European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2023:T072720.20230704 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 04 Juli 2023 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 0727/20 | ||||||||
Anmeldenummer: | 12712955.9 | ||||||||
IPC-Klasse: | F23G 5/16 F23L 7/00 F23L 9/02 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | VERFAHREN ZUR OPTIMIERUNG DES AUSBRANDS VON ABGASEN EINER VERBRENNUNGSANLAGE | ||||||||
Name des Anmelders: | Hitachi Zosen Inova AG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | Doosan Lentjes GmbH | ||||||||
Kammer: | 3.2.03 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (nein) Neuheit - (ja) Änderung des Vorbringens - Gründe warum Änderung im Beschwerdeverfahren erfolgt (nein) Erfinderische Tätigkeit - (ja) |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das Europäische Patent mit der Nummer 2 691 701 betrifft ein Verfahren zur Optimierung des Ausbrands von Abgasen einer Feststoffverbrennungsanlage.
II. Gegen das Patent wurde auf Basis der Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit den Artikeln 54 und 56 EPÜ Einspruch eingelegt.
Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass das Patent in der geänderten Fassung des damaligen Hilfsantrags 1 (eingereicht als Hilfsantrag 2 mit Schreiben vom 4. Oktober 2019) den Erfordernissen des EPÜ genügt.
III. Gegen diese Entscheidung wendete sich die Einsprechende ("Beschwerdeführerin") mit der Beschwerde.
IV. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer lauteten die Schlussanträge wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin ("Beschwerdegegnerin") beantragte,
die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen. Hilfsweise beantragt sie die Aufrechterhaltung in geänderter Fassung auf Basis eines der Hilfsanträge 1 bis 7, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung.
V. Die Einwände und Argumente der Beteiligten basieren auf folgenden Beweismitteln, die bereits Bestandteil des Einspruchsverfahrens waren.
E1: "Maßnahmen zur Minderung feuerraumseitiger
Korrosionen", EF-Verlag für Energie- und
Umwelttechnik GmbH, 1982
E2: Reimann D: "Rostfeuerungssysteme zur Verbrennung
von Abfall- und Reststoffen" EF-Verlag für
Energie und Umwelttechnik GmbH, 1991, ISBN:
3924511551
E3: Krüll F.: "Verfahren zur numerischen
Simulation von Müllrostfeuerungen.", Shaker
Verlag, 29. Oktober 2002, ISBN: 3832208194
E4: Krüll F. et al.: "Die Auswirkung
unterschiedlicher Sekundärluftverteilungen auf
den Verbrennungsablauf in einer
Müllrostfeuerung", 2001, VDI-Berichte, Band 1629,
S.349-354
Auf die Entgegenhaltungen E1 bis E4 in Kombination wird im Weiteren auch mit dem Kürzel "MVDF" verwiesen.
E6: EP 1 508 745 A2
E8: US 5,313,895 A1
E12: Schu, R., "Effizienter Abfall verbrennen",
veröffentlicht in UmweltMagazin, 2007, Springer-
VDI-Verlag
E13: Scholz R, Beckmann M, Schulenburg:
"Möglichkeiten der Verbrennungsführung bei
Restmüll in Rostfeuerungsanlagen, Technische
Überwachung, Jg. 32, Nr. 10, 1991
E21: Oumarou M B, Abubakar A B, Abubakar S: "Municipal
Solid Waste Incinerator Design: Basic
Principles.", Sustainable Energy, Vol.6, No.1
(2018)
E22: ,,Theoretische Überlegungen zu und praktische
Forderungen an zukünftige Rostfeuerungen" aus
,,Rostfeuerungen zur Abfallverbrennung", Dieter O.
