European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2024:T128521.20240417 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 April 2024 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 1285/21 | ||||||||
Anmeldenummer: | 15179480.7 | ||||||||
IPC-Klasse: | B60C 1/00 C08L 9/00 C08L 9/06 C08L 23/20 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | SCHWEFELVERNETZBARE KAUTSCHUKMISCHUNG UND FAHRZEUGREIFEN | ||||||||
Name des Anmelders: | Continental Reifen Deutschland GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Compagnie Générale des Etablissements Michelin | ||||||||
Kammer: | 3.3.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Spät eingereichter Antrag - wäre bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorzubringen gewesen (nein) Spät eingereichter Antrag - Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen Zulassung (ja) Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein) Ausreichende Offenbarung - Ausführbarkeit (ja) Erfinderische Tätigkeit - Beweislast Erfinderische Tätigkeit - Verbesserung nicht glaubhaft Erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Alternative |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerde der Patentinhaberin richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 3 006 226 widerrufen wurde.
II. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung beruhte auf den geänderten Ansprüchen des mit Schreiben vom 24. Februar 2021 eingereichten Hauptantrags und der in der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2021 eingereichten Hilfsanträge 1 und 2.
III. Im Einspruchsverfahren wurden inter alia folgende Dokumente herangezogen:
D1: US 2013/0053559 A1
D4: WO 2009/091490 A1
D15: Product bulletin, Wingtak® Resins, Cray Valley
D18: L. E. Shekleton et al., "Measuring the compatibility of petroleum-based hydrocarbon resins in elastomers", Rubber World, Band 247(6), März 2013, Seiten 38-44
D21: Eastman's Spectrum of Hydrocarbon Resins, Dezember 2004
IV. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, soweit sie für die vorliegende Beschwerde relevant ist, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Der Hauptantrag erfülle die Erfordernisse des Artikels 123 (2), jedoch nicht des Artikels 123 (3) EPÜ.
b) Die Hilfsanträge 1 und 2 erfüllen die Erfordernisse der Artikel 83 und 123 (2) und (3) EPÜ. Der Gegenstand des Anspruchs 1 dieser Hilfsanträge sei jedoch nicht erfinderisch gegenüber D4 als nächstliegendem Stand der Technik.
Das Streitpatent wurde deshalb widerrufen.
V. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) reichte mit der Beschwerdebegründung acht Anspruchssätze als Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 7 ein.
VI. Eine mündliche Verhandlung fand am 17. April 2024 statt.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung gemäß einem der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 5, 7, 4 und 6, in dieser Reihenfolge, aufrechtzuerhalten.
VIII. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
IX. Anspruch 1 des Hilfsantrags 5 lautete wie folgt:
"1. Fahrzeugreifen, wobei der Fahrzeugreifen in wenigstens einem Bauteil wenigstens eine schwefelvernetzbare Kautschukmischung aufweist, wobei die schwefelvernetzbare Kautschukmischung wenigstens folgende Bestandteile enthält:
- 25 bis 100 phr wenigstens eines Kohlenwasserstoffharzes, welches zu 50 bis 100 Gew.-% aus aliphatischen C5-Monomeren und zu 0 bis 50 Gew.-% aus weiteren Monomeren aufgebaut ist, wobei das Kohlenwasserstoffharz gemäß Formel I) ein Q von 0,015 [°C·mol/g] bis 0,050 [°C·mol/g] aufweist:
I) Q = Erweichungspunkt [°C]/ Zentrifugenmittelwert Mz [g/mol],
und wobei das Kohlenwasserstoffharz ein Molekulargewicht Mw (Gewichtsmittel) von 500 bis 4000 g/mol und ein Zentrifugenmittelwert Mz von 2500 bis 10000 g/mol aufweist, wobei die Bestimmung des Zentrifugenmittelwerts Mz mittels Gelpermeationschromatographie gemäß DIN 55672-1 erfolgt, und hierbei 25 bis 100 phr wenigstens eines Kohlenwasserstoffharzes zu 95 bis 100 Gew.-% aus aliphatischen C5-Monomeren und zu 0 bis 5 Gew.-% aus in der Erdölfraktion enthaltenen C4- oder C6-Monomeren aufgebaut sind, und
- 50 bis 100 phr wenigstens eines lösungspolymerisierten Dienkautschuks."
Die weiteren Ansprüche dieses Hilfsantrags sowie die Ansprüche der Hilfsanträge 7, 4 und 6 sind für die vorliegende Entscheidung nicht relevant.
X. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin sind den unten stehenden Entscheidungsgründen zu entnehmen. Zusammenfassend brachte die Beschwerdeführerin Folgendes vor:
a) Hilfsantrag 5
i) Zulassung
Hilfsantrag 5 sollte ins Verfahren zugelassen werden.
ii) Artikel 123 (2) EPÜ
Anspruch 1 erfülle die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.
iii) Ausreichende Offenbarung
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei ausführbar.
iv) Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei erfinderisch gegenüber D4 als nächstliegendem Stand der Technik.
XI. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin sind den unten stehenden Entscheidungsgründen zu entnehmen. Die Beschwerdegegnerin trug folgende Einwände vor:
a) Hilfsantrag 5
i) Zulassung
Hilfsantrag 5 sollte nicht ins Verfahren zugelassen werden.
ii) Artikel 123 (2) EPÜ
Anspruch 1 erfülle nicht die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ.
iii) Ausreichende Offenbarung
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht ausführbar.
iv) Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht erfinderisch gegenüber D4 als nächstliegendem Stand der Technik.
Entscheidungsgründe
Hilfsantrag 5
1. Zulassung ins Beschwerdeverfahren
1.1 Hilfsantrag 5 wurde mit der Beschwerdebegründung eingereicht. Die Beschwerdegegnerin beantragte, diesen Hilfsantrag nicht ins Verfahren zuzulassen.
