T 0092/21 () of 19.9.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T009221.20220919
Datum der Entscheidung: 19 September 2022
Aktenzeichen: T 0092/21
Anmeldenummer: 13002417.7
IPC-Klasse: F02C 1/10
F02C 7/143
F03G 7/10
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Verfahren und Exergiekraftwerk zur dezentralen Stromerzeugung
Name des Anmelders: Labentz, Peter Richard
Name des Einsprechenden: -
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 111(1)
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 011
Schlagwörter: Ausreichende Offenbarung - (ja)
Beschwerdeentscheidung - Zurückverweisung an die erste Instanz (ja)
Zurückverweisung - besondere Gründe für Zurückverweisung
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
-
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1473/19
T 0177/22

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 13002417.7 nach Artikel 97 (2) EPÜ zurückzuweisen.

II. Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass die Erfindung gemäß dem am 14. August 2020 in elektronischer Form eingereichten Hauptantrag und der mit selbem Datum eingereichten Hilfsanträge 2-6 in der Anmeldung nicht so vollständig und deutlich offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen kann, so dass die Anmeldung und die Erfindung, die sie zum Gegenstand hat, nicht den Erfordernissen des EPÜ genügen. Der während der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung eingereichte Hilfsantrag 2a wurde nicht zugelassen.

III. Der Beschwerdeführer beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf Basis des vorangehend genannten Hauptantrags, hilfsweise eine Zurückverweisung an die Prüfungsabteilung zur weiteren Prüfung des Hauptantrags, weiterhin hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf Basis eines der vorangehend genannten Hilfsanträge.

IV. Der für diese Entscheidung relevante unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"Das Exergiekraftwerk (43) ist ein System physikalischer Überdruckenergie E/m, die in Form einer bestimmten Gasmenge (-44-) mit zeitlicher Konstanz im System (43), als Exergie-Anteil reversibel nutzbar, die in Wirkverbindung mit einer Antriebseinrichtung (20,21 ), die Gasmenge (-44-) in dem Gasraum (16) durch Hydraulik-Druckstempelverschiebung (10) in zwei volumen-variable Gasräume (16a, 16b) unterteilt, die Gasmenge (-44-) durch Druckausgleich im System (43), auf umkehrbarem Weg bewegt, durch ober- und unterschlächtige Druckleitungen (32,33) geführt, mindestens ein Laufradgehäuse (45) wechselseitig durchströmt, an der Laufradwelle (28) zugeführt, mindestens eine Laufradturbine (27) ober- oder unterschlächtig beaufschlagt, spezifische technische Arbeit leistet, die in Wellenarbeit umgesetzt, über die Systemgrenze transportiert, mit elektrischen Generatoren gekoppelt, Strom erzeugt, der dann einer technischen Nutzung zugeführt wird."

V. Der Beschwerdeführer hat zu den entscheidungserheblichen Punkten Folgendes vorgetragen:

Die in Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Erfindung sei so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Daher solle die Zurückweisung der Patentanmeldung durch die Prüfungsabteilung aufgehoben werden und die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen werden.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Anwendungsgebiet der Erfindung

Die Patentanmeldung betrifft ein Exergiekraftwerk. Exergie ist der für die Verrichtung von Arbeit nutzbare Teil der Gesamtenergie. Bei diesem Kraftwerk ist die Energie in Druckluft enthalten, die in einem Gasdruckbehälter 1 in Form einer zeitlich konstanten Gasmasse gespeichert ist und durch die Bewegung eines Kolbens 15 als Gasmassenstrom einer Laufradturbine 27 zugeführt wird, wo die Energie durch Entspannung des Gasmassenstroms entnommen und anschließend in Generatoren zur Stromgewinnung eingesetzt wird.