Reimann (Hrsg.) EF-Verlag für Energie-
und Umwelttechnik, Berlin, 1991
E23: ,,Von Roll-Vorschubrost und Rostfeuerungstechnik"
aus ,,Rostfeuerungen zur Abfallverbrennung",
Dieter O. Reimann (Hrsg.), EF-Verlag für
Energie- und Umwelttechnik, Berlin, 1991
VI. Anspruchsfassung relevant für die Entscheidung
Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags (Patent wie geändert aufrecht erhalten) lautet (Merkmalsgliederung hinzugefügt in "[]"):
"Verfahren zur Optimierung des Ausbrands von Abgasen einer Verbrennungsanlage, umfassend die Schritte,
[a] dass der zu verbrennende Feststoff (2) über einen Einlass (6) in eine einen primären Verbrennungsraum (12) definierende Brennkammer (8) eingeführt wird,
[b] der Feststoff (2) im primären Verbrennungsraum (12) in Form eines über einen Verbrennungsrost (16) geförderten Brennbetts (14) unter Zuführung von Primärluft verbrannt und der verbrannte Feststoff über einen in Förderrichtung (F) dem Einlass (6) gegenüberliegend angeordneten Auslass (18) aus dem primären Verbrennungsraum (12) ausgetragen wird,
[c] und die bei der Verbrennung des Feststoffs (2) frei werdenden primären Verbrennungsgase in einer in deren Strömungsrichtung stromabwärts der Brennkammer (8) angeordneten, einen sekundären Verbrennungsraum (27) definierenden Nachbrennkammer (28) unter Zuführung von Sekundärluft verbrannt werden,
[d1] wobei die die primären Verbrennungsgase enthaltenden Abgase vor Eintritt in den sekundären Verbrennungsraum (27) in einer Mischzone (26) mittels eines über eine Düse (24a, 24b, 24c) eingeführten Fluids homogenisiert werden,
[d2] wobei die Mischzone (26) in Strömungsrichtung der Abgase wenigstens annähernd unmittelbar an das Brennbett (14) anschliesst,
dadurch gekennzeichnet, dass
[d3] die Austrittsgeschwindigkeit des Fluids aus der Düse (24a, 24b, 24c) 40 bis 120 m/s beträgt, und
[d4] dass die Düse (24a, 24b, 24c) in einem Winkel von -10° bis +10° relativ zur Neigung des Verbrennungsrosts (16) ausgerichtet ist,
[d5] sodass in der Mischzone (26) die primären Verbrennungsgase aus einer Trocknungs- und Ascheausbrandzone mit den primären Verbrennungsgasen aus einer Zündungs- und Verbrennungszone gemischt werden."
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen.
a) Hauptantrag - Unzulässige Erweiterung
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags sei durch die Hinzunahme des Merkmals [d5] unzulässig erweitert. Es werde hierdurch ein Kausalzusammenhang aus Durchmischung und Neigungswinkel der Düsen hergestellt, der den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht zu entnehmen sei. Insbesondere definiere der Anspruch nicht, dass die Düse(n) zur Förderrichtung geneigt ausgerichtet sein müssten. Das Einblasen könne auch quasiparallel zu einem Rost mit 0 Grad Neigung erfolgen, so dass aus der Ausrichtung der Düsen in Merkmal d4 der in Merkmal d5 beanspruchte Durchmischungseffekt der aus verschiedenen Zonen kommenden Gase nicht ableitbar sei. Dass ein solcher, in d5 beanspruchter Effekt durch die in [d4] definiert Ausrichtung bedingt sei, stelle für den Fachmann somit neue, den Anmeldeunterlagen nicht entnehmbare technische Information dar.
b) Zulassung des Neuheitseinwandes basierend auf E8
E8 sei neuheitsschädlich und bereits als relevantes Dokument in der Einspruchsbegründung erwähnt. Zudem sei es als Ausgangspunkt der Erfindung im Patent erwähnt und gemäß ständiger Rechtsprechung im Verfahren zu berücksichtigen. Schließlich sei das neue Vorbringen einer fehlenden Neuheit gegenüber der Offenbarung der E8 in Reaktion auf die Begründung der Einspruchsabteilung erfolgt und in Reaktion auf das aufgenommene Merkmal [d5] gerechtfertigt, da sich hierdurch eine überraschende neue Situation ergeben habe.
c) Hauptantrag - Neuheit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei nicht neu gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung der Müllverbrennungsanlage Düsseldorf-Flingern (Beweismittel E1 bis E4). Insbesondere sei eine Vermischung der Verbrennungsgase gemäß der Merkmale [d1] und [d5] gezeigt und die Düsen seien gemäß Merkmal [d4] in einem Winkel parallel zum Rost ausgerichtet.
d) Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E6 und unter Berücksichtigung allgemeinen Fachwissens. Der beanspruchte Bereich der Austrittsgeschwindigkeit sei der der Fachperson bekannte, während der in E6 offenbarte Bereich oberhalb von Mach 1 nur in Ausnahmefällen sinnvoll sei. Zudem offenbare E6 auch Geschwindigkeiten unterhalb von Mach 1. Auch der Winkel gemäß Merkmal [d4] liege für die Fachperson nahe und sei zudem der Figur von E6 durch Abmessen auch zu entnehmen.
