T 3058/19 () of 5.3.2021

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2021:T305819.20210305
Datum der Entscheidung: 05 März 2021
Aktenzeichen: T 3058/19
Anmeldenummer: 10194464.3
IPC-Klasse: B67C 3/14
B67C 3/04
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Kühleinrichtung zum Stabilisieren einer Behältnisstruktur
Name des Anmelders: Krones AG
Name des Einsprechenden: KHS Corpoplast GmbH
Kammer: 3.2.07
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 114(2) (2007)
European Patent Convention Art 122 (2007)
European Patent Convention R 136(2) (2007)
RPBA2020 Art 012 (2020)
RPBA2020 Art 013 (2020)
European Patent Convention Art 108 (2007)
Schlagwörter: Anwendbarkeit der Artikel 12 und 13 VOBK im Wiedereinsetzungsverfahren
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - einmaliges Versehen in einem zuverlässigen System zur Fristenüberwachung (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0848/99
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Das europäische Patent Nr. 2 338 830 wurde von der Einspruchsabteilung in der mündlichen Verhandlung vom 15. Mai 2019 widerrufen. Die Entscheidung wurde am 30. August 2019 zur Post gegeben und gilt gemäß Regel 126 (2) EPÜ als am 9. September 2019 zugestellt. Somit lief die Zweimonatsfrist für die Einlegung der Beschwerde am 9. November 2019 ab. Da dies ein Samstag war, verlängerte sich die Frist bis zum 11. November 2019 (Regel 134 (1) EPÜ).

II. Am 20. November 2019 wurde von der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt und die Beschwerdegebühr gezahlt. Am 27. November 2019 stellte sie einen Antrag auf "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand". Die Patentinhaberin sei trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt verhindert worden, die Frist zur Einreichung der Beschwerde einzuhalten.

III. Die Frist sei im Fristüberwachungssystem in der Kanzlei des zugelassenen Vertreters der Patentinhaberin korrekt notiert worden. Die Beschwerdeschrift sei von einer gut ausgebildeten und zuverlässigen Hilfskraft vorbereitet worden und dem zugelassenen Vertreter am 11. November 2019 zur Unterschrift vorgelegt worden. Nach der Unterschrift legte die Hilfskraft die Beschwerdeschrift beim Drucker/Scanner ab und wurde dann durch ein eingehendes Telefonat in ihrer Tätigkeit unterbrochen. Durch dieses Telefonat vergaß sie die Beschwerdeschrift einzuscannen und einzureichen. Dies sei ein einmaliges Versehen gewesen.

IV. Am 24. Januar 2020 nahm die Einsprechende (Beschwerdegegnerin) zum Antrag auf Wiedereinsetzung Stellung. Sie zweifelte an, dass das Fristüberwachungssystem in der Kanzlei des Vertreters der Patentinhaberin den Sorgfaltsanforderungen entsprach. Es reiche nicht aus, dass das System an eine Frist erinnert. Es soll auch sicherstellen, dass eine Frist erst als erledigt gekennzeichnet wird, wenn die fristwahrende Handlung vorgenommen wurde und gewarnt wird, wenn eine Frist nicht vor Fristablauf als erledigt gekennzeichnet wird.

V. Am 10. Februar 2020 erwiderte die Beschwerdeführerin dieses Schreiben. Die Hilfskraft war an dem besagten Tag wegen des Telefonats und einer damit einhergehenden weiteren, eiligen Tätigkeit nicht in der Lage, das Fristüberwachungssystem weiter zu überwachen. Die Frist wurde daher nicht als erledigt gestrichen.

VI. Die Kammer erließ am 10. August 2020 eine Mitteilung, in der sie ihre vorläufige Meinung darlegte, dass das Vergessen des Einscannens der Beschwerdeschrift und deren Absendung ggf. als einmaliges entschuldbares Versehen in einem ansonsten gut funktionierenden System gewertet werden könnte. Das Fristüberwachungssystem schien funktioniert zu haben, da die Frist nicht übersehen wurde. Allerdings sei es für eine wirksame Beschwerde nicht ausreichend, dass die Beschwerdeschrift rechtzeitig abgeschickt wird, sondern auch die Beschwerdegebühr sei innerhalb der Zweimonatsfrist in Artikel 108 EPÜ zu zahlen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung enthielt keine Angaben zu dem Versäumnis der rechtzeitigen Bezahlung der Beschwerdegebühr, so dass diesem daher nach der vorliegenden Sachlage nicht stattgegeben werden könne.

VII. In einem Schreiben vom 21. September 2020 legte die Beschwerdeführerin dar, dass die Absendung der Beschwerdeschrift und die Zahlung der Beschwerdegebühr ein einheitlicher Vorgang sei. Die Hilfskraft sei auch für die Zahlung der Gebühr zuständig gewesen und hätte diese zusammen mit der Online Einreichung der Beschwerdeschrift vornehmen sollen. Dies komme klar zum Ausdruck in der mit dem Antrag eingereichten Anlage HBP5, die Beschwerdeschrift wie sie am 11. November 2019 hätte eingereicht werden sollen.

