T 0986/21 (Polyacrylatpartikeln / HARTMANN AG) of 24.11.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T098621.20231124
Datum der Entscheidung: 24 November 2023
Aktenzeichen: T 0986/21
Anmeldenummer: 07022915.8
IPC-Klasse: A61F 13/02
A61L 15/42
A61L 15/60
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
Download und weitere Informationen:
Text der Entscheidung in DE (PDF, 517 KB)
Alle Dokumente zum Beschwerdeverfahren finden Sie im Register
Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Polyacrylatpartikeln und ihre Verwendung
Name des Anmelders: Paul Hartmann AG
Name des Einsprechenden: Mölnlycke Health Care AB
Kammer: 3.3.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 84
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention Art 54(5)
European Patent Convention Art 56
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(1)(a)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 012(6)
Schlagwörter: Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Stützung durch die Beschreibung
Patentansprüche - (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Änderungen - zulässig (ja)
Neuheit - Neuheit der Verwendung
Neuheit - zweite (bzw. weitere) medizinische Verwendung
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Grundlage des Verfahrens - angefochtene Entscheidung
Spät eingereichte Tatsachen - Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen Zulassung (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0292/85
T 2003/08
T 1758/15
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 2 067 492 (nachfolgend: das Patent) wurde mit zehn Ansprüchen erteilt.

Der unabhängige Anspruch 1 des erteilten Patents lautete:

"Partikelgemisch bestehend aus Polyacrylatpartikel unterschiedlicher Größe zur Verwendung bei der Behandlung von Dekubitus, Ulcus cruris venosum, Ulcus cruris arteriosum oder diabetischem Fußsyndrom, wobei das Partikelgemisch a) 20 bis 98 Gew.-% Partikel mit einer Partikelgröße x mit 45 <= x <= 300 mym und b) 2 bis 80 Gew.-% Partikel mit einer Partikelgröße x mit x > 300 mym umfasst."

II. Gegen die Erteilung des Patents wurden zwei Einsprüche eingelegt. Die Einsprechenden beantragten den Widerruf des Patents in vollem Umfang aufgrund fehlender Neuheit und fehlender erfinderischer Tätigkeit, Ausnahme der Patentierbarkeit, unzureichender Offenbarung und unzulässiger Erweiterung. Die Einsprechende 1 nahm ihren Einspruch vor der Einspruchsabteilung zurück.

III. Die Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden 2 richteten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das gemäß Hilfsantrag 4 geänderte Patent den Erfordernissen des EPÜ genügt. Die Entscheidung bezog sich auf den Hauptantrag, der am 30. Juli 2020 als Hauptantrag A eingereicht wurde und die Hilfsanträge 1-4, die während der mündlichen Verhandlung vom 23. April 2021 eingereicht wurden.

Die folgenden Dokumenten wurden unter anderem in der angefochtenen Entscheidung erwähnt:

D4: WO 2006/069732 A1

D6: Wound Repair and Regeneration (2007), 15(3) A101, 31

D8: WO 03/030955 A2

D9: US 2003/065296 A1

D10: WO 99/57201

D11: WO 99/16812

D12: ISO 17190-3, 2001-12-01 edition

D13: Ostomy Wound Manage (2003), 49(9), 34-42

D14: Biomaterials (2008), 29, 2932-2940

D15: Wund Forum, 3/2002,

D16: Wund Forum, 1/2007

D17: Praktische Podologie (2004), 89-91

In der angefochtenen Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu folgendem Ergebnis:

a) Die nach der Einspruchsfrist eingereichten Dokumente D15-D17 wurden ins Verfahren zugelassen. Das ebenfalls nach der Einspruchsfrist eingereichte Dokument D14 wurde wegen mangelnder Relevanz nicht ins Verfahren zugelassen.

b) Anspruch 1 des geänderten Hauptantrags definierte gegenüber dem erteilten Anspruch 1 zusätzlich das Merkmal, dass das Partikelgemisch als Mittel zur Hemmung von Proteasen verwendet wird.

Der Hauptantrag und Hilfsantrag 1 erfüllten nicht das Erfordernis des Artikels 123(2) EPÜ wegen der Definition einer mehrschichtigen Wundauflage im jeweiligen abhängigen Anspruch 8.

c) Hilfsantrag 2, in dem Anspruch 8 des Hauptantrags gestrichen wurde, genügte den Artikeln 53(c), 83, 84 und 123(2) EPÜ.

Der beanspruchte Gegenstand war neu hinsichtlich der Dokumente D4, D6, D8-D12, D13 und D15-D17.

Dokument D6 stellte den nächstliegenden Stand der Technik dar. Der Unterschied des Anspruchsgegenstandes zur Lehre des Dokuments D6 betraf einerseits die spezifische Definition der Partikelgrößenverteilung und andererseits die spezifisch definierten Erkrankungen.

Die mit diesen Unterschieden einhergehenden Teilaufgaben bezogen sich einerseits auf die Bereitstellung eines geeigneten Partikelgemisches zum Erzielen der in Dokument D6 beschriebenen Wirkung der Hemmung der Proteasen zur Wundbehandlung und andererseits auf die Identifikation der schwierig heilenden Wunden.

Die Bereitstellung des definierten Partikelgemisches war für den Fachmann aufgrund der Dokumente D4 und D12 naheliegend, wobei im Hinblick auf Dokument D17 sogar mit einer effektiveren Bindung von Proteasen durch die kleineren Partikel zu rechnen war. Die definierten Erkrankungen betrafen bekanntlich schwierig heilenden Wunden, deren Behandlung mit Polyacrylatpartikeln bereits zum Beispiel in Dokument D17 beschrieben worden war. Dem Anspruchsgegenstand des Hilfsantrags 2 fehlte somit die erfinderische Tätigkeit.

d) Ausgehend von Dokument D6 fehlte dem Anspruchsgegenstand des Hilfsantrags 3 ebenfalls die erfinderische Tätigkeit.

e) Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 definierte im Vergleich zu Hilfsantrag 2 zusätzlich den maximal 10%-igen Wassergehalt der Polyacrylatpartikel. Hilfsantrag 4 wurde zugelassen, weil der erteilte Anspruch 4 bereits das gleiche Merkmal definierte und die Einsprechende somit nicht von dem vorgelegten Anspruchssatz überrascht sein konnte.

