T 1787/20 () of 6.2.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T178720.20230206
Datum der Entscheidung: 06 Februar 2023
Aktenzeichen: T 1787/20
Anmeldenummer: 07802987.3
IPC-Klasse: A47L 15/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: WASSERFÜHRENDES HAUSHALTSGERÄT MIT EINEM REINIGUNGSMITTELDOSIERSYSTEM SOWIE KARTUSCHE HIERFÜR
Name des Anmelders: BSH Hausgeräte GmbH
Name des Einsprechenden: Henkel AG & Co. KGaA
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0560/89
T 0955/90
Anführungen in anderen Entscheidungen:
T 1797/20

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent nach Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen.

II. Die Einspruchsabteilung hatte insbesondere entschieden, dass der Einspruchsgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegensteht.

In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen zitiert:

D1 DE 25 54 592 C2

D9 WO 2005/058126 A1

D10 US 5,113,199 A

D15 WO 03/014458 A1

III. Die Einsprechende als Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.

IV. Die Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des mit Schreiben vom 30. Januar 2023 vorgelegten weiteren Hilfsantrags.

V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Auffassung mit. Die mündliche Verhandlung fand am 6. Februar 2023 als Videokonferenz in Anwesenheit der beiden Parteien statt.

VI. Der unabhängige Anspruch 1 des für diese Entscheidung relevanten weiteren Hilfsantrags hat den folgenden Wortlaut:

"Wasserführendes Haushaltsgerät insbesondere eine Haushalts-Geschirrspülmaschine, ein Reinigungsmittel-dosiersystem (10) aufweisend, das wenigstens einen Reinigungsmittelspender (11) zur Aufnahme wenigstens einer Kartusche (50) aufweist, wobei die Kartusche (50) getrennte Kammern (51a, ... 51e) zur Bevorratung von wenigstens zwei Reinigungsmittel aufweist,dadurch gekennzeichnet, dass jede Kammer(51a, ... 51e) ein Aufnahmevolumen für die Bevorratung von Reinigungsmittel aufweist, das größer als die für einen Spülzyklus benötigten Mengen ist, wobei neben den Kammern (51a, ... 51e) zur Aufnahme der Reinigungsmittel eine Belüftungskammer (52) vorgesehen ist, welche in Verbindung mit den die Reinigungsmittel beinhaltenden Kammern (51a, ... , 51e) steht, wobei die Belüftungskammer (52) Bestandteil der Kartusche (50) ist."

VII. Die Einsprechende als Beschwerdeführerin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Anspruch 1 des weiteren Hilfsantrags beruhe ausgehend von jedem der Dokumente D9 oder D15 in Zusammenschau mit D10 nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

VIII. Die Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin hat zu den entscheidungserheblichen Punkten im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:

Anspruch 1 des weiteren Hilfsantrags beruhe gegenüber dem angezogenen Stand der Technik auf erfinderischer Tätigkeit.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Anwendungsgebiet der Erfindung

Die Erfindung betrifft ein wasserführendes Haushalts-gerät, z.B. eine Geschirrspülmaschine, mit einem Reinigungsmitteldosiersystem (10). Das Reinigungs-mitteldosiersystem besitzt einen Reinigungsmittel-spender zur Aufnahme einer Kartusche (50) mit voneinander getrennten Kammern (51a, ... 51e) zur Bevorratung von wenigstens zwei Reinigungsmitteln in einer Menge, die für mehr als einen Spülzyklus ausreicht. Aufgrund der getrennten Kammern kann in einem bestimmten Abschnitt des Spülzyklusses lediglich dasjenige Reinigungsmittel zudosiert werden, das für diesen Spülabschnitt tatsächlich notwendig ist. Neben den Kammern zur Aufnahme der Reinigungsmittel ist als Bestandteil der Kartusche eine Belüftungskammer (52) vorgesehen, die in Verbindung mit den Kammern steht. Dadurch wird sichergestellt, dass sich mit zunehmender Entleerung der Kammern darin kein Unterdruck aufbauen kann, wodurch das Zugeben der Reinigungsmittel zur Spülflotte erschwert wird, oder wodurch ggf. das Reinigungsmittel in nicht korrekter Menge zugegeben wird, siehe den Absatz 0009 der Patentschrift.

3. Erfinderische Tätigkeit

Die erfinderische Tätigkeit von Anspruch 1 des weiteren Hilfsantrags wurde ausgehend von einem der Dokumente D9 oder D15 in Kombination mit D10 bestritten.

