European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2023:T091120.20230227 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 27 Februar 2023 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0911/20 | ||||||||
Anmeldenummer: | 11171179.2 | ||||||||
IPC-Klasse: | B01D 53/26 B60T 17/00 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | Druckluftaufbereitungseinrichtung mit zwei Lufttrocknungskartuschen | ||||||||
Name des Anmelders: | Haldex Brake Products Aktiebolag | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Knorr-Bremse Systeme für Nutzfahrzeuge GmbH |
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Kammer: | 3.3.05 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Patentansprüche - Klarheit Patentansprüche - Hauptantrag (ja) Neuheit - (ja) Erfinderische Tätigkeit - (ja) Änderung nach Ladung - berücksichtigt (ja) Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein) Änderungen - Berichtigung von Mängeln (ja) Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerden der Einsprechenden (Beschwerdeführerin 1) und der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin 2) betreffen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent EP 2 407 231 B1 im geänderten Umfang aufrecht zu erhalten.
II. Die folgenden, bereits im Einspruchsverfahren zitierten Dokumente sind hier von Relevanz:
D1|DE 32 44 414 A1 |
D2|US 4,812,148 A |
D3|EP 1 980 312 A2 |
D4|DE 35 33 893 A1 |
D5|WO 2011/134575 A2|
D6|EP 0 199 948 A1 |
III. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer reichte die Beschwerdeführerin 2 einen neuen, vom damaligen Hilfsantrag 2 ausgehenden Hauptantrag ein. Die Beschwerdeführerin 1 bestritt daraufhin die Zulassung dieses Antrags und die Erfüllung der Erfordernisse gemäss der Artikel 123(2), 84 und 56 EPÜ.
IV. Die der Entscheidung zugrundeliegenden unabhängigen Ansprüche 1 und 2 dieses Hauptantrags lauten wie folgt:
1. Nutzfahrzeug-Druckluftaufbereitungseinrichtung (1) mit
a) einer Zentralleitung, von der mehrere Verbraucher abzweigen, wobei der Druck in der Zentralleitung durch mindestens ein Rückschlagventil gesichert ist, und
b) zwei in parallelen Leitungszweigen (11, 12) angeordneten Lufttrocknungskartuschen (15,16),
c) wobei ein Regenerationsbetrieb einer Lufttrocknungskartusche (15; 16) unabhängig von einem Versorgungsbetrieb der anderen Lufttrocknungskartusche (16; 15) steuerbar ist,
d) Ausgangsleitungen (89, 90) der Lufttrocknungskartuschen (15, 16) über ein Regenerationsventil (63) miteinander verbunden sind oder die über das mindestens eine Rückschlagventil (9) gesicherte Zentralleitung (10) der Nutzfahrzeug-Druckluftaufbereitungseinrichtung
(1) über mindestens ein Regenerationsventil (63; 63a, 63b) mit Ausgangsleitungen (89, 90) der Lufttrocknungskartuschen (15, 16) verbunden ist und
e) eine elektronische Steuereinheit (51) mit einer Steuerlogik vorgesehen ist, über welche ein Kompressor (2) sowohl mit einer als auch mit beiden Lufttrocknungskartuschen (15, 16) verbindbar ist.