Hilfsantrag 4 genügte den Erfordernissen der Artikel 84 und 123(2) EPÜ.

Die durch die Definition des maximalen Wassergehalts ausgeschlossene Aktivierung der Polyacrylatpartikel mit Ringerlösung stellte einen zusätzlichen Unterschied zu Dokument D6 dar. Die Dokumente D16 und D17 beschrieben ebenfalls nur den Einsatz der Polyacrylatpartikel zusammen mit Ringerlösung. Der Fachmann würde deswegen den definierten Einsatz des "trockenen" Gemisches nicht in Erwägung ziehen.

Der Anspruchsgegenstand des Hilfsantrags 4 beinhaltete somit eine erfinderische Tätigkeit.

IV. Mit der Beschwerdebegründung hielt die Patentinhaberin den Hauptantrag und ihre Hilfsanträge aus dem Einspruchsverfahren aufrecht. Sie legte mit der Beschwerdeerwiderung des Weiteren einen korrigierten Hilfsantrag 5 sowie die Hilfsanträge 6-11 vor. Mit dem schreiben vom 25. September 2023 reichte sie die Hilfsanträge 12-17 ein.

Anspruch 1 des Hauptantrags lautete:

"Partikelgemisch bestehend aus Polyacrylatpartikel unterschiedlicher Größe zur Verwendung bei der Behandlung von Dekubitus, Ulcus cruris venosum, Ulcus cruris arteriosum oder diabetischem Fußsyndrom, als Mittel zur Hemmung von Proteasen, wobei das Partikelgemisch a) 20 bis 98 Gew.-% Partikel mit einer Partikelgröße x mit 45 <= x <= 300 mym und b) 2 bis 80 Gew.-% Partikel mit einer Partikelgröße x mit x > 300 mym umfasst."

Anspruch 3 des Hauptantrags lautete:

"Partikelgemisch bestehend aus Polyacrylatpartikel unterschiedlicher Größe zur Verwendung bei der Behandlung von Dekubitus, Ulcus cruris venosum, Ulcus cruris arteriosum oder diabetischem Fußsyndrom nach Anspruch 1 oder 2, wobei das Partikelgemisch in einer mehrschichtigen Wundauflage (10, 20, 40) vorhanden ist, die das Partikelgemisch und ein Trägermaterial (17, 27, 47) für das Partikelgemisch umfasst, wobei das Partikelgemisch Polyacrylatpartikel (15, 16, 25, 26, 45, 46) unterschiedlicher Größe enthält, die Wundauflage weiterhin mindestens 10 Gew.-% Polyacrylatpartikel (15, 16, 25, 26, 45, 46) bezogen auf Gesamtmenge an Trägermaterial umfasst und wobei das

Partikelgemisch

a) 20 bis 98 Gew.-% Partikel mit einer Partikelgröße x mit 150 < x <= 300 mym als Mittel zur Hemmung von Proteasen in der Wunde und

b) 2 bis 80 Gew.-% Partikel mit einer Partikelgröße x mit 600 < x <= 850 mym als Mittel zur Auf- und / oder Abgabe von wässrigen Lösungen enthält."

Hilfsantrag 2 entsprach dem Hauptantrag, in dem Anspruch 8 gestrichen worden ist.

V. Die Einsprechende reichte unter anderem die folgenden Dokumente ein:

Annex 1 (mit der Beschwerdebegründung): Versuchsergebnisse im Patent vs D14

Annex A (mit der Eingabe vom 28. April 2022): Auszug aus "Matrix Metalloproteinases", W.C.Parks and R.P.Mecham, 1998, Seiten v-xii und 1-4

VI. In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 vom 3. April 2023 teilte die Kammer unter anderem ihre vorläufige Einschätzung mit, dass:

- die Dokumente D15-D17 als Teil des Beschwerdeverfahrens zu betrachten seien und die Zulassung des Dokuments D14 im Hinblick auf Artikel 12(6) VOBK (Umstände der Beschwerdesache) zu beurteilen sei

- der Einwand der mangelnden Klarheit des in Anspruch 1 des Hauptantrags eingeführten Merkmals "als Mittel zur Hemmung von Proteasen" nicht zutreffe und der Hauptantrag den Erfordernissen der hinreichenden Offenbarung, der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit entspreche

- Anspruch 8 des Hauptanspruchs gegen Artikel 123(2) EPÜ verstoße

VII. Die mündliche Verhandlung fand am 24. November 2023 statt. Während der Verhandlung nahm die Patentinhaberin ihren bisherigen Hauptantrag sowie Hilfsantrag 1 zurück. Der mit der Beschwerdebegründung eingereichte Hilfsantrag 2 wurde zum neuen Hauptantrag.

VIII. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Patentinhaberin lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Zulassung der Beweismittel

Die Dokumente D15-D17, aus denen gegenüber dem Dokument D13 keine zusätzlich relevante Information hervorgehe, seien zu Unrecht in das Einspruchsverfahren zugelassen worden.

Die Einspruchsabteilung habe das nachveröffentlichte Dokument D14 zu Recht nicht in das Einspruchsverfahren zugelassen. Die Zulassung des Dokuments D14 im Beschwerdeverfahren sei durch keine Umstände der Beschwerdesache gerechtfertigt.

b) Artikel 123(2) EPÜ

Die gemäß Anspruch 1 des Hauptantrages definierte Verwendung des Partikelgemisches sei in der ursprünglich eingereichten Anmeldung auch ohne Bezug auf eine Wundauflage beschrieben worden. Dabei gehe die definierte Partikelgrößeverteilung auf eine als besonders bevorzugt beschriebene Ausführungsform zurück.

