European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2023:T221519.20231127 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 27 November 2023 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2215/19 | ||||||||
Anmeldenummer: | 15169455.1 | ||||||||
IPC-Klasse: | E06B 1/70 E06B 3/96 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
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Bezeichnung der Anmeldung: | TÜRSCHWELLENSYSTEM FÜR EINE HAUSTÜR, EINE LADENTÜR ODER DERGLEICHEN | ||||||||
Name des Anmelders: | Grundmeier KG | ||||||||
Name des Einsprechenden: | profine GmbH Veka AG |
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Kammer: | 3.2.08 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Neuheit - (ja) Erfinderische Tätigkeit - (ja) Spät eingereichte Tatsachen - zugelassen (nein) Spät eingereichte Tatsachen - Einwand hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren erhoben werden können (ja) Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (nein) Spät eingereichte Beweismittel - hätte bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgebracht werden können (ja) Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein) Ermittlung von Amts wegen - Einspruchsverfahren |
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Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des (damaligen) Hauptantrags die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, hatten beide Einsprechende Beschwerde eingelegt.
Mit Schreiben vom 31. Juli 2023 nahm die Einsprechende II ihre Beschwerde zurück. Sie ist somit als Verfahrensbeteiligte im Sinne von Artikel 107 Satz 2 EPÜ anzusehen. Sie nahm an der mündlichen Verhandlung vor der Kammer nicht teil, wie sie mit Schreiben vom 14. September 2023 angekündigt hatte.
II. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende I) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen. Weiterhin beantragte sie, die Sache wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers der Einspruchsabteilung an diese zurückzuverweisen, sowie, den Antrag der Beschwerdegegnerin, der Beschwerdeführerin die durch deren Vertagungsantrag ausgelösten Mehrkosten aufzuerlegen, zurückzuweisen.
III. Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte,
- die Beschwerde zurückzuweisen,
- hilfsweise, das Patent in eingeschränktem Umfang auf der Basis der Hilfsanträge 1 bis 15, eingereicht mit dem Schreiben 27. Februar 2020, aufrechtzuerhalten.
IV. Anspruch 1 des Hauptantrags (von der Einspruchsabteilung als gewährbar erachtet) lautet:
M1 |Türschwellensystem für eine Haustür, eine Ladentür oder dergleichen umfassend |
M2 |einen Türrahmen (1) mit einem Drehtürflügel (2), |
M3 |wobei das Türschwellensystem eine thermisch getrennte Türschwelle (4) umfasst, |
M3.1|welche aus einem Basisprofil (5) mit aufgesetzten Trittprofilen (6, 7) besteht, |
M3.2|wobei die Türschwelle (4) im Einbauzustand an den senkrecht angeordneten Profilenden (3) des Türrahmens (1) adaptierbar ist, sodass die Türschwelle (4) im Einbauzustand geeignet ist, mit dem unteren Drehtürflügelprofil (9) im geschlossenen Zustand der Tür dichtend zusammenzuwirken,|
|dadurch gekennzeichnet, dass |
M4 |zur Bereitstellung einer barrierefreien Tür, bestehend aus montierten Türrahmen (1) mit Drehtürflügel (2), das Türschwellensystem ferner noch ein Aufsatzprofil (8) und ein Adapterprofil (10) umfasst, |
M4.1|wobei an die vorhandene Türschwelle (4) das Aufsatzprofil (8) einerseits montiert ist und |
M4.2|an das Drehtürflügelprofil (2) das Adapterprofil (10) andererseits montiert ist, |
M4.3|sodass Aufsatzprofil (8) und Adapterprofil (10) im Einbauzustand derart ausgebildet sind, dass sie im Schwellenbereich die Türschwelle (4) und den Anschlag (11) des Drehtürflügelprofils (9) unter Bildung eines Spaltes (12) ausgleichen. |
V. Die folgenden Dokumente sind für die vorliegende Entscheidung relevant:
E1 |EP 1 746 240 A1 |
E2 |DE 10 2008 023 500 A1|
E4 |DE 20 2013 003 423 U1|
E8 |DE 203 06 546 U1 |
E13|DE 20 2010 004 020 U1|
E14|EP 2 327 854 A2 |
VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Antrag auf Zurückverweisung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels - Zulassung von Einwänden
Die Einspruchsabteilung hätte den geänderten Hauptantrag von Amts wegen betreffend die Artikel 54 und 123 EPÜ überprüfen müssen. Diese Überprüfung nicht durchzuführen stelle einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, welcher eine Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung rechtfertige.