VIII. Die Beschwerdegegnerin wiederholte in einem Schreiben vom 23. September 2020 ihr Argument, dass es im Rahmen eines gut funktionierenden Fristüberwachungssystems erforderlich sei, dass am Ende eines Arbeitstages überprüft wird, ob es keine unerledigten Fristen gibt. Außerdem bemängelte sie erstmals, dass die Beschwerdeführerin versäumt habe, rechtzeitig einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr zu stellen.

IX. Die Beschwerdeführerin wiederholte in einem Schreiben vom 9. Oktober 2020 im Wesentlichen ihr Vorbringen zum Fristversäumnis, und legte dar, dass ein separater Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr nicht erforderlich sei.

X. In der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 16. November 2020 legte die Kammer ihre neue vorläufige Meinung dar:

Die nachgereichten Ausführungen zur unterlassenen Zahlung der Beschwerdegebühr könnten berücksichtigt werden;

Für die Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde reiche ein Antrag aus, wenn sowohl die Einreichung der Beschwerdeschrift als auch die Zahlung der Beschwerdegebühr nicht rechtzeitig erfolgten;

Das Vergessen des Einscannens und der Absendung der Beschwerdeschrift könnten als entschuldbares einmaliges Versehen gewertet werden;

Allen Anschein nach lag jedoch kein Kontrollmechanismus vor, der sicherstelle, dass eine noch nicht ausgetragene Frist spätestens vor Dienstschluss am letzten Tag der Frist zur Kenntnis einer verantwortlichen Person gebracht werde.

XI. Weitere Schreiben der Beteiligten vom 18. Dezember 2020, 4. Februar 2021, 24. Februar 2021 und 3. März 2021 folgten. Im Schreiben vom 18. Dezember 2020 trug die Beschwerdeführerin erstmals vor, dass in der Kanzlei die generelle Weisung bestehe, vor Dienstschluss zu überprüfen, ob alle am gleichen Tag ablaufenden Fristen erledigt wurden. Laut Erklärung der Hilfskraft habe sie die Überprüfung am 11. November 2019 trotz Weisung vermutlich nicht vorgenommen.

XII. Am 5. März 2021 fand eine mündliche Verhandlung mittels Videokonferenz in Anwesenheit beider Beteiligten statt. Im Laufe der Verhandlung reichte die Beschwerdeführerin einen Schriftsatz mit Vorlagefragen an die Große Beschwerdekammer ein und beantragte die Vorlage dieser Fragen. Am Ende der Verhandlung formulierten die Beteiligten ihre abschließenden Anträge wie folgt:

Die Beschwerdeführerin beantragte die Stattgabe des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Der Antrag auf Vorlage von Fragen an die Große Beschwerdekammer war nicht Bestandteil des abschließenden Antrags der Beschwerdeführerin.

Entscheidungsgründe

1. Der Antrag auf Wiedereinsetzung wurde frist- und formgerecht eingereicht.

2. Zwischen den Beteiligten war strittig, inwieweit die Artikel 12 und 13 VOBK auf das vorliegende Verfahren und insbesondere auf spätes Vorbringen anwendbar sind. Die Kammer ist der Meinung, dass aufgrund der Natur eines Nebenverfahrens auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist die Artikel 12 und 13 VOBK nur eingeschränkt anwendbar sein können. Abgesehen davon, dass ein solches Verfahren keinem Verfahren im Sinne von Artikel 12 (2) VOBK 2020 entspricht, können z.B. Eingaben, die zu einem späteren Zeitpunkt eingereicht werden, nicht unmittelbar von dem Begriff "Änderung des Beschwerdevorbringens" umfasst werden, da der Inhalt eines Antrags auf Wiedereinsetzung kein "Beschwerdevorbringen" im Sinne von Artikel 12 (3) VOBK 2020 darstellt. Die Anwendung des Artikels 114 (2) EPÜ wird daher durch die Verfahrensordnung nicht notwendigerweise eingeschränkt.

3. Für die wirksame Einlegung einer Beschwerde sind zwei Handlungen innerhalb der Beschwerdefrist von zwei Monaten erforderlich: die Einreichung einer Beschwerdeschrift sowie die Zahlung der Beschwerdegebühr. Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin einen Antrag auf "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" gestellt, nachdem sie die "Frist zur Einreichung der Beschwerde" versäumt hatte. Auf der Seite 7 ihres Antrags erklärte sie, dass sie gehindert war, "die Beschwerdefrist" einzuhalten. Sowohl die Einreichung der Beschwerdeschrift als auch die Zahlung der Beschwerdegebühr wurden als versäumte Handlungen rechtzeitig nachgeholt. Die Kammer schließt aus dem Zusammenhang der Erklärungen und Handlungen der Beschwerdeführerin, dass ihre wahre Absicht darin bestand, Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde zu beantragen. Die Beschwerdegegnerin scheint dies auch so verstanden zu haben, da sie den Zweck des Antrags in ihrem Antwortschreiben vom 24. Januar 2020 nicht angezweifelt hat.