1.2 Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass Hilfsantrag 5 dem Hilfsantrag 1 entspreche, welcher in erster Instanz mit Schreiben vom 24. Februar 2021 vorgelegt wurde, wobei die in der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2021 zu den Hilfsanträgen hinzugefügte kaskadenhafte Formulierung umgesetzt wurde. Er diene dazu, die Einwände unter Artikel 123 Absätze (2) und (3) EPÜ zu überwinden (Beschwerdebegründung, Seite 3, Punkt 2.3). Die Beschwerdeführerin machte ferner geltend, dass dieser Hilfsantrag nicht im Einspruchsverfahren gestellt worden sei, da die Einspruchsabteilung den damaligen Hauptantrag nicht nach Artikel 123 (2) EPÜ beanstandet habe (siehe Schreiben vom 27. März 2024, Seite 6, Punkt 2.4).
1.3 In ihrer Beschwerdeerwiderung wandte sich die Beschwerdegegnerin gegen die Zulassung des Hilfsantrags 5. Insbesondere habe die Beschwerdeführerin den Hilfsantrag 1 vom 24. Februar 2021 in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht aufrechterhalten. Daher sei der darauf gestützte Hilfsantrag 5 nicht zuzulassen.
1.4 Nach Artikel 12 (6) VOBK lässt die Kammer Anträge nicht zu, die in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, vorzubringen gewesen wären, es sei denn, die Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen eine Zulassung.
1.5 Die Kammer stellt fest, dass die Beschwerdegegnerin als Einsprechende Einwände unter Artikel 123 Absätze (2) und (3) EPÜ gegen Anspruch 1 des im Einspruchsverfahren vorgelegten Hauptantrags hatte (siehe angefochtene Entscheidung, Seite 7, Punkt 3.1 bis Seite 9, Punkt 4.1). Der Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ überzeugte die Einspruchsabteilung jedoch nicht, der Einwand nach Artikel 123 (3) EPÜ schon. Die Patentinhaberin hatte deshalb Hilfsantrag 1 vom 24. Februar 2021, der darauf abzielte, dem Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ zu begegnen, mit neuen Hilfsanträgen ersetzt, die darauf abzielten, den Einwand unter Artikel 123 (3) EPÜ zu überwinden (Protokoll der Mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung, Seite 4, letzter Absatz). Dieses Ziel wurde mit den neuen Hilfsanträgen 1 und 2 erreicht (angefochtene Entscheidung, Seite 10, Punkt 6 und Seite 17, Punkt 11).
1.6 Der vorliegende Hilfsantrag 5 entspricht dem nicht aufrechterhaltenen Hilfsantrag 1 vom 24. Februar 2021 mit der kaskadenhaften Formulierung des Anspruchs 1, die für die Überwindung des Einwands unter Artikel 123 (3) EPÜ entscheidend war. Somit soll Hilfsantrag 5 als Absicherung gegen die Einwände unter Artikel 123 (2) und (3) EPÜ dienen. Die Kammer folgt dem Argument der Beschwerdeführerin, dass eine weitere "Absicherung gegen den Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ" während der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht mehr erforderlich war (Schreiben von 27. März 2024, Seite 7, Punkt 2.5). Da die Einspruchsabteilung dem Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ nicht folgte, gab es keinen Grund weitere Hilfsanträge einzureichen, die darauf abzielten, dem Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ zu begegnen, der nicht mehr im Raum stand. Somit, entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der vorliegende Hilfsantrag 5 im Einspruchsverfahren nicht hätte eingereicht werden müssen. Außerdem, da im Beschwerdeverfahren sowohl der Einwand unter Artikel 123 (2) EPÜ als auch der Einwand unter Artikel 123 (3) EPÜ entscheidungserheblich sein können, ist die Einreichung eines Hilfsantrags, der beide Einwände adressiert, der Verfahrenssituation angemessen.
1.7 Die Kammer ist deshalb zu dem Schluss gelangt, den Hilfsantrag 5 ins Verfahren zuzulassen (Artikel 12 (4) VOBK).
2. Artikel 123 (2) EPÜ
2.1 Um auf verschiedene Einwände zu reagieren, wurde der Anspruch 1 im Vergleich zum ursprünglich eingereichten Anspruch 1 durch Hinzufügung der unten angegebenen fettgedruckten Elemente geändert:
"1. Fahrzeugreifen, wobei der Fahrzeugreifen in wenigstens einem Bauteil wenigstens eine schwefelvernetzbare Kautschukmischung aufweist, wobei die schwefelvernetzbare Kautschukmischung wenigstens folgende Bestandteile enthält:
- 25 bis 100 phr wenigstens eines Kohlenwasserstoffharzes, welches zu 50 bis 100 Gew.-% aus aliphatischen C5-Monomeren und zu 0 bis 50 Gew.-% aus weiteren Monomeren aufgebaut ist, wobei das Kohlenwasserstoffharz gemäß Formel I) ein Q von 0,015 [°C·mol/g] bis 0,050 [°C·mol/g] aufweist:
I) Q = Erweichungspunkt [°C]/ Zentrifugenmittelwert Mz [g/mol],
und wobei das Kohlenwasserstoffharz ein Molekulargewicht Mw (Gewichtsmittel) von 500 bis 4000 g/mol und ein Zentrifugenmittelwert Mz von 2500 bis 10000 g/mol aufweist, wobei die Bestimmung des Zentrifugenmittelwerts Mz mittels Gelpermeationschromatographie gemäß DIN 55672-1 erfolgt, und hierbei 25 bis 100 phr wenigstens eines Kohlenwasserstoffharzes zu 95 bis 100 Gew.-% aus aliphatischen C5-Monomeren und zu 0 bis 5 Gew.-% aus in der Erdölfraktion enthaltenen C4- oder C6-Monomeren aufgebaut sind, und
50 bis 100 phr wenigstens eines lösungspolymerisierten Dienkautschuks." (Hervorhebungen durch die Kammer)
2.2 Für die Beschwerdeführerin ergebe sich der Gegenstand des Anspruchs 1 unmittelbar und eindeutig aus der Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1, 2, 7, 8 und 11 mit der Offenbarung der ursprünglichen Beschreibung auf Seite 8, Zeilen 16 bis 23, die die Monomerzusammensetzung weiter spezifiziere (Schreiben von 27. März 2024, Seite 12, dritter bis fünfter Absatz).