2. Nutzfahrzeug-Druckluftaufbereitungseinrichtung (1), insbesondere Nutzfahrzeug- Druckluftaufbereitungseinrichtung (1) nach Anspruch 1, mit
a) einer Zentralleitung, von der mehrere Verbraucher abzweigen, wobei der Druck in der Zentralleitung durch mindestens ein Rückschlagventil gesichert ist, und
b) zwei in parallelen Leitungszweigen (11, 12) angeordneten Lufttrocknungskartuschen (15,16),
c) wobei ein Regenerationsbetrieb einer Lufttrocknungskartusche (15; 16) unabhängig von einem Versorgungsbetrieb der anderen Lufttrocknungskartusche (16; 15) steuerbar ist,
d) Ausgangsleitungen (89, 90) der Lufttrocknungskartuschen (15, 16) über ein Regenerationsventil (63) miteinander verbunden sind oder die über das mindestens eine Rückschlagventil (9) gesicherte Zentralleitung (10) der Nutzfahrzeug- Druckluftaufbereitungseinrichtung (1) über mindestens ein Regenerationsventil (63; 63a, 63b) mit Ausgangsleitungen (89, 90) der Lufttrocknungskartuschen (15, 16) verbunden ist und
e) eine elektronische Steuereinheit (51) mit einer Steuerlogik vorgesehen ist, über welche ein Regenerationsbetrieb einer Lufttrocknungskartusche (15; 16) unabhängig von dem Versorgungsbetrieb der anderen Lufttrocknungskartusche (16; 15) beendet oder begonnen wird.
Die abhängigen Ansprüche 3 bis 13 betreffen besondere Ausführungsarten der Erfindung.
V. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin 1 (Einsprechende) können wie folgt zusammengefasst werden:
Zulassung neuer Hauptantrag
Der neue Hauptantrag solle nicht zugelassen werden, da er nach der Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereicht wurde und keine außergewöhnlichen Umstände im Sinne des Artikels 13(2) VOBK 2020 vorlägen.
Artikel 123(2) EPÜ
Die ursprüngliche Beschreibung offenbare keine ganz allgemein für Nutzfahrzeuge geeignete Druckluftaufbereitungseinrichtung, sondern lediglich die Möglichkeit, bestimmte Verbraucher anzuschließen, die im Bereich der Nutzfahrzeuge relevant sein mögen, so dass der beanspruchte Gegenstand über die ursprüngliche Offenbarung hinaus gehe. Darüber hinaus sei das Löschen des Merkmals "Kompressor" in Anspruch 1 nicht ursprünglich offenbart, denn es sei immer nur eine Druckluftaufbereitungseinrichtung mit einem Kompressor offenbart und beansprucht gewesen. Durch die Streichung umfasse der Anspruch 1 nun auch eine Druckluftaufbereitungseinrichtung ohne Kompressor. Zudem stelle die von der Beschwerdeführerin 2 angegebene Seite 8, Zeile 23 keine Grundlage für das Merkmal "sowohl mit einer als auch mit beiden" dar.
Artikel 84 EPÜ
Das im Vergleich zum erteilten Patent geänderte Merkmal "sowohl mit einer als auch mit beiden" sei unklar, weil die Merkmale, welche den Kompressor einerseits mit einer und andererseits mit beiden Lufttrocknungskartuschen verbinden soll, unbestimmt sind.
Zulassung des neuen Einwands unter Artikel 56 EPÜ gegen Anspruch 2
Der vorliegende Anspruch 2 sei im Wesentlichen die Ausformulierung einer in Anspruch 1 des ursprünglichen Hauptantrags enthaltenen Alternative.
Anspruch 1 des vormaligen Hauptantrags sei insgesamt angegriffen worden.
Der neue Einwand unter Artikel 56 EPÜ solle daher zugelassen werden.
Artikel 56 EPÜ
D6 werde als nächstliegender Stand der Technik angesehen. Davon ausgehend werde die technische Aufgabe als das Vergrößern der bereitstellbaren trockenen Luftmenge angesehen. Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht erfinderisch im Lichte des fachmännischen Wissens oder der D2, weil diese eine Verbindung des Kompressors mit beiden Lufttrocknungskartuschen nahelegten.
Zudem sei es jedenfalls nicht erfinderisch, die Trocknungskammern als Kartusche auszuführen.
VI. Die wesentlichen Argumente der Beschwerdeführerin 2 (Patentinhaberin) können wie folgt zusammengefasst werden:
Zulassung neuer Hauptantrag
Die Änderung betreffe lediglich eine sprachliche Klarstellung, um einen erstmalig in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwand zu beheben. Diese Korrektur führe zu keiner Neubewertung der Patentierbarkeit und erfordere keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Patent.
