T 1316/20 (Nanofluidsystem/INTELLIGENT FLUIDS) of 4.8.2023

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2023:T131620.20230804
Datum der Entscheidung: 04 August 2023
Aktenzeichen: T 1316/20
Anmeldenummer: 10004122.7
IPC-Klasse: C11D 17/00
C11D 3/20
C11D 3/18
C11D 3/50
C11D 11/00
C09D 9/00
C09D 9/04
A61Q 3/04
A61Q 5/02
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Formulierungen zur Entfernung von Farbschichten und diversen Schmutzschichten von Oberflächen, Verfahren zur Herstellung des Mittels und Verfahren zur Reinigung
Name des Anmelders: Intelligent Fluids GmbH
Name des Einsprechenden: Richter, Günther
Kammer: 3.3.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 54
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 83
European Patent Convention Art 87(2)
European Patent Convention Art 76(1)
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention R 36(1)
Patent Cooperation Treaty Art 22
PCT Regel 159(1)
RPBA2020 Art 012(4)
RPBA2020 Art 013(1)
RPBA2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Wirksamkeit der Teilanmeldung : im Einspruchs- Beschwerdeverfahren nicht zu beanstanden
Zulässigkeit des Antrags eingereicht in der mündlichen Verhandlung - (ja) - neue Einwände erhoben durch die Kammer
Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0001/09
J 0018/04
J 0018/09
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerde des Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr 2223995 zurückzuweisen.

II. Mit seiner Beschwerdebegründung hat der Einsprechende ausgeführt, dass die dem Streitpatent zugrundeliegende Teilanmeldung nicht wirksam sei und der Entscheidung der Einspruchsabteilung ein wesentlicher Verfahrensmangel anhafte, der die Rückerstattung der Beschwerdegebühr rechtfertige. Zudem hat er Einspruchsgründe unter Artikel 100(a), (b) and (c) EPÜ geltend gemacht und sich dabei auf folgende Entgegenhaltungen gestützt:

D1: DE 4406753 A1

D2: DE 69029472 T2

D4: WO 2009/037349 A2

D5: EP 2045320 A1

D6: H.N.W. Lekkerkerker et al., "Phase Behavior of Ionic Microemulsions", Ber. Bunsenges. Phys. Chem. 100, 206-217 (1996) No.3.

III. Mit ihrer Erwiderung hat die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) das Patent in der erteilten Fassung verteidigt und drei Anspruchssätze als Hilfsanträge 1 bis 3 eingereicht.

IV. In ihrer am 8. Dezember 2022 unter Artikel 15(1) VOBK erlassenen Mitteilung hat die Kammer ihre vorläufige Meinung mitgeteilt, dass unter anderem das Fehlen einer wirksamen Stammanmeldung im Einspruchs- bzw. Beschwerdeverfahren gegen die erteilte Teilanmeldung nicht geltend gemacht werden könne und in der Entscheidung der Einspruchsabteilung kein wesentlicher Verfahrensmangel zu erkennen sei.

V. In seiner Erwiderung vom 5. Juni 2023 hielt der Beschwerdeführer seine Einwände aufrecht und teilte mit, dass er zu der angekündigten mündlichen Verhandlung nicht erscheinen werde.

VI. Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2023 reichte die Beschwerdegegnerin neue Hilfsanträge 4 und 5 ein.

VII. In der am 4. August 2023 abgehaltenen mündlichen Verhandlung reichte die Beschwerdegegnerin einen neuen als Hilfsantrag 1 gekennzeichneten Anspruchssatz ein und zog alle weitere Anträge zurück. Die Schlussanträge der Parteien waren daher die folgenden:

Der Beschwerdeführer hat schriftlich die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents sowie die Rückerstattung der Beschwerdegebühr beantragt.

Die Beschwerdegegnerin hat beantragt, das Patent in geänderter Form auf der Basis des in der mündlichen Verhandlung vom 4. August 2023 eingereichten und aus den folgenden sechs Ansprüchen bestehenden Hilfsantrags 1 aufrechtzuerhalten:

"1. Reinigungsmittel, umfassend ein nicht koaleszierendes, thermodynamisch stabiles

Nanophasensystem umfassend die Bestandteile:

a) 1-90 Gew.-% einer wasserunlöslichen Substanz (Öl) mit einer Löslichkeit in Wasser von weniger als 4g pro Liter;

b) 1-80 Gew.-% einer amphiphilen Substanz, NP-MCA, die keine Tensidstruktur aufweist, alleine nicht strukturbildend ist, deren Löslichkeit in Wasser bzw. Öl zwischen 4g und 1000g pro Liter beträgt und die sich nicht bevorzugt an der Öl-Wasser­-Grenzfläche anreichert, mit der Maßgabe, dass NP-MCA nicht ausgewählt ist aus 2-Ethyl-1,3-Hexandiol, 2-Methyl-2,4-Pentandiol, 2-(n-Butyl)-2-Ethyl-1,3-Propandiol und/oder aus 1,2-Diolen;

c) 2-45 Gew.-% eines anionischen, kationischen, amphoteren und/oder nichtionischen Tensids; und eines Cotensids mit hydrophil-lipophilen Molekülanteilen