Die in Anspruch 3 des Hauptantrages definierte Partikelgrößeverteilung sei durch die entsprechende Definition im ursprünglichen Anspruch 3 gestützt. Aus der ursprünglich eingereichten Anmeldung gehe außerdem eindeutig hervor, dass die beschriebene Verwendung bei der Behandlung der definierten Erkrankungen auch für das Partikelgemisch des ursprünglichen Anspruchs 3 zutreffe.

c) Artikel 84 und 83 EPÜ

Das Patent verwende die Begriffe "Hemmung" und "Inhibition" als Synonyme. Die anspruchsgemäße Hemmung von Proteasen sei in der Beschreibung durch Daten der Einbindung von MMP-2 und MMP-9 gestützt. Dabei sei der Fachmann mit der Störung der Wundheilung durch überschüssige Proteasen bekannt und gehe die Wirksamkeit des beanspruchten Partikelgemisches bei der Wundheilung glaubhaft aus der erwähnten Einbindung von MMP-2 und MMP-9 hervor. Dokument D14 bringe lediglich den vorsorglichen Vorbehalt zum Ausdruck, dass die klinische Wirksamkeit noch in erweiterten klinischen Versuchen zu bestätigen sei.

d) Neuheit

Der Ansprüchsgegenstand des Hauptantrages beziehe sich eindeutig auf zweckgebundene Zusammensetzungen im Sinne von Artikel 54(5) EPÜ. Die anspruchsgemäß definierte therapeutische Verwendung zur Hemmung von Proteasen sei nicht in den Dokumenten D4 und D8 bis D12 vorbeschrieben worden.

Dokument D6 beschreibe nicht die anspruchsgemäß definierte Verwendung zur Hemmung von Proteasen mit der bekannten Wundauflage TenderWet**((R)). Außerdem lasse sich aus dem Dokument D14 und dem Patent keine entsprechende Partikelgrößeverteilung für TenderWet**((R)) herleiten.

e) Erfinderische Tätigkeit

Dokument D6 stelle den nächstliegenden Stand der Technik dar.

Dokument D6 beschreibe zwar die Hemmung der Matrix-Metalloproteasen MMP-2 und MMP-9 durch superabsorbierende Polyacrylate, jedoch ohne Hinweis auf die geeigneten Partikelgrößen. Dokument D6 erwähne TenderWet**((R)) als bekannte, auf superabsorbierende Polyacrylate basierte Wundauflage, jedoch beschreibe das Dokument nicht den Einsatz von TenderWet**((R)) zur Hemmung von Proteasen.

Das Patent zeige eine effektivere Hemmung der Proteasen durch Fraktionen der kleineren Polyacrylatpartikel und weise auf die bessere Flüssigkeitsabsorption durch die größeren Partikel hin. Die objektive technische Aufgabe sei die Bereitstellung eines Partikelgemisches mit ausgewogenen Eigenschaften bezüglich der Hemmung der Proteasen und der Flüssigkeitsaufnahme gewesen.

Aus dem Stand der Technik ergäben sich in Bezug auf die Hemmung der Proteasen keine Hinweise darauf, welche Partikelgrößenverteilung wie funktioniere. Aus den Versuchsergebnissen im Patent gehe außerdem hervor, dass es sich bei der effektiveren Hemmung durch Fraktionen der kleineren Polyacrylatpartikel nicht um einen reinen Effekt der Oberflächengröße handele. Für den Fachmann habe es somit keinen Anlass gegeben, zur Lösung der Aufgabe auf TenderWet**((R)) oder die zur reinen Flüssigkeitsaufnahme verwendeten Partikelgemische aus den Dokumenten D4 oder D12 zurückzugreifen.

IX. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Einsprechenden lassen sich wie folgt zusammenfassen:

a) Zulassung des Hauptantrags und der Beweismittel

Der Hauptantrag sei zu Unrecht als Hilfsantrag 2 in das Einspruchsverfahren zugelassen worden.

Die Einspruchsabteilung habe zu Unrecht die Zulassung des Dokuments D14 abgelehnt. Dokument D14 sei jedenfalls im Hinblick auf die Umstände der Beschwerdesache in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

b) Artikel 123(2) EPÜ

Aus der ursprünglich eingereichten Anmeldung gehe ausdrücklich hervor, dass erfindungsgemäß das Partikelgemisch in jedem Fall als Bestandteil einer Wundauflage zu verwenden sei. Die gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Verwendung eines Partikelgemisches ohne Bezug auf eine Wundauflage gehe deswegen über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus. Außerdem beschreibe die ursprüngliche Anmeldung die Hemmung von Proteasen zur Behandlung der definierten Erkrankungen nicht in Zusammenhang mit der in Anspruch 1 definierten Partikelgrößeverteilung.

Die Partikelgrößeverteilung des Anspruchs 3 könne sich nur auf die entsprechende Definition im ursprünglichen Anspruch 3 stützen. Die ursprünglich eingereichte Anmeldung beschreibe jedoch die Behandlung der definierten Erkrankungen nur für "jede oben aufgeführte Zusammensetzung" und beziehe sich dabei nicht auf das nachfolgend im ursprünglichen Anspruch 3 beschriebene Partikelgemisch.

c) Artikel 84 und 83 EPÜ

Die Einführung des Merkmals "als Mittel zur Hemmung von Proteasen" in Anspruch 1 des Hauptantrags verstoße gegen Artikel 84 EPÜ. Das Patent deute einen Unterschied zwischen "Hemmung" und "Inhibition" an, ohne zu erklären, was diesen Unterschied ausmache. Die Hemmung aller möglichen Proteasen durch die definierten Polyacrylatpartikel sei nicht durch die Beschreibung gestützt, weil nur die Bindung von Proteasen mit experimentellen Ergebnissen aufgezeichnet worden sei, wobei es sich zudem nur um die zwei Matrix-Metallo-Proteasen MMP-2 und MMP-9 handele. Falls nur die Proteasen gemeint seien, die bei der Behandlung der definierten Erkrankungen in Frage kämen, sei nicht klar, wie der Fachmann diese Proteasen ermitteln solle.