Artikel 123(2) EPÜ
Es sei der Anmeldung insbesondere aus den Seiten 6, 9, 13 und 15 zu entnehmen, dass es sich bei der Vorrichtung um eine Druckluftaufbereitungseinrichtung für ein Nutzfahrzeug handle.
Aus den Figuren sei erkennbar, dass der Kompressor nicht notwendigerweise Teil der Druckluftaufbereitungseinrichtung sei.
Grundlage für das Merkmal "sowohl mit einer als auch mit beiden" sei die Seite 8, Zeile 23 der ursprünglichen Beschreibung.
Zulassung des Einwands unter Artikel 56 EPÜ gegen Anspruch 2
Die Beschwerdeführerin 1 habe gegen die in Anspruch 2 beanspruchte Ausführungsform in ihrer Beschwerde keinen Einwand vorgetragen. Im Einwand der mangelnden Neuheit habe sie diese Variante sogar ausdrücklich ausgenommen.
Artikel 56 EPÜ
Von der D6 ausgehend stelle sich die zu lösende technische Aufgabe als das Vergrößern der bereitstellbaren trockenen Luftmenge dar.
Die Aufgabe werde dadurch gelöst, dass der Kompressor mit beiden Kartuschen verbunden werden kann. Die Fachperson würde ausgehend von der D6 nicht beide Trocknungskammern parallel schalten. Die D2 schalte die Trocknungskammern nur bei abgeschaltetem Kompressor parallel und gebe daher keinen Hinweis, dass durch das Parallelschalten der Trocknungskammern die bereitstellbare Luftmenge vergrößert werden könne.
VII. Anträge in der Sache:
Die Beschwerdeführerin 2 (Patentinhaberin) beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent auf Grundlage des Hauptantrags, eingereicht in der mündlichen Verhandlung, aufrecht zu erhalten.
Hilfsweise beantragte sie das Patent auf Grundlage der Hilfsanträge 2-6, eingereicht am 26. Mai 2020 aufrecht zu erhalten. Dazu hilfsweise beantragte sie die Beschwerde der Beschwerdeführerin 1 zurückzuweisen (Hilfsantrag 7). Dazu hilfsweise beantragte sie das Patent auf Grundlage des Hilfsantrags 7a, eingereicht am 20. Januar 2023 aufrecht zu erhalten. Dazu hilfsweise beantragte sie das Patent auf Grundlage der Hilfsanträge 8-9, eingereicht am 2. September 2020 aufrecht zu erhalten. Dazu hilfsweise beantragte sie das Patent auf Grundlage des Hilfsantrags 9a, eingereicht am 20. Januar 2023 aufrecht zu erhalten. Dazu hilfsweise beantragte sie das Patent auf Grundlage der Hilfsanträge 10-13, eingereicht am 2. September 2020 aufrecht zu erhalten.
Die Beschwerdeführerin 1 (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Entscheidungsgründe
1. Zulassung des Hauptantrages
Der Hauptantrag entspricht dem Hilfsantrag 2, wobei ein im erteilten Patent nicht vorhandener sprachlicher Mangel durch das Ersetzen des bestimmten Artikels vor dem Merkmal "Kompressor" in Anspruch 1 durch einen unbestimmten Artikel, behoben wurde.
Die Beschwerdeführerin 1 beantragte im Schreiben vom 14. Oktober 2020 bereits Hilfsantrag 2 nicht zuzulassen, weil nicht substantiiert sei, warum durch die vorgenommene Änderung die Mängel des Anspruchs 1 des erteilten Patents behoben werden, noch dies offensichtlich sei.
Hilfsantrag 2 wurde im Einspruchsverfahren vor dem in der Ladung genannten Zeitpunkt nach Regel 116 EPÜ eingereicht und nie zurückgezogen. Er wurde daher in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten und ist somit als Teil des Beschwerdevorbringens zu betrachten (Artikel 12(4) RPBA 2020).
