European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2023:T041621.20231110 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 10 November 2023 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0416/21 | ||||||||
Anmeldenummer: | 10795308.5 | ||||||||
IPC-Klasse: | F16D 65/14 B60T 17/08 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | SCHEIBENBREMSE | ||||||||
Name des Anmelders: | KNORR-BREMSE Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | ZF CV Systems Hannover GmbH BPW Bergische Achsen KG |
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Kammer: | 3.2.08 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Einsprechende I - Zulässigkeit der Beschwerde (ja) - Beschwerdeschrift - Name und Anschrift des Beschwerdeführers Einsprechende II - Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerdegebühr (nicht vollständig entrichtet) - Beschwerde gilt als nicht eingelegt Hauptantrag - Einspruchsgründe - unzulässige Erweiterung (ja) Hilfsantrag 0 - Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein) - Nicht zugelassen Hilfsanträge 1 und 2 - unzulässige Erweiterung (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Einsprechenden I und II legten Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen.
Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass der Gegenstand der Ansprüche in der erteilten Fassung nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.
II. Die Einsprechende I (Beschwerdeführerin I) und Einsprechende II beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 2516881.
III. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Beschwerden als unzulässig zu verwerfen oder die Beschwerden zurückzuweisen, hilfsweise ein Patent auf Grundlage des Hilfsantrags 0 (eingereicht mit Schreiben vom 30. Oktober 2023) oder auf Grundlage eines der Hilfsanträge 1 oder 2 (eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung) aufrecht zu erhalten.
IV. Anspruch 1 des Hauptantrags (erteilte Fassung) lautet wie folgt (Merkmalsgliederung hinzugefügt):
M1 |Pneumatisch betätigbare Scheibenbremse, mit |
M2 |einem eine Bremsscheibe übergreifenden Bremssattel(2), |
M3 |wobei an einem Flansch (3) des Bremssattels (2) ein mit Druckluft beaufschlagbarer Bremszylinder (1) |
M3.1|mit einer innenliegenden Membran und einem mit der Membran gekoppelten Zylinderstößel |
M3.2|sowie mindestens ein weiteres Funktionsteil (4, 5) befestigt sind, |
M4 |wobei eine Mantelfläche (15) eines dem Flansch (3) des Bremssattels (2) nahen Gehäuseteils (7) des Bremszylinders (1) zumindest im Überdeckungsbereich axial zum Bremszylinder mit dem mindestens einen Funktionsteil (4, 5) mit mindestens einer Eindellung (9, 10) versehen ist,|
|dadurch gekennzeichnet, |
M5 |dass die mindestens eine Eindellung (9, 10) im Bereich eines abgerundeten Randes zwischen einem Boden (16) des Gehäuseteils (7) und einer zylinderförmigen Mantelfläche (15) dieses Gehäuseteils (7) vorgesehen ist. |
Die Merkmalsbezeichnungen sind von der Kammer hinzugefügt.