2.3 Während der mündlichen Verhandlung trug die Beschwerdegegnerin vor, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auf Mehrfachauswahlen beruhe, deren Kombination in der ursprünglichen Anmeldung keine Grundlage finde. Es handele sich um die folgenden Auswahlen:
i) Auswahl der Parametern Mw (500 bis 4000 g/mol) und Mz (2500 bis 10000 g/mol): die Beschwerdeführerin habe eine erste Auswahl zwischen dem ursprünglichen Anspruch 8 (wo Mz und Mw spezifiziert sind) und dem ursprünglichen Anspruch 9 (wo der Erweichungspunkt genannt ist) vorgenommen.
ii) Auswahl einer Kautschukmischung, die 50 bis 100 phr eines lösungspolymerisierten Dienkautschuks enthalte: bei der Menge des Dienkautschuks habe die Beschwerdeführerin die Wahl zwischen dem ursprünglichen Anspruch 2 und dem ursprünglichen Anspruch 3, wobei Anspruch 2 gewählt worden sei.
iii) Auswahl des Monomeranteils für das Kohlenwasserstoffharz ("welches zu 95 bis 100 Gew.-% aus aliphatischen C5-Monomeren und zu 0 bis 5 Gew.-% aus in der Erdölfraktion enthaltenen C4- oder C6-Monomeren aufgebaut ist"): die ursprüngliche Anmeldung offenbare verschiedene Ausführungsformen für die Monomerzusammensetzung (siehe Seite 7, Zeilen 16 bis 19; Seite 8, Zeilen 16 bis 19 oder Anspruch 10). Eine davon sei von der Beschwerdeführerin ausgewählt worden.
Ferner war die Beschwerdegegnerin der Auffassung, dass die Beispiele der Stammanmeldung keinen Hinweis ("pointer") auf die neue Merkmalskombination des vorliegenden Anspruchs 1 geben würden.
Somit ergebe sich der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht direkt und eindeutig aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung und verstoße deshalb gegen die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ.
2.4 Hierzu schließt sich die Kammer den Ausführungen der Beschwerdeführerin aus folgenden Gründen an (siehe Schreiben vom 27. März 2024, Seiten 10 bis 12, Punkt 4.1).
2.4.1 Die Kammer stellt zunächst fest, dass es zwischen den Parteien unbestritten ist, dass die Merkmale des Anspruchs 1 für sich genommen eine Stütze in der Stammanmeldung finden. Es stellt sich daher nur die Frage, ob die Merkmalskombination unmittelbar und eindeutig aus der ursprünglichen Anmeldung hervorgeht (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage 2022, II.E.1.3.1).
2.4.2 Wie oben dargelegt, ist die Beschwerdegegnerin der Ansicht, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 das Ergebnis von drei Auswahlschritten (Merkmale i) bis iii)) darstellt und diese Merkmalskombination nicht ursprünglich offenbart sei.
2.4.3 In Bezug auf die Merkmale i) und ii) teilt die Kammer die Ansicht der Beschwerdegegnerin nicht, dass jedes dieser Merkmale eine Auswahl darstellen würde. Tatsächlich ist das Merkmal i) im ursprünglichen Anspruch 8 isoliert offenbart und ist nicht Teil einer Liste von Alternativen. Es handelt sich deshalb um eine Ausführungsform, die als solche in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung offenbart ist. Der Umstand, dass der ursprüngliche Anspruch 9 eine andere Ausführungsform offenbart (die nicht in den vorliegenden Anspruch 1 aufgenommen wurde), ändert daran nichts. Dasselbe Argument gilt für das Merkmal ii), das im ursprünglichen Anspruch 2 isoliert offenbart wird. Schließlich ergibt sich die Kombination dieser beiden Ausführungsformen direkt aus der Kombination der Ansprüche 2 und 8 wie eingereicht, wobei Anspruch 8 von allen vorangehenden Ansprüchen und somit auch von Anspruch 2 abhängig ist.
2.4.4 In Bezug auf das Merkmal iii) (Monomerzusammensetzung) erkennt die Kammer an, dass dies als Auswahl angesehen werden kann, da die ursprüngliche Beschreibung mehrere Alternativen für die Zusammensetzung des Kohlenwasserstoffharzes offenbart (Seite 4, Zeilen 19 und 20; Seite 5, Zeile 4 bis Seite 7, Zeile 19 und Seite 8, Zeilen 16 bis 19). Dies ist jedoch die einzige Auswahl aus der ursprünglichen Anmeldung, was jedoch im Allgemeinen nach Artikel 123 (2) EPÜ zulässig ist.
2.5 Folglich ergibt sich der Gegenstand von Anspruch 1 unmittelbar und eindeutig aus den Ansprüchen 1, 2, 7, 8 und 11 in der ursprünglich eingereichten Fassung in Verbindung mit der ursprünglichen Beschreibung (Seite 8, Zeilen 16 bis 23), und mangels einer "Mehrfachauswahl" muss die Frage, ob die ursprüngliche Anmeldung einen zusätzlichen Hinweis auf die Merkmalskombination von Anspruch 1 offenbart, nicht beantwortet werden.
3. Ausreichende Offenbarung
3.1 Nach dem Einwand der Beschwerdegegnerin sei die Methode zur Bestimmung der Gewichtsanteile der C5-, C4- und C6-Monomere im Streitpatent (Absätze [0030] bis [0032]) ungeeignet, um diese Gewichtsanteile zu bestimmen, insbesondere wenn die chemische Natur der Monomere vor der Bestimmung nicht bekannt ist (Beschwerdeerwiderung, Seite 7, erster Absatz bis Seite 8, erster Absatz).