d) 1-90 Gew.-% Wasser,

e) und ggf. Hilfsstoffe bis maximal 10 Gew.-%,

wobei sich die Prozentangaben auf das Gesamtgewicht des Reinigungsmittels beziehen,

dadurch gekennzeichnet, dass das NP-MCA bei einer Zugabe zu einem Öl-Wasser­ Ten-sid-System enthaltend die Bestandteile a), c) und d) von 4 Gew.-% bezogen auf das Gesamtgewicht des Systems, dazu führt, dass sich in einem Phasendiagramm, welches den Verlauf der einphasigen und zweiphasigen und lamellaren Existenzbereiche (lamellare Phase Lalpha) des Systems in Abhängigkeit von der Tensidkonzentration und der Temperatur darstellt (Fish-Diagramm oder whale­-Diagramm), die Fläche des im Phasendiagramm enthaltenen Dreiecks, das bestimmt ist durch die drei Eckpunkte:

i) den X-Punkt,

ii) den oberen Kreuzungspunkt des Grenzbereichs des einphasigen zum zweiphasigen Bereichs mit der parallel zur Temperaturordinate angelegten Tangente an das beginnende Lalpha-Gebiet und

iii) den unteren Kreuzungspunkt des Grenzbereichs des einphasigen zum zweiphasigen Bereichs mit der parallel zur Temperaturordinate angelegten Tangente an das beginnende Lalpha-Gebiet,

um mindestens 5% vergrößert; und

dass das NP-MCA ausgewählt ist aus:

a) Acetoacetaten der Formel II

C(R3)3-CO-CH2-CO-O-R4 (II)

wobei R3 jeweils unabhängig voneinander Wasserstoff oder ein C1 bis C2 Alkyl ist und R4 ein verzweigtes oder unverzweigtes C1 bis C4 Alkyl ist;

oder Acetoacetaten der Formel III

CH3-CO-CH2-CO-O-R5 (III)

wobei R5 ein C1 bis C4 Alkyl ist;

oder ausgewählt ist aus Ethylacetoacetat, iso-Propylacetoacetat, Methylacetoacetat, n-Butylacetoacetat, n-Propylacetoacetat oder tert-Butylacetoacetat.

b) Dionen der Formel IV

CH3-(CH2)p-CO-(CH2)q-CO-(CH2)r-CH3 (IV)

wobei p, q, r unabhängig voneinander 0, 1 oder 2 sein können, mit der Maßgabe, dass, wenn die Summe aus p, q und r = 2 ist, die Verbindung gemäß Formel IV auch zyklisch sein kann (Cyclohexandion);

oder ausgewählt ist aus 2,3-Butandion (Diacetyl), 2,4-Pentandion (Acetylaceton), 3,4-Hexandion, 2,5-Hexandion, 2,3-Pentandion, 2,3-Hexandion, 1,4-Cyclohexandion oder 1,3-Cyclohexandion.

c) Estern der Formel V

R6-CO-O-R7 (V)

wobei R6 eine Ringbindung zu R7, CH3 oder COCH3 ist und R7 (CH2)2-O- Ringbindung zu R6, oder (CH2)2-O-(CH2)3-CH3 ist;

oder ausgewählt ist aus (2-Butoxyethyl)acetat, Ethylencarbonat, Ethylpyruvat (2-Oxopropionsäureethyl-ester),

d) Malein- bzw. Fumarsäureamiden der Formel VI

R8-HN-CO-C=C-CO-O-R9 (VI)

wobei R8 Wasserstoff, ein verzweigtes oder unverzweigtes C1-C4 Alkyl, oder ein verzweigtes oder unverzweigtes, lineares oder zyklisches C1-C6 Alkyl ist, wobei das C1-C6 Alkyl substituiert ist mit einer oder mehreren Gruppen ausgewählt aus OH, NH2, COOH, CO, SO3H, OP(OH)2, und R9 Wasserstoff oder ein verzweigtes oder unverzweigtes C1-C4 Alkyl ist;

oder ausgewählt ist aus folgenden Maleinsäureamiden und deren Methyl-, Ethyl-, Propyl- und Butylester: N-Methylmaleamid; N-Ethylmaleamid; N-(n-Propyl)-maleamid; N-(i-Propyl)-maleamid; N-(n-Butyl)-maleamid; N(i-Butylmaleamid); N-(tert.-Butylmaleamid), sowie der entsprechenden Fumarsäureamide und deren Methyl-,Ethyl-, Propyl- und Butylester;

e) Diacetanalkohol (2-Methyl-2-pentanol-4-on).

2. Reinigungsmittel nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass NP-MCA ausgewählt ist aus Acetoacetaten der Formel III

CH3-CO-CH2-CO-O-R5 (III)

wobei R5 ein C1 bis C4 Alkyl ist.

3. Reinigungsmittel nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass das NP-MCA Ethylacetoacetat ist.

4. Reinigungsmittel nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die wasserunlösliche Substanz eine Wasserlöslichkeit von < 2 g pro Liter aufweist und die Substanz aus der Gruppe umfassend Alkane, Cykloalkane, Aromaten, langkettige Alkansäureester, Ester von Di- oder Tricarbonsäuren, Terpene, oder deren Mischungen ausgewählt ist.

