T 1797/20 () of 26.6.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T179720.20230626
Datum der Entscheidung: 26 Juni 2023
Aktenzeichen: T 1797/20
Anmeldenummer: 07803004.6
IPC-Klasse: A47L 15/44
D06F 39/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: KARTUSCHE FÜR EIN WASSERFÜHRENDES HAUSHALTSGERÄT MIT EINEM REINIGUNGSMITTELDOSIERSYSTEM
Name des Anmelders: BSH Hausgeräte GmbH
Name des Einsprechenden: HENKEL AG & CO. KGAA
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - weder benachbartes Fachgebiet, noch allgemeines Fachwissen
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 1787/20
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen.

In dieser hatte die Einspruchsabteilung u.a. festgestellt, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

II. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 hat sich die Kammer vorläufig der Auffassung der Einspruchsabteilung ebenso angeschlossen wie den Feststellungen, die die Kammer in anderer Besetzung im Parallelverfahren T1787/20 hinsichtlich des zuständigen Fachmanns getroffen hat.

III. Am 26. Juni 2023 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer in Form einer Videokonferenz unter Beteiligung aller Parteien statt.

IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

V. Der unabhängige Anspruch des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"Kartusche für ein wasserführendes Haushaltsgerät, insbesondere eine Haushalts-Geschirrspülmaschine, die ein Reinigungsmitteldosiersystem (10) aufweist, das wenigstens einen Reinigungsmittelspender (11) zur Aufnahme wenigstens einer Kartusche (50) aufweist, wobei die Kartusche (50) getrennte Kammern (51a,..., 51e) zur Bevorratung von wenigstens zwei Reinigungsmittel aufweist und jede Kammer (51a,..., 51e) ein Aufnahmevolumen für die Bevorratung von Reinigungsmittel aufweist, das größer als die für einen Spülzyklus benötigten Menge ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

neben den Kammern (51a,..., 51e) zur Aufnahme der Reinigungsmittel eine Belüftungskammer (52) vorgesehen ist, welche in Verbindung mit den die Reinigungsmittel beinhaltenden Kammern (51a, ..., 51e) steht."

VI. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

D9: WO 2005/058126 A1

D10: US 5 113 199 A

D15: WO 03/014458 A1.

VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Dem Fachmann sei geläufig, dass für eine verbesserte Entleerung eines mit Flüssigkeit gefüllten Hohlraums eine Belüftung vorgesehen werden kann. Dies gälte gleichermaßen für mit Reinigungsmitteln gefüllte Kammern in einer Kartusche für ein wasserführendes Haushaltsgerät gemäß D9 wie für mit Tinte gefüllte Kammern in einer Kartusche für Tintenstrahldrucker. Mit letzteren ist der Fachmann allgemein aus dem täglichen Leben vertraut. Folglich würde er auch auf dem Gebiet der Tintenstrahldrucker nach geeigneten Lösungen suchen und in naheliegender Weise die der D10 als Gesamtkonzept auf die Kartusche nach D9 übertragen.

Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Der Fachmann hat keine spezifischen Kenntnisse über Kartuschen von Tintenstrahldruckern, die ihn zu einer Recherche dort veranlassen würden. D10 fände er nicht in naheliegender Weise. Das Konzept aus D10 hielte er überdies nicht für geeignet für eine Verwendung in einem wasserführenden Haushaltsgerät.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Das Patent und sein technischer Hintergrund

Das Patent hat eine Kartusche als Teil eines Reinigungsmitteldosiersystems für ein wasserführendes Haushaltsgerät, insbesondere eine Geschirrspülmaschine, zum Gegenstand. Die Kartusche soll in einen Reinigungsmittelspender des Reinigungsmitteldosiersystems aufnehmbar sein. Sie weist voneinander getrennte Kammern auf zur Bevorratung von wenigstens zwei Reinigungsmitteln in einer Menge, die für mehr als einen Spülzyklus ausreicht. Aufgrund der getrennten Kammern kann in einem bestimmten Abschnitt des Spülzyklus lediglich dasjenige Reinigungsmittel zudosiert werden, das für diesen Spülabschnitt tatsächlich notwendig ist.