VIII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen.
a) Hauptantrag - Unzulässige Erweiterung
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags sei nicht unzulässig erweitert. Merkmal [d5] gehe aus dem allgemeinen Beschreibungsteil der Erfindung hervor und sei auch nicht lediglich kausal mit dem Merkmal [d4] in Anspruch 1 definiert.
b) Zulassung des Neuheitseinwandes basierend auf E8
E8 und der hierauf basierende Neuheitseinwand sei im Einspruchsverfahren nicht vorgebracht worden und prima facie nicht relevant und somit nicht zuzulassen.
c) Hauptantrag - Neuheit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu gegenüber der offenkundigen Vorbenutzung der Müllverbrennungsanlage Düsseldorf-Flingern (Beweismittel E1 bis E4). Zumindest Merkmal [d4] sei nicht offenbart.
d) Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E6 und unter Berücksichtigung allgemeinen Fachwissens. E6 lehre mit dem offenbarten Austrittsgeschwindigkeitsbereich vom beanspruchten Bereich weg. Zudem sei weder der Winkel aus der Abbildung entnehmbar noch liege der beanspruchte Winkelbereich aus dem allgemeinen Fachwissen nahe.
Entscheidungsgründe
1. Hauptantrag - Artikel 123 (2) EPÜ
Der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags geht nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
1.1 Anspruch 1 beruht auf dem erteilten Anspruch 1,
ergänzt durch das Merkmal [d5]:
"... sodass in der Mischzone (26) die primären Verbrennungsgase aus einer Trocknungs- und Ascheausbrandzone mit den primären Verbrennungsgasen aus einer Zündungs- und Verbrennungszone gemischt werden."
Der erteilte Anspruch 1 entspricht dem Anspruch 1 wie ursprünglich eingereicht. Das zusätzliche Merkmal [d5] beruht auf der Beschreibungspassage von Seite 5, Zeile 22 bis Seite 6, Zeile 5 der ursprünglich eingereichten Fassung.
1.2 Der Effekt der Homogenisierung der Verbrennungsabgase aus den unterschiedlichen Verbrennungszonen ist Teil der ursprünglichen Offenbarung. Die Homogenisierung in einer Mischzone "mittels einer über eine Düse eingeführten Fluid" wird bereits in Merkmal [d1] in allgemeiner Form beschrieben. Auch die Lage der Mischzone unmittelbar oberhalb des Brennbettes ist bereits in Merkmal [d2] definiert. Selbiges gilt für die Merkmale [d3] und [d4], die sich bereits auf die Homogenisierung richten, indem dort weitere Parameter des eingeführten Fluids (Winkel und Geschwindigkeit) definiert werden.
1.3 Durch die beanspruchte Merkmalskombination wird - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - kein direkter und ausschließlicher Kausalzusammenhang lediglich zwischen der Ausrichtung der Düse im Winkelbereich gemäß Merkmal [d4] mit dem in Merkmal [d5] beschriebenen Vermischungseffekt hergestellt.
Die Fachperson versteht den Gesamtzusammenhang der Merkmale [d1] bis [d5] vielmehr so, dass sich die den erteilten Anspruchsmerkmalen nachgestellte Formulierung "sodass" auf die Gesamtheit der zuvor definierten Merkmale bezieht. Dabei sind die in [d5] nun näher spezifizierten Verbrennungszonen bereits implizit in den Merkmalen [a] bis [c] offenbart, da sich ein solches Profil von Verbrennungszonen zwingend für ein über einen Verbrennungsrost wanderndes Brennbett einstellt.