3.1 Das Dokument D9 betrifft - genau wie das Ausführungsbeispiel des Streitpatents - eine Geschirrspülmaschine mit einer Dosiervorrichtung für die Zugabe von Geschirrreiniger in den Spülbehälter. Um je nach Verschmutzung des Geschirrs einen Allround-Reiniger nicht in zu großer Menge dosieren zu müssen, werden dessen Basis-Chemikalien in D9 getrennt voneinander in der Dosiervorrichtung gelagert. Dort sind die Vorratsbehälter 4-8 für die einzelnen Basis-Chemikalien in Form eines gemeinsamen, austauschbaren Gehäuses mit Trennwänden ausgebildet und nehmen jeweils ein Mehrfaches der für einen Spülzyklus benötigten Menge auf, siehe die Absätze 036 und 037 sowie die Figur 2 des Dokuments. Die Parteien stimmen darin überein, dass das gemeinsame Gehäuse aller Vorrats-behälter der D9 eine Kartusche für die Basis-Chemikalien des Reinigers bildet. Von dieser Geschirrspülerkartusche unterscheidet sich der Gegenstand von Anspruch 1 des weiteren Hilfsantrags unbestritten darin, dass die Kartusche als ihren Bestandteil eine Belüftungskammer enthält.

3.2 Für die Frage der erfinderischen Tätigkeit ist im vorliegenden Fall die korrekte Bestimmung des Fachmanns von entscheidender Bedeutung. Die Kammer muss darum zuerst untersuchen, auf welchem technischen Gebiet der Fachmann anzusiedeln ist.

3.2.1 Nach ständiger Rechtsprechung umfasst der Begriff des Fachmanns einen erfahrenen Mann der Praxis, der über durchschnittliche Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt und der darüber unterrichtet ist, was zu einem bestimmten Zeitpunkt zum allgemein üblichen Wissensstand auf dem betreffenden Gebiet gehört, siehe RdBK, 10. Auflage 2022, I.D.8.1.1. In diesem Zusammenhang ist die Kammer nicht von der Sichtweise der Beschwerdeführerin überzeugt, wonach es sich dabei um das Gebiet der Kartuschen handele.Ein solches, alle möglichen Kartuschen umfassendes technisches Gebiet gibt es nach Auffassung der Kammer überhaupt nicht, da Kartuschen für die unterschiedlichsten Anwendungen hergestellt werden. Beispielsweise fallen darunter Munitionskartuschen als Hülse für die Treibladung eines Projektils, Tonerkartuschen mit Tonerpartikeln für Laserdrucker oder Fotokopierer, Tintenkartuschen mit flüssige Tinte und ggf. dem Druckkopf für einen Tintenstrahldrucker, Gaskartuschen mit brennbarem Gas zum Kochen oder Schweißen, Silikonkartuschen mit viskoser Fugenmasse, Filterkartuschen als austauschbare Behälter für einen Wasserfilter, und Keramikkartuschen in Mischbatterien von Sanitärinstallationen. Mit diesen beispielhaften Anwendungen von Kartuschen gehen unterschiedliche Größen, Materialien und Anforderungen an die chemische Beständigkeit, die Druckfestigkeit und an andere Eigenschaften der Kartuschen einher. Da die Eigenschaften einer Kartusche an ihre jeweilige Verwendung angepasst sein müssen, gehört eine Kartusche nach Auffassung der Kammer in technischer Hinsicht zu ihrem jeweiligen Anwendungsgebiet. Mithin gibt es kein gemeinsames technisches Gebiet aller Kartuschen, und die Tintenkartusche der nachfolgend diskutierten D10 gehört zum technischen Gebiet der Tintenstrahldrucker, das gegenüber dem technischen Gebiet der wasserführenden Haushaltsgeräte der D9 ein anderes technisches Gebiet bildet.

3.2.2 Nach ständiger Rechtsprechung ist der Fachmann eines anderen technischen Gebiets als dem des Ausgangsdokuments der zur Aufgabenlösung berufene Fachmann, falls die objektive technische Aufgabe ihm den Hinweis gibt, die Lösung auf diesem anderen technischen Gebiet zu suchen, siehe RdBK, 10. Auflage 2022, I.D.8.1.1. Die Kammer muss darum nun die objektive technische Aufgabe formulieren und auf einen solchen Hinweis hin untersuchen.