Neben den Kammern zur Aufnahme der Reinigungsmittel ist eine Belüftungskammer vorgesehen, die in Verbindung mit den Kammern steht. Dadurch wird sichergestellt, dass sich mit zunehmender Entleerung der Kammern darin kein Unterdruck aufbauen kann, wodurch das Zugeben der Reinigungsmittel zur Spülflotte erschwert wird, oder wodurch ggf. das Reinigungsmittel in nicht korrekter Menge zugegeben wird, siehe Absatz [0012] der Patentschrift.

3. Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D9

3.1 Unstreitig offenbart D9 eine Kartusche für eine Haushalts-Geschirrspülmaschine mit den Merkmalen des Oberbegriffs von Anspruch 1, insbesondere mit getrennten Kammern 4 - 8 zur Bevorratung von fünf Reinigungsmitteln A - E, siehe Absätze [0035] - [0037] und Fig. 1, 2.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich dadurch von der aus D9 bekannten Kartusche, dass eine Belüftungskammer vorgesehen ist, die in Verbindung mit den die Reinigungsmittel beinhaltenden Kammern steht.

3.2 In Absatz [0012] des Patents sind als technische Wirkungen dieses Unterschieds angegeben, dass dadurch Unterdruck und damit eine erschwerte Abgabe von Reinigungsmittel vermieden wird. Daraus lässt sich die in Absatz [0005] angegebene Aufgabe ableiten, die Entleerung der Kartusche zu erleichtern bzw. zu verbessern.

3.3 Der Fachmann ist vorliegend ein Diplom-Ingenieur, der über besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der wasserführenden Haushaltsgeräte verfügt. Daneben hat er auch grundlegende Kenntnisse der Fluidmechanik und allgemeine Lebenserfahrung. Daher wird er zur Lösung der Aufgabe neben z.B. einer Verbesserung der Mikrodosierpumpen 9 aus D9 auch eine Belüftung der Kammern 4 - 8 in Betracht ziehen (Fig. 2). Denn durch eine Belüftung lässt sich Unterdruck ausgleichen, der ansonsten zwangsläufig bei einer Entleerung der flüssigkeitsgefüllten Kammern auftritt. Dies kommt alltäglich in vielen Bereichen zur Anwendung wie z.B. bei Bierfässern und Benzintanks.

3.4 Dem zuständigen Fachmann sind auch Tintenstrahldrucker und austauschbare Tintenkartuschen dafür grundsätzlich bekannt. Wie jeder "normale" Nutzer ist er mit deren üblichen Problemen konfrontiert, dass beispielsweise die Tinte einer Farbe vorzeitig aufgebraucht ist oder eintrocknet. Darüber hinaus mag er im Gegensatz zu einem Benutzer ohne technische Qualifikation aus technischem Interesse auch Grundprinzipien der Funktionsweise von handelsüblichen Geräten kennen, wie BubbleJet, bei denen einzelne Tintentropfen präzise dosiert aus einer Düse "geschossen" werden. Es geht aber zu weit, anzunehmen, er wüsste auch über das Innenleben von Tintenkartuschen genauer Bescheid, ginge davon aus, dass hier ebenfalls ein entsprechendes Entleerungsproblem besteht oder sähe unmittelbar eine Analogie zwischen Reinigungsmittelkartuschen und Tintenkartuschen. Dies sind nach Ansicht der Kammer doch sehr konstruierte Annahmen der Beschwerdeführerin, um das Dokument D10 ins Spiel zu bringen.

Wenn eine Tinte einer Farbe vor den anderen zur Neige geht, führt der Fachmann das nicht auf mangelhafte Entleerung der anderen Tintenkammern zurück, die es zu verbessern gälte, sondern auf unterschiedlichen Verbrauch. Auch wenn Reinigungsmittel und Tinte beide in flüssiger Form vorliegen, hat er wegen der völlig unterschiedlichen Förderweisen - Schwerkraft oder Mikrodosierpumpen in D9, hochspezialisierte Verfahren bei Tintenstrahldruckern - keinen Anlass, von übereinstimmenden Schwierigkeiten bei der Flüssigkeitsförderung, Dosierung und Entleerung in beiden Fällen auszugehen. Desweiteren spricht die unterschiedliche Art der Flüssigkeiten dagegen, dass der Fachmann hier unmittelbar Parallelen erkennt: auf der einen Seite Chemikalien zur Geschirreinigung, die in der Waschflotte einer Geschirrspülmaschine gelöst werden (D9, Absatz [0010]), auf der anderen Seite in Flüssigkeit gelöste Farbstoffmoleküle bzw. darin schwebende Pigmentpartikel zum Bedrucken von Papier.