Wenn die Sache nicht zurückverwiesen werden sollte, seien jedenfalls die Einwände unter Artikel 54 und 123 EPÜ in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Neuheit - Erfinderische Tätigkeit
E8 offenbare alle Merkmale des Anspruchs 1. Falls jedoch Merkmal M4.3 als Unterscheidungsmerkmal betrachtet werden sollte, so begründe es keineswegs eine erfinderische Tätigkeit.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe ausgehend von E1 im Hinblick auf das Fachwissen oder E4 ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Einwand ausgehend von E1 bei Berücksichtigung der E4 sei zwar erst in der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden, er sei aber als Reaktion auf den Bescheid der Kammer in das Verfahren zuzulassen.
Antrag auf Kostenerstattung der Beschwerdegegnerin
Der von der Beschwerdegegnerin gestellte Antrag auf Verlegung der zunächst anberaumten mündlichen Verhandlung vor der Kammer aufgrund von Krankheit rechtfertige keine Umverteilung der dadurch entstandenen Kosten zu ihren Lasten.
VII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Antrag auf Zurückverweisung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels - Zulassung neuer Einwände
Der Antrag auf Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung sei verspätet erhoben worden und solle nicht in das Verfahren zugelassen werden. Dem Antrag sei jedenfalls nicht stattzugeben. Die Einspruchsabteilung habe keinen wesentlichen Verfahrensfehler begangen.
Die erstmalig im Beschwerdeverfahren erhobenen Einwände der unzulässigen Erweiterung und mangelnder Neuheit seien ohne stichhaltige Begründung verspätet erhoben worden und sollten nicht in das Verfahren zugelassen werden. Dasselbe treffe auch für die Dokumente E13 und E14 zu.
Neuheit - Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu und beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Merkmal M4.3 sei nicht in E8 offenbart. Es sei für den Fachmann ausgehend von dem Türschwellensystem der E8 auch nicht naheliegend, ein Adapterprofil gemäß Merkmal M4.3 vorzusehen, da dies der Lehre der E8 widerspreche.
Der Fachmann habe ausgehend von der Tür der E1 aufgrund seines Fachwissens keinen Anlass gehabt, eine anspruchsgemäße Schwelle vorzusehen. Der erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erhobene Einwand ausgehend von E1 in Kombination mit E4 sollte nicht in das Verfahren zugelassen werden.
Antrag auf Kostenerstattung
Die Beschwerdeführerin habe die der Beschwerdegegnerin durch die kurzfristige Verlegung der mündlichen Verhandlung zusätzlich entstandenen Reisekosten zu erstatten. Die Beschwerdeführerin hätte die Beschwerdegegnerin über den erst kurz vor der zunächst anberaumten mündlichen Verhandlung gestellten Verlegungsantrag direkt informieren sollen, wobei dann die der Beschwerdegegnerin bis dahin bereits entstandenen Reisekosten noch hätten rückgängig gemacht werden können.
Entscheidungsgründe
1. Antrag auf Zurückverweisung wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers
1.1 Zu ihrem Antrag auf Zurückverweisung wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels, den sie erstmals mit Schreiben vom 24. Oktober 2023 gestellt hatte, hatte die Beschwerdeführerin im Einzelnen geltend gemacht, dass die Einspruchsabteilung unter Artikel 114 (1) EPÜ in Zusammenhang mit der Entscheidung der großen Beschwerdekammer G 9/91 hätte von Amts wegen prüfen müssen, ob die aus der Beschreibung aufgenommenen Änderungen zulässig seien, insbesondere in Hinblick auf Artikel 54, 56 und 123 EPÜ.
Die Einspruchsabteilung habe jedoch die Neuheit nicht von Amts wegen geprüft, sondern in der Entscheidung nur darauf hingewiesen, dass die Einsprechenden keine Neuheitseinwände zu den neu eingereichten Ansprüchen erhoben hatten. Die fehlende Prüfung der Neuheit von Amts wegen sei ein wesentlicher Verfahrensfehler und werde dem Schutz der Allgemeinheit vor ungerechtfertigt erteilten Patenten nicht gerecht.
Das gleiche gelte für die fehlende amtsseitige Überprüfung des geänderten Anspruchs unter Artikel 123 EPÜ. Darüber hinaus habe die damalige Einsprechende einen entsprechenden Einwand sogar geltend gemacht. Denn die Einspruchsabteilung hätte den in der Diskussion zur Klarheit geäußerten Kommentar der Einsprechenden ,,Dies sei so im Streitpatent nicht offenbart" (Punkt 17.3 der angefochtenen Entscheidung) ohne weiteres als einen Einwand der unzulässigen Erweiterung der Einsprechenden verstehen sollen und müssen.