3.2 Hierzu schließt sich die Kammer der Auffassung der Einspruchsabteilung und der Beschwerdeführerin an (angefochtene Entscheidung, Seite 11, zweiter und dritter Absatz).
Die Frage, ob die in den Absätzen [0030] bis [0032] beschriebene Bestimmungsmethode nicht für alle beliebigen Kohlenwasserstoffharze geeignet ist, ist nach Auffassung der Kammer für die Beurteilung der Offenbarung der Erfindung nicht zwingend relevant. Selbst wenn diese Frage zu verneinen wäre, wäre das Streitpatent nur dann unzureichend offenbart, wenn eine Fachperson anhand der in der Patentschrift enthaltenen Angaben und gegebenenfalls unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens nicht in der Lage wäre, die Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich ohne unzumutbaren Aufwand, d.h. mit vertretbarem Aufwand, auszuführen (Rechtsprechung, supra, II.C.5.4).
3.3 Im vorliegenden Fall ist die Fachperson nicht auf die Bestimmungsmethode des Streitpatents beschränkt, sondern könnte beispielsweise die Harze selbst synthetisieren und hierbei die eingesetzten Monomere und deren Eduktmengen bestimmen. So wäre die Zusammensetzung des erhaltenen Harzes bekannt. Alternativ könnte sie auf marktverfügbare Harze zurückgreifen, deren Zusammensetzung bekannt ist (z.B. das Harz "Piccotac 1095-N", das in den Beispielen des Streitpatents verwendet wird). Damit stehen der Fachperson weitere Möglichkeiten zur Verfügung, die Erfindung im gesamten beanspruchten Bereich ohne unzumutbaren Aufwand auszuführen.
3.4 Die Argumente der Beschwerdegegnerin geben der Kammer daher keinen Anlass, von der Entscheidung der Einspruchsabteilung zur Frage der ausreichenden Offenbarung der Erfindung abzuweichen.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1 Nächstliegender Stand der Technik und Unterscheidungsmerkmale
4.1.1 Die Parteien sind sich einig, dass:
a) D4 der nächstliegende Stand der Technik sei und
b) sich der Gegenstand von Anspruch 1 von D4 (insbesondere der Zusammensetzung 3 der Tabelle 7 auf Seite 25) zumindest dadurch unterscheide, dass das eingesetzte Kohlenwasserstoffharz:
i) zu 95 bis 100 Gew.-% aus aliphatischen C5-Monomeren und zu 0 bis 5 Gew.-% aus in der Erdölfraktion enthaltenen C4- oder C6-Monomeren aufgebaut ist.
4.1.2 Die Kammer hat keinen Grund von dieser Sicht abzuweichen.
4.1.3 Hinsichtlich des technischen Unterschieds waren sich die Parteien jedoch nicht einig, ob das Kohlenwasserstoffharz "HPA A" der Zusammensetzung, die in D4 als Ausgangspunkt genommen wurde, 77 Gew.-% oder 85 Gew.-% aliphatische C5-Monomere enthielt. Die Beschwerdeführerin war der Ansicht, dass D4 nicht offenlege, ob der Gehalt an diesen Monomeren in Mol- oder Gewichtsprozenten ausgedrückt wurde (siehe D4, Seite 23, Tabelle). Im Falle von Molprozenten würde der Gehalt an aliphatischen C5-Monomeren 77 Gew.-% betragen (und nicht 85 Gew.-%, wie von der Beschwerdegegnerin behauptet).
In diesem Punkt stimmt die Kammer mit der Beschwerdegegnerin darin überein, dass die Prozentsätze, die sich auf das Kohlenwasserstoffharz in D4 beziehen, Gewichtsprozente sind. Dies ist z.B. in Absatz [0016] von D4 eindeutig festgelegt. Folglich beträgt der Gehalt an aliphatischem C5-Monomer des Polymers "HPA A" in den Beispielen von D4 85 Gew.-%.
4.2 Technische Wirkung
Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Beispiele des Streitpatents geeignet sind, einen technischen Effekt gegenüber D4 zu belegen.
Diesbezüglich argumentierte die Beschwerdeführerin, dass das Streitpatent das Vorhandensein eines technischen Effekts belege, und stützte ihre Argumentation auf die beiden folgenden Aspekte:
i) die Besonderheiten der Beurteilung eines technischen Effekts im Einspruchsverfahren im Vergleich zum Prüfungsverfahren (Schreiben vom 27. März 2024, Seiten 15 bis 18, Punkt 7.3);
ii) die Eignung der Beispiele des Streitpatents zum Nachweis eines technischen Effekts im Vergleich zu D4 (Beschwerdebegründung, Seiten 13 bis 16, Punkte 8.3.2 bis 8.3.4).
Diese beiden Aspekte werden von der Kammer unter den Punkten 4.3 und 4.4 getrennt behandelt.
4.3 Technische Wirkung - Beweislast und Beweiswürdigung im Einspruchsverfahren
4.3.1 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass während des Prüfungsverfahrens die Patentfähigkeit des Streitpatents umfassend geprüft worden sei, wobei insbesondere das Kohlenwasserstoffharz und dessen Eigenschaften im Fokus stünden. Das Europäische Patentamt habe dabei bereits einen technischen Effekt anerkannt und die Experimente des Streitpatents als aussagekräftig bewertet.
Nach ständiger Rechtsprechung sei eine unerwartete Wirkung eines Patents durch Vergleichstests nachzuweisen (Rechtsprechung, supra, Absatz I.D.4.3.2). Die zitierte Rechtsprechung beziehe sich jedoch hauptsächlich auf Patentanmeldungen oder Fälle, in denen das Streitpatent keine isolierte Bewertung des Unterscheidungsmerkmals zuließe. Im vorliegenden Fall hingegen würden die Experimente des Streitpatents eine solche isolierte Bewertung erlauben.