In Zusammenhang mit dem Einwand unter Artikel 83 EPÜ sei die beanspruchte Erfindung im Patent auch nicht ausreichend offenbart worden, weil aus dem Patent nicht hervor gehe, wie sich die heterogene Gruppe der Proteasen insgesamt anspruchsgemäß hemmen lasse, beziehungsweise, wie die relevanten Proteasen zu ermitteln seien. Zudem würden die erforderlichen Angaben zur Eignung des beanspruchten Gemisches zur definierten therapeutischen Behandlung im Patent fehlen. Dabei belege Dokument D14, dass die gleichen Versuchsergebnisse, wie diese auch im Patent beschrieben worden seien, keine Schlussfolgerung zur klinischen Wirksamkeit erlauben würden.

d) Neuheit

Der Anspruchsgegenstand beziehe sich nicht auf zweckgebundene Zusammensetzungen im Sinne von Artikel 54(5) EPÜ, weil es sich ähnlich wie in T 1758/15 anspruchsgemäß nicht um eine Verwendung aufgrund deren chemischen Eigenschaften, sondern um eine auf deren physikalischen Beschaffenheit basierende Nutzung handele. Geeignete Partikelgemische aus Polyacrylatpartikeln mit entsprechender Partikelgrößeverteilung seien bereits in den Dokumenten D4 und D8 bis D12 vorbeschrieben worden. Der Anspruchsgegenstand sei somit nicht neu.

Zudem beschreibe Dokument D6 bereits die anspruchsgemäße Verwendung des längst bekannten, auf superabsorbierenden Polyacrylaten basierten Produkts "TenderWet**((R))". Dokument D6 beschreibe zwar nicht die Partikelgrößeverteilung der Polyacrylatpartikel in TenderWet**((R)), jedoch gehe die anspruchsgemäße Partikelgrößeverteilung von TenderWet**((R)) zwangsläufig aus Dokument D14 und dem Patent hervor. Das Patent beschreibe nämlich dieselben Experimente für die Verwendung von Polyacrylatpartikeln zur Hemmung von Proteasen und zur Behandlung schwierig heilender Wunden wie Dokument D14. Dabei entsprächen die Versuchsergebnisse im Patent (siehe Tabellen 2 und 3) genau den in Dokument D14 berichteten Ergebnissen (siehe D14, Figur 3 und Tabelle 1), die laut Dokument D14 ausdrücklich mit TenderWet**((R)) erzielt worden seien. Es sei somit davon auszugehen, dass die im Patent für die Untersuchungen an Patienten beschriebene Wundauflage mit dem laut des Dokuments D14 verwendeten TenderWet**((R)) übereinstimme. Den Absätzen [0031] und [0041] des Patents zufolge handele es sich dabei um eine Wundauflage mit Polyacrylatpartikeln einer anspruchsgemäßen Partikelgrößeverteilung.

e) Erfinderische Tätigkeit

Jedes der Dokumente D6, D8, D15, D16 und D17, die Wundauflagen auf Basis von superabsorbierenden Materialen beschreiben, stelle einen geeigneten Ausgangspunkt im Stand der Technik dar. Dabei beschreibe Dokument D6 zudem ausdrücklich die Proteasen hemmende Wirkung von superabsorbierenden Polyacrylaten als eine weitere Begründung für die Behandlung von schwierig heilenden Wunden mit TenderWet**((R)).

Der Unterschied des Anspruchsgegenstandes zum Stand der Technik betreffe lediglich die definierte Partikelgrößeverteilung. Dabei gehe aus Dokument D14 und dem Patent hervor, dass die bekannte Wundauflage TenderWet**((R)) zumindest die anspruchsgemäß definierte Fraktion der kleineren Partikel aufweise.

Die anspruchsgemäße Verteilung der Partikelgrößen sei willkürlich definiert worden und sei nicht mit einem überraschenden Effekt über die gesamte Anspruchsbreite verbunden. Als Lösung der Aufgabe der Bereitstellung eines alternativen Partikelgemisches sei der Anspruchsgegenstand zum Beispiel im Hinblick auf die Dokumente D2, D4 oder D12 naheliegend gewesen.

Eine effektivere Oberflächeninteraktion der kleineren Partikel mit Metalloproteasen sei wegen der relativ größeren Oberfläche der kleineren Partikel für den Fachmann ohnehin naheliegend gewesen. Eine effektivere Flüssigkeitsaufnahme durch größere Partikel sei nicht belegt worden und sei auch nicht nachvollziehbar. Insofern die in Dokument D4 beschriebene geringere Gelbildung durch die größeren Partikel in Betracht zu ziehen sei, trage dieser Effekt nicht zu einer erfinderischen Tätigkeit bei, weil der Effekt bereits aus dem Stand der Technik hervorgehe.

Im Hinblick auf die Anregung in Dokument D6, dass die aufgezeigte Hemmung der Proteasen durch superabsorbierende Polyacrylate eine weitere Begründung für die Anwendung von TenderWet**((R)) bei der Behandlung schwierig heilender Wunden darstelle, sei die aus Tabelle 2 des Patents hervorgehende stärkere Hemmung der Proteasen durch die Fraktionen mit kleineren Partikeln im Vergleich zu der Fraktion mit größeren Partikeln allenfalls als einen Bonuseffekt zu betrachten.

X. Die beschwerdeführende Patentinhaberin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent gemäß ihrerm Hauptantrag, der mit Beschwerdebegründung als Hilfsantrag 2 eingereicht wurde, aufrechtzuerhalten.