1.2 Die Beschwerdegegnerin beantrage den Antrag auf Zurückverweisung wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers als verspätet nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Die Kammer hat den Antrag auf Zurückweisung an die Einspruchsabteilung in das Beschwerdeverfahren zugelassen.
Die Kammer hat einen möglichen wesentlichen Fehler im Verfahren der Vorinstanz immer und von Amts wegen zu prüfen, ohne dass es auf den Zeitpunkt ankäme, an dem dieser von einem Beteiligten geltend gemacht wird. Daher kommt es auf den von der Beschwerdegegnerin angesprochenen Verspätungsgesichtspunkt nicht an.
1.3 Die Argumente der Beschwerdeführerin sind in der Sache jedoch nicht überzeugend.
Die Einspruchsabteilung hat nach Auffassung der Kammer nicht gegen den Amtsermittlungsgrundsatz unter Artikel 114 (1) EPÜ in Zusammenhang mit G 9/91 verstoßen.
1.4 Die Patentinhaberin hatte mit ihrer Einspruchserwiderung einen neuen Hauptantrag mit einem geringfügig umformulierten Anspruch 1 eingereicht. Die Änderungen in den modifizierten Merkmalen waren wie folgt (Hinzufügungen bzw. [deleted: Streichungen] hervorgehoben):
M4.2: "an das Drehtürflügelprofil (2) das Adapterprofil (10) andererseits montiert[deleted: montierbar] ist,"
M4.3 "sodass Aufsatzprofil (8) und Adapterprofil (10) im Einbauzustand [deleted: geeignet ]derart ausgebildet sind, dass sie im Schwellenbereich die Türschwelle (4) und den Anschlag (11) des Drehtürflügelprofils (9) unter Bildung eines Spaltes (12) ausgleichen."
1.5 Aus der Mitteilung der Einspruchsabteilung vom 24. August 2018, die den jetzt geltenden Hauptantrag schon damals zum Gegenstand hatte, ergeben sich die Punkte, die die Einspruchsabteilung für relevant gehalten hatte und welche sie in der mündlichen Verhandlung zu diskutieren gedachte. Hierbei war von Artikel 123 (2) EPÜ keine Rede. Das kann nur dahingehend verstanden werden, dass sie insofern keine Bedenken hatte, wie sich ja der Sache nach auch aus ihren späteren Ausführungen zur Klarheit, nämlich aus den Punkten 17.2 bis 17.4 der angefochten Entscheidung, ergibt. Auch wenn die Einspruchsabteilung Artikel 123 EPÜ nicht ausdrücklich erwähnt hatte, kann daraus nicht zwingend geschlossen werden, dass sie diesen Punkt überhaupt nicht geprüft hatte, wie ihr die Beschwerdeführerin vorwerfen will.
Es ist nicht ersichtlich, dass die Einspruchsabteilung nicht von Amts wegen die Prüfung vorgenommen hat.Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sie objektive Hinweise, etwa seitens der damaligen Einsprechenden, auf etwaige Bedenken nicht ernstgenommen hätte oder ihnen nicht nachgekommen wäre.
1.6 Wenn die Einsprechende insoweit Bedenken hatte, hätte sie diese trotz des Amtsermittlungsgrundsatzes klar und eindeutig im Einspruchsverfahren vorbringen und darauf hinwirken müssen, dass der Punkt zur Sprache kommt, auch wenn sie dort selbst keinen Einwand nach Artikel 123(2) EPÜ erhoben hatte.
Der Amtsermittlungsgrundsatz bedeutet nämlich nicht, dass eine beteiligte Partei keine eigenen Bedenken vortragen muss, wenn sie solche hat und der Auffassung ist, dass der nicht erwähnte Punkt zu ihren Gunsten zu erörtern wäre.
Darüber hinaus hat eine Einsprechende nicht nur ihre Einwände so klar zu formulieren und zum Ausdruck zu bringen, dass sie behandelt werden, sondern auch so, dass sie überhaupt als solche wahrgenommen werden, und muss auf deren Behandlung dringen. Dies ist unstreitig nicht geschehen. Die Äußerungen der Einsprechenden 1 während der Erörterung zu Artikel 84 EPÜ (siehe Punkt 1.1 oben), die sie nun als geäußerte Bedenken gegen Artikel 123(2) EPÜ ansehen lassen möchte, können nicht ohne weiteres als impliziter Einwand der unzulässigen Erweiterung umgemünzt werden. Hinzu kommt, dass von der Einsprechenden 1 auch keinerlei Begründung vorgetragen worden war.