Der erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erhobene Einwand betrifft einen sprachlichen Mangel. Das Einreichen des neuen Hauptantrags stellt eine Reaktion der Beschwerdeführerin 2 dar.
Die Korrektur behebt den Mangel und hat auf die Beurteilung der Patentierbarkeit des Hauptantrags keinen Einfluss. Zudem werden weder der Inhalt des Anspruchs geändert noch neue Probleme aufgeworfen.
Deshalb sieht die Kammer die vorliegende Situation als außergewöhnliche Umstände im Sinne des Artikels 13(2) VOBK 2020 an und lässt die Ansprüche zu (T 1460/16, Punkt 2.1; T 0131/18 Punkt 3.3.3).
Hauptantrag
2. Artikel 100 c) EPÜ
Der beanspruchte Gegenstand geht aus den folgenden Gründen nicht über die ursprüngliche Anmeldung hinaus.
Nutzfahrzeug
Das Streitpatent betrifft eine Druckluftaufbereitungseinrichtung. Es ist unmittelbar aus der Seite 9, zweiter Absatz und Seite 24 ersichtlich, dass bestimmte Verbraucher eines Nutzfahrzeuges damit mit Druckluft versorgt werden können. Aus Seite 6, zweiter Absatz geht hervor, dass die Druckluft für die Bremsung bei einer Bergabfahrt verwendet wird. Auf Seite 24, vierter Absatz wird der Nutzen in Wechselbrückenfahrzeugen und Stadtbussen beschrieben.
Die ursprüngliche Beschreibung offenbart daher eine Druckluftaufbereitungseinrichtung für Nutzfahrzeuge, wobei die Druckluftverbraucher nicht auf die Beispiele der Seite 9 beschränkt sind.
Kompressor
Ausgangspunkt für die Beurteilung, ob ein geänderter Anspruch die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ erfüllt, ist der Gegenstand, den der Anspruch nach der Änderung enthält, d. h., der nach der Änderung im Anspruch verbleibende Gegenstand (siehe G 2/10 Punkt 4.5.2 der Entscheidungsgründe).
Die Druckluftaufbereitungseinrichtung ist lediglich eine Behandlung der Druckluft stromabwärts des Kompressors. Es ist unmittelbar ersichtlich, dass die Druckluftaufbereitungseinrichtung auch ohne einen Kompressor eine funktionale Einheit darstellt. Vorliegend ist ein Kompressor als Druckluftquelle mit der Druckluftaufbereitungseinrichtung nicht derart untrennbar verbunden, dass die Beschränkung des beanspruchten Gegenstands auf die Druckluftaufbereitungseinrichtung unzulässig wäre. Das ist insbesondere auch aus den Figuren ersichtlich, in die Nutzfahrzeug-Druckluftaufbereitungseinrichtung mit dem Referenzzeichen 1 als Einheit dargestellt wird, wobei der Kompressor mit dem Referenzzeichen 2 und die Verbraucherkreise mit den Referenzzeichen 31-35 an sie angeschlossen sind.
"sowohl mit einer als auch mit beiden"
Seite 8 beschreibt im ersten Absatz die Lufttrocknungskartuschen wechselweise für die Lufttrocknung zu benutzen bzw. zu regenerieren. Im folgenden Absatz wird offenbart, dass auch beide Lufttrocknungskartuschen gleichzeitig mit dem Kompressor verbunden werden können, um einen großen trockenen Luftstrom bereitstellen zu können.
Dieser Betriebszustand ist mit einem entsprechenden Ventil herstellbar.
Es ist daher unmittelbar ersichtlich, dass der Kompressor sowohl mit einer als auch mit beiden Lufttrocknungskartuschen verbindbar ist.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 geht somit nicht über die ursprüngliche Offenbarung hinaus.
3. Klarheit, Artikel 84 EPÜ
Aus der Formulierung "sowohl mit einer als auch mit beiden" geht hervor, dass es sich um alternative Verbindungen handelt, die nicht gleichzeitig hergestellt werden.