Wie die Kammer in anderer Besetzung in Punkt 3.4.2 ihrer Entscheidung im Parallelverfahren T1787/20 festgestellt hat, handelt es sich aus diesen Gründen bei Tintenstrahldruckern in Bezug auf wasserführende Haushaltsgeräte auch nicht um ein benachbartes technisches Gebiet, auf dem der Fachmann nach ständiger Rechtssprechung ebenso Anregungen sucht (RdBK, I.D.8.1.1).

Daher ist die Kammer nicht davon überzeugt, dass sich der Fachmann gezielt auf dem Gebiet der Tintenstrahldrucker nach konkreten Belüftungslösungen für Reinigungsmittelkartuschen umsehen und auf diese Weise D10 auffinden würde.

3.5 Selbst wenn er zufällig auf D10 stieße, schiene ihm die dort offenbarte Kartusche weder offensichtlich zur Lösung des Problems, noch zum Einsatz in einem wasserführenden Haushaltsgerät geeignet zu sein.

D10 offenbart eine Kartusche 24 mit drei Vorratskammern 32a, 32b, 32c für drei Tinten verschiedener Farben. Die drei Vorratskammern kommunizieren über eine Belüftungskammer 36 mit einem Behältnis 40, das mit einer Flüssigkeit wie entionisiertem Wasser gefüllt ist und wiederum über eine flüssigkeitsundurchlässige, aber gasdurchlässige Membran 43 mit der Umgebung in Verbindung steht, Spalte 3, Zeile 51 - Spalte 4, Zeile 22, Fig. 1.

3.6 Bereits bei der Würdigung des Standes der Technik in Spalte 1, Zeilen 25 - 34 wird in D10 die Notwendigkeit betont, einen geregelten Unterdruck am Ausgang der Kammern aufrechtzuerhalten, damit die Tinte dort immer zum Einsatz bereit ansteht (englisch "primed"), also weder heraustropft bei zu geringem Unterdruck, noch sich vom Ausgang zurückzieht ("deprimed") bei zu großem Unterdruck. Nirgends wird als Zweck ausdrücklich eine Belüftung der Tintenkammern 32a, 32b, 32c oder deren verbesserte Entleerung angesprochen, sondern Aufrechterhaltung eines konstanten Gegendrucks ("back pressure"). Um eine verbesserte Entleerung zu erreichen, muss aber Unterdruck gerade vermieden werden und schnellstmöglich ausgeglichen. Dies ist das Prinzip einer Belüftung, selbst wenn sie ein Rückschlagventil aufweist, dass bei Unterdruck sofort eine Verbindung eines zu entleerenden Hohlraums mit der Umgebung herstellt. Daher wird der Fachmann die Lehre der D10 prima facie als kontraproduktiv für die Lösung der Aufgabe ansehen.

Der Unterdruck wird in D10 über ein selbstregulierendes System aufrechterhalten, dass auf komplexen fluidmechanischen und physikalischen Überlegungen beruht. Mit der Membran 43 und dem entionisierten Wasser wird erreicht, dass aus der Umgebung eingetretene Luftblasen erst bei einer bestimmten Größe das Wasser durchqueren und über die Belüftungskammer in die Tintenkammern gelangen. Dies ist für eine Anwendung in der Spülmaschine nach D9 weder sinnvoll, noch nötig. Hier reicht ein wesentlich einfacheres und zugleich robusteres System aus, wie z.B. für jede der einzelnen Kammern für sich eine Verbindung mit der Umgebung herzustellen. Angesichts der unterschiedlichen Art der Flüssigkeiten kann der Fachmann nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass die Lösung der D10 in einem Geschirrspüler genauso funktioniert. Vor allem herrschen dort im Innenraum auch sehr hohe Temperaturen, so dass entweder das entionisierte Wasser selbst teilweise verdampfen würde, oder zusätzlich eine aufwändige Isolierung vorgesehen werden müsste.