1.7 Im Ergebnis ist also festzustellen, dass erstens nicht ersichtlich ist, dass die Einspruchsabteilung den Antrag nicht unter Artikel 123 (2) EPÜ geprüft hat, und dass zweitens ebenso nicht ersichtlich ist, dass die Einsprechende etwaige Einwände dieser Art überhaupt in beachtlicher Form formuliert hatte, die die Einspruchsabteilung hätte behandeln müssen.
1.8 Ein wesentlicher Verfahrensfehler wegen Verstoßes der Einspruchsabteilung gegen den Amtsermittlungsgrundsatz kann aus alledem nicht abgeleitet werden.
1.9 Bezüglich der Neuheit hatte die Einspruchsabteilung zwar unter Artikel 114 (1) EPÜ die Möglichkeit, aber nicht die Verpflichtung, die Neuheit des umformulierten Anspruchs 1 von Amts wegen zu überprüfen. Diese Möglichkeit hat die Einspruchsabteilung wiederum genutzt und unter Punkt 1 ihrer Mitteilung vom 24. August 2018 die vorläufige Meinung geäußert, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber E8 neu sei. Der einzige damals vorliegende Neuheitseinwand stand ihrer Meinung nach einer Aufrechterhaltung auf Grundlage des damaligen Hauptantrags nicht entgegen. Die Einsprechenden waren somit schon vor der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren im Kenntnis der Meinung der Einspruchsabteilung zur Neuheit, hatten jedoch nichts weiteres vorgetragen. Es kann also nicht die Rede davon sein, dass die Einspruchsabteilung die Neuheit nicht geprüft hatte.
1.10 Der Antrag auf Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung wegen eines schweren Verfahrensmangels bleibt daher ohne Erfolg.
2. Zulassung der Einwände unter Artikel 123 EPÜ im Beschwerdeverfahren
Die Kammer hat unter Anwendung des Artikels 12 (4) VOBK 2007 entschieden, die zu den Merkmalen M4.2 und M4.3 erstmalig im Beschwerdeverfahren erhobenen Einwände unter Artikel 123 (2) und (3) EPÜ nicht in das Verfahren zuzulassen.
2.1 Der geringfügig umformulierte Hauptantrag wurde mit der Einspruchserwiderung mehr als 10 Monate vor der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht.
Die Beschwerdeführerin hatte somit genügend Zeit, die Umformulierungen zu überprüfen und gegebenenfalls Einwände der unzulässigen Erweiterung zu erheben. Außerdem hat sie keine stichhaltige Gründe vorgetragen, die eine Erhebung dieser Einwände erst mit der Beschwerdebegründung rechtfertigen.
3. Zulassung der Neuheitseinwände bzw. der Dokumente E13 und E14
3.1 Die Kammer entschied unter Artikel 12 (4) VOBK 2007 die Neuheitseinwände gegenüber E2, E4 sowie die Dokumente E13 und E14 nicht in das Verfahren zuzulassen.
3.2 In der Einspruchsschrift wurde von der Beschwerdeführerin ein Einwand der fehlenden Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 auf der Basis von E8 erhoben.
Ein Neuheitseinwand wurde jedoch von keiner der Einsprechenden zu dem umformulierten Anspruch 1 weiterverfolgt.
3.3 In ihre Beschwerdebegründung erhob die Beschwerdeführerin erstmalig Neuheitseinwände zu dem Gegenstand des umformulierten Anspruchs 1. Hierfür hat sie unter anderem die Dokumente E2 und E4, die vorher nie für einen Neuheitseinwand verwendet wurden, sowie die erstmalig mit der Beschwerdebegründung eingereichten Dokumente E13 und E14 benutzt.
3.4 Die Beschwerdeführerin hat jedoch keine stichhaltige Begründung vorgetragen, die diese späte Erhebung der Neuheitseinwände bzw. das Einreichen von neuem Stand der Technik rechtfertigen können, zumal der geänderte Anspruch 1 schon mit der Einspruchserwiderung eingereicht worden war und die Beschwerdeführerin somit mehr als 10 Monate Zeit vor der Verhandlung im Einspruchsverfahren zur Verfügung hatte, um neue Angriffe zu formulieren.
4. Zulassung des Einwands der fehlenden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E1 bei Berücksichtigung der E4.
4.1 Die Beschwerdeführerin hat diesen Einwand zum letzt-möglichen Zeitpunkt im Beschwerdeverfahren erhoben, nämlich während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer. Der Einwand ist daher nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 nicht zuzulassen, es sei denn, es liegen stichhaltige Gründe für außergewöhnliche Umstände vor.