Anspruch 1 des Hilfsantrags 0 unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags durch die folgenden [deleted: Streichungen] und Hinzufügungen im Merkmal M4:
"wobei eine Mantelfläche (15) eines dem Flansch (3) des Bremssattels (2) nahen Gehäuseteils (7) des Bremszylinders (1) zumindest im zum Bremszylinder axialen sowie radialen Überdeckungsbereich [deleted: axial zum Bremszylinder ]mit dem mindestens einen Funktionsteil (4, 5) mit mindestens einer Eindellung (9, 10) versehen ist,"
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags durch die Hinzufügung von Merkmal M6. Es lautet:
"und wobei die Eindellung(en) (9, 10) sich in den Innenraum des Bremszylinders (1) erstrecken, wobei die Eindellung(en) (9, 10) derart geformt sind, dass die Membran in Wirkrichtung frei oder nahezu frei bewegbar ist."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 unterscheidet sich vom Anspruch 1 des Hauptantrags durch die folgenden Änderungen nach Merkmal M4:
"wobei sich aus dem Boden (16) des dem Flansch (3) des Bremssattels (2) nahen Gehäuseteils (7) des Bremszylinders (1) ein Aufsatz (12) mit einer zentralen Bohrung (11) für den axial verschiebbaren Zylinderstößel erhebt,
dadurch gekennzeichnet, dass der Bremszylinder (1) zwei Eindellungen (9, 10) aufweist, die voneinander beabstandet angeordnet sind und das diese Eindellungen (9, 10) des Bremszylinders (1) durch Prägen gebildet sind und dass die zwei Eindellungen [deleted: die mindestens eine Eindellung] (9, 10) im Bereich eines abgerundeten Randes zwischen einem Boden (16) des Gehäuseteils (7) und einer zylinderförmigen Mantelfläche (15) dieses Gehäuseteils (7) vorgesehen sind und dass sich die [deleted: ist und wobei die] Eindellung(en) (9, 10) [deleted: sich] in den Innenraum des Bremszylinders (1) erstrecken, wobei die Eindellung(en) (9, 10) derart geformt sind, dass die Membran in Wirkrichtung frei oder nahezu frei bewegbar ist."
V. Die Einsprechenden argumentierten im Wesentlichen wie folgt:
Zulässigkeit der Beschwerden
Der Einwand der Unzulässigkeit der Beschwerden sei sehr verspätet erhoben worden und sollte nicht ins Verfahren zugelassen werden.
Darüber hinaus seien die Beschwerden zulässig. Die Einsprechende I habe nur den Namen geändert und sei zum Zeitpunkt der Beschwerde problemlos identifizierbar gewesen. Die Einsprechende II hatte fälschlicherweise die ermäßigte Beschwerdegebühr entrichtet, die Beschwerdekammer hätte jedoch aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes vor dem Ende der Beschwerdefrist auf die zu niedrige Zahlung hinweisen müssen.
Hauptantrag - Unzulässige Erweiterung in Merkmal M4
Merkmal M4 des Anspruchs 1 des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 und 2 gehe über die ursprünglich eingereichte Anmeldung hinaus. Durch den im Merkmal M4 hinzugefügten Wortlaut ("... axial zum Bremszylinder ...") seien viele Auslegungen des Merkmals möglich, die in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart seien. Eine mögliche Auslegung sei, dass das Funktionsteil derart neben dem Bremszylinder positioniert sei, dass es die Eindellung ausschließlich entlang der Achse des Bremszylinders überdeckt, nicht jedoch in radialer Richtung.
Hilfsantrag 0 - Zulassung
Der Antrag sollte nicht in das Verfahren zugelassen werden. Er wurde sehr knapp vor der mündlichen Verhandlung und ohne Begründung für die späte Einreichung eingereicht. Darüber hinaus werfe der Gegenstand des Antrags neue Fragen bezüglich der ursprünglichen Offenbarung und Klarheit auf.
Hilfsanträge 1 und 2 - unzulässige Erweiterung in Merkmal M4
Merkmal M4 sei unverändert im Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 2 vorhanden. Somit gehen auch diese Anträge über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus.
VI. Die Patentinhaberin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Zulässigkeit der Beschwerden
Die Zulässigkeit einer Beschwerde sei zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens zu prüfen. Der Einwand der fehlenden Zulässigkeit sei daher in das Verfahren zuzulassen. Die Beschwerde der Einsprechenden I sei nicht zulässig, da die Firma "Wabco GmbH" bei der Einlegung der Beschwerde nicht mehr existiert hat und die Beschwerdeführerin I somit nicht identifizierbar gewesen sei. Die Beschwerde der Einsprechenden II sei nicht zulässig, da sie ungerechtfertigter Weise die ermäßigte Beschwerdegebühr entrichtet hatte.
