T 0689/21 () of 17.10.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T068921.20231017
Datum der Entscheidung: 17 October 2023
Aktenzeichen: T 0689/21
Anmeldenummer: 13762497.9
IPC-Klasse: F16D 65/092
F16D 55/225
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: ANORDNUNG EINES BELAGHALTEBÜGELS AM BREMSSATTEL EINER SCHEIBENBREMSE SOWIE BREMSBELAG
Name des Anmelders: KNORR-BREMSE Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH
Name des Einsprechenden: VRI-Verband der Reibbelagindustrie e.V.
Kammer: 3.2.08
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention R 103(1)(a)
European Patent Convention R 111(2)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 011
Schlagwörter: Wesentlicher Verfahrensmangel - angefochtene Entscheidung ausreichend begründet (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - wesentlicher Verfahrensmangel (ja)
Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung
Zurückverweisung - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0278/00
T 1411/07
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Mit der angegriffenen Entscheidung hat die Einspruchsabteilung den Einspruch gegen das Europäische Patent EP 2 895 764 zurückgewiesen. Sie hat entschieden, dass das Patent die Erfindung so deutlich offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann und dass die jeweiligen Gegenstände der unabhängigen Ansprüche 1, 7 und 9 des Hautantrags neu sind und auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.

II. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Außerdem beantragte sie die Rückerstattung der Beschwerdegebühr wegen eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers sowie eine mündliche Verhandlung.

III. Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde sowie den Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr zurückzuweisen. Hilfsweise beantragt sie die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 7 sowie eine mündliche Verhandlung.

IV. In der Entscheidung werden die folgenden Entgegenhaltungen genannt:

E2|DE 39 19 054 A1|

E3|DE 35 33 931 A1|

E4|US 4,940,120 A |

E5|FR 2 645 230 A1|

E6|DE 32 27 195 A1|

E7|US 5,701,978 A |

V. In ihrer Mitteilung vom 2. Januar 2023 hat die Kammer die vorläufige Auffassung geäußert, dass ein wesentlicher Verfahrensfehler gegeben sei und dass sie daher beabsichtige, die Sache an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen und die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten. Zur Erörterung dieser Fragen hat die Kammer einen Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt.

VI. Daraufhin haben die Parteien ihre Anträge auf mündliche Verhandlung zurückgenommen, sofern die mündliche Verhandlung auf die Diskussion der genannten Themen beschränkt bleibe.

VII. Die Kammer hat den Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben.

VIII. Zu der Frage, ob ein wesentlicher Verfahrensfehler vorliegt, haben die Parteien wie folgt vorgetragen:

Die Beschwerdeführerin rügt das Fehlen einer Begründung für die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 9 des Hauptantrags gegenüber den Entgegenhaltungen E3, E4 und E7. Sie vertritt die Auffassung, die Nichtbehandlung dieser Neuheitseinwände in der Entscheidung stelle einen wesentlichen Verfahrensfehler dar. In Hinblick auf die Entgegenhaltungen E3 und E4 führt sie weiter aus, die Entscheidung lasse nicht erkennen, warum die Einspruchsabteilung insoweit von ihrer im Ladungsbescheid vom 24. April 2020 geäußerten vorläufigen Meinung abgewichen sei.

Die Beschwerdegegnerin ist der Auffassung, die Begründung der Neuheit gegenüber den in der Entscheidung diskutierten Entgegenhaltungen gelte entsprechend für die nicht ausdrücklich Erwähnten. Die Einsprechende habe in der Einspruchsbegründung selbst auf eine solche Analogie hingewiesen. Dass die Einspruchsabteilung dies in ihrer Entscheidung nicht ausdrücklich ausgeführt habe, stelle keinen wesentlichen Verfahrensfehler dar.

Entscheidungsgründe

1. Die angefochtene Entscheidung leidet an einem Begründungsmangel im Sinne von Regel 111(2) EPÜ.

1.1 Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern muss eine beschwerdefähige Entscheidung nach Regel 111(2) EPÜ in einer logischen Gedankenführung die Erwägungen aufzeigen, die die getroffenen Feststellungen rechtfertigen. Die aus den Tatsachen und Beweismitteln gezogenen Schlussfolgerungen sind klar darzulegen. Dieses Erfordernis zielt darauf ab, den Parteien sowie im Falle eines Beschwerdeverfahrens der Beschwerdekammer, die Möglichkeit zur Nachprüfung dahingehend zu geben, ob die getroffene Entscheidung im Hinblick auf die maßgeblichen Erwägungen, Tatsachen und Beweismittel gerechtfertigt ist oder nicht (siehe T 278/00, ABl. 2003, Punkte 2 bis 5 der Entscheidungsgründe; T 1411/07, Entscheidung vom 29. Juni 2010, Punkte 3 und 4 der Entscheidungsgründe).