Das Verfahrensmerkmal [d5] beschreibt nun gerade den erfindungsgemäßen Effekt der Homogenisierung der Abgase aus diesen Zonen in einer gemäß der Merkmale [d1] und [d2] angeordneten Mischzone (ursprüngliche Fassung, Seite 5, Zeile 18 ff), wobei diese Offenbarung explizit im Rahmen bevorzugter Ausführungsformen der Erfindung erfolgt, die insgesamt durch ein Verfahren gemäß Anspruch 1 wie eingereicht gelöst wird (Seite 4, zweiter Absatz).
1.4 Zudem schließt unter Zugrundelegung des Fachverständnis die Definition einer Neigung der Düsen relativ zur Neigung des Verbrennungsrosts einen waagerechten Rost (ohne Neigung) aus, da dieser eben keine Neigung aufweist. Die Neigung des Rostes verläuft - insoweit sind sich die Parteien einig, sofern von einem geneigten Rost ausgegangen wird - für den Fachmann immer relativ zur Förderrichtung. Damit definiert Merkmal [d4] bereits eine Neigung der Düsen relativ zu dieser Förderrichtung (also zu der Richtung in der die auch verschiedenen Verbrennungszonen angeordnet sind), die zwangsläufig einen gewissen Durchmischungseffekt bewirkt. Der Einwand der Beschwerdeführerin, dass der im Anspruch definierte, kausale Zusammenhang zwischen Merkmal [d4] (Ausrichtung der Düse relativ zur Neigung des Rosts) und Merkmal [d5] (Durchmischungseffekt) nicht ursprünglich offenbart gewesen sei, überzeugt daher nicht.
Die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ sind somit erfüllt.
2. Hauptantrag - Neuheit
Die Neuheit wurde seitens der Beschwerdeführerin im Hinblick auf jede der folgenden Offenbarungen bestritten:
- E8
- offenkundige Vorbenutzung 'Müllverbrennungsanlage Düsseldorf-Flingern' (Beweismittel E1 bis E4)
Die Beschwerdegegnerin beantragte, das Dokument E8 und den hierauf basierenden Neuheitseinwand nicht in das Verfahren zuzulassen, da dieser verspätet vorgebracht worden sei.
2.1 E8 und der hierauf basierende Neuheitseinwand - Zulassung
Zumindest der Neuheitseinwand basierend auf E8 wird in Ausübung des Ermessens der Kammer gemäß Artikel 12 (4) und 12 (6) VOBK 2020 nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen.
2.1.1 Der Einwand mangelnder Neuheit basierend auf dem Dokument E8 wurde von der Beschwerdeführerin nicht im Einspruchsverfahren, sondern erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgebracht.
2.1.2 Gemäß Artikel 12 (2) VOBK 2020 ist es das vorrangige Ziel des Beschwerdeverfahrens, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen und somit das Beschwerdevorbringen der Beteiligten auf die Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel zu richten, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen. Hieraus erwächst für die Parteien die Obliegenheit, Einwände frühestmöglich - also bereits im Einspruchsverfahren - vorzubringen.
2.1.3 Das Dokument E8 wurde zwar bereits in der Einspruchsbegründung als potentiell relevantes Beweismittel erwähnt ("rein vorsorglich ... für den Fall [von geänderten Ansprüchen]"). Allerdings wurde weder dort noch im weiteren Einspruchsverfahren ein Einwand mangelnder Patentierbarkeit auf E8 erhoben oder substantiiert. Der auf E8 beruhende Neuheitseinwand ist somit auch nicht Teil der angefochtenen Entscheidung. Daher ist er als Änderung im Sinne von Artikel 12 (4) VOBK 2020 zu betrachten, dessen Zulassung dem Ermessen der Kammer unterliegt.
2.1.4 Gemäß Artikel 12 (6) Satz 2 VOBK 2020 lässt die Kammer zudem Einwände, die in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, vorzubringen gewesen wären nicht zu, es sei denn, die Umstände der Beschwerdesache rechtfertigen eine Zulassung. Derartige Umstände liegen jedoch nicht vor.
