsantrag 1a erst in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer somit nicht durch die Mitteilung der Kammer veranlasst. Ebenso wenig kann es als ein die Zulassung dieses neuen Hilfsantrags rechtfertigender außergewöhnlicher Umstand gelten, wenn die Kammer in ihrer Mitteilung zu einem bereits zuvor hinlänglich bekannten Streitpunkt bezüglich der Auslegung eines Anspruchsmerkmals Stellung nimmt.

In Anbetracht der vorgenannten Umstände hätte die Zulassung von Hilfsantrag 1a dem Gebot der Verfahrensökonomie widersprochen.

3.5 Aus diesen Gründen entschied die Kammer, den Hilfsantrag 1a gemäß Artikel 13 (2) VOBK nicht in das Verfahren zuzulassen.

4. Hilfsantrag 2 - Erfinderische Tätigkeit

4.1 Anspruch 1 von Hilfsantrag 2 erfordert zusätzlich, dass die Vollstrahldüsen eine Auslassöffnung mit einem Durchmesser im Bereich zwischen 3mm und 12mm aufweisen (Merkmal M10).

4.2 Da D1 keine Angaben hierzu enthält, ist der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 neu gegenüber D1 und unterscheidet sich von D1 durch das Merkmal M10.

4.3 Das Patent offenbart keine spezielle technische Wirkung, die sich durch die Wahl eines anspruchsgemäßen Auslassdurchmessers erzielen lässt. Ein etwaiger, durch die Wahl eines bestimmten Auslassdurchmessers zu erzielender überraschender Effekt wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht geltend gemacht.

4.4 Die ausgehend von D1 objektiv zu lösende technische Aufgabe kann daher darin gesehen werden, den in D1 beschriebenen Kühlbalken in der Realität umzusetzen.

4.5 Zur Lösung dieser Aufgabe wählt ein Fachmann Kühlmitteldüsen mit einem gängigen Auslassdurchmesser unter fachüblicher Berücksichtigung der gewünschten Betriebsparameter wie Betriebsdruck, Austrittsgeschwindigkeit, der Größe der zu kühlenden Bereiche und dem gewünschten Kühleffekt, von denen der Auslassdurchmesser maßgeblich abhängt.

4.6 Eine willkürliche Auswahl einer Kühlmitteldüse mit einem Auslassdurchmesser innerhalb des in Anspruch 1 definierten Wertebereichs erfolgt mittels routinemäßigen Handelns und bedarf keiner erfinderischen Tätigkeit (vgl. Rechtsprechung,

I.D.9.21.9).

4.7 Die Beschwerdeführerin bestritt, dass es sich bei den in keiner der vorliegenden Entgegenhaltungen offenbarten anspruchsgemäßen Auslassdurchmessern um Dimensionen im fachüblichen Bereich handele.

4.8 Die Kammer ist allerdings auch ohne eine konkrete Erwähnung im Stand der Technik davon überzeugt, dass Vollstrahldüsen mit einem Auslassdurchmesser im beanspruchten Bereich fachüblich sind und sich für den Einsatz in einem Kühlbalken eignen, zumal der Bereich geeigneter Auslassdurchmessers wie bereits oben angegeben von den im Anspruch nicht spezifizierten gewünschten Betriebsparameter abhängt.

4.9 Folglich beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 ausgehend von D1 in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Hilfsantrag 2 ist daher nicht gewährbar.

5. Hilfsantrag 3 - Erfinderische Tätigkeit

5.1 Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 ist dadurch weitergebildet, dass "die Vollstrahldüsen in mehreren quer zur Transportrichtung (d.h. entlang der Erstreckungsrichtung des Kühlbalkens) verlaufenden Düsenreihen angeordnet sind und die Vollstrahldüsen verschiedener Düsenreihen in Transportrichtung gegeneinander versetzt angeordnet sind" (Merkmal M11).

5.2 In Übereinstimmung mit dem Vorbringen der Beschwerdegegnerin und der Lehre im Streitpatent (am Ende von Absatz [0022]) kann die objektive technische Aufgabe darin gesehen werden, einen Kühlbalken mit einer gleichmäßigeren Kühlwirkung bereitzustellen, mittels dem in Transportrichtung verlaufende "Kühlriefen" vermieden werden.