Es ist der Fachperson klar, dass mit Hilfe von Ventilen in einfacher Weise eine Anordnung geschaffen werden kann, die den Kompressor sowohl mit nur einer Lufttrocknungskartusche und als auch mit beiden Lufttrocknungskartuschen verbinden kann.
Ein Mangel an Klarheit ist daher nicht ersichtlich.
4. Zulassung des neuen Einwandes unter Artikel 56 EPÜ gegen den Anspruch 2
Die Beschwerdeführerin 1 richtete ihre Beschwerde gegen die Alternative des Merkmals e) des erteilten Patents, derzufolge der Kompressor mit einer oder beiden Lufttrocknungskartuschen verbindbar ist. Bezüglich des vormaligen Hilfsantrags 2, welcher den Ausgangspunkt für den vorliegenden Hauptantrag darstellt, verwies sie auf die Einwände gegen das erteilte Patent (siehe Schreiben vom 14. Oktober 2020, Seite 3, erste vier Absätze).
Gegen die nun im Gegenstand von Anspruch 2 enthaltene Alternative des Merkmals e), welches im Schreiben vom 14. Oktober 2020, auf den Seiten 2 und 3 mit e2) bezeichnet wurde, derzufolge der Regenerationsbetrieb einer Lufttrockungskartusche unabhängig vom Versorgungsbetrieb der anderen Lufttrocknungskartusche beendet oder begonnen wird, wurde im schriftlichen Verfahren kein Einwand unter Artikel 100(a) EPÜ i. V. m. Artikel 56 EPÜ erhoben. Ein Verweis auf den schriftlich vorgebrachten Einwand gegen das erteilte Patent kann daher das Merkmal e2) nicht umfassen.
Dass der Einwand unter Artikel 56 EPÜ gegen Anspruch 2 des vorliegenden Hauptantrags erstmals in der mündlichen Verhandlung substantiiert wurde, bestreitet die Beschwerdeführerin 1 nicht.
Der vorliegende Einwand unter Artikel 56 EPÜ gegen Anspruch 2 stellt eine bedeutende Änderung des Beschwerdevorbringens dar.
Der Umstand, dass die in der Mitteilung geäußerte vorläufige Meinung der mangelnden erfinderischen Tätigkeit der Alternative in Anspruch 2 nach den Vorträgen der Parteien von der Kammer nicht mehr aufrechterhalten wird, stellt keinen außergewöhnlichen Umstand dar, auf den sich die Beschwerdeführerin 1 berufen kann. Weitergehende Rechtfertigungen hinsichtlich außergewöhnlicher Umstände wurden seitens der Beschwerdeführerin 2 nicht abgegeben.
Daher wird der neue Einwand unter Artikel 56 EPÜ gegen den Anspruch 2 des Hauptantrags nicht zugelassen (Artikel 13(2) VOBK 2020).
5. Anspruch 1, erfinderische Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ
Das Streitpatent betrifft eine Druckluftaufbereitungseinrichtung für Nutzfahrzeuge.
D6 wird von beiden Parteien und der Kammer als nächstliegender Stand der Technik angesehen. Sie betrifft eine Vorrichtung zum Trocknen von Druckluft für Fahrzeug-Druckluftanlagen und ist deshalb als Ausgangspunkt für einen Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit geeignet.
D6 offenbart keine Kartuschen. Zudem offenbart sie, dass die Zähler A und C sowohl den Beginn des Versorgungsbetriebs der einen Trocknungskammer als auch das Ende des Regenerationsbetriebs der anderen Trocknungskammer bestimmen. Beide Zähler werden am Beginn des Versorgungsbetriebs der einen Trocknungskammer gestartet. Daher ist das Ende des Regenerationsbetriebs nur vom Beginn des Versorgungsbetriebs abhängig.
Der Regenerationsbetrieb einer Trocknungskammer wird daher nicht unabhängig vom Beginn des Versorgungsbetriebs der anderen Trocknungskammer gesteuert, sodass, wie in der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdeführerin 2 überzeugend dargelegt wurde, das Merkmal c) des Anspruchs 1 in D6 nicht offenbart ist.