Das Innere des Gasdruckbehälters 1 bildet einen Gasraum 16, der von einem hydraulisch mittels zweier Druckstempel 10 verschiebbaren Kolben 15 in zwei volumenvariable Gasräume 16a, 16b unterteilt wird. Das für die Verschiebung der Druckstempel nötige Hydraulikfluid wird durch eine Antriebseinrichtung bereitgestellt, die z.B. aus einer Hydraulikpumpe 20 und einem die Pumpe antreibenden Elektromotor 21 besteht. Die beiden Gasräume 16a, 16b sind über Druckleitungen 32, 33 mit dem Laufradgehäuse 45 der Laufradturbine verbunden. Einer der beiden volumenvariablen Gasräume kann zu Beginn z.B. über den Kompressoranschluss 42 mit einer Gasmasse befüllt und unter Druck gesetzt werden, was implizit aus dem Begriff Überdruckenergie folgt. Anschließend wird während eines zyklischen Verfahrens zuerst der unter Druck stehende Gasraum über das Laufradgehäuse der Laufradturbine in den zweiten Gasraum entspannt, woraufhin der zweite Gasraum erneut unter Druck gesetzt und danach in umgekehrter Fließrichtung über die Laufradturbine in den ersten Gasraum entspannt wird usw.

Bei jeder Entspannung eines Druckraums wird die Laufradturbine vom Gasmassenstrom durchströmt, wodurch die mit der Laufradturbine gekoppelten elektrischen Generatoren Strom erzeugen. Auf diese Weise kann die mit dem Gasmassenstrom mitgeführte Überdruckenergie in elektrische Energie umgeformt werden, siehe Seite 1, Zeilen 16-22 der ursprünglich eingereichten Anmeldung.

3. Ausreichende Offenbarung

Der Patentanmelder bestreitet den Befund der Entscheidung, wonach das Exergiekraftwerk gemäß Hauptantrag nicht ausreichend offenbart sei.

3.1 Die Zurückweisung des Hauptantrags wurde von der Prüfungsabteilung damit begründet, dass ein Widerspruch zum Ersten Hauptsatz der Thermodynamik - also dem Energieerhaltungssatz, wonach Energien ineinander umwandelbar sind, aber insbesondere nicht gebildet werden können - vorliege. Dabei vertrat die Abteilung die Auffassung, dass der Hauptantrag im Lichte bestimmter Formulierungen in der Beschreibung auf ein Kraftwerk gerichtet sei, bei dem die am Generator abgenommene Energie größer als die am Elektromotor der Hydraulikpumpe eingespeiste Energie sei, was nicht im Rahmen der physikalischen Gesetze liege.

3.2 Die angefochtene Entscheidung beruht auf der Annahme, dass im vorliegenden Fall Aussagen in der Beschreibung die ausreichende Offenbarung der Erfindung in Frage stellen können. Die Kammer stimmt der Prüfungsabteilung darin zu, dass bezüglich Artikel 83 EPÜ die gesamte Anmeldung betrachtet werden muss, siehe die entsprechende Aussage im zweiten Absatz auf Seite 9 der Entscheidungsgründe. Dieses in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern genannte Konzept ist jedoch in einem positiven Sinne zu verstehen. Demnach kann die Ausführbarkeit bejaht werden, selbst wenn die Ansprüche Lücken haben, da die Beschreibung und Zeichnungen (und ggf. das Fachwissen) ergänzend herangezogen werden können. Dagegen darf in Anwendung dieses Prinzips ein seinem Wortlaut nach ausreichend offenbarter Anspruch nicht deswegen als nicht-ausreichend offenbart angesehen werden, weil die Beschreibung zweifelhafte Passagen enthält. Das folgt aus der einheitlichen Verwendung des Begriffs "Erfindung" in den Artikeln 54, 56 und 83 EPÜ, so dass jeweils nur die in den Ansprüchen definierte Erfindung zu prüfen ist.

3.3 Die Kammer muss darum nun prüfen, ob die in Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Erfindung so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Nach ständiger Rechtsprechung liest der Fachmann einen Anspruch mit der Bereitschaft, diesen auf technisch sinnvolle Weise zu verstehen.