2.1.5 Soweit die Beschwerdeführerin darauf verweist, E8 sei bereits im Absatz [0008] des Patents als Ausgangspunkt der Erfindung genannt, so ist dies für die hier vorliegende Frage der Ermessensausübung der Kammer zur Zulassung des Neuheitseinwands ausgehend von E8 zugunsten der Beschwerdeführerin nicht relevant. Es spricht eher dafür, dass der Einwand schon im Einspruchsverfahren hätte vorgebracht werden können und sollen.
Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Rechtsprechung, gemäß derer zumindest die im Patent als Ausgangspunkte genannten Dokumente stets im Verfahren zu berücksichtigen seien (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, 2022, IV.C.4.4), lässt nach Ansicht der Kammer nicht den Schluss zu, dass die neuen Einwände, die hierauf begründet werden, ebenfalls ohne Berücksichtigung der Erfordernisse von Artikel 12 (6) VOBK 2020 in das Verfahren zuzulassen sind. Hierbei ist insbesondere zu beachten, dass die zitierte Rechtsprechung aus der Zeit vor der Einführung der geänderten Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020) datiert, und so die dort niedergelegten Grundsätzen und Verfahrensregeln noch nicht einfließen konnten. Es wird darauf hingewiesen, dass die Anwendung dieser Rechtsprechung bereits für die Verfahrensordnung von 2007 infrage gestellt wurde (siehe T 2377/18, Gründe 1.3). Darüber hinaus ist der Entscheidung T 536/88, die die Grundlage für die dargelegte Rechtsprechung darstellt, zu entnehmen, dass für das im Patent als nächstkommender oder wesentlicher Stand der Technik angegebene Dokument ein gewisser Automatismus angenommen wird, es sei im Verfahren. Bereits in der von der Beschwerdeführerin angeführten Entscheidung T 1421/12 wird von einem derart verstandenen Automatismus abgesehen und stattdessen die Umstände des Vorbringens berücksichtigt (vgl. Gründe 3.2). Ein solcher Automatismus ist aber auf jeden Fall unter der VOBK 2020 fehl am Platz: Jede "Änderung" im Sinne von Artikel 12 (4) Satz 1 VOBK 2020 unterliegt demnach dem Ermessen der Beschwerdekammer (Artikel 12 (4) Satz 2 VOBK 2020).
2.1.6 Es ist auch nicht erkennbar, dass diese neuen Einwände eine angemessene Reaktion auf die angeblich spät im Einspruchsverfahren eingereichten Hilfsanträge der Beschwerdegegnerin sind, wie von der Beschwerdeführerin geltend gemacht. Das mit dem aufrechterhaltenen Hilfsantrag 1 erst im Einspruchsverfahren hinzugefügte Merkmal [d5] spezifiziert nämlich lediglich den Effekt der Homogenisierung durch das eingedüste Fluid, dessen implizite Offenbarung für Anspruch 1 des Patents wie erteilt streitig war, der jedoch Teil der dem Patent zugrunde liegenden Erfindungsidee ist. Die explizite Hinzufügung des Merkmals [d5] kann daher nicht als überraschend gewertet werden und ist zudem auch innerhalb des von der Einspruchsabteilung festgelegtem Zeitpunkts gemäß Regel 116 (2) i.V.m (1) EPÜ eingereicht worden. Zudem ist Merkmal [d5] - also die Ausbildung der Mischzone - entgegen den Ausführungen der Beschwerdeführerin in der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich des Ausgangspunkts zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit E6 gar nicht als Unterscheidungsmerkmal angesehen worden, sondern lediglich die bereits im erteilten Patent vorhandenen Merkmale [d3] und [d4].
2.1.7 Ergänzend wird angemerkt, dass der Beschwerdegegnerin auch insoweit zugestimmt wird, dass der Neuheitseinwand basierend auf E8 prima facie nicht relevant ist, da zumindest das Merkmal [d4] nicht in E8 offenbart ist. Der in Figur 9 offenbarte Winkelbereich bezieht sich nicht auf den Winkel der Düse zum Rost, sondern auf Abweichung zur senkrechten Ausrichtung bezüglich der Abzugsrichtung der Verbrennungsgase. Da der Neigungswinkel des Rostes in E8 undefiniert ist, kann nicht argumentiert werden, dass die in Figur 9 offenbarten Einzelwerte in den beanspruchten Bereich fallen.