Hauptantrag - Unzulässige Erweiterung in Merkmal M4
Merkmal M4 des Anspruchs 1 des Hauptantrags und der Hilfsanträge 1 und 2 gehe nicht über die ursprünglich eingereichte Anmeldung hinaus. Der hinzugefügte Wortlaut beziehe sich auf den Überdeckungsbereich und ändere nichts an der Auslegung dieses Begriffes oder dem Gegenstand des Merkmals M4.
Hilfsantrag 0 - Zulassung
Hilfsantrag 0 sollte in das Verfahren zugelassen werden. Erst die Kammer hatte in ihrem Bescheid den Anspruch so ausgelegt, dass Merkmal M4 eine rein axiale Überdeckung der Eindellung mit dem Funktionsteil umfasse. Als Reaktion auf diesen außergewöhnlichen Umstand wurde Hilfsantrag 0 eingereicht. Die geringfügigen Änderungen im Anspruch 1 dieses Antrags räumten die Einwände zu Merkmal M4 aus.
Entscheidungsgründe
1. Der Antrag auf Nichtzulassung der Einwände bezüglich der Zulässigkeit der Beschwerden ist zurückzuweisen.
1.1 Mit Schreiben vom 30. Oktober 2023, eingegangen am 3. November 2023, also ungefähr eine Woche vor der mündlichen Verhandlung, hat die Beschwerdegegnerin zum ersten Mal im Verfahren die Zulässigkeit der beiden Beschwerden angezweifelt. Beide Einsprechenden haben beantragt, diese Einwände nicht zuzulassen. Die Einsprechende II hat auf T 670/09 verwiesen, bei der das Fehlen der Zulässigkeitsvoraussetzung der Regel 99 (2) EPÜ zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung geltend gemacht wurde, und dieser Einwand nicht mehr berücksichtigt wurde (Gründe 1.1.1 bis 1.1.3).
1.2 Nach Ansicht der Kammer ist die Zulässigkeit der Beschwerde von Amts wegen zu prüfen und die Zulässigkeit ist grundsätzlich eine Bedingung dafür, dass die Beschwerdekammer dann prüfen kann, ob die Beschwerde begründet ist (siehe auch Artikel 110 Satz 1 EPÜ). Die Zulässigkeit der Beschwerde ist daher zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens von den Beschwerdekammern zu prüfen, sogar noch in der mündlichen Verhandlung. Insofern schließt sich die Kammer der Ansicht der ständigen Rechtsprechung an (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammer, 10. Auflage, V.A.2.7) und folgt insoweit nicht der Ansicht der von der Einsprechenden II zitierten Entscheidung. Der Antrag auf Nichtzulassung der Einwände der fehlenden Zulässigkeit der Beschwerden war daher zurückzuweisen.
2. Die Beschwerde der Einsprechenden I ist zulässig.
2.1 Die Beschwerdegegnerin brachte vor, dass die Einsprechende I (ZF CV Systems Hannover GmbH) ihre Beschwerde als Wabco GmbH erhoben hatte. Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin gab es dieses Unternehmen zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung nicht mehr. Vielmehr hieß das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt bereits "ZF CV Systems Hannover GmbH".
2.2 Die Kammer stellt fest, dass die Einsprechende I unter "Wabco GmbH" firmierte, der Name des Unternehmens dann aber vor Beschwerdeeinlegung in "ZF CV Systems Hannover GmbH" geändert wurde. Diese Änderung wurde dem EPA nach Einlegung der Beschwerde mitgeteilt. Dabei handelt es sich allerdings lediglich um eine Änderung des Namens (der Firma) und nicht etwa zum Beispiel um eine Änderung der Gesellschaftsform. Das Unternehmen gab es demnach entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde noch. Dies unterscheidet den vorliegenden Fall z. B. von dem einer zwischenzeitlich eingetretenen Gesamtrechtsnachfolge (wobei selbst in dieser Situation die Zulässigkeit der Beschwerde anerkannt wurde, siehe T 1421/05).