3.2.3 Das Unterscheidungsmerkmal "die Kartusche enthält als ihren Bestandteil eine Belüftungskammer", siehe oben, hat laut Absatz 0009 der Patentschrift die Wirkung, dass sich mit zunehmender Entleerung der Kammern kein Unterdruck in diesen aufbauen kann, wodurch das Zugeben von Reinigungsmitteln zur Spülflotte erschwert oder nicht in korrekter Menge erfolgen würde. Anhand dieser Wirkung besteht die objektive technische Aufgabe - wie von der Beschwerdeführerin vertreten und von der Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin geteilt, darin, eine einfache und genaue Ausdosierung aus allen Kammern zu ermöglichen. Die Kammer ergänzt, dass es sich dabei nicht um die Kammern einer beliebigen Kartusche, sondern um die einer Kartusche für ein wasserführendes Haushaltsgerät handelt. Diese objektive technische Aufgabe gibt dem Fachmann keinen Hinweis darauf, die Lösung auf einem anderen technischen Gebiet als dem der wasserführenden Haushaltsgeräte zu suchen.

3.2.4 Aus diesen Gründen ist der Fachmann im vorliegenden Fall auf dem technischen Gebiet der wasserführenden Haushaltsgeräte anzusiedeln.

3.3 Das von der Beschwerdeführerin mit D9 kombinierte Dokument D10 betrifft unbestritten das technische Gebiet der thermischen Tintenstrahldrucker und offenbart einen Druckkopf 24 mit drei Kammern 32a, 32b und 32c für unterschiedliche Tintenfarben. Über einen gemeinsamen Kanal 36 sind die drei Kammern mit einer weiteren Kammer 40 verbunden. Am Boden dieser Kammer befindet sich eine Öffnung 41 mit einer Membran 43, durch welche Luft in die Kammer 40 gelangen kann, um den Gasunterdruck oberhalb der einzelnen Tinten in den Kammern 32a, 32b und 32c auf einem konstanten Niveau zu halten, so dass keine Tinte ungewollt aus den thermischen Druckköpfen 30a, 30b, 30c tropft, siehe Spalte 1, Zeilen 27-31, Spalte 4, Zeilen 10-22 sowie die Figur des Dokuments. Auch aus Sicht der Kammer offenbart D10 anhand des Druckkopfs für einen thermischen Tintenstrahldrucker eine Tintenkartusche.

3.4 Der von D9 ausgehende Fachmann auf dem Gebiet der wasserführenden Haushaltsgeräte könnte durchaus anhand der in D10 gezeigten Tintenkartusche mit integrierter Belüftungskammer die Vorratsbehälter für die einzelnen Basis-Chemikalien der D9 über einen gemeinsamen Kanal mit einer solchen Belüftungskammer als Bestandteil der Kartusche verbinden, um einen ungewollten Unterdruckaufbau in der Geschirrspülerkartusche zu verhindern. Die Kammer ist jedoch aus den folgenden Gründen der Meinung, dass der Fachmann nur bei einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise so verfahren würde:

3.4.1 Vom Fachmann kann nach ständiger Rechtsprechung erwartet werden, dass er sich auf Nachbargebieten nach Anregungen umsieht, wenn sich dort die gleichen oder ähnliche Probleme stellen. Vom Fachmann kann zudem erwartet werden, dass er sich auf einem allgemeinen technischen Gebiet nach Anregungen umsieht, wenn ihm solche Gebiete geläufig sind. Außerdem kann bei technisch anspruchsvollen Gebieten als zuständiger "Fachmann" auch eine Gruppe von Fachleuten auf den einschlägigen Fachgebieten gelten. Siehe dazu jeweils RdBK, I.D.8.1.1.

Keiner dieser Umstände trifft nach Auffassung der Kammer auf den vorliegenden Fall zu.

3.4.2 Von der Beschwerdeführerin wurde nicht vorgetragen, dass Tintenstrahldrucker in Bezug auf wasserführende Haushaltsgeräte ein benachbartes technisches Gebiet betreffen. Das ist auch aus Sicht der Kammer wegen der unterschiedlichen Anwendungen dieser Geräte nicht der Fall, da die Kartusche eines Tintenstrahldruckers gemäß D10 in einer Flüssigkeit gelöste Farbstoffmoleküle bzw. darin schwebende Pigmentpartikel zum Bedrucken von Papier enthält, während die Reinigungsmittelkartusche der D9 mit Chemikalien zur Geschirrreinigung gefüllt ist, die in der Waschflotte einer Geschirrspülmaschine gelöst werden, siehe deren Absatz 010.