5.3 Die Beschwerdegegnerin trug vor, eine Düsenanordnung gemäß dem Unterscheidungsmerkmal M11 sei als Lösung der zugrundeliegenden Aufgabe zum einen fachbekannt, zum anderen in Figur 5a von D3 offenbart (Spalte 1, Zeilen 17ff.; Spalte 3, Zeilen 7-15). Daher hätte der Fachmann diese Lösung auf naheliegende Weise auf D1 übertragen. Die hierzu notwendige Anpassung der Breite des Kühlbalkens und der Sprühkammer unter Beibehaltung der Maßnahmen hinsichtlich des Nachlaufens und des Querschnitts der Sprühkammer oberhalb der Düsenöffnungen gemäß der Lehre der D1 seien ebenfalls naheliegend gewesen.

5.4 Die Kammer teilt diese Ansicht nicht.

Gemäß der Lehre von D1 wird ein geringes Nachlaufen durch eine dachartig ausgestaltete Sprühkammer ("an upper header in the form of a roof") mit dreieckiger Querschnittsfläche ("triangular in section", Seite 3, letzter Absatz; Anspruch 1) erzielt. Die Dreiecksform des oberen Sprühkammerendes (Figur 5) wird in D1 als erfindungswesentliches Merkmal gegenüber dem Stand der Technik (Figur 1) dargestellt (Seite 6, letzter Absatz).

Gemäß Seite 7, Zeile 21, bis Seite 8, Zeile 11 von D1, muss ein Kompromiss zwischen ausreichendem Zulauf und minimalem Nachlaufen gefunden werden. Für die Anordnung einer einzigen Düsenreihe wurde gemäß D1 experimentell ermittelt, dass dieser Kompromiss durch die im zweiten Absatz von Seite 8 beschriebene Relation 0.5<=S2/S1<=4 für das Verhältnis zwischen dem horizontalen Düsenquerschnitt S2 ("horizontal cross-sectional area S2 of one nozzle 4") und dem vertikalen Querschnitt S1 der dachartig ausgestalteten Sprühkammerspitze ("vertical cross-sectional area S1 of the upper corner space 6 in the upper header 3 above the upper ends of the nozzles 4") erreicht wird.

Würden unter dieser Dachform gemäß D1 mehrere Düsenreihen nebeneinander mit einem Abstand zwischen den Düsenreihen wie in Figur 5a der D3 untergebracht, so würde sich die Breite des Querschnitts des Volumens oberhalb der Düsenkörper mit einem Faktor f vervielfachen. Die dreieckige Querschnittsfläche und damit auch das Nachlaufvolumen würden sich überproportional vergrößern (quadratisch mit dem Faktor f), während die Anzahl der Düsen (wegen des Abstands zwischen den Reihen) nicht einmal linear mit dem Faktor f zunimmt. Schon diese erhebliche Zunahme des Nachlaufvolumens wäre schwerlich mit der Lehre von D1 zu vereinbaren.

Darüber hinaus wurde in D1 der durch die Relation auf Seite 8, Zeile 11, zusammengefasste Kompromiss nur für eine einzelne Reihe unter dem Dach der Sprühkammer ermittelt und lässt sich wegen der erwähnten Nichtlinearitäten und der asymmetrischen Geometrie des Zulaufquerschnitts auch nicht einfach auf mehrere Düsenreihen übertragen. Ohne selbst entsprechende Versuche durchzuführen, fehlt dem Fachmann folglich eine Anleitung, ob und wie die Dachneigung der Sprühkammer bei mehreren Düsenreihen so gewählt werden kann, dass weiterhin die Bedingungen der D1 erfüllt sind. Mithin ergab sich für den Fachmann, dass die Lehre von D1 sich ausschließlich auf eine einzelne Düsenreihe bezieht.

Auch wenn die Lösung der Aufgabenstellung mit mehreren Düsenreihen fachbekannt oder in D3 (Figur 5a) offenbart war, hätte der Fachmann diese Maßnahme daher nicht in D1 umgesetzt.

5.5 Somit beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 ausgehend von D1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

6. Schlussfolgerung

Da die Beschwerdegegnerin keine weiteren Einwände gegen den Hilfsantrag 3 und die in der mündlichen Verhandlung eingereichten angepassten Unterlagen (Beschreibung und Figuren) hatte, kommt die Kammer zu dem Schluss, dass Hilfsantrag 3 gewährbar ist.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent in geändertem Umfang mit folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche 1 bis 5 gemäß Hilfsantrag 3 eingereicht mit der Beschwerdebegründung

- Beschreibung Seiten 2 bis 8 wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer

- Zeichnungen 1 bis 10 und 12 wie eingereicht in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer

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