1.2 Im Protokoll der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung (Seite 1, zweite Hälfte) heißt es zur Frage der Neuheit des Gegenstands des selbständigen Anspruchs 9 des Hauptantrags, diese sei im Hinblick auf die Entgegenhaltungen E2 sowie E5 bis E7 besprochen worden. Weiter führte die Einspruchsabteilung aus, sie sei zu der Einschätzung gelangt, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 9 die Erfordernisse der Neuheit erfülle.

1.3 In den Entscheidungsgründen diskutiert die Einspruchsabteilung die Neuheit des Gegenstands von Anspruch 9 gegenüber den Entgegenhaltungen E2, E5 und E6. Aussagen dazu, aus welchen Gründen sie zu der Auffassung gelangt ist, dass der Gegenstand von Anspruch 9 des Hauptantrags auch gegenüber den Entgegenhaltungen E3, E4 und E7 neu ist, enthält die Begründung nicht. Damit eröffnet sie die beschriebene Möglichkeit der Überprüfung der Entscheidung nicht und leidet deshalb an einem Begründungsmangel.

2. Soweit die Beschwerdegegnerin die Auffassung vertreten hat, die Gründe, die zu der Feststellung der Neuheit von Anspruch 9 geführt haben, gelten für die nicht ausdrücklich erwähnten Entgegenhaltungen entsprechend, kann die Kammer dem nicht folgen.

2.1 Dies gilt insbesondere für die Entgegenhaltung E7, auf die die Beschwerdeführerin einen weiteren Neuheitseinwand gestützt hat, für den die zu E2, E5 und E6 diskutierten und in der Entscheidung behandelten Argumente nicht oder nicht ohne weiteres entsprechend herangezogen werden können.

So wurde in der Einspruchsbegründung eine Ähnlichkeit zwischen den Offenbarungen in E2, E3, E4 und E5 nicht aber zu der E7 vorgetragen.

Dabei ist bei dem Bremsbelag der E7 die Feder auf die Rückseite des Bremsbelags befestigt. Sie unterscheidet sich unter anderem dadurch von den Bremsbelegen der in der Entscheidung behandelten Entgegenhaltungen E2, E5 und E6. Dort ist die Feder radial außerhalb des Reibbelags positioniert. Ferner hat die Einspruchsabteilung als Unterscheidungsmerkmal zu E2 gesehen, dass die Feder nicht am Bremsbelag "angeschlossen" ist, wie Merkmal M9.4 verlangt. Dies ist jedoch in der E7 der Fall, siehe Spalte 2, Zeilen 56 bis 63. Gegenüber der E5 sah die Einspruchsabteilung ein Unterscheidungsmerkmal, in dem die Federzunge 38 keine Rastzunge ausbilde und gegenüber der E6 sah die Einspruchsabteilung einen Unterschied, in dem die Enden 11 der Federelemente keine Formschlusselemente ausbilden. Die Begründungen zu E5 und E6 lassen sich jedoch wegen den wesentlich anderen Federgeometrien nicht ohne weiteres auf die Entgegenhaltung der E7 übertragen.

2.2 Ferner hätte selbst bei einer Ähnlichkeit zwischen den Offenbarungen in der E2, E3 und E4 in der Entscheidung erläutert werden sollen, warum die Einspruchsabteilung von ihrer vorläufigen Meinung zu den Entgegenhaltungen E3 und E4 abgewichen und zum Schluss gekommen ist, der Gegenstand des Anspruchs 9 sei gegenüber diesen Offenbarungen neu.

3. Die festgestellten Begründungsmängel stellen auch einen wesentlichen Verfahrensfehler dar, der die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103(1)a) EPÜ rechtfertigt. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr entspricht dabei schon deshalb der Billigkeit, weil nicht auszuschließen ist, dass die angefochtene Entscheidung auf der fehlenden Begrünung beruht.

4. Auch ohne einen entsprechenden ausdrücklichen Antrag der Beschwerdeführerin hält die Kammer eine Zurückverweisung der Sache an die Einspruchsabteilung für geboten. Nach Artikel 11 der VOBK stellt ein wesentlicher Verfahrensfehler in der Regel einen Grund dar, der - ausnahmsweise - eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Vorinstanz rechtfertigt. Anhaltspunkte, die die es rechtfertigen könnten, in dem vorliegenden Fall von dieser Regel abzuweichen, sind nicht ersichtlich.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die Sache wird zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.

2. Die Beschwerdegebühr wird zurückerstattet.

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