2.2 Neuheit im Hinblick auf die offenkundige Vorbenutzung 'Müllverbrennungsanlage Düsseldorf-Flingern'
Der Gegenstand von Anspruch 1 ist neu über die geltend gemachte Vorbenutzung.
2.2.1 Zum Nachweis der Vorbenutzung durch die Müllverbrennungsanlage Düsseldorf-Flingern (im Folgenden "MVDF") wurden seitens der Beschwerdeführerin die Beweismittel E1 bis E4 vorgebracht. Dabei ist unstreitig, dass diese Dokumente in Kombination betrachtet werden können. Die Kombination mehrerer Merkmale aus den Beweismitteln E1 bis E4 ist möglich, da der Gegenstand der Vorbenutzung die Anlage selbst ist und sich alle zitierten Textstellen und Abbildungen auf die gleiche Müllverbrennungsanlage beziehen.
2.2.2 Die Vorbenutzung der MVDF sowie deren Offenkundigkeit sind unstreitig. Die Beschwerdegegnerin macht lediglich geltend, dass hierdurch nicht alle Merkmale von Anspruch 1 offenbart werden. Dabei war nur streitig, ob die Merkmale [d1] bis [d5] durch die MVDF offenbart sind.
Die Kammer kommt zu dem Schluss, das die MVDF zumindest nicht das Merkmal [d4] aufweist.
2.2.3 Merkmal [d4] - Ausrichtung der Düse in Neigungsrichtung
Die Ausrichtung der Düse bezieht sich nach Verständnis der Fachperson auf die Richtung des austretenden Freistrahls.
Die in der MVDF verwendeten Düsen (Düsenreihe D4, siehe z. B. Seite 167 der E3) sind nicht in Neigungsrichtung des Rostes ausgerichtet, wie dies gemäß Merkmal [d4] erforderlich wäre (vgl. die Argumentation Punkt 1.4, supra).
Die aus den Düsen austretenden Freistrahlen sind nicht in der Richtung ausgerichtet, die nach allgemeinem Fachverständnis als Neigungsrichtung des Rostes (vgl. auch Patent, Absatz [0020]) anzusehen ist. Vielmehr sind diese mit den Düsenaustrittsöffnungen gerade quer zu dieser Neigungsrichtung orientiert. Schon aus diesem Grund kann die MVDF die Neuheit nicht in Frage stellen.
2.2.4 Merkmal [d4] - Winkelbereich
Bezüglich des Winkelbereichs kam die Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung zu dem Schluss, dass der beanspruchte Winkelbereich trotzdem in der MVDF realisiert ist. Dies begründet sie mit Verweis auf Absatz [0025] des Patents damit, dass die Bezeichnung "Düse" in Anspruch 1 auch mehrere Düsen umfasse, die dann relativ zueinander im Sinne des beanspruchten Winkelbereichs ausgerichtet seien ("da es sich um eine Düsenreihe handelt, welche parallel zur Rostneigung orientiert ist", Punkt 4.1.2 der Entscheidung).
Dies überzeugt nicht. Abgesehen davon, dass diese Auslegung der "Ausrichtung der Düse" im Widerspruch zum oben genannten Fachverständnis ist, ist der Gegenstand von Anspruch 1 auch lediglich auf eine einzelne Düse gerichtet (Merkmale [d1], [d3] und [d4]). Zwar ist durch die im Anspruch verwendeten Begriffe "eine Düse", "aus der Düse", "die Düse" das Vorhandensein weiterer Düsen nicht ausgeschlossen, jedoch müssen die Ausrichtungsmerkmale [d4] bereits für nur eine einzelne Düse erfüllt sein. Eine einzelne Düse der Düsenreihe D4 in MVDF ist jedoch gerade nicht in Neigungsrichtung des Rostes (siehe Punkt 2.2.3) und im beanspruchten Winkelbereich ausgerichtet.