Die Patentinhaberin beantragte hilfsweise, das Patent gemäß einem der mit ihrer Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 3-4 oder einem der mit ihrer Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 5-11 oder einem der mit ihrer Eingabe vom 25. September 2023 eingereichten Hilfsanträge 12-17 aufrechtzuerhalten.

Des Weiteren beantragte die Patentinhaberin, die Dokumente D14 und D15-D17 sowie Annex 1 und Annex A nicht zuzulassen.

XI. Die beschwerdeführende Einsprechende beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Einsprechende beantragte außerdem, den Hauptantrag sowie Hilfsanträge 3-17 nicht zuzulassen und das Dokument D14 zuzulassen.

Entscheidungsgründe

Hauptantrag (mit der Beschwerdebegründung als Hilfsantrag 2 eingereicht)

1. Zulassung des Hauptantrags und der umstrittenen Beweismittel

1.1 Der Hauptantrag entspricht dem vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrag 2, auf dem die angefochtene Entscheidung unter anderem basiert. Des Weiteren wurden gemäß der angefochtenen Entscheidung die Dokumente D15-D17 ins Einspruchsverfahren zugelassen. Laut Artikel 12(1) VOBK) liegt dem Beschwerdeverfahren unter anderem die angefochtene Entscheidung zugrunde. Der Hauptantrag und die Dokumente D15-D17 sind somit Teil des Beschwerdeverfahrens.

1.2 Dokument D14 und Annex 1

Der angefochtenen Entscheidung (siehe Seiten 9-10, Abschnitt 9) zufolge wurde das Dokument D14 nicht in das Einspruchsverfahren zugelassen, weil dieses Dokument, das erst nach Ablauf der Einspruchsschrift eingereicht wurde, für keinen der Einspruchsgründe relevant sei.

Dokument D14 beschreibt Ergebnisse aus Experimenten mit Polyacrylatpartikeln zur Hemmung von Proteasen und zur Behandlung schwierig heilender Wunden, die genau mit den im Patent berichteten Ergebnissen übereinstimmen (siehe das Patent, Tabelle 2 und Tabelle 3; siehe D14, Tabelle 1 und Figur 3B).

Laut der Beschwerdebegründung der Einsprechenden geht aus Dokument D14 hervor, dass die im Patent beschriebenen Versuche an Patienten mit der bekannten Wundauflage TenderWet**((R)) durchgeführt worden seien. Im Hinblick auf den in Absatz [0031] des Patents erwähnten Wassergehalt von 3,0 Gew.-% dieser Wundauflage sei nach Ansicht der Einsprechenden diese Erkenntnis auch für den in der angefochtenen Entscheidung stattgegebenen Hilfsantrag 4 relevant. Dabei hat die Einsprechende zurecht darauf hingewiesen, dass Hilfsantrag 4 noch nicht eingereicht worden war, als die Zulassung des Dokuments D14 in das Einspruchsverfahren verweigert wurde. Die Kammer erkennt darin Umstände der Beschwerdesache, die die Zulassung des Dokuments D14 in das Beschwerdeverfahren rechtfertigen (Artikel 12(6) VOBK). Die Kammer hat deswegen Dokument D14 in das Beschwerdeverfahren zugelassen.

Annex 1 stellt lediglich einen Vergleich experimenteller Daten aus dem Patent und aus Dokument D14 dar. Im Zusammenhang mit der Zulassung des Dokuments D14 ergeben sich keine Gründe, die der Zulassung von Annex 1 entgegen stehen. Die Kammer hat deswegen auch Annex 1 in das Beschwerdeverfahren zugelassen.

1.3 Annex A beschreibt das Fachwissen, wonach Matrix Metalloproteinasen (MMP) eine Untergruppe der Metalloproteinasen darstellen. Annex A wurde von der Einsprechenden als Reaktion auf die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 6-11 vorgelegt. Die Kammer erkennt hierin einen rechtfertigenden Grund für die Einreichung von Annex A in dieser Phase des Beschwerdeverfahrens (Artikel 13 (1) VOBK). Die Kammer hat deswegen Annex A ebenfalls in das Beschwerdeverfahren zugelassen.

2. Artikel 123(2) EPÜ

2.1 Anspruch 1

Die ursprüngliche Anmeldung erwähnt zunächst (siehe Seite 3, Zeilen 31-35), dass das Partikelgemisch erfindungsgemäß als Bestandteil einer Wundauflage vorgesehen ist:

"Dabei soll im Zusammenhang mit der vorliegenden Erfindung unter einem Partikelgemisch ein Gemenge verstanden sein, deren einzelne Bestandteile (Partikel) räumlich neben einander, teilweise durchmischt, vollständig durchmischt oder räumlich getrennt voneinander vorliegen können, wobei das Gemisch in jedem Fall als Bestandteil einer Wundauflage anzusehen ist".

Im weiteren Verlauf beschreibt die ursprüngliche Anmeldung jedoch die Verwendung von Partikelgemischen zur Hemmung von Proteasen bei der Wundbehandlung, insbesondere zur Behandlung von Dekubitus, Ulcus cruris venosum, Ulcus cruris arteriosum oder diabetisches Fußsyndrom, ohne dass die Partikelgemische dabei als Bestandteil einer Wundauflage vorliegen müssen:

"Gemäß einem weiteren Gedanken betrifft die vorliegenden Erfindung auch die Verwendung eines Partikelgemischs insbesondere in einer Wundauflage umfassend Polyacrylatpartikel unterschiedlicher Größe zur Hemmung oder Inhibition von Proteasen in einer Wunde (...) Besonders bevorzugt umfasst das Partikelgemisch in dieser Verwendung

a) 20 bis 98 Gew.-% Partikel mit einer Partikelgröße x mit 45 s x < 300 pm und

b) 2 bis 80 Gew.-% Partikel mit einer Partikelgröße x mit x > 300 pm" (siehe Seite 20, Zeilen 4-17);

"Damit betrifft eine Weiterbildung der vorliegenden Erfindung auch die Verwendung eines Partikelgemischs aus Polyacrylatpartikeln, das jede oben aufgeführte Zusammensetzung aufweist, als Mittel zur Hemmung von Proteasen, insbesondere Metallo-Proteasen, zur Behandlung von und zur Herstellung eines Mittels zur Behandlung von Dekubitus, Ulcus cruris venosum, Ulcus cruris arteriosum oder diabetisches Fußsyndrom" (siehe Seite 21, Zeile 35 bis Seite 22, Zeile 3).