4. Die Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung war jedoch unvollständig, indem sie keine Angaben zur versäumten Zahlung der Beschwerdegebühr enthielt. Aus der Vorlage der Anlage HBP5 könnte höchstens implizit geschlossen werden, dass die Zahlung der Beschwerdegebühr beabsichtigt war. Diese Vorlage kann jedoch den "schlüssigen Sachvortrag", den die Begründung enthalten muss, nicht ersetzen (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, III.E.4.4, 2. Absatz). Auf die Unvollständigkeit wurde die Beschwerdeführerin erstmals durch die Mitteilung der Kammer vom 10. August 2020 aufmerksam gemacht. Die fehlenden Erklärungen wurden im Schreiben vom 21. September 2020 nachgereicht. Aus diesen Erklärungen schließt die Kammer, dass der ursprünglich vorgetragene Hinderungsgrund und die Umstände, die die Beachtung der gebotenen Sorgfalt belegen sollten, sich auch auf die fehlende Zahlung der Beschwerdegebühr bezogen und sich insoweit kein neuer Sachverhalt ergab. Ob die nachgereichten Erklärungen, die fehlende Angaben in der Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung nachträglich vervollständigen können, kann letztlich dahingestellt bleiben, da der Antrag auf Wiedereinsetzung aus den nachfolgenden Gründen nicht zum Erfolg führen kann.

5. Vollständigkeitshalber weist die Kammer darauf hin, dass für die Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde ein Antrag sowie eine Wiedereinsetzungsgebühr ausreicht, wenn sowohl die Einreichung der Beschwerdeschrift als auch die Zahlung der Beschwerdegebühr nicht rechtzeitig erfolgten. Es handelt sich hier um eine versäumte Frist, für die zwei versäumte Handlungen nachzuholen sind (vgl. T 848/99).

6. Die Beschwerdeführerin hat glaubhaft dargelegt, dass die mit der Absendung der Beschwerdeschrift betraute Person eine zuverlässige Hilfskraft war. Das Vergessen des Einscannens der Beschwerdeschrift und deren Absendung könnte nach Meinung der Kammer als entschuldbares einmaliges Versehen gewertet werden, wenn das einmalige Versehen in einem ansonsten gut funktionierenden, zuverlässigen System passiert wäre.

7. Die Beschwerdeführerin hat die Kammer nicht davon überzeugt, dass ein solches System vorlag. Obwohl die Beschwerdegegnerin schon in ihrem Schreiben vom 24. Januar 2020 festgestellt hat, dass die Beschwerdeführerin nichts dazu vorgetragen hat wie überwacht wird, ob am Ende des Arbeitstages alle an dem Tag ablaufenden Fristen auch tatsächlich eingehalten wurden, hat die Beschwerdeführerin erst in ihrem Schreiben vom 18. Dezember 2020, nach Erhalt der Artikel 15 (1) VOBK Mitteilung der Kammer, vorgetragen, dass in der Kanzlei die generelle Weisung bestehe, vor Dienstschluss zu überprüfen, ob alle am gleichen Tag ablaufenden Fristen erledigt wurden. Am 11. November 2019 sei dies wohl nicht geschehen.

8. Die Kammer kann daraus nur schließen, dass obwohl die Anweisung bestand, sie entweder nicht konsequent befolgt wurde, oder an dem Tag ausnahmsweise nicht befolgt wurde. Bei der ersten Alternative ist die Kammer der Meinung, dass es zu einem gut funktionierenden System gehört, dass sichergestellt wird, dass eine noch nicht ausgetragene Frist spätestens vor Dienstschluss am letzten Tag dieser Frist zur Kenntnis einer verantwortlichen Person gebracht wird, insbesondere wenn es sich wie hier um eine äußerste, nicht verlängerbare Frist handelt, deren Versäumnis zu einem Rechtsverlust führt. Es handelt sich dabei, anders als von der Beschwerdeführerin vorgetragen, nicht um die Kontrolle, ob die fristwahrende Handlung tatsächlich vorgenommen wurde, sondern um die Kontrolle, ob die Frist als erledigt gekennzeichnet wurde.

9. Bei der zweiten Alternative hat die Beschwerdeführerin nicht glaubhaft dargelegt, warum es sich hierbei um ein entschuldbares Versehen handeln würde. Außerdem, selbst wenn man zugunsten der Beschwerdeführerin davon ausginge, dass die Kontrolle von der gleichen Person durchgeführt werden könnte, die auch für die unterbliebene fristgerechte Einreichung der Beschwerdeschrift und Zahlung der Beschwerdegebühr verantwortlich war, läge kein "einmaliges" Versehen mehr vor. Aus diesen Gründen hat die Kammer die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagenen Vorlagefragen, die sich auf die Notwendigkeit eines Kontrollmechanismus nach dem Vier-Augen-Prinzip bezogen, in der mündlichen Verhandlung als nicht entscheidungserheblich betrachtet.

10. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Beschwerde kann daher nicht stattgegeben werden. Folglich sind die Beschwerdeschrift und die Beschwerdegebühr nach Ablauf der Zweimonatsfrist in Artikel 108 EPÜ eingegangen, und gilt die Beschwerde als nicht eingelegt.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung wird nicht stattgegeben.

2. Die Beschwerde gilt als nicht eingelegt.

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