5. Verfahren zur Entfernung unerwünschter Farben und Lacke von Oberflächen, dadurch gekennzeichnet, dass ein Reinigungsmittel nach einem der Ansprüche 1 bis 4 auf die unerwünschte Farbe oder den Lack aufgebracht wird, einwirkt und anschließend die Farbe oder der Lack mit Wasser entfernt wird, wobei die Einwirkzeit beim

Graffitientferner von etwa 10 Sekunden bis etwa 30 Minuten beträgt, beim Abbeizer von etwa 20 Minuten bis etwa 3 Stunden und beim Nagellackentferner von etwa 3 bis etwa 30 Sekunden.

6. Verwendung des Reinigungsmittels nach den Ansprüchen 1 bis 4 als Graffitientferner, Abbeizer, Nagellackentferner, Schmutzentferner, Fliesenreiniger,

Kosmetikentferner oder Haarentfärber."

Entscheidungsgründe

1. Zur Wirksamkeit der Teilanmeldung

1.1 Die dem Streitpatent zugrundeliegende Teilanmeldung wurde am 19. April 2010 und daher am Tag vor dem Ablauf der 31-Monatsfrist nach Regel 159(1) EPÜ und Artikel 22 PCT zum Eintritt in die regionale europäische Phase der internationalen Anmeldung PCT/EP2008/62573 bzw. der EP 08804501 (Stammanmeldung) mit Priorität vom 19. September 2007 eingereicht. Am 19. April 2010 wurde der Prüfungsantrag gestellt und die entsprechenden Gebühren für den Eintritt in die europäische Phase gezahlt. Es scheint allerdings, dass ein Antrag auf vorzeitige Bearbeitung der Anmeldung nicht gestellt wurde, so dass bis zum Ablauf der 31-monatigen Frist ein Bearbeitungsverbot für diese Anmeldung bestand (siehe Singer/Stauder (Hespers/Quarch), Europäisches Patentübereinkommen, 8. Auflage 2019, Art. 153 Rz. 196 et seq.). Die Anmeldung gilt damit bis zum Ablauf dieser Frist nicht als anhängige europäische Anmeldung (Entscheidung J 18/09, Grund 9). Die europäische Phase der Stammanmeldung begann vielmehr erst am 20. April 2010. Eine vor dem Eintritt in die europäische Phase erfolgte Teilanmeldung ist deshalb unzulässig, weil Regel 36(1) EPÜ eine anhängige Stammanmeldung voraussetzt und die Teilung einer PCT Anmeldung in dieser Phase nicht vorgesehen ist (Entscheidung J 18/09, Grund 11).

1.2 Die angefochtene Entscheidung hat dies vorliegend als unbeachtlich angesehen. Sie hat ausgeführt, dass die Teilanmeldung gleichwohl erteilt wurde und der Mangel einer anhängigen Stammanmeldung insoweit geheilt worden sei. Zudem sei es die gültige Praxis der Eingangsstelle des EPA gewesen, eine Teilung auch am Tag des Ablaufs der 31-Monatsfrist nach Regel 159(1) EPÜ zu akzeptieren. Diese Praxis sei erst mit der Veröffentlichung der Entscheidung J 18/09 geändert worden und dem Anmelder sei insoweit Vertrauensschutz auf diese frühere Praxis zu gewähren. Überdies sei kein Einspruchsgrund ersichtlich, mit dem ein Einsprechender diesen Fehler rügen könne.

1.3 Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die angefochtene Entscheidung und beanstandet, dass die Anhängigkeit einer europäischen Patentanmeldung ein materiell-rechtliches Erfordernis darstelle (Entscheidung G 1/09, Gründe: 3.2.4 und 3.2.5 und J 18/04, Gründe: 7 und 8), das auch nicht durch die Erteilung der Teilanmeldung geheilt werden könne. Die Vorschriften der Artikel 23 PCT, 150 EPÜ und Regel 36 und 76 EPÜ seien eindeutig. Ein Vertrauensschutz sei auf materiell-rechtliche Erfordernisse nicht anwendbar (siehe G 1/09, Punkt 2.5). Mangels einer zum Zeitpunkt der Teilung anhängigen Stammanmeldung gehe die eingereichte Teilanmeldung zwangsläufig über die Stammanmeldung hinaus und begründe somit einen Einspruchsgrund nach Art. 100(c) 2. Alternative EPÜ (Verstoß gegen Art. 76 EPÜ). Außerdem, da am 19. April 2010 keine wirksame Teilanmeldung eingereicht wurde, gehen alle spätere vorgelegte Änderungen der Anspruchsfassung über den nicht existenten Inhalt der Anmeldung hinaus und verletzen Artikel 100(c) in Kombination mit Artikel 123(2) EPÜ.

1.4 Die Beschwerdegegnerin betrachtet in ihrer Erwiderung die akzeptierte Teilung (wenngleich fehlerhaft) als einen formellen Verwaltungsakt und führt aus, dass die Entscheidung G 1/09 vom 27. September 2010 auf jeden Fall nur ex nunc und nicht ex tunc anzuwenden sei. Zudem sei der Patentinhaberin Vertrauensschutz zu gewähren und ein fehlerhafter Verwaltungsakt durch Erteilung des Patents heilbar.