Selbst wenn man Absatz [0025] der Beschreibung des Patents zur Auslegung hinzuzöge (wofür aufgrund des oben beschriebenen Fachverständnisses kein Anlass besteht), geht hieraus nicht hervor, dass der Begriff "Düse" synonym auch für eine Düsenreihe steht, sondern allenfalls, dass es auch weitere Düsen geben kann. Dies ändert jedoch nichts an den für die eine Düse definierten Anforderungen in Merkmal [d4]. Denn zwar schließt Anspruch 1 keine weiteren Düsen oder eine Düsenreihe aus, für diese macht der Anspruch jedoch keine Aussage zur Ausrichtung (vgl. hierzu auch Absatz [0019] des Patents).
2.2.5 Damit sind die Düsen der Düsenreihen D4a bis D4c weder durch ihre gegenseitige Ausrichtung im Sinne von Merkmal [d4] in Erstreckungsrichtung der Rostneigung ausgerichtet noch durch ihre einzelne Ausrichtung.
Es kann daher auch dahingestellt bleiben, ob mittels der in den Figuren 3 und 4 von E4 dargestellten Strömungssimulationsdaten gezeigt werden kann, dass auch in der MVDF eine eine Homogenisierung und Vermischung im Sinne der Merkmale [d1] und [d5] erzielt wird.
3. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
Während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer hielt die Beschwerdeführerin lediglich den Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E6 in Verbindung mit allgemeinem Fachwissen aufrecht.
Bezüglich dieser Kombination beruht der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags jedoch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3.1 Unterscheidungsmerkmale
E6 offenbart eine Verbrennungsanlage (siehe Figur) bei der das Brenngut (Müll) in einer primären Brennkammer über Roste (4) geführt und unter Zuführung von Primärluft verbrannt wird.
Eine Mischzone (14) schließt sich oberhalb des Brennbetts an. Hier wird ein Fluid ("Mischgas 15") eingedüst (wie auch im Patent werden als Fluid Inertgase, Luft und Wasserdampf vorgeschlagen, vgl. E6, Absatz [0009]). Der lediglich schematischen Figur ist - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - jedoch keine quantitative Offenbarung und auch keine "relative Größenordnung" der Ausrichtung der Düse zur Rostneigung zu entnehmen (gemeint ist die resultierende "totale" Neigung der Roste 4, vgl. Patent, Absatz [0020]). Entsprechendes wird auch in der von der Beschwerdeführerin angeführten Entscheidung T 141/16 grundsätzlich festgestellt, wenn dort gesagt wird, dass Abbildungen nur schematisch sind und daher keine Messungen direkt aus den Zeichnungen entnommen werden können (Gründe 2.6). Dass ggf. trotzdem bestimmte Größenverhältnisse aus einer schematischen Zeichnung herausgelesen werden können (wie auch T 141/16 bestätigt) ist im Einzelfall zu überprüfen, gilt aber zumindest nicht für den Winkel gemäß Merkmal [d4] in der Figur von E6.
Bezüglich der Austrittsgeschwindigkeit aus der Düse werden in E6 Angaben nur in den Ansprüchen 3 bis 5 gemacht. Hier wird die Geschwindigkeit zum einen quantitativ definiert, und zwar in einen Bereich von "Mach 1 oder größer" (d. h. mit über 300 m/s weit oberhalb des beanspruchten Bereichs). Alternativ wird die Austrittsgeschwindigkeit relativ zur Eindüsgeschwindigkeit der Sekundärluft definiert, über deren Geschwindigkeit in E6 jedoch nichts ausgesagt ist.
Dem Argument der Beschwerdeführerin, die Ansprüche 3 bis 5 seien aufbauend formuliert und somit seien auch Geschwindigkeiten unter dem in Anspruch 5 offenbarten Bereich mitoffenbart, kann nicht zugestimmt werden.
Die Ansprüche 3 und 4 definieren nur Verhältnisse zwischen den Austrittsgeschwindigkeiten des Mischgases und der Sekundärluft. Erst in Anspruch 5 wird eine absolute Geschwindigkeit angegeben. Die Angabe eines spezifischen Teilbereichs der Austrittsgeschwindigkeit offenbart im vorliegenden Fall jedoch nicht unmittelbar und eindeutig, und auch nicht implizit, den hiervon nicht umfassten Bereich.
Somit ist das Argument der Beschwerdeführerin, auch Geschwindigkeiten unterhalb von Mach 1 seien in E6 offenbart, nicht überzeugend.