Da das Streitpatent erteilt wurde und ein eindeutiges Unterscheidungsmerkmal aufweise, das allein anhand der (im Patent enthaltenen) Beispiele beurteilt werden könne, sei im Zweifel für die Patentinhaberin zu entscheiden, d.h. von der Patentfähigkeit auszugehen. Es sei daher Sache der Einsprechenden, den Gegenbeweis zu erbringen. Da die Einsprechende bisher keine solchen Beweise vorgelegt habe, sei im Zweifel für die Patentinhaberin zu entscheiden. Diesbezüglich verwies die Beschwerdeführerin auf die Entscheidung T 1797/09 (siehe Punkt 2.7):
"The Board agrees with the Respondents insofar as a technical problem set out in a patent is considered to be credibly solved by a claimed invention if there exist no reasons to assume the contrary. In such circumstances, it is normally the Opponent's burden to prove the opposite or at least provide evidence casting doubt on the alleged solution of the problem. If no such evidence is provided, the benefit of doubt is given to the Patent Proprietor."
Übersetzung durch die Kammer:
"Die Kammer stimmt mit den Beschwerdegegnerinnen insoweit überein, als ein in einem Patent dargelegtes technisches Problem als durch eine beanspruchte Erfindung glaubhaft gelöst gilt, wenn keine Gründe für die Annahme des Gegenteils bestehen. Unter solchen Umständen obliegt es normalerweise dem Einsprechenden, das Gegenteil zu beweisen oder zumindest Beweise vorzulegen, die Zweifel an der angeblichen Lösung des Problems aufkommen lassen. Wird ein solcher Beweis nicht erbracht, wird dem Patentinhaber der Vorteil des Zweifels zuerkannt."
Die Beschwerdegegnerin verwies außerdem darauf, dass selbst bei bestehenden Zweifeln an den Experimenten des Streitpatents diese Zweifel zu Ungunsten der Einsprechenden gehen müssen, da sie ihre Behauptungen nicht belegen konnte. Entsprechend müssen ein technischer Effekt und die damit verbundene objektive technische Aufgabe als gegeben angesehen werden (siehe auch T 219/83, Leitsatz I).
4.3.2 Die Kammer kann sich dieser Argumentationslinie aus folgenden Gründen nicht anschließen.
a) Der erste von der Beschwerdeführerin angesprochene Punkt ist die Beweislast für einen technischen Effekt.
Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern tragen die Verfahrensbeteiligten jeweils die Beweislast für die von ihnen geltend gemachten Tatsachen (Rechtsprechung, supra, III.G.5.1.1.). So ist es im konkreten Fall der Feststellung, ob die beanspruchte Erfindung mit einem technischen Effekt verbunden ist, Sache der Patentinhaberin, nachzuweisen, dass der beanspruchte Gegenstand zu den im Streitpatent genannten vorteilhaften Effekten führt (Rechtsprechung, supra, III.G.5.1.2. b)).
Die Kammer sieht auch keinen Grund, diese Regel in der Einspruchsphase (im Vergleich zur Prüfungsphase) zu lockern, selbst in Fällen, in denen das angefochtene Patent Vergleichsbeispiele zeigt, die mit den Unterscheidungsmerkmalen zusammenhängen. Insbesondere ist zu beachten, dass im Einspruchsverfahren neue Dokumente des Standes der Technik angeführt werden können, was eine vollständige Neubewertung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit erforderlich machen kann. Die Einspruchsabteilung und die Kammer müssen daher gegebenenfalls die Beispiele des angefochtenen Patents neu bewerten und prüfen, ob diese eine technische Wirkung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik glaubhaft machen. Nur wenn ein technischer Effekt glaubhaft dargelegt wurde, verschiebt sich die Beweislast und es liegt in der Verantwortung des Einsprechenden, Beweise für seine gegenteiligen Behauptungen zu liefern.
Nach der Entscheidung T 1797/09 (Punkt 2.7 der Begründung) wäre ein in einem Patent dargelegtes technisches Problem glaubhaft gelöst, wenn keine Gründe für die Annahme des Gegenteils vorliegen. Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass es in erster Linie Aufgabe einer Gegenpartei wäre, Gründe vorzubringen, warum das zu lösende Problem nicht gelöst sein soll (Negativbeweis), und nicht Aufgabe der Patentinhaberin, Gründe oder Beweise vorzulegen (Positivbeweis), die für das Vorliegen eines technischen Effekts sprechen. Somit scheint diese Entscheidung anzudeuten, dass die Beweislast zunächst beim Einsprechenden liegt. In diesem Zusammenhang ist jedoch auch zu betonen, dass diese Entscheidung davon ausgeht, dass die von ihr postulierte Vermutung des technischen Effekt im Einspruchs- bzw. Beschwerdeverfahren widerlegbar sei. Dementsprechend hat sie in der Folge, den lediglich behaupteten technischen Effekt im Hinblick auf die Nachweise der Einsprechenden verneint.
b) Der zweite Punkt ist die Frage, ob die Beispiele glaubwürdig sind und ob, im Einspruchsverfahren, der Sachverhalt im Zweifel im Sinne der Patentinhaberin ausgelegt werden sollte.
Wie bereits erwähnt, sieht die Kammer weder eine Rechtsgrundlage noch einen Grund, der eine bevorzugte Behandlung der Patentinhaberin bei der Beurteilung des technischen Effekts im Einspruchsverfahren gegenüber der Prüfungsphase rechtfertigen würde. Bereits aus diesem Grund muss die Kammer dieses Argument zurückweisen.