1.5 Aus Sicht der Kammer sind folgende Punkte entscheidungserheblich:

1.5.1 Erstens, inwieweit die Entscheidung J 18/09 auf vorliegenden Sachverhalt anwendbar ist. Es ist insoweit zwischen den Parteien unbestritten, dass die Stammanmeldung zum Zeitpunkt der Teilanmeldung am 19. April 2010 noch nicht in die europäische Phase eingetreten war. Dass sie damit keine im Sinne von Regel 36(1) EPÜ anhängige Stammanmeldung war, ist in der genannten Entscheidung J 18/09 umfänglich begründet worden, aber nicht ohne Kritik geblieben (Singer/Stauder (Hespers/Quarch), Europäisches Patentübereinkommen, 8. Auflage 2019, Art. 153 Rz. 107 - 110).

1.5.2 Zweitens, ob dann, wenn man der Entscheidung J 18/09 folgt, der Mangel einer zulässigen Teilanmeldung durch die Patenterteilung geheilt wird. Die Kammer sieht für eine solche pauschale Schlussfolgerung allerdings keine Rechtsgrundlage.

1.5.3 Drittens, ob dann, wenn man der Entscheidung J 18/09 folgt, eventuell ein Vertrauensschutz für vor der Bekanntmachung dieser Entscheidung erfolgter Teilanmeldungen bestehen kann. Das hält die Kammer bereits deshalb für fraglich, weil die Entscheidung J 18/09 unter Verweis auf die damals geltenden Prüfungsrichtlinien festgestellt hat, dass das Amt von jeher eine noch nicht in die europäische Phase eingetretene Anmeldung nicht als anhängig angesehen hat (Grund 10). Überdies stimmt die Kammer dem Beschwerdeführer insoweit zu, als es sich bei der Anhängigkeit der Stammanmeldung um eine materielle Voraussetzung für die Einreichung einer Teilanmeldung handelt, für die ein Vertrauensschutz nicht in Betracht zu kommen scheint. Im Ergebnis kann dies allerdings aufgrund der folgenden Erwägung dahinstehen.

1.5.4 Viertens, ob der Mangel einer anhängigen Stammanmeldung im Einspruchs- bzw. Beschwerdeverfahren gerügt werden kann. Dies ist vorliegend zu verneinen. Zunächst ist anerkannt, dass nicht sämtliche Mängel einer Anmeldung auch im Einspruchsverfahren gerügt werden können, sondern nur die in Artikel 100 EPÜ genannten. Dies gilt auch für solche Mängel, die keine Formalien sind: mangelnde Klarheit ist ebenso wenig ein Einspruchsgrund wie mangelnde Gebührenzahlung. Nach Auffassung des Beschwerdeführers ist das Fehlen einer anhängigen Stammanmeldung ein Einspruchsgrund unter Artikel 100 (c) EPÜ. Es könne nämlich im Einspruch gerügt werden, dass die Teilanmeldung über den Inhalt der Stammanmeldung hinausgehe. Habe es aber nie eine anhängige Stammanmeldung gegeben, so gehe jede Teilanmeldung über jene hinaus. Das mag formell zutreffen, es ist aber die Meinung der Kammer, dass es der Vorschrift dabei um den technischen Inhalt der Stammanmeldung geht, nicht um deren Anhängigkeit. Anders gewendet: der Inhalt der Teilanmeldung geht nicht schon deshalb über die Stammanmeldung hinaus, weil letztere nie anhängig war und deshalb sozusagen als inhaltsleeres Nullum zu betrachten wäre. Auch kann die fehlende Anhängigkeit der Stammanmeldung aus Sicht der Kammer nicht dazu führen, dass die Priorität nicht wirksam in Anspruch genommen worden wäre, weil die Inanspruchnahme der Priorität nach Art. 87(2) EPÜ nur eine wirksame Voranmeldung voraussetzt, nicht aber eine wirksame Stammanmeldung.

1.6 Nach dem Vorgesagten befindet die Kammer daher, dass das Fehlen einer wirksamen Stammanmeldung im Einspruchs- bzw. Beschwerdeverfahren gegen die erteilte Teilanmeldung nicht geltend gemacht werden kann.

Infolgedessen läuft der obige Einwand der Beschwerdeführerin unter Artikel 100(c) in Kombination mit Artikel 76(1) oder 123(2) EPÜ ins Leere.

2. Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr

2.1 Der Beschwerdeführer hat ausgeführt, dass der angefochtenen Entscheidung ein wesentlicher Verfahrensmangel anhafte, da die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung über die Wirksamkeit der Teilanmeldung sich auf die "gültige Praxis des Amtes" und daher auf keine geeignete Rechtsgrundlage gestützt habe.

2.2 Es ist jedoch aus der angefochtenen Entscheidung (Punkt 3.1.1) und der Beschwerdebegründung (Punkt I.1) ersichtlich, dass die Einspruchsabteilung ihre Entscheidung ausführlich begründet hat und nur zusätzlich auf die "gültige Praxis des Amtes" hingewiesen hat. Daher kann die Kammer in der entsprechenden Entscheidung der Einspruchsabteilung keinen wesentlichen Verfahrensmangel erkennen, der eine Rückerstattung der Beschwerdegebühr rechtfertigen würde.