Die gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Verwendung entspricht der zitierten, ursprünglich auf Seiten 21-22 beschriebenen erfindungsgemäßen Weiterbildung, wobei die Definition der Partikelgrößeverteilung zulässigerweise auf die zitierte ursprünglich auf Seite 20 als besonders bevorzugt beschriebene Ausführungsform zurückgeht.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags ist somit eindeutig und unmittelbar der ursprünglichen Anmeldung zu entnehmen.

2.2 Anspruch 3

Die Definition des Partikelgemisches gemäß Anspruch 3, wonach das Partikelgemisch in einer mehrschichtigen Wundauflage vorhanden ist und eine genauer definierte Partikelgrößeverteilung aufweist, entspricht der Definition des Anspruchs 3 der ursprünglichen Anmeldung. Es handelt sich dabei um eine besondere Gestaltung der beanspruchten Erfindung, die von der ursprünglich auf Seite 20 beschriebenen bevorzugten Ausführungsform mitumfasst wird und somit auch bei der ursprünglich auf Seiten 21-22 beschriebenen Weiterbildung einzubeziehen ist.

Der Gegenstand des Anspruchs 3 des Hauptantrags ist deswegen ebenfalls eindeutig und unmittelbar der ursprünglichen Anmeldung zu entnehmen.

2.3 Der Hauptantrag ist somit nicht aufgrund des Artikels 123(2) EPÜ zu beanstanden.

3. Artikel 84 und 83 EPÜ

Die Änderung in Anspruch 1 des Hauptantrags gegenüber dem erteilten Anspruch 1 betrifft die Einführung des Merkmals "als Mittel zur Hemmung von Proteasen".

Das Patent beschreibt die Verwendung der Partikelgemische zur Hemmung oder Inhibition von Proteasen in einer Wunde. Nach Ansicht der Kammer verwendet das Patent dabei die Begriffe "Hemmung" und "Inhibition" eindeutig als Synonyme. Diese Verwendung als Synonyme stimmt mit der gängigen Bedeutung dieser Begriffe überein und lässt sich mit der Verwendung der Konjunktion "oder", im Sinne "oder auch", vereinigen.

Es handelt sich nach Ansicht der Kammer bei dem Anspruchsgegenstand zudem eindeutig um die Hemmung von denjenigen Proteasen, die bei der Behandlung der definierten Erkrankungen in Frage kommen. Dieser Anspruchsgegenstand wird durch die Beschreibung des Patents beispielsweise mit Versuchsergebnissen zur Einbindung von MMP-2 und MMP-9 aus Wundflüssigkeit gestützt (siehe Absatz [0039], Tabelle 2).

Proteasen bilden eine wohl bekannte und im Patent (siehe Absätze [008]-[0011]) ausführlich beschriebene Gruppe von Enzymen, die die Spaltung von Peptid-Bindungen in Proteinen und Peptiden katalysieren. Die anspruchsgemäß definierten schwierig heilenden Wunden sind bekanntlich mit einem Überschuss an Metallo-Proteasen, wie MMP-2 und MMP-9, verbunden. Das Patent zeigt anhand der Einbindung von MMP-2 und MMP-9 in Wundflüssigkeit die Verwendbarkeit des definierten Partikelgemisches zur Inaktivierung der wundheilungshemmenden Proteasen. Es ist in diesem Zusammenhang seitens der Einsprechenden nicht belegt worden, weswegen die Bestimmung der anspruchsgemäßen Hemmung von weiteren wundheilungsschädigenden Proteasen für den Fachmann einen unzumutbaren Aufwand darstellen soll. Die Kammer verweist diesbezüglich auf die ständige Rechtsprechung, wonach eine Erfindung hinreichend offenbart ist, wenn mindestens ein Weg deutlich aufgezeigt wird, wie der Fachmann die Erfindung ausführen kann, und es keine besonderen Hinweise braucht, wie alle denkbaren Varianten, die unter ein anspruchsgemäß funktionell definiertes Merkmal fallen, zu erzielen sind (siehe T 292/85, Abschnitt 3.1.5).

Die im Patent berichteten experimentellen Ergebnisse zeigen die effektive Einbindung von MMP-2 und MMP-9 durch Fraktionen mit einer Partikelgröße unter 300 mym (siehe das Patent, Absatz [0039], Tabelle 2). Solche Fraktionen sind im beanspruchten Gemisch enthalten. Aus der mit dieser Einbindung einhergehenden Hemmung der Proteasen geht nach Ansicht der Kammer in Zusammenhang mit der im Patent beschriebenen (siehe Absatz [0005]) und auch aus D6 bekannten wundheilungsschädigenden Aktivität solcher Proteasen die Eignung des beanspruchten Gemisches für die definierte Behandlung schwierig heilender Wunden glaubhaft hervor.

Die Aussage in Dokument D14, wonach ähnliche Versuchsergebnisse noch keine Schlussfolgerung zur klinischen Wirksamkeit erlaubten, bringt nach Ansicht der Kammer lediglich den vorsorglichen Vorbehalt zum Ausdruck, dass die klinische Wirksamkeit noch in erweiterten klinischen Versuchen zu bestätigen ist. Dieser Vorbehalt lässt jedoch keine ernsthaften Zweifel an der Glaubwürdigkeit der im Patent beschriebenen Wirksamkeit zur Wundbehandlung des beanspruchten Gemisches aufkommen.