2.3 Bei der Zulässigkeitsvoraussetzung der Regel 99 (1) a) EPÜ kommt es darauf an, ob die Angaben in der Beschwerdeschrift ausreichen, um den Beteiligten zu identifizieren (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammer, 10. Auflage, V.A.2.5.2 a)). Vorliegend war die Beschwerde unter dem Namen der "Wabco GmbH" eingelegt worden, also unter dem Namen der im Einspruchsverfahren handelnden Einsprechenden I. Die Beteiligte war also nicht nur eindeutig identifizierbar, sondern in der Beschwerdeschrift eindeutig identifiziert, sodass keine Zweifel an der Identität der Beteiligten gegeben sein konnten. Dass dieses Unternehmen zwischenzeitlich den Namen gewechselt hat, ist insoweit nicht relevant.
2.4 Im Übrigen führt ein Mangel bei der Namensangabe im Sinne von Regel 99 (1) a) EPÜ nicht automatisch zur Unzulässigkeit der Beschwerde. Falls die Beschwerdekammern den Verfahrensbeteiligten z. B. für nicht ausreichend identifiziert hält, hat sie auf den Mangel hinzuweisen und muss den Beschwerdeführer aufzufordern, innerhalb einer zu bestimmenden Frist die festgestellten Mängel zu beseitigen (Regel 101 (2) EPÜ). Erst wenn dieser Mangel nicht rechtzeitig beseitigt wird, kann die Beschwerdekammer die Beschwerde als unzulässig verwerfen. Da im vorliegenden Fall keine entsprechende Mitteilung erfolgte, kommt eine Verwerfung der Beschwerde auch aus diesem Grund nicht in Betracht.
3. Die Beschwerde der Einsprechenden II gilt als nicht eingelegt.
3.1 Die Beschwerdegegnerin machte geltend, dass die Einsprechenden II lediglich die ermäßigte Beschwerdegebühr entrichtet hat, obwohl sie die Voraussetzungen eines kleinen und mittleren Unternehmens (KMU) nicht erfüllte.
3.2 Die Einsprechende II räumte ein, dass sie kein KMU war und dass die Zahlung der ermäßigten Beschwerdegebühr irrtümlich erfolgte. Einen ursprünglich gestellten Antrag auf Berichtigung des Formulars zur Entrichtung der Gebühr gemäß Regel 139 EPÜ zog sie während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer zurück.
3.3 Die korrekte Beschwerdegebühr (in voller Höhe) wurde erst kurz vor der mündlichen Verhandlung entrichtet. Die Einsprechende II hat die Beschwerdegebühr in korrekter Höhe nicht innerhalb der Frist nach Artikel 108 Satz 1 EPÜ entrichtet. Nach Artikel 108 Satz 2 EPÜ gilt die Beschwerde als nicht eingelegt.
3.4 Während der mündlichen Verhandlung berief sich die Einsprechende II auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Demnach habe sie die ermäßigte Gebühr deutlich vor dem Ablauf der Frist entrichtet, sodass genügend Zeit gewesen wäre, sie auf diesen offensichtlichen Mangel hinzuweisen.
Dieser Vortrag hat die Kammer nicht überzeugt.
Der Grundsatz des Vertrauensschutzes verpflichtet die Beschwerdekammern grundsätzlich nicht dazu, einen Beschwerdeführer auch dann darauf aufmerksam zu machen, dass eine Beschwerdegebühr noch aussteht, wenn er die
Beschwerde so frühzeitig eingereicht hat, dass er die Gebühr noch rechtzeitig entrichten könnte (siehe G 2/97, Leitsatz). Ein Beschwerdeführer kann seine Verantwortung für die Erfüllung der Voraussetzungen für eine zulässige Beschwerde nicht auf die Beschwerdekammer abwälzen (G 2/97, Gründe 4.2).
Diese Grundsätze gelten nach Ansicht der Kammer auch für den vorliegenden Fall der Entrichtung der fälschlich gezahlten ermäßigten Beschwerdegebühr. Allein aus diesem Grund kann eine Berufung auf den Vertrauensschutz nicht dazu führen, dass die Zahlung der Gebühr in korrekter (voller) Höhe angenommen werden kann.