3.7 Aus diesen Gründen würde der Fachmann D10 selbst bei deren Kenntnis nicht in naheliegender Weise zur Lösung der Aufgabe heranziehen. Eine andere Anregung für die beanspruchten Merkmale einer mit allen anderen Kammern kommunizierenden Belüftungskammer, die strukturell über die bloße Idee einer Belüftung hinausgehen, findet sich im angezogenen Stand der Technik nicht.

Daher beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von D9 auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

4. Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D15

4.1 In ihrer Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin auch mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von D15 in Kombination mit D10 geltend gemacht.

Die obigen Argumente gegen eine Heranziehung der D10 zur Lösung der Aufgabe gelten mutatis mutandis auch ausgehend von D15. Zudem hat die Kammer in ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK zu D15 als Ausgangsdokument folgendermaßen Stellung genommen:

"Demgegenüber scheint D15 als Ausgangspunkt weniger vielversprechend, denn es betrifft eigentlich ein Waschverfahren zum Waschen von Wäsche wie Textilien und hat einen anderen Schwerpunkt, nämlich die zeitlich versetzte Einbringung verschiedener Gemische reinigungsaktiver Substanzen, Seite 3, dritter Absatz. Hier wird nur in einem einzigen Absatz, dem vorletzten auf Seite 5, kurz von "separaten Dosierbehältern ... , welche vorzugsweise wiederbefüllbar und/oder austauschbar sein können" gesprochen. D15 offenbart demnach nicht nur keine Belüftungskammer, sondern nicht einmal eine Kartusche mit mehreren Kammern.

Dies wird auch durch die Analogie mit "einem mehrfarbigen Inkjet-Farbdrucker mit separaten Vorratstanks" unterstrichen. Auch dort sind einzelne Vorratsbehälter, die nicht in einer Kartusche zusammengefasst ist, separat austauschbar. Dieser Vergleich scheint jedem einleuchtend, der einen Tintenstrahldrucker verwendet oder verwendet hat und dabei einmal eine Tintenpatrone gewechselt hat. Er scheint jedoch darüber hinausgehend weder einen Beleg dafür darzustellen, dass Reinigungsmitteldosierung in Reinigungsgeräten und die Erzeugung von Hochdruck-Tintenstrahlen zum Bedrucken von Papier als zusammenhängende oder auch nur benachbarte Fachgebiete angesehen werden könnten, noch dafür, dass ein Fachmann für wasserführende Reinigungsgeräte aus seinem alltäglichen Leben mit Aufbau, Konstruktion und Wirkungsweise von Inkjet-Patronen vertraut wäre sowie weitgehende Übereinstimmung mit Reinigungsmittel-Kartuschen hinsichtlich Zweck und Funktionsweise feststellen würde.

Ausgehend von D15 scheint der Gegenstand des Anspruchs 1 noch weiter ab zu liegen. Fraglich ist hier überdies, warum der Fachmann zur Verbesserung eines Dosiersystems mit getrennten Vorratsbehältern ausgerechnet eine Kartusche mit integrierten Vorratsbehältern aus D10 heranziehen würde, es sei denn in rückschauender Betrachtung."

4.2 Da sich die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung darauf beschränkt hat, auf ihr diesbezügliches schriftliches Vorbringen zu verweisen, sieht die Kammer keine Veranlassung von ihrer vorläufigen Meinung abzuweichen, wonach der Gegenstand des Anspruchs 1 auch ausgehend von D15 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 beruht.

5. Ergebnis

Mit ihrer Beschwerde ficht die Einsprechende letztlich erfolglos die Befunde der Einspruchsabteilung an, wonach der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 im Lichte des angezogenen Stands der Technik auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

Daher war ihre Beschwerde gegen die entsprechende Entscheidung der Einspruchsabteilung auf Zurückweisung des Einspruchs zurückzuweisen.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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