Der Hauptantrag entspricht somit den Erfordernissen der Artikel 83 und 84 EPÜ.

4. Neuheit

4.1 Die in Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Verwendung des Partikelgemisches beruht auf der stofflichen Interaktion der Polyacrylatpartikel mit den Proteasen, die sich auf der molekularen Ebene vollzieht. Entsprechend den Überlegungen in T 2003/08 (siehe Einscheidungsgründe, Absatz 18) handelt es sich im Hauptantrag um zweckgebundene Stoffansprüche im Sinne von Artikel 54(5) EPÜ. Der vorliegende Fall unterscheidet sich deswegen auch von dem in T 1758/15 entschiedenen Fall, in dem die definierte Verwendung einer Masse auf deren makroskopische Beschaffenheit beruhte und diese Masse deswegen nicht als Stoff oder Stoffgemisch gemäß Artikel 54(5) EPÜ betrachtet wurde.

Indes ist unstrittig, das die anspruchsgemäß definierte Verwendung zur Hemmung von Proteasen bei der Behandlung der schwierig heilenden Wunden nicht aus den von der Einsprechenden herangezogenen Dokumenten D4 und D8 bis D12 hervorgeht.

4.2 Dokument D6 beschreibt unter "Results" Versuchsergebnisse die zeigen, dass superabsorbierende Polyacrylate nach einer Voraktivierung die MMP-2 und MMP-9-Aktivität in der Wundflüssigkeit von nicht heilenden venösen Beingeschwüren effektiv hemmt durch sowohl Kompartimentierung dieser MMP als auch diffusionsbedingte Mechanismen. Das Dokument erwähnt unter "Introduction", dass die beeinträchtigte Wundheilung bei Beingeschwüren, diabetischen Fußgeschwüren und Druckstellungsgeschwüren mit einer zu hohen Aktivität von Metalloproteasen (MMP) einhergeht, dass die superabsorbierenden Polyacrylate bereits seit Jahren in Wundauflagen, wie zum Beispiel TenderWet**((R)), eingesetzt werden, und dass diese Polymere im Hinblick auf deren physikalisch-chemischen Eigenschaften hervorragende Kandidaten für die Hemmung von MMP darstellen. Unter "Conclusion" erwähnt Dokument D6 weiter die bekannte Verwendung von superabsorbierenden Polyacrylaten zum Regulieren der Wundfeuchtigkeit und weist darauf hin, dass die aufgezeigte Hemmung der MMP eine neue Begründung für die Verwendung dieser Polymere zur Zustandsverbesserung schwierig heilender Wunden und zur Förderung des Gewebeaufbaus liefert.

Dementsprechend beschreibt Dokument D6 jedoch nur unmittelbar und eindeutig die Hemmung von Proteasen aus Wundflüssigkeit schwierig heilender Wunden durch ein Partikelgemisch unbekannter Partikelgrößeverteilung. Im Übrigen beschreibt Dokument D6 in der Einleitung TenderWet**((R)) lediglich als Beispiel von auf Polyacrylaten basierten Wundauflagen und weist Dokument D6 im Fazit lediglich auf die Hemmung von Proteasen als eine neue Begründung für die Verwendung von superabsorbierenden Polyacrylaten bei der Behandlung schwierig heilender Wunden hin. Entgegen der Behauptung der Einsprechenden geht damit eine Verwendung von TenderWet**((R)) zur Hemmung von Proteasen nicht unmittelbar und eindeutig aus Dokument D6 hervor.

Ungeachtet der Frage, ob TenderWet**((R))die anspruchsgemäße Partikelgrößeverteilung aufweist, steht deswegen Dokument D6 dem Anspruchsgegenstand des Hauptantrags nicht neuheitsschädlich entgegen.

4.3 Der Hauptantrag genügt somit dem Erfordernis der Neuheit.

5. Erfinderische Tätigkeit

5.1 Die beanspruchte Erfindung im Patent

Das Patent beschreibt, dass das beanspruchte Partikelgemisch mit der definierten Partikelgrößeverteilung einerseits die Inaktivierung wundheilungshemmender Proteasen in einer Wunde durch die kleineren Partikel und andererseits eine effektive Aufnahme von Wundexsudat durch die größeren Partikel ermöglicht (siehe das Patent, Absatz [0005]). Dabei belegt das Patent (siehe Tabelle 2) die wesentlich effektivere Einbindung der Proteasen MMP-2 und MMP-9 durch Fraktionen mit Partikelgrößen bis 300 mym in Vergleich zu der Fraktion mit Partikelgrößen über 630 mym:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Außerdem ist die effektivere Flüssigkeitsaufnahme durch die vorhandenen größeren Partikel gerade im Hinblick auf die aus Dokument D4 bekannte Neigung kleinerer Polyacrylatpartikel zu einer die weitere Flüssigkeitsabsorption beeinträchtigenden Gelbildung (siehe D4, Seite 12, Zeilen 19-21) durchaus glaubhaft.

5.2 Nächstliegender Stand der Technik

Dokument D6 stellt nach Ansicht der Kammer den nächstliegenden Stand der Technik dar, weil dieses Dokument, wie oben in Abschnitt 4.2 ausgeführt, auch ausdrücklich auf die Inaktivierung von Proteasen durch Polyacrylatpartikel in Wundflüssigkeit aus schwierig heilenden Wunden eingeht.

Die Dokumente D15-D17 weisen nur auf die allgemein spülende und reinigende Wirkung durch TenderWet**((R)) bei der Behandlung schwierig heilender Wunden hin, ohne jeglichen Hinweis auf eine Inaktivierung von Proteasen.