Im vorliegenden Fall konnte darüber hinaus die Einsprechende II auch nicht erwarten, vom EPA darauf hingewiesen zu werden, dass die falsche Beschwerdegebühr gezahlt wurde. Ihrer Beschwerdeschrift, dem Formular zur Zahlung der Gebühr oder einer anderen Eingabe ist nichts zu entnehmen, was offensichtlich einer Klärung oder Erinnerung bedurft hätte. Im Gegenteil waren die Eingaben eindeutig: Die Beschwerdeschrift gab an, dass die amtliche Beschwerdegebühr in Höhe von 1.955,00 ¤ (Gebühren Nr. 011) vom laufenden Konto entrichtet werden würde. Dieser Betrag entspricht der ermäßigten Gebühr. Das Begleitschreiben für nachgereichte Unterlagen (Formblatt 1038) enthält die Information, dass die ermäßigte Beschwerdegebühr (in Höhe von 1.955,00 ¤) vom laufenden Konto abzubuchen ist. Ein von der Einsprechenden II behaupteter, für die Kammer "offensichtlich" vorliegender Mangel war also nicht gegeben.
4. Hauptantrag (erteilte Fassung) - Unzulässige Erweiterung in Merkmal M4
Anspruch 1 des Hauptantrags geht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus.
4.1 Im Prüfungsverfahren wurde das Merkmal M4, wonach der Bremszylinder (1) zumindest im Überdeckungsbereich mit dem mindestens einen Funktionsteil (4, 5) mit mindestens einer Eindellung (9, 10) versehen ist folgendermaßen geändert (Hinzufügung unterstrichen):
"wobei eine Mantelfläche (15) eines dem Flansch (3) des Bremssattels (2) nahen Gehäuseteils (7) des Bremszylinders (1) zumindest im Überdeckungsbereich axial zum Bremszylinder mit dem mindestens einen Funktionsteil (4, 5) mit mindestens einer Eindellung (9, 10) versehen ist,"
Es ist unstreitig, dass der Wortlaut des erteilten Merkmals M4 nicht verbatim in der Beschreibung offenbart ist und dass sein Gegenstand nur aus der Gesamtheit der Anmeldung und den Figuren - insbesondere aus Figur 1 - entnommen werden könnte.
4.2 Selbst wenn der Beschwerdegegnerin darin gefolgt wird, dass sich der Wortlaut "axial zum Bremszylinder" auf den Überdeckungsbereich und nicht auf die Richtung der Erstreckung der Eindellung beziehen sollte, ist das Merkmal M4 nicht ursprünglich offenbart.
Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, versteht der Fachmann unter dem Begriff "Überdeckungsbereich" ohne weitere Spezifikationen - wie im ursprünglichen Merkmal M4 - bei dreidimensionalen Teilen eine Überdeckung sowohl in axialer als auch in radialer Richtung. Dies hat zur Folge, dass die Eindellung in der Mantelfläche das Funktionsteil sowohl axial als auch radial überdeckt.
Im erteilten Merkmal M4 wurde jedoch spezifiziert, dass der Überdeckungsbereich "axial zum Bremszylinder" sein solle. Da davon auszugehen ist, dass diese hinzugefügte Spezifizierung einen technischen Inhalt hat, verschiebt sich auch die Bedeutung des Merkmals. Unter diesem Wortlaut des erteilten Merkmals kann auch eine ausschließlich axiale Überdeckung der Eindellung auf der Mantelfläche des Bremszylinders mit dem Funktionsteil verstanden werden. Also eine Anordnung, bei der die Eindellung der Mantelfläche des Bremszylinders das Funktionsteil zwar axial, nicht jedoch radial überdeckt und somit ohne dass das Funktionsteil in die Eindellung hineinragt.