3.4.3 Die Kammer versteht das Argument der Beschwerde-führerin, wonach dem Fachmann Tintenstrahldrucker aufgrund ihrer weiten Verbreitung aus seinem Alltag bekannt seien, als Verweis auf ein allgemeines technisches Gebiet. Zwar sind nach ständiger Rechtsprechung die Lösungen allgemeiner technischer Aufgaben auf allgemeinen Gebieten als Teil des technischen Allgemeinwissens anzusehen, siehe RdBK, I.D.8.2. Jedoch ist nach Ansicht der Kammer eine einzige Patentschrift in einen engen Fachgebiet (Tintenstrahldrucker) nicht dazu geeignet, als Beleg dafür zu dienen, dass Kartuschenbelüftungskammern eine allgemeine Lösung einer allgemeinen technischen Aufgabe darstellen. Sie fügt hinzu, dass ein Fachmann, der in seinem Alltag ein bestimmtes Gerät wie einen Tintenstrahldrucker verwendet, dadurch nicht über umfassende Kenntnisse auf diesem Bereich verfügt. Seine Kenntnisse sind die eines Durchschnittbenutzers von Tintenstrahldruckern: er ist somit mit der allgemeinen Wirkungsweise und dem Aufbau von Tintenstrahldrucker-kartuschen vertraut, nicht aber mit Patentschriften, die sich mit Sonderausführungen oder -aspekten von solchen Kartuschen befassen. Eine Kartuschenbelüftungs-kammer, wie von der Patentschrift D10 gelehrt, gehört nach Sicht der Kammer auch nicht zur allgemeinen Wirkungsweise oder Aufbau einer Tintenstrahldrucker-kartusche, sonder betrifft einen solchen Sonderaspekt, von welcher der Durchschnittbenutzer keine Kenntnis haben wird. Ein allgemeines Fachwissen auf dem Gebiet von Tintenstrahldruckern, beispielsweise ein Fachbuch, das den oben genannten Aspekt der Kartuschenbelüftung in einer Art und Weise dargestellt hätte, daß er dem Fachmann eine Übertragung auf andere technische Gebiete nahelegen würde, ist nicht vorgelegt worden.

3.4.4 Im Hinblick auf das weitere Argument der Beschwerde-führerin, wonach der von D9 ausgehende Fachmann für wasserführende Haushaltsgeräte unter anderem einen Fachmann für Kartuschen für die Lösung der objektiven technischen Aufgabe zu einem Team von Fachleuten hinzunehmen würde, kann nach ständiger Rechtsprechung bei technisch anspruchsvollen Gebieten als zuständiger "Fachmann" auch eine Gruppe von Fachleuten auf den einschlägigen Fachgebieten gelten, siehe RdBK, I.D.8.1.1. Jedoch ist die Kammer bereits in Absatz 3.2.1 dieser Entscheidung zum Ergebnis gelangt, dass es nicht das einzige technische Gebiet aller Kartuschen gibt. Da es somit auch keinen Fachmann für alle Kartuschen gibt, kann der von D9 ausgehende Fachmann für wasserführende Haushaltsgeräte keinen solchen Fachmann für Kartuschen zu einem Team von Fachleuten hinzunehmen.

Deswegen führt auch der Verweis der Beschwerdeführerin auf die Entscheidung T 955/90 zu keinem anderen Ergebnis. Diese Entscheidung war zu dem Ergebnis gelangt, dass es zu einer praxisnahen Einschätzung gehöre, dass der auf einem breiteren allgemeinen Gebiet der Erfassung von Kräften und Beschleunigungen tätige Fachmann auch das engere Spezialgebiet der bekannten Hauptanwendung - die Erfassung von Unfällen bei Automobilen - bei der Suche nach einer Lösung heranziehe. Selbst wenn im vorliegenden Fall Tintenstrahldrucker die Hauptanwendung für Kartuschen wären, wovon die Kammer aber nicht überzeugt ist, gibt es aus den oben genannten Gründen keinen auf dem "breiteren allgemeinen Gebiet der Kartuschen" tätigen Fachmann, der so verfahren könnte.

3.4.5 Die Beschwerdeführerin vertritt unter Verweis auf die Entscheidung T 560/89 die Auffassung, dass der von D9 ausgehende Fachmann auch den Stand der Technik auf anderen Gebieten wie der D10 zu Rate ziehe. Nach Auffassung der Kammer verkürzt diese Sichtweise die Argumentation in der genannten Entscheidung. Dort war dem Fachmann auf dem Spezialgebiet der Acethylengas-speicherbehälter genau wie der breiten Öffentlichkeit das Problem der gesundheitlichen Gefährdung durch Asbestfasern bekannt, so dass dieser Fachmann auch nach Lösungen auf dem entfernten Gebiet der Bauindustrie suchte. Für ein Naheliegen der Lösung verlangte die Kammer in jener Sache, dass der Fachmann durch die Verwandtschaft der verwendeten Materialien und durch eine Diskussion in der breiten Öffentlichkeit über das sich auf beiden Gebieten stellende technische Problem zu dieser Suche veranlasst werden müsse. Die Kammer ist sich keiner Diskussion in der breiten Öffentlichkeit über Unterdruckprobleme in Reinigungsmittelkartuschen

von wasserführenden Haushaltsgeräten bewusst, und das wurde auch nicht von der Beschwerdeführerin behauptet. Daher überzeugt der Verweis auf die Entscheidung T 560/89 die Kammer nicht davon, dass der von D9 ausgehende Fachmann das Gebiet der Tintenstrahldrucker zu Rate ziehen würde.