Zudem geht nach Ansicht der Kammer aus der Information im nachveröffentlichten Dokument D14 und dem Patent nicht hervor, dass die Wundauflage TenderWet**((R)), die in den Dokumenten D15-D17 und auch Dokument D6 erwähnt wird, eine Partikelgrößeverteilung aufweist, die der Definition in Anspruch 1 des Hauptantrags entspricht. Das Patent (siehe Tabelle 3) und Dokument D14 (siehe Tabelle 1) berichteten zwar die folgenden übereinstimmenden Ergebnisse aus Versuchen mit auf Polyacrylatpartikeln basierten Wundauflagen an Patienten:

FORMEL/TABELLE/GRAPHIK

Wie von der Patentinhaber geltend gemacht, lässt sich aufgrund dieser Übereinstimmung der klinischen Ergebnisse jedoch nur mutmaßen, ob es sich im Patent und in Dokument D14 um die gleichen Versuche an Patienten und somit auch die gleichen verwendeten Wundauflagen handelt. Außerdem geht aus der Beschreibung der Versuche im Patent (siehe Absatz [0041]) nur hervor, dass die bei den Versuchen verwendete Wundauflage 40 Gew.-% Polyacrylatpartikel der 150-300 mym Fraktion enthielt und bleibt es Spekulation, ob das Partikelgemisch der verwendeten Wundauflage tatsächlich der Definition in Anspruch 1 des Hauptanspruchs entsprach. Aufgrund solcher Spekulation ergibt sich nach Ansicht der Kammer auch keine Verschiebung der Beweislast, die mit einer entsprechenden Annahme bezüglich der Partikelgrößeverteilung in TenderWet**((R)), einhergeht.

Dokument D8 erwähnt lediglich die mögliche Verwendung von absorbierenden Partikelgemischen in Wundauflagen ohne auf die Behandlung schwierig heilender Wunden einzugehen.

Die Dokumente D8 und D15-D17 sind somit nach Ansicht der Kammer im Vergleich zu Dokument D6 eindeutig weniger als nächstliegender Stand der Technik geeignet.

5.3 Die objektive technische Aufgabe

Im Hinblick auf einerseits die unbekannte Größenverteilung der gemäß Dokument D6 zur Hemmung der Proteasen eingesetzten Polyacrylatpartikel und andererseits die im Patent gezeigte vorteilhafte Bindung von Matrix Metalloproteasen durch die kleineren Partikel sowie die im Patent beschriebene effektivere Aufnahme von Wundexsudat durch die größeren Partikel, stimmt die Kammer der Patentinhaberin zu, dass die objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung eines Partikelgemisches mit ausgewogenen Eigenschaften bezüglich der Hemmung von Proteasen und der Flüssigkeitsabsorption gesehen werden kann.

Diese ausgewogenen Eigenschaften mögen abhängig von der jeweiligen Partikelgröße der Fraktionen und deren Gewichtsanteile mehr oder weniger ausgeprägt im beanspruchten Partikelgemisch zum Tragen kommen. Jedoch erscheint es der Kammer glaubhaft, dass die betreffenden Eigenschaften mit dem definierten Vorhandensein der Partikelfraktionen einhergehen. Der Einwand der Einsprechende, dass die betreffende Aufgabe wegen der Breite der definierten Partikelfraktionen und deren Gewichtsanteile nicht über den gesamten Anspruchsumfang als gelöst betrachtet werden kann, hält die Kammer deswegen für nicht überzeugend.

5.4 Beurteilung der Lösung

Dokument D6 erwähnt nur, dass die Hemmung der Proteasen sowohl durch deren Kompartimentierung als auch durch diffusionsbedingte Mechanismen bedingt ist. Dabei geht weder aus Dokument D6 noch aus einem sonstigen Stand der Technik ein Anlass für eine berechtigte Erwartung hervor, dass die Hemmung der Proteasen mit der Größe der Partikel zusammenhängt, geschweige denn, dass die anspruchsgemäß definierte kleinere Partikelfraktion mit einer besonders ausgeprägten Hemmung der Proteasen einhergeht. Im Übrigen zeigen die Ergebnisse für MMP-9 in Tabelle 2 des Patents angesichts der geringeren Einbindung von MMP-9 durch die Fraktion mit Partikelgrößen unter 125 mym im Vergleich zu der Fraktion mit Partikelgrößen zwischen 160 bis 300 mym, dass die Wirkung der Partikel nicht lediglich auf einer bei den kleineren Partikeln größeren Oberflächeinteraktion beruht.

Dokument D6 erwähnt TenderWet**((R)) nur als Beispiel von auf superabsorbierenden Polyacrylaten basierten Wundauflagen. Die Anregung in Dokument D6, dass die aufgezeigte Hemmung der Proteasen durch superabsorbierende Polyacrylate eine weitere Begründung für die Anwendung dieser Polymere bei der Behandlung schwierig heilender Wunden darstellt, führt den Fachmann deswegen nicht unbedingt, etwa wie in einer sogenannten "Einbahnstraßen-Situation", zu einer auf die Hemmung von Proteasen gerichteten Verwendung von TenderWet**((R)), geschweige denn zu einer entsprechenden Verwendung von Partikelgemischen mit der anspruchsgemäß definierten Partikelgrößeverteilung. Im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 10. Auflage, 2022, I.D.10.8) erkennt die Kammer deswegen keinen Grund, die aus Tabelle 2 des Patents hervorgehende ausgeprägte Hemmung der Protease durch die Fraktionen mit kleineren Partikel lediglich als einen Bonuseffekt eines dennoch naheliegenden Anspruchsgegenstand zu betrachten.

5.5 Der Hauptantrag genügt somit auch dem Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

6. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

7. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geändertem Umfang auf der Basis des neuen Hauptantrags, eingereicht als Hilfsantrag 2 mit der Beschwerdebegründung, und einer eventuell noch anzupassenden Beschreibung aufrecht zu erhalten.

Quick Navigation