3.3.1 Bei einer am Verständnis orientierten Auslegung wird der Fachmann das Merkmal "ein System physikalischer Überdruckenergie E/m, die in Form einer bestimmten Gasmenge mit zeitlicher Konstanz im System, als Exergie-Anteil reversibel nutzbar ist" in Anspruch 1 des Hauptantrags dahingehend verstehen, dass eine in das System aus Druckbehälter, Druckleitungen und Laufradturbine eingebrachte Gasmasse nicht entweichen soll, mithin zeitlich konstant ist.

Das kann der Fachmann anhand seines Fachwissens dadurch erreichen, dass er das System abdichtet und mit einem Füllanschluss wie z.B. dem in der Figur 1 gezeigten Kompressoranschluss 42 ausstattet. Über einen solchen Anschluss lässt sich die in das System eingebrachte Gasmasse unter Druck setzen, damit sie Überdruckenergie aufweist. Sollte der Fachmann nur einen der volumenvariablen Gasräume unter Überdruck setzen wollen, wird er anhand seines Fachwissens noch ein Schaltventil in der von diesem Gasraum zur Laufradturbine führenden oberschlächtigen bzw. unterschlächtigen Druckleitung anordnen. Sollte er beide Gasräume abwechselnd unter Überdruck setzen wollen, wird er in jeder der beiden Druckleitungen ein solches Schaltventil anordnen und eine entsprechende Schaltlogik für diese Ventile vorsehen. Beide Maßnahmen betreffen aus Sicht der Kammer grundlegende Fertigkeiten des Fachmannes, so dass dazu keine Angaben in der Patentanmeldung nötig sind.

3.3.2 Das weitere Merkmal "die in Wirkverbindung mit einer Antriebseinrichtung, die Gasmenge in dem Gasraum durch Hydraulik-Druckstempelverschiebung in zwei volumen-variable Gasräume unterteilt" in Anspruch 1 des Hauptantrags wird der Fachmann bei einer am Verständnis orientierten Auslegung so verstehen, dass eine hydraulische Antriebseinrichtung auf das Gas einwirken muss.

Anhand der Figur 1 kann der Fachmann diese Antriebseinrichtung in die Praxis umsetzen, indem er das Innere des Druckbehälters mittels eines darin angeordneten hydraulisch angetriebenen Kolbens in zwei volumen-variable Gasräume unterteilt. Wegen der Forderung, das Gas auf umkehrbarem Weg durch die Druckleitungen zu bewegen, muss dieser Kolben hydraulisch in zwei entgegengesetzte Richtungen bewegt werden können. Ebenfalls anhand der Figur 1 kann der Fachmann das in die Praxis umsetzen, indem er oberhalb und unterhalb des Kolbens jeweils einen hydraulischen Druckstempel - also in der Länge verstellbare Hydraulikzylinder - anordnet, die über Leitungen von einer Hydraulikpumpe mit Hydraulikfluid versorgt werden. In Figur 1 wird dazu eine Hydraulik-Verstellpumpe 20 durch einen extern mit elektrischer Energie versorgten Elektromotor 21 angetrieben. Sollte der Fachmann zudem die oben genannten Schaltventile in den beiden Druckleitungen angeordnet haben, lässt sich bei geschlossenen Schaltventilen einer der beiden Gasräume mit dem hydraulisch angetriebnen Kolben unter Überdruck setzen, während im anderen Gasraum gleichzeitig ein Unterdruck entsteht. Werden danach beide Schaltventile geöffnet, setzt ein Gasmassenstrom von dem unter Überdruck stehenden Gasraum durch die Turbine in den anderen Gasraum ein.

3.3.3 Schließlich muss der Fachmann laut Anspruch 1 des Hauptantrags dafür sorgen, dass der Gasmassenstrom mindestens ein Laufradgehäuse wechselseitig durchströmt, an der Laufradwelle zugeführt wird und mindestens eine Laufradturbine ober- oder unterschlächtig beaufschlagt.