Daher wird der Schlussfolgerung in der angefochtenen Entscheidung zugestimmt, dass in E6 alle Merkmale von Anspruch 1 mit Ausnahme von [d3] und [d4] in E6 offenbart sind.
3.2 Objektive technische Aufgabe
Die in den Absätze [0014] bis [0016] des Patents genannte Aufgabe bezieht sich auf die Homogenisierung der Abgase aus den verschiedenen Verbrennungszonen. Die Homogenisierung und deren Folgeeffekte wie die Reduzierung von Temperaturspitzen sowie Vermeidung unverbrannter Schadstoffe im Abgas sind jedoch aus E6 schon vorbekannt (siehe E6, Absatz [0008]) und stellen - im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerin - nicht die objektive technische Aufgabe dar.
Die technische Aufgabe bezüglich der Unterscheidungsmerkmale [d3] und [d4] wird im Patent in den Absätzen [0021] bis [0023] beschrieben als Anschließen der Mischzone in Strömungsrichtung der Abgase wenigstens annähernd unmittelbar an das Brennbett, ohne dass es zu einem übermäßigen unerwünschten Aufwirbeln der Feststoffe vom Verbrennungsrost kommt. Dies stellt somit die objektive technische Aufgabe dar.
3.3 Naheliegen der Unterscheidungsmerkmale aus allgemeinem Fachwissen
Die Anpassung der Verbrennungsanlage aus E6 im Hinblick auf die Unterscheidungsmerkmale wird aus den folgenden Gründen nicht aus dem allgemeinen Fachwissen nahegelegt.
3.3.1 E6 lehrt sehr hohe Austrittsgeschwindigkeit von Mach 1 oder größer. Dies lehrt der Fachperson davon weg, den Austrittsgeschwindigkeitsbereich gemäß Merkmal [d3] zu verwenden. Da gemäß E6 der Impulseintrag wesentlich ist (Absatz [0009]), dienen die hohen Geschwindigkeiten der Homogenisierung bei gleichzeitig geringem Masseeintrag (und damit auch geringerer Abkühlung durch das Mischgas). Die Geschwindigkeit wird also in E6 ganz bewusst in diesem hohen Bereich gewählt. Es sind keine Hinweise zur Lösung der technischen Aufgabe aus dem allgemeinen Fachwissen ersichtlich, die die Fachperson anregen könnten, sich einerseits über diese Lehre von E6 hinwegzusetzen, sowie andererseits auch noch stattdessen den beanspruchten Bereich auszuwählen. Ob es sich in E6 um einen speziellen Anwendungsfall, also um eine Ausnahme handelt ist daher unerheblich. Die Argumente der Beschwerdeführerin bezüglich der Eindringtiefe des Freistrahls in die Mischzone sind ebenfalls unerheblich, da keine Größe der Mischzone im Anspruch definiert ist.
Die Tatsache, dass Austrittsgeschwindigkeitsbereiche gemäß Merkmal [d3] in weiteren Dokumenten offenbart sind (genannt wurden von der Beschwerdeführerin unter anderem die Offenbarungen E3, E13 und E21 bis E23) würde an dieser Schlussfolgerung nichts ändern. Dies kann daher unbeachtlich bleiben.
3.3.2 Soweit die Beschwerdeführerin mit Verweis auf E12, Abbildung 1 argumentiert, eine zur Rostneigung "quasi-parallele" Ausrichtung der Düse (Merkmal [d4]) ergebe sich für die Fachperson aus fachlichen Überlegungen automatisch und eine "Ausrichtung von Düsen zur Erzeugung einer Mischzone auf das Brennbett" scheine "daher ausgeschlossen", ist dies ebenfalls nicht überzeugend.
Selbst wenn man die Offenbarung von E12 als Nachweis allgemeinen Fachwissens ansieht, ist bezüglich des Merkmals [d4] nichts ausgeführt. Abbildung 1 stellt die Mischfluidzugabe und den Rost nur schematisch dar. Eine Aussage zur Ausrichtung der Düse bezüglich der Rostneigung ist hieraus nicht ableitbar.
Auch keine der weiteren im Verfahren befindlichen Offenbarungen macht hierzu Angaben oder zeigt entsprechendes in den Ausführungsformen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.