4.2 Das Argument der Beschwerdeführerin, dass der Einwand eine gerechtfertigte Reaktion auf den Bescheid der Kammer darstelle, wonach der Neuheitseinwand basierend auf E4 nicht in das Verfahren zugelassen werden sollte, überzeugt nicht. Dass eine Kammer erstmalig im Beschwerdeverfahren erhobene Neuheitseinwände nicht in das Verfahren zulässt, ist kein anzuerkennender außergewöhnlicher Umstand, der eine Zulassung von erstmalig in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwände der mangelnden erfinderischen Tätigkeit rechtfertigt. Dies gilt umso mehr, als der Einwand den selben Antrag betrifft, der schon 10 Monate vor der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren vorlag. Die Beschwerdeführerin hatte somit genügend Zeit, mögliche Einwände zu formulieren sowie rechtzeitig in das Beschwerdeverfahren einzubringen.
4.3 Deswegen wurde dieser Einwand unter Anwendung von Artikel 13 (2) VOBK 2020 nicht in das Verfahren zugelassen.
5. Neuheit und erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist aus den folgenden Gründen neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
5.1 Ausgehend von E8
E8 offenbart :
M1 |[Ein] Türschwellensystem für eine Haustür, eine Ladentür oder dergleichen umfassend |
M2 |einen Türrahmen (implizit) mit einem Drehtürflügel (beispielsweise in Figur 1 gezeigt ), |
M3 |wobei das Türschwellensystem eine thermisch getrennte Türschwelle (Türschwelle 2, thermische Trennung auf Mitte Seite 13 erwähnt) umfasst, |
M3.1|welche aus einem Basisprofil (11) mit aufgesetzten Trittprofilen (2, 2/1) besteht, |
M3.2|wobei die Türschwelle im Einbauzustand an den senkrecht angeordneten Profilenden des Türrahmens adaptierbar ist, sodass die Türschwelle im Einbauzustand geeignet ist, mit dem unteren Drehtürflügelprofil (Der Teil des Flügelrahmens III welcher unterhalb des Teils II nach unten ragt) im geschlossenen Zustand der Tür dichtend zusammenzuwirken,|
|wobei |
M4 |zur Bereitstellung einer barrierefreien Tür, bestehend aus montierten Türrahmen mit Drehtürflügel, das Türschwellensystem ferner noch ein Aufsatzprofil (1) und ein Adapterprofil (II) umfasst, |
M4.1|wobei an die vorhandene Türschwelle (11, 2, 2/1) das Aufsatzprofil (1) einerseits montiert ist und |
M4.2|an das Drehtürflügelprofil das Adapterprofil (II) andererseits montiert ist. |
5.1.1 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass E8 auch Merkmal M4.3 offenbare und der Gegenstand des Anspruchs somit nicht neu sei. Das Merkmal verlange nämlich keinen vollständigen Ausgleich des Anschlags des Drehtürflügelprofils. Ferner sei ein Spalt zwischen der Tür und den Teilen II und III der E8 genauso wie in den Ausführungsformen des Streitpatents gegeben.
5.1.2 Der Fachmann versteht jedoch unter dem Begriff "ausgleichen" ,,eben oder glatt machen". Folglich würde er unter dem Wortlaut des Merkmals M4.3 verstehen, dass das Adapterprofil derart ausgestaltet ist, dass der ,,Anschlag" und der untere Teil des Drehtürflügelprofils im Wesentlichen auf der gleichen Ebene liegen. Im Zusammenspiel mit dem Aufsatzprofil entsteht dadurch ein Türschwellensystem, bei dem ein seitliches Anschlagen des Drehtürflügelprofils nicht mehr möglich ist.
Bei dieser Auslegung des Merkmals 4.3 gleicht das Adapterprofil (II) im System der E8 den Anschlag des Drehtürflügelprofils aber nicht aus, denn ein seitliches Anschlagen ist immer noch möglich. Merkmal M4.3 ist somit nicht in E8 offenbart.
5.1.3 Die Beschwerdeführerin trug ferner vor, dass Merkmal M4.3, falls es denn ein Unterscheidungsmerkmal darstelle, jedenfalls keine erfinderische Tätigkeit begründe.
Die durch das Merkmal M4.3 gelöste Aufgabe könne im Hinblick auf Absatz [0007] des Streitpatents darin gesehen werden:
Eine bekannte Drehtür mit einem Schwellensystem, welches für einen Anschlag bestimmt ist, so umzurüsten, dass sie für eine barrierefreie Haus- oder Ladentür ohne Schwellenanschlag eingebaut werden kann.
Die erfindungsgemäße Lösung dieser Aufgabe sei im Hinblick auf E1 oder E4 naheliegend. Beide Dokumente zeigten Adapterprofile, die den