Wie die Beschwerdeführerin 1 zurecht anführt, kann der D6 zufolge die Kapazität der trocknenden Trocknungskammer durch Förderdruck- und Luftfeuchtemessung besser abgeschätzt und zum Ansteuern des Wechselventils und Beenden der Trocknungsphase berücksichtigt werden. Das Verwenden dieser Betriebsparameter hat somit zur Folge, dass das Umschalten und somit die Beendigung des Regenerationsbetriebs der einen Trocknungskammer auch vom Versorgungsbetrieb der anderen Trocknungskammer abhängig ist.
Als die technische Aufgabe wird von beiden Parteien das Vergrößern der bereitstellbaren, trockenen Luftmenge angesehen.
Der Beschwerdeführerin 2 zufolge wird die Aufgabe dadurch gelöst, dass der Kompressor mit beiden Kartuschen verbunden werden kann. Damit können beide Lufttrocknungskartuschen über einen gewissen Zeitraum gleichzeitig betrieben werden.
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass in der Vorrichtung der D6 im Regenerationsbetrieb immer beide Trockungskammern über das Magnetabsperrventil 15 mit dem Kompressor verbunden seien.
Gemäß Anspruch 1 sind die Ausgangsleitungen der Lufttrocknungskartuschen über ein Regenerationsventil direkt oder über die Zentralleitung miteinander verbunden.
Wenn in Anspruch 1 enthaltene Elemente Teil einer Verbindung sind, werden sie ausdrücklich genannt. Die dahingehende Interpretation des Anspruchs 1, dass die Verbindung des Kompressors mit der Lufttrocknungskartusche eigentlich noch andere in Anspruch 1 angeführte Elemente enthält, insbesondere die andere Lufttrocknungskartusche und das Regenerationsventil, ist nicht sachgerecht.
Die Beschwerdeführerin 1 bezweifelte nicht, dass die technische Aufgabe als gelöst anzusehen sei, jedoch ist sie der Auffassung, dass sich diese Lösung aus dem fachmännischen Wissen ergebe, aber auch aus der D2 zu entnehmen sei.
Es ist aber nicht überzeugend, dass die Fachperson das Betriebskonzept der D6 ohne Anlass fundamental ändern würde. Vielmehr würde die Fachperson ausgehend von der D6 im Hinblick auf die zu lösende technische Aufgabe lediglich die Anlagegröße auf die erforderliche Druckluftmenge auslegen.
Eine Lösung, wie sie Anspruch 1 des Streitpatents vorschlägt, würde die Fachperson ausgehend von der D6 im Lichte des Fachwissens nicht in Betracht ziehen.
Auch die D2 führt die Fachperson nicht auf die Lösung des Streitpatents.
Die D2 offenbart zwar in den ersten Zeilen der Spalte 4, beide Lufttrocknungskartuschen mit dem Kompressor zu verbinden, allerdings geschieht das nur im ausgeschalteten Zustand um einen Druckabfall in der Leitung zwischen den Trocknungskammern und dem Kompressor zu verhindern. Im Hinblick auf die zu lösende technische Aufgabe, würde die Fachperson jedoch die in der D6 offenbarte Anlage nicht dahingehend verändern, dass beide Trocknungskammern wie in der D2 mit dem Kompressor verbunden werden können, denn die technische Aufgabe könnte durch diese Maßnahme alleine nicht gelöst werden. Die Fachperson hat daher keinen Anlass, dieses technische Detail in der D6 umzusetzen.
Weitergehendes Wissen des Fachmanns, das in naheliegender Weise zum beanspruchten Gegenstand geführt hätte, wurde nicht glaubhaft gemacht.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
- Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
- Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, das Patent in geänderter Fassung gemäß Ansprüchen 1 bis 13 des Hauptantrags, eingereicht in der mündlichen Verhandlung, und einer anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.