Das kann der Fachmann anhand der Figur 2 dadurch in die Praxis umsetzen, dass er die eine Druckleitung 32 oberhalb und die andere Druckleitung 33 unterhalb der Laufradwelle 28 der Turbine 27 an deren Turbinengehäuse 45 anschließt. Bei dieser Anordnung kann ein infolge der Bewegung des Kolbens und ggf. der vorherigen Kompression bei anschließender Entspannung strömender Gasmassenstrom in der Turbine spezifische technische Arbeit leisten, also Energie an die Turbine abgeben. Diese Energie - oder Wellenarbeit im Anspruchswortlaut - kann über die Systemgrenze der in den Figuren dargestellten Anordnung aus Druckbehälter und Laufradturbine transportiert werden, indem die Laufradturbine mit elektrischen Generatoren gekoppelt wird, z.B. indem die Laufradwelle der Turbine mechanisch mit der Rotorwelle des Generators verbunden wird, und dort Strom erzeugt. Der Strom kann dann einer technischen Nutzung zugeführt werden.

3.3.4 Aus alledem schließt die Kammer, dass Anspruch 1 des Hauptantrags bei einer am Verständnis orientierten Auslegung vom Fachmann für die Umsetzung der beanspruchten Vorrichtung in die Praxis keine Überlegungen verlangt, die über sein Fachwissen hinausgehen.

3.4 Insbesondere verlangt Anspruch 1 des Hauptantrags nicht, dass mehr Wellenarbeit in der Turbine geleistet wird bzw. mehr elektrische Energie in den Generatoren erzeugt wird, als vorher an elektrischer Energie vom Elektromotor 21 der Hydraulikpumpe und ggf. zusätzlich vom Antrieb des Kompressors am Kompressoranschluss 42 aufgenommen wurde. Dem Fachmann ist dabei klar, dass der Erste Hauptsatz der Thermodynamik aufgrund der unvermeidbaren Reibungs- und Wärmeverluste im beanspruchten System bedingt, dass die von der Laufradturbinen angetriebenen Generatoren weniger elektrische Energie erzeugen als von den Verbrauchern des Systems aufgenommen wird.

3.5 Aus diesen Gründen offenbart die Patentanmeldung die in Anspruch 1 des Hauptantrags definierte Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann, Artikel 83 EPÜ.

4. Zurückverweisung

4.1 Der Beschwerdeführer hat hilfsweise beantragt, dass die Sache zur weiteren Entscheidung auf Grundlage des Hauptantrags an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen werden solle.

4.2 Die Beschwerdekammer wird gemäß Artikel 111 (1) EPÜ entweder im Rahmen der Zuständigkeit des Organs tätig, das die Entscheidung erlassen hat, oder sie verweist die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an dieses Organ zurück. Dabei ist das Verfahren vor den Beschwerdekammern auch im ex parte Verfahren primär auf die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung abgestellt. Ob die Beschwerdekammer in der Sache selbst entscheidet oder die Angelegenheit zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung verweist (Art. 111(1) Satz 2 EPÜ), hat sie nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind die maßgebenden Umstände des Einzelfalles in Betracht zu ziehen und insbesondere abzuwägen, ob noch weitere Ermittlungen anzustellen sind, ob sich der Sachverhalt gegenüber dem angefochtenen Beschluss erheblich geändert hat, und welche Stellung der Anmelder zum "Instanzverlust" einnimmt. Welche Bedeutung den einzelnen Erwägungen zukommt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (siehe G10/93, Punkte 4 und 5 der Entscheidungsgründe).

4.3 Im vorliegenden Fall wurde die Anmeldung alleine unter Verweis auf Artikel 83 EPÜ wegen vermeintlich nicht ausreichender Offenbarung der Erfindung zurückgewiesen. Die Erfordernisse der Zulässigkeit der Änderungen gegenüber der ursprünglich eingereichten Fassung der Patentanmeldung nach Artikel 123(2) EPÜ, der Klarheit, der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit wurden dagegen nicht untersucht. Zudem beantragt auch der Beschwerdeführer, dass die Sache zur weiteren Entscheidung auf Grundlage des Hauptantrags an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen werden solle.

4.4 Nach Auffassung der Kammer stellt das im vorliegenden Fall besondere Gründe dar, die eine Zurückverweisung der Sache an die Prüfungsabteilung nach Artikel 11 VOBK 2020 rechtfertigen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.

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