Außerdem sind die Organe des EPA befugt, im Einzelfall zu prüfen, ob die behaupteten Tatsachen hinreichend nachgewiesen sind. Entsprechend dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung trifft das jeweilige Organ seine Entscheidung auf der Grundlage aller im Verfahren verfügbaren Beweise und aufgrund der freien Überzeugung, zu der es in der Frage, ob eine behauptete Tatsache sich tatsächlich zugetragen hat oder nicht, gelangt ist (Rechtsprechung, supra, III.G.4.1.).
Im vorliegenden Fall macht die Patentinhaberin also einen technischen Vorteil gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik geltend, und die Einspruchsabteilung und die Kammer müssen daher in der Lage sein, frei zu beurteilen, ob dieser Vorteil auf der Grundlage der vorgelegten Beweismittel glaubhaft ist, insbesondere ungeachtet des Umstandes, dass die Prüfungsabteilung eine solche Beurteilung möglicherweise bereits vorgenommen hat. Die Ergebnisse des Prüfungsverfahrens entfalten diesbezüglich keinerlei Bindungswirkung für ein nachfolgendes Einspruchs- bzw. Einspruchsbeschwerdeverfahren.
c) Der dritte von der Beschwerdeführerin aufgeworfene Punkt betrifft die Frage, ob bei widersprüchlichen Angaben der Beteiligten im Zweifel zugunsten der Patentinhaberin zu entscheiden ist.
Richtig ist, dass die Rechtsprechung diesen Fall insbesondere dann vorsieht, wenn die Kammer nicht selbst überprüfen kann, welche der Aussagen zutrifft (T 219/83, Leitsatz I). Dies ist z.B. der Fall, wenn beide Parteien Vergleichstests mit widersprüchlichen Ergebnissen vorlegen (T 547/88, Punkte 10 und 11 der Begründung).
Diese Situation trifft jedoch nicht auf den vorliegenden Fall zu. Denn die Beweislast für das Vorhandensein einer technischen Wirkung liegt zuerst bei der Patentinhaberin. Sie müsste zunächst glaubhaft machen, dass ein technischer Effekt vorliegt. Wenn dies der Fall wäre und die Einsprechende widersprüchliche Ergebnisse vorlegen würde, könnte der Patentinhaberin der "Vorteil des Zweifels" zugute kommen. Dies greift jedoch nicht, wenn die Patentinhaberin das Vorliegen eines technischen Effekts (noch) nicht glaubhaft gemacht hat.
4.3.3 Zusammenfassend ist die Kammer der Ansicht, dass die Beweislast für das Vorhandensein eines technischen Effekts zunächst bei der Patentinhaberin liegt und dass es keinen Rechtsgrundlage gibt, die Überprüfbarkeit dieses Effekts im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren mit der Begründung zu beschränken, dass eine Beurteilung dieser Frage bereits in der Prüfungsphase vorgenommen worden sei. Insbesondere ist das Vorliegen eines technischen Effekts im Zweifel nicht einfach zum Vorteil der Patentinhaberin anzunehmen, nur weil die Patentanmeldung bereits Gegenstand eines Prüfungsverfahrens war, das die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit beinhaltete.
4.4 Technische Wirkung - Auswertung der Beispiele
Die Frage ist nun, ob die Beispiele im Streitpatent es erlauben, das oben genannte Unterscheidungsmerkmal, nämlich den Gehalt an aliphatischen C5-Monomeren von mindestens 95 Gew.-% (während das Harz HPAA in D4 nur 85 Gew.-% enthält), mit einer technischen Wirkung in Verbindung zu bringen.
4.4.1 Aus Sicht der Beschwerdeführerin, untersuche das Streitpatent relevante Punkte im Datenraum, nämlich für 0 Gew.-% (Beispiele V1, V2 und V4), 60 Gew.-% (Beispiele E2, E4 und E6) und 100 Gew.-% an C5-Monomere (Beispiele E1, E3 und E7), wobei 100 Gew.-% repräsentativ für den Bereich 95 bis 100 Gew.-% gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 sei. Es sei insbesondere gezeigt worden, dass in den Zusammensetzungen für erfindungsgemäße Fahrzeugreifen E1, E3 und E7 die Bruchdehnung verbessert sei. Selbst wenn das Streitpatent kein Beispiel mit 85 Gew.-% an C5-Monomeren (entsprechend dem C5-Monomeranteil in D4) umfasse, sei eine Interpolation der Ergebnisse zwanglos möglich. In Ermangelung von Experimenten der Beschwerdegegnerin gebe es außerdem keinen Grund anzunehmen, dass die Bruchdehnungen bei 85 Gew.-% ein lokales Maximum aufweisen könnten. Das Gegenteil sei eigentlich der Fall, denn die Tabelle 3 des Streitpatents zeige, dass sich für mittlere Gehalte an C5-Monomeren kein lokales Maximum (wie von der Einspruchsabteilung spekuliert), sondern ein lokales Minimum ergebe (Beschwerdebegründung, Seiten 13 bis 16, Punkte 8.3.2 bis 8.3.4).
4.4.2 Hierzu schließt sich die Kammer der Auffassung der Einspruchsabteilung und der Beschwerdegegnerin aus folgenden Gründen an (angefochtene Entscheidung, Seite 14, letzter Absatz; Beschwerdeerwiderung, Seiten 8 und 9, "Remarques préliminaires générales").
a) Nach gefestigter Rechtsprechung, wenn Vergleichsversuche durchgeführt werden, um eine erfinderische Tätigkeit mit einer verbesserten Wirkung im gesamten beanspruchten Bereich nachzuweisen, muss der Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik so angelegt sein, dass die angeblichen Vorteile oder günstigen Wirkungen überzeugend auf das Unterscheidungsmerkmal der Erfindung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik zurückgeführt werden (Rechtsprechung, Supra, Absatz I.D.4.3.2). Maßgeblich ist auch, ob die Variante des nächstliegenden Stands der Technik, die als Referenz- bzw. Vergleichsbeispiel für den Vergleichsversuch gewählt wurde, für den nächstliegenden Stand der Technik repräsentativ ist.