Eine solche Auslegung ist technisch durchaus sinnvoll und daher nicht auszuschließen, weil Eindellungen zu unterschiedlichen technischen Zwecken eingesetzt werden können, wie z. B. um die Steifigkeit einer Oberfläche zu erhöhen.
Jedoch ist diese - vom Anspruch umfasste - relative Lage des Bremszylinders und des Funktionsteils der in Figur 1 in Perspektive dargestellten Ausführungsform nicht zu entnehmen.
Merkmal M4 des Anspruchs 1 des Hauptantrags (erteilte Fassung) geht daher über den Gegenstand der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus. Folglich steht der Einspruchsgrund unter Artikel 100 c) EPÜ eine Aufrechterhaltung des erteilten Patents entgegen.
5. Der Hilfsantrag 0 wurde nicht in das Verfahren zugelassen.
5.1 Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin wurde in der Mitteilung der Kammer zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung zum ersten Mal im Verfahren eine technisch sinnvolle Auslegung des Anspruchs 1 des Hauptantrags erwähnt, die dazu führen würde, dass der Gegenstand des Anspruchs nicht ursprungsoffenbart war. Darauf habe sie dann mit dem Hilfsantrag 0 reagiert. Im Übrigen sei die Änderung leicht zu verstehen und räume den zum Hauptantrag erhobenen Einwand aus.
5.2 Nach Ansicht der Kammer liegen keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne von Artikel 13 (2) VOBK 2020 vor.
Wenn die Einreichung des Hilfsantrags 0 tatsächlich eine Reaktion auf die Mitteilung der Kammer gewesen sein sollte, hätte dieser Antrag bereits zeitnah nach Zustellung der Mitteilung (vom 23. August 2023) eingereicht werden sollen, und nicht erst mit Schreiben vom 3. November 2023, und damit wenige Tage vor der mündlichen Verhandlung (10. November 2023). Darüber hinaus war die Frage, die zu der Nicht-Gewährbarkeit des Hauptantrags führte, bereits von der Einsprechenden I in ihrer Beschwerdebegründung angesprochen worden (s. Seite 10 mit Hinweis auf eine radiale Richtung). Die Kammer mag diese Argumentationslinie dann in ihrer Mitteilung näher erklärt und ausgeführt haben, aber die Beschwerdegegnerin hatte dennoch Anlass gehabt, zusammen mit ihrer Beschwerdeerwiderung mit einem Hilfsantrag auf diesen Einwand zu reagieren. Im Übrigen wird mit dieser Änderung unter anderem der Begriff "radial" in den Anspruch 1 eingeführt, um damit der Beschränkung des Überdeckungsbereichs auf "axial" und damit der Bedeutungsverschiebung des Merkmals (siehe Punkt 4.2 oben) entgegenzuwirken. Allerdings ist dieser Begriff "radial" in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht enthalten, sodass zum ersten Mal die Frage zu beantworten gewesen wäre, ob der nun geänderte Gegenstand dennoch eindeutig und unmittelbar in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung offenbart ist. Daher ist auch nicht von einer prima facie Gewährbarkeit auszugehen, vielmehr gäbe diese Änderung einen Anlass zu neuen Einwänden.
6. Hilfsanträge 1 und 2 - Unzulässige Erweiterung in Merkmal M4
Merkmal M4 ist auch in Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 2 vorhanden.
Die in dem jeweiligen Anspruch 1 vorgenommenen Änderungen ändern nicht die Auslegung des Merkmals M4. Dies wurde von der Beschwerdegegnerin auch nicht bestritten.
Der jeweilige Anspruch 1 der Hilfsanträge 1 und 2 geht somit wegen der zum Hauptantrag genannten Gründe ebenso über den Inhalt der ursprünglichen Offenbarung hinaus. Hilfsanträge 1 und 2 verstoßen daher gegen Artikel 123 (2) EPÜ und sind folglich nicht gewährbar.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin I ist zulässig.
2. Die Beschwerde der Einsprechenden II gilt als nicht eingelegt.
3. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
4. Das Patent wird widerrufen.