3.5 Aus diesen Gründen wird der von D9 ausgehende Fachmann für wasserführende Haushaltsgeräte nur bei einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise das Dokument D10 zur Lösung der objektiven technischen Aufgabe heranziehen. Ein wasserführendes Haushaltsgerät mit einer Kartusche mit Belüftungskammer als Bestandteil der Kartusche im Sinne von Anspruch 1 des weiteren Hilfsantrags wird daher nicht durch D10 nahegelegt.

3.6 In einer alternativen Argumentationslinie vertrat die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem erteilten Anspruch 1 die Auffassung, dass der Fachmann durch eine Kombination von D15 und D10 zu einer Belüftungskammer in der Kartusche gelangen würde, siehe Absatz 4 der Beschwerdebegründung.

3.6.1 Das Dokument D15 offenbart ein Waschverfahren, bei dem die einzelnen Inhaltsstoffe des Waschmittels getrennt bevorratet und unabhängig voneinander der Waschflotte zugesetzt werden, siehe den dritten Absatz auf Seite 3. Die Inhaltsstoffe des Waschmittels werden in separaten, austauschbaren Dosierbehältern gelagert, was mit den separaten Vorratstanks eines mehrfarbigen Inkjet-Farbdruckers verglichen wird, siehe den vorletzten Absatz auf Seite 5 der D15.

3.6.2 Zu dieser Dokumentenkombination hat die Kammer bereits in Abschnitt 2.5 ihrer Mitteilung die folgende vorläufige Meinung geäußert:

"2.5. Die Kammer versteht den Verweis auf Tintenstrahl-drucker im Dokument D15 (Seite 5, vorletzter Absatz) im Sinne einer Veranschaulichung des Dosiervorgangs ("analog z. B. einem mehrfarbigen Inkjet-Farbdrucker mit separaten Vorratstanks."). Jedoch betreffen wasserführende Haushaltsgeräte gemäß Dokument D15 oder D9 und Tintenstrahldrucker gemäß D10 weder dasselbe noch benachbarte technische Gebiete. Mithin scheint ein Fachmann D10 nur bei einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise zur Weiterbildung der D15/D9 heranzuziehen."

3.6.3 Die Beschwerdeführerin hat zu dieser Sichtweise nicht weiter Stellung genommen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer Sichtweise abzuweichen. Daher führt aus Sicht der Kammer auch eine Kombination von D15 und D10 nicht auf naheliegende Weise zu einem wasserführenden Haushaltsgerät mit einer Kartusche mit Belüftungskammer. Die Kammer ergänzt, dass aus denselben Gründen auch ein solches Haushaltsgerät mit einer Belüftungskammer als Bestandteil der Kartusche im Sinne von Anspruch 1 des weiteren Hilfsantrags nicht nahegelegt wird.

4. Somit gelangt die Kammer zu dem Ergebnis, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des weiteren Hilfsantrags auf erfinderischer Tätigkeit beruht, Artikel 56 EPÜ.

5. Die Beschwerdegegnerin Patentinhaberin strebt mit der Rücknahme ihres Hauptantrags nicht mehr die Aufrechterhaltung des erteilten Patentes an. Somit muss die Entscheidung, den Einspruch zurückzuweisen, aufgehoben werden. Unter Berücksichtigung der nach dem weiteren Hilfsantrag vorgenommenen Änderungen erfüllt das Patent die Erfordernisse des EPÜ und kann somit nach Artikel 101(3)(a) EPÜ in geänderter Fassung aufrechterhalten werden.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Angelegenheit wird an die Vorinstanz mit der Maßgabe zurückverwiesen, das Patent in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

Patentanspüche:

Patentanspruche 1 - 29 des am 30. Januar 2023 eingereichten weiteren Hilfsantrages;

Beschreibung:

Beschreibung S. 1 - 2, 4 - 8 der Patentschrift;

Beschreibung S. 3 wie in der mündlichen Verhandlung eingereicht;

Zeichnungen:

Figuren 1 - 4 der veröffentlichten Patentschrift.

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