b) Wie bereits erwähnt, enthält das Kohlenwasserstoffharz HPA-A in den relevanten Beispielen von D4 85 Gew.-% an C5-Monomeren (D4, Seite 23, Tabelle 4). Schon aus diesem Grund, ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass Vergleichsbeispiele mit 0 oder 60 Gew.-% repräsentativ für die gesamte Lehre und insbesondere für die als Ausgangspunkt gewählten Beispiele in D4 sein können. Dies gilt umso mehr, als der Gehalt von 85 Gew.-% an C5-Monomeren näher an 95 Gew.-% (d.h. der unteren Grenze des Bereichs nach Anspruch 1) als an 60 Gew.-% (der oberen Grenze der vorliegenden Vergleichsbeispiele) liegt. Darüber hinaus zeigen die experimentellen Ergebnisse im Streitpatent keinen einheitlichen Trend, da die Bruchdehnung (zwischen 0 und 60 Gew.-% C5-Monomere) manchmal erhöht und manchmal verringert ist (Beschwerdebegründung, Seite 14, Tabelle). Eine Extrapolation auf einen C5-Monomergehalt von 85 Gew.-% ist daher technisch nicht sinnvoll.
4.4.3 Die Kammer ist deshalb der Auffassung, dass die Beispiele des Streitpatents nicht geeignet sind, um eine technische Wirkung gegenüber D4 zu belegen.
4.5 Die objektive zu lösende Aufgabe
4.5.1 Wie von der Beschwerdeführerin ausgeführt, stellt die Kammer fest, dass der Kern der in Dokument D4 beanspruchten Erfindung ein Kohlenwasserstoffharz zur Verwendung als Additiv in Kautschukmischungen für Reifen betrifft (siehe D4, Seite 1, Absätze [0002] und [0003] und Anspruch 1). Genauer gesagt, besteht die zu lösende Aufgabe darin, ein Additiv für die Verarbeitung solcher Mischungen bereitzustellen, das sowohl mit Kautschuk (insbesondere mit einem lösungspolymerisierten Styrol-Butadien-Kautschuk (SSBR)) kompatibel ist als auch die Vulkanisation der Mischung und die Eigenschaften des Reifens nicht beeinträchtigt (siehe D4, Seite 2, Absätze [0007] und [0008] und Beispiele der Tabellen 5, 7 und 9). Das Harz HPA-A in D4 ist ein konkretes Beispiel für ein Harz gemäß dieser Erfindung.
4.5.2 Das Streitpatent hat ebenfalls zum Gegenstand die Bereitstellung eines Additivs für die Verarbeitung von Reifenmischungen (siehe Seite 2, Absatz [0002]). Auch wenn ein direkter Vergleich zwischen einem Harz nach dem vorliegenden Anspruch 1 und dem Harz HPA-A nicht möglich ist (wie im vorstehenden Abschnitt 4.4 dargelegt), zeigen die Beispiele im Streitpatent, dass die anspruchsgemäßen Harze die Verarbeitung von Kautschukmischungen (insbesondere vom Typ SSBR) ermöglichen und gleichzeitig zu zufriedenstellenden Eigenschaften der daraus resultierenden Reifen führen (siehe Streitpatent, Tabellen 1 bis 3, Beispiele E1, E3 und E7). Es gibt daher keinen Grund zu der Annahme, dass Harze nach dem vorliegenden Anspruch 1 nicht in der Lage wären, die gleichen Probleme wie D4 zu lösen und insbesondere mit der Kautschukmischung kompatibel zu sein (für eine gute Verarbeitung), ohne die mechanischen Eigenschaften des Reifens zu beeinträchtigen.
4.5.3 Die Kammer ist somit der Auffassung, dass die zu lösende Aufgabe darin besteht, einen alternativen Fahrzeugreifen bereitzustellen mit einem Additiv für die Verarbeitung von Kautschukmischungen, das sowohl mit Kautschuk (insbesondere SSBR) kompatibel ist als auch die Vulkanisation der Mischung und die Eigenschaften des Reifens nicht beeinträchtigt.
4.6 Naheliegen der Lösung
Nun ist die Frage zu beantworten, ob die beanspruchte Lösung ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik und in Anbetracht der objektiven technischen Aufgabe für eine Fachperson naheliegend gewesen wäre.
4.6.1 Die Beschwerdegegnerin wies darauf hin, dass Kohlenwasserstoffharze auf der Basis von C5-Monomeren allgemein bekannt seien und insbesondere als Verarbeitungshilfsstoffe in Kautschukmischungen für Reifen verwendet würden. D1, D15, D18 oder D21 würden Kohlenwasserstoffharze gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 beschreiben, und es sei für die Fachperson naheliegend, solche Harze anstelle des in D4 verwendeten Harzes zu verwenden (Beschwerdeerwiderung, Seite 10, letzter Absatz bis Seite 11, dritter Absatz).
4.6.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass der Einsatz von "hydrocarbon polymer additives", die neben "piperylene" insgesamt 5 bis 15% "cyclic components" und 5 bis 20 % "styrenic components" umfassen, gemäß der Lehre von D4 erfindungswesentlich sei.Die Fachperson müsste sich, um zu dem Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen, von der vorteilhaften Lehre der D4 lösen und deutlich höhere Gehalte an "piperylene" vorsehen. Zudem würde die Fachperson eher den Anteil an aromatischen Verbindungen erhöhen, da sie im Hinblick auf die Tabellen 6, 8 und 14 der D4 eine erhöhte Dehnungsfähigkeit erwarten würde. Außerdem würden D15 und D18 zeigen, dass die Fachperson eine schlechte Kompatibilität von lösungspolymerisierten Styrol-Butadien-Kautschuk-reichen (SSBR) Kautschukmischungen gemäß D4 mit Kohlenwasserstoffharzen gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 erwartet hätte. Schließlich sei das in D15 und D18 beschriebene Harz "Wingtack 98" kein reines Kohlenwasserstoffharz aus C5-Monomeren. Somit würden D15 und D18 nicht zum Gegenstand vom Anspruch 1 führen (Beschwerdebegründung, Seiten 16 bis 20, Punkt 8.5). In Bezug auf D1 und D21 würden diese Dokumente auch nicht die Verwendung eines anspruchsgemäßen Kohlenwasserstoffharzes als Alternative zu dem in D4 verwendeten "HPA-A" vorschlagen.