Dem Antrag des Beschwerdeführers auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr kann daher nicht stattgegeben werden.

3. Zulassung des neu eingereichten Hilfsantrags 1

3.1 In der mündlichen Verhandlung vom 4. August 2023 hat die Kammer unter Berücksichtigung des Anspruchs 7 der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht, neue Einwände unter Artikel 123(2) EPÜ gegen Anspruch 1 des als Reaktion auf die in der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags 2 erhoben. Da die Zulässigkeit dieses bereits im Einspruchsverfahren eingereichten Antrags gegenüber den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Einwänden in der Erwiderung der Beschwerdegegnerin erläutert wurde, war der Hilfsantrag 2, wie bereits in der vorläufigen Meinung der Kammer vom 8. Dezember 2022 erwähnt, nach Artikel 12(4) VOBK 2020 in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.

Somit lagen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Änderung des Beschwerdevorbringens nach Artikel 13(2) VOBK 2020 rechtfertigten.

3.2 Infolge der neuen Einwände reichte die Beschwerdegegnerin einen geänderten Hilfsantrag 1 ein, dessen Änderungen prima facie die von der Kammer aufgeworfenen Fragen ausräumten und keinen Anlass zu neuen Einwänden gaben (siehe unten), sodass für die Kammer kein Grund bestand, die Zulässigkeit des neuen Antrags unter Artikel 12(4) und 13(1) VOBK 2020 in Frage zu stellen.

3.3 Daher hat die Kammer den neuen Hilfsantrag 1 gemäß Artikel 12(4), 13(1) und (2) VOBK 2020 in das Verfahren zugelassen.

4. Hilfsantrag 1 - Artikel 123(2) EPÜ

4.1 Anspruch 1 stützt sich auf die Kombination von Ansprüchen 1, 2, 4 und 7 der ursprünglich eingereichten Anmeldung mit dem Absatz [0072] (vgl. A2-Schrift), in dem ein Cotensid mit hydrophil-lipophilen Molekülanteilen als besonders bevorzugte weitere amphiphile Substanz zitiert wird. Reinigungsmittel mit allen Merkmalen des geltenden Anspruchs 1 sind auch in den Beispielen des Streitpatents offenbart.

Die beanspruchte Kombination ist daher von der Anmeldung wie ursprünglich eingereicht gestützt.

4.2 Der Beschwerdeführer hat beanstandet, dass die wasserunlösliche Substanz (a), die eine Löslichkeit in Wasser von weniger als 4g pro Liter aufweist, zusätzlich in Klammern als Öl definiert wurde. Die Kammer ist jedoch der Meinung, dass diese in Klammern enthaltene Definition (die allerdings auch in Absatz [0024] der ursprünglichen Beschreibung zu finden ist), keine einschränkende Wirkung hat. Daher braucht sie für die Beurteilung der Stützung in der ursprünglichen Beschreibung nicht berücksichtigt zu werden.

4.3 Zudem enthält die vom Beschwerdeführer zusätzlich beanstandete Liste der ausgewählten amphiphilen NP-MCA Verbindungen a) bis e) nicht mehr die im ursprünglichen Anspruch 4 enthaltene Verbindungsklasse a) mit Formel (I) sowie einige der Estern der Verbindungsklasse (d) wie (1-Methoxy-2-propyl)acetat und auch nicht die Verbindungsklasse f) - mit Ausnahme von Diacetanalkohol.

Da die im ursprünglichen Anspruch 4 aufgelisteten Klassen von Verbindungen gleichwertige beliebig kombinierbare Alternativen darstellen, ist die Streichung der Klasse a) sowie von einigen Estern der Klasse d) und der meisten Verbindungen der Klasse f) keine Zwischenverallgemeinerung des ursprünglich beanspruchten Gegenstandes.

4.4 Ein Reinigungsmittel laut Anspruch 1 wie beansprucht ist daher unmittelbar und eindeutig aus der ursprünglichen Anmeldung zu entnehmen.

4.5 Ansprüche 2 bis 6 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 5, 9, 6, 12 und die Kombination von Ansprüchen 13 und 15.

4.6 Daher entsprechen die Ansprüche des geltenden Hilfsantrags 1 den Erfordernissen des Artikels 123(2) EPÜ.

5. Artikel 83 EPÜ

5.1 Die beanspruchte Erfindung betrifft ein Reinigungsmittel, das ein nicht koaleszierendes, thermodynamisch stabiles Nanophasensystem umfasst, wobei das Nanophasensystem definierte Mengen der Bestandteile (a) bis (d) und ggf. Hilfsstoffe (e) enthält und das NP-MCA (Komponente (b)) eine amphiphile Substanz ist, die aus den aufgelisteten fünf Verbindungsklassen ausgewählt ist.

Gemäß Anspruch 1 bewirkt die 4%ige Zugabe eines NP-MCA zu dem Öl-Wasser-Tensid-System enthaltend die Bestandteile (a), (c) und (d) eine Vergrößerung der Fläche des in einem Fischdiagramm nach den Anweisungen des Anspruchs 1 erstellten Dreiecks um mindestens 5%.

5.1.1 Die Beschreibung des Patents (Absätze [0026]-[0032] und [0036]-[0042]) lehrt in diesem Zusammenhang, dass die Zugabe des NP-MCA zu der Abmischung der Komponente (a), (c) and (d) eine Aufweitung des thermodynamisch stabilen kolloiddispersen Bereichs (Mikroemulsion) bewirkt, sodass ein Nanophasensystem wie beansprucht erhalten wird.

Daher ist das obengenannte funktionelle Merkmal eine inhärente Eigenschaft aller aufgelisteten NP-MCA Verbindungen und stellt kein weiteres Auswahlkriterium für geeignete NP-MCA dar. Dieses Merkmal dient daher eher zur Klarstellung der Definition und Abgrenzung eines sogenannten Nanophasensystems gegenüber einer gewöhnlichen Mikroemulsion.

Aus der Beschreibung (Absatz [0039]) ist auch zu entnehmen, dass die Methodik zur Erstellung des oben genannten Fischdiagramms bereits seit längerer Zeit zum Studium von Mikroemulsionen eingesetzt und bekannt war, sodass solch eine Erstellung, falls erforderlich, keinen unzumutbaren Aufwand für den Fachmann darstellt.

5.2 Das Patent lehrt weiter (Absätze [0081]-[0083]) wie das beanspruchte Reinigungsmittel herzustellen ist, bzw. enthält zahlreiche Beispiele von Reinigungsmitteln, die ausdrücklich ein Nanophasensystem umfassen.

Obwohl das Streitpatent das veränderte Fischdiagramm nach Anspruch 1 nur in Figur 10 für ein zwei Tenside enthaltendes Mittel darstellt, kann die Kammer mangels eines gegenteiligen Beweises nicht die Sicht des Beschwerdeführers folgen, dass die im Anspruch 1 genannte Aufweitung des thermodynamisch stabilen kolloiddispersen Bereichs mit Formulierungen, die nur ein Tensid (insbesondere ein ionisches) enthalten, nicht zu erhalten sei. Im Gegensatz dazu enthält das Streitpatent explizit die Beispiele 1 bis 5, die nur ein ionisches Tensid enthalten und ausdrücklich als Nanofluidsysteme gekennzeichnet sind, und somit das funktionelle Merkmal des Anspruchs 1 inhärent erfüllen.

5.3 Es war zudem bekannt (siehe D6, Seite 206, linke Spalte, 2. und 3. vollständiger Absatz), dass auch ionische Tenside mit einer einzigen Kohlenwasserstoffkette in Anwesenheit eines Cotensids und gegebenenfalls eines Salzes eine Mikroemulsion bilden (siehe auch Streitpatent, Seite 5, Zeilen 15-16). Da Anspruch 1 die Anwesenheit eines Cotensids und gegebenenfalls von Hilfsstoffen erfordert und das Streitpatent Beispiele von Reinigungsmitteln enthält, die mit einem anionischen Tensid, einem Cotensid und ohne Salz ein Nanofluidsystem bilden (siehe Beispiele 1 bis 5), ist es glaubhaft, dass das im Streitpatent beschriebene Verfahren auch mit einem ionischen Tensid und ohne Zugabe von Salz zur Bildung eines Nanophasensystems führt. Zudem wäre es für den Fachmann kein unzumutbarer Aufwand, ein Salz - falls erforderlich - als Hilfsstoff hinzuzufügen, da dieser Verfahrensschritt zur Erhaltung einer Mikroemulsion (und daher eines Nanofluidsystems), wie oben erläutert, auch seit langer Zeit bekannt war.

5.4 Die beanspruchte Erfindung erfüllt somit die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ.

6. Hilfsantrag 1 - Neuheit (Artikel 54 EPÜ)

6.1 Die Beschwerdeführerin hat die Dokumente D1, D4 and D5 gegen die Neuheit des Anspruchs 1 angeführt.

6.2 D1 (Seite 2, Zeilen 5 bis 14; Seite 3, Zeilen 8-22 bzw. Ansprüche 1 bis 3) offenbart Mikroemulsionen, die 5 bis 20 Gew.-% eines Anlagerungsprodukts von Ethylenoxid und C10-18 Alkohol (Tensidkomponente (c) des Anspruchs 1), 40 bis 80 Gew.-% Wasser (Komponente (d) des Anspruchs 1) und 10 bis 25 Gew.-% einer Mischung von Lösemitteln enthaltend 20 bis 70 Gew.-% eines organischen aromatarmen Lösemittels (Komponente (a) des Anspruchs 1) und mindestens eines Lösemittels ausgewählt aus 0 bis 35 Gew.-% höheren Alkoholen (Cotensidkomponente (c) des Anspruchs 1), 0 bis 25 Gew.-% Glykolether, oder 0 bis 20 Gew.-% niedrigeren Alkoholen und zusätzlich 0 bis 20 Gew.-% eines Esters enthalten.

Gemäß Anspruch 5, abhängig unter anderem vom Anspruch 2 oder 3, enthält die Lösemittelmischung (die die obige Komponentenmenge aufweist) mindestens einen Glykolether mit einem mittleren Molekulargewicht zwischen 100 und 150 g/mol und/oder mindestens einen Ester mit einem mittleren Molekulargewicht zwischen 100 und 170 g/mol.

6.2.1 Daher ist aus den oben dargestellten Alternativen zu entnehmen, dass die Esterkomponente kein zwingender Bestandteil der Lösemittelmischung ist. Die Kammer bemerkt auch, dass die in D1 enthaltenen Liste von Esterkomponenten (Seite 3, Zeilen 51-55) nur zwei Verbindungen enthält (Methyl- oder Ethylacetoacetat), die der NP-MCA Komponente des angegriffenen Anspruchs 1 entsprechen, wobei diese zwei Verbindungen in D1 nicht bevorzugt sind.

6.2.2 Die Anwesenheit eines Cotensids (zweite Komponente (c) des angegriffenen Anspruchs 1) (z.B. die als mögliche Lösemittel aufgeführten höheren Alkohole) ist auch nicht zwingend, da ihre Menge 0 (bis 35) Gew.-% der Lösemittelmischung betragen kann.

6.2.3 Der Beschwerdeführer hat erstmals mit seinem Schreiben vom 5. Juni 2023 ausgeführt, dass die in D1 als Lösungsmittelkomponente aufgeführte Glykolether Cotenside seien, da sie hydrophobhydrophile Molekülanteile enthalten. Die Kammer kann jedoch die Sicht des Beschwerdeführers nicht teilen, da auch Tenside, die keine Cotenside sind, hydrophobhydrophile Molekülanteile enthalten und es nicht glaubhaft gemacht worden ist, dass die obige Behauptung allgemeines Fachwissen darstellt. Es ist im Gegenteil anzumerken, dass die im Streitpatent (Absätze [0056]-[0060]) enthaltene Liste von Cotensiden keine Glykolether enthält und D6 (Seite 206, linke Spalte, 3. voller Absatz) Cotenside als aliphatische Alkohole von mittlerer Länge bezeichnet. Daher können Glykolether nicht als Cotenside im Sinne des Streitpatents angesehen werden.

6.2.4 Daß die in D1 offenbarten Mikroemulsionen ein Nanophasensystem bilden, ist auch nicht glaubhaft gemacht worden.

6.2.5 Somit ist eine explizite oder implizite Kombination aller Merkmale des angegriffenen Anspruchs 1 in D1 nicht offenbart.

6.3 Es ist unstreitig, dass das Prioritätsdokument des Streitpatents nur einige der vom beanspruchten Anspruch 1 umfassten Alternativen offenbart. Für die nicht offenbarten Alternativen ist daher die Priorität des Streitpatents sowie die der Stammanmeldung, die die gleiche Priorität beansprucht, nicht gültig.

Jedoch können die in D4 (Stammanmeldung) enthaltenen Beispiele von Nanophasensystemen, denen Priorität zukommt und die identisch mit den Beispielen des Streitpatents sind, nicht neuheitsschädlich sein.

6.3.1 Obwohl das Prioritätsdokument das funktionelle Merkmal des Anspruchs 1 nicht erwähnt, bezieht es sich ausdrücklich auf Nanophasensysteme mit einer Zusammensetzung, die vom Streitpatent umfasst ist und die durch das gleiche Verfahren wie im Streitpatent hergestellt sind. Daher betrifft es nicht eine andere Erfindung, wie vom Beschwerdeführer behauptet. Zudem sind die im Prioritätsdokument enthaltenen Beispiele identisch mit den entsprechenden Beispielen des Streitpatents, für die daher das beanspruchte Prioritätsdatum anzuerkennen ist.

6.3.2 Daher können die im veröffentlichten Prioritätsdokument D5 enthaltenen Beispiele nicht neuheitsschädlich sein.

6.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 (sowie der der Ansprüche 2 bis 6) ist somit neu gegenüber dem zitierten Stand der Technik.

7. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)

7.1 Aufgabe der vorliegenden Erfindung war es (Absatz [0023]), ein Reinigungsmittel für eine breite Palette baulicher Untergründe und auch für Haut, Haare und Fingernägel zur Verfügung zu stellen, das ein schnelles und gründliches Entfernen der Farbe oder des Lackes ohne Verschmieren gewährleistet, nicht umwelt- oder gesundheitsgefährdend ist und eine breite Palette an Farben und Lacken löst.

7.2 D1 (Seite 2, Zeilen 43-50) betrifft die Bereitstellung eines Reinigungsmittels, das für verschiedene Untergrundmaterialien wie Altlackierungen, blanke Metallbleche und Kunststoffe geeignet ist und eine gute Reinigungswirkung sowohl für ölige Verunreinigungen, als auch für Vogelkot aufweist. Zudem sollte es nicht umwelt- oder gesundheitsgefährdend sein. Obwohl D1 das Entfernen von Farben oder Lacken ohne Verschmieren nicht offenbart, betrifft diese Entgegenhaltung die Reinigung von zum Teil ähnlichen Untergrundmaterialien wie das Streitpatent durch ein nicht umwelt- oder gesundheitsgefährdendes Reinigungsmittel und kann somit als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit gewählt werden.

7.2.1 Als nächstliegender Stand der Technik kann das Reinigungsmittel des Beispiels 2, das unter anderem zwei Ester (Propylpropionat und 1-Methoxypropylacetat) enthält oder die im Anspruch 2 oder 5 offenbarten Formulierungen (siehe oben), die auch als Alternative einen Ester enthalten können, gewählt werden.

Angesichts dieses Ausgangspunkts kann die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe wie die im Absatz [0023] formuliert werden.

7.2.2 Die in Beispiel 2 offenbarte Mikroemulsion unterscheidet sich somit vom Gegenstand des Anspruchs 1 zumindest dadurch, dass sie Propylpropionat und 1-Methoxypropylacetat statt eines NP-MCA gemäß angegriffenem Anspruch 1 enthält. Anspruch 2 spezifiziert nicht weiter die Formel des möglichst enthaltenen Esters und Anspruch 5 offenbart nur, dass der möglichst enthaltene Ester ein mittleres Molekulargewicht zwischen 100 und 170 g/mol aufweist, sodass auch diese Ansprüche kein NP-MCA gemäß angegriffenem Anspruch 1 offenbaren.

Daher offenbart D1 kein Nanophasensystem wie beansprucht.

7.2.3 Das Streitpatent enthält zwar keinen direkten Vergleich gegenüber D1, jedoch zeigen die Vergleichsversuche im Beispiel 11, das ein Mittel gemäß Anspruch 1 (graffitiCRACK Reinigungsmittel (d)) eine bessere Entfernung von Farben oder Lacken ohne Verschmieren als eine ähnliche Mikroemulsion (f) bewirkt. Insbesondere (Absatz [0121]) weist die Mikroemulsion des Vergleichsbeispiels die geringste Ablösefähigkeit auf, während die graffitiCRACK Formulierung die deutlichste Wirkung zeigt. Daher, in Abwesenheit eines gegenteiligen Beweises, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass die dem Patent zugrundeliegende Aufgabe durch die beanspruchten Reinigungsmittel nicht erfolgreich gelöst wurde.

7.2.4 Obwohl D1 (Seite 3, Zeile 53) auch Methyl- oder Ethylacetoacetat, ein NP-MCA gemäß angegriffenem Anspruch 1, als eine der zahlreichen möglichen nicht bevorzugten Alternativen für die möglichst enthaltenen Ester offenbart, hätte der Fachmann sie im Beispiel 2 oder als Ester in einer Formulierung nach Anspruch 2 oder 5 nicht in der Erwartung eingesetzt, ein Nanophasensystem wie beansprucht zu erhalten, das eine bessere Entfernung der Farbe oder des Lackes ohne Verschmieren gewährleistet, weil diese Zielsetzung in D1 nicht erwähnt wird.

Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass der beanspruchte Gegenstand nicht naheliegend war und somit auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber D1 beruht.

7.3 D2 (Seite 3, Zeilen 21-24) betrifft die Bereitstellung eines verbesserten, Gerüststoff enthaltenden, wässrigen Reinigungs- bzw. Entfettungsmittels, das eine allgemein verbesserte Wirksamkeit (insbesondere Entfettung) aufweist. Somit betrifft auch dieses Dokument eine andere Aufgabenstellung als das Streitpatent und ist sogar weniger relevant als D1.

7.3.1 Die in D2 offenbarten Reinigungsmittel sind in Form einer Mikroemulsion (Seite 4, Zeilen 9-11) und die Formulierungen gemäß Beispiele unterscheiden sich vom beanspruchten Gegenstand dadurch, dass sie kein NP-MCA enthalten. Zum Beispiel enthält die Formulierung vom Beispiel 2 ein 1-Phenoxy-2-Propanol statt eines NP-MCA. Daher weisen diese Zusammensetzungen auch kein Nanophasensystem auf.

7.3.2 Obwohl die Beschreibung der D2 (Seite 7, Zeilen 15-16) Isopropylacetoacetat, ein NP-MCA gemäß angegriffenem Anspruch 1, als eine der zahlreichen möglichen, jedoch nicht bevorzugten, alternativen Lösungsmitteln offenbart, hätte der Fachmann dieses spezifische Lösungsmittel nicht statt des 1-Phenoxy-2-propanols in den Beispielen mit der Erwartung eingesetzt, ein Nanophasensystem wie beansprucht zu erhalten, das eine bessere Entfernung der Farbe oder Lacke ohne Verschmieren gewährleistet.

7.3.3 Der Gegenstand gemäß Anspruch 1 ist daher nicht naheliegend und beruht somit auch gegenüber D2 auf einer erfinderischen Tätigkeit.

7.4 Der Gegenstand der von Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2 bis 6 beruht somit ebenfalls auf einer erfinderischen Tätigkeit.

8. Infolgedessen erfüllt der als Hilfsantrag 1 gekennzeichnete alleinige Antrag die Erfordernisse des EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Die Sache wird an die Vorinstanz mit der Maßgabe zurückverwiesen, das Patent in folgender Fassung aufrechtzuerhalten:

- Ansprüche 1 bis 6 des in der mündlichen Verhandlung vom 4. August 2023 neu eingereichten ersten Hilfsantrages und

- einer dazu anzupassenden Beschreibung.

3. Der Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.

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