4.6.3 Im vorliegenden Fall soll beurteilt werden, ob die Wahl eines Harzes wie in Anspruch 1 definiert (d. h. mit mindestens 95 Gew.-% aliphatischen C5-Monomeren) eine offensichtliche Alternative zu dem Harz HPA-A aus D4 darstellt, das sowohl mit Kautschuk (insbesondere SSBR) kompatibel ist als auch die Vulkanisation der Mischung und die Eigenschaften des Reifens nicht beeinträchtigt (siehe D4, Seite 2, Absätze [0007] und [0008] und Beispiele der Tabellen 5, 7 und 9).
4.6.4 Aus den Erfordernissen der D4 und dem betrachteten technischen Gebiet ergibt sich, dass eine Fachperson, die eine Alternative zu einem für die Erfindung der D4 repräsentativen Harz bereitstellen möchte, Grund zu der Annahme haben muss, dass die betrachtete Alternative sowohl eine Kompatibilität mit der Kautschukmischung ermöglicht (d. h. die Verarbeitung der Kautschukmischung, insbesondere des SSBR-Typs, erleichtert) als auch deren mechanische Eigenschaften nicht beeinträchtigt.
4.6.5 Jedoch, selbst wenn ein Harz gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 im Stand der Technik beschrieben ist, hat die Kammer keinen Grund zu der Annahme, dass dieses Harz eine nahe liegende Alternative zu den Harzen von D4 darstellt. Hierfür gibt es folgende Gründe:
a) Die Beschwerdegegnerin verwies auf D15 und D18, die das Harz Wingtak 98 als mögliche Alternative zum Harz HPA-A in D4 offenlegen würden. Ungeachtet der Frage, ob das Harz mindestens 95% C5-Monomer enthält (was von der Beschwerdeführerin bestritten wird), zeigen diese Dokumente nicht, dass ein solches Harz mit einem Kautschuk, wie in Anspruch 1 definiert, kompatibel sein könnte. Tatsächlich wird in diesen Dokumenten die Bedeutung der Kompatibilität der Komponente für das Erreichen guter Eigenschaften hervorgehoben (D15, Seite 3, rechte Spalte, zweiter Absatz; D18, Seite 38, zweiter Absatz, letzter Satz). Diesbezüglich weist laut D18 das Harz Wingtak 98 (in diesem Dokument als C5-1 bezeichnet) eine geringe Verträglichkeit mit SSBR-Kautschuk auf, was eindeutig von der in Anspruch 1 vorgeschlagenen Lösung wegführt (siehe D18, Seite 42, Abbildung 7). Eine Fachperson, die eine Alternative zum Harz HPA-A von D4 zur Verfügung stellen möchte, hätte also keinen Grund, das Harz Wingtak 98 zu wählen, zumal sein Einfluss auf die Eigenschaften eines Reifens dort nicht erwähnt wird.
b) Die gleiche Argumentation gilt für das Dokument D21, das ein C5-Kohlenwasserstoffharz nach Anspruch 1 ("Piccotac 1095") offenbart (siehe D21, Seite 2, Tabelle). D21 ist jedoch eine Broschüre, die eine Vielzahl von Kohlenwasserstoffharzen beschreibt, aber weder die Kompatibilität des Harzes "Piccotac 1095" mit Kautschuken noch seine Verwendung bei der Herstellung von Reifen angibt.
c) Was D1 betrifft, wird in diesem Dokument eine Kautschukmischung offenbart, die das Harz "Hikorez A-1100" enthält, das einem C5-Harz gemäß Anspruch 1 entspricht (siehe D1, Seite 5, Absatz [0080]). Obwohl sich D1 auch auf Reifenmischungen bezieht, geht es hier um die Entwicklung von Triazinverbindungen, die die Vulkanisation von Mischungen beschleunigen können (siehe D1, Seite 1, Absatz [0001]). Demzufolge sind in den Beispielen dieses Dokuments die einzigen betrachteten Eigenschaften die der Vulkanisationskinetik, gemessen durch ihre rheometrischen Eigenschaften bei 150°C (siehe D1, Seiten 4 und 5, Tabellen 3 und 5). Das Dokument enthält jedoch keinerlei Angaben zu den Eigenschaften von Reifen oder zur Verträglichkeit des Harzes Hikorez A-1100 mit Kautschuken. Daher hätte die Fachperson keinen Grund zu der Annahme, dass dieses Harz eine realistische Alternative zum Harz von D4 darstellt, d. h. dass es mit Kautschuken kompatibel ist, ohne die mechanischen Eigenschaften des daraus hergestellten Reifens zu beeinträchtigen.
4.7 Aus diesen Gründen ist die Wahl eines Kohlenwasserstoffharzes, das mindestens 95 Gew.-% aliphatische C5-Monomere enthält, keine naheliegende Alternative zu dem Harz HPA-A von D4. Der Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber D4 als nächstliegendem Stand der Technik.
5. Da keiner der Einwände gegen Hilfsantrag 5 erfolgreich ist, ist das Patent auf der Grundlage der Ansprüche des Hilfsantrags 5 aufrecht zu erhalten.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent auf der Grundlage der Ansprüche des Hilfsantrags 5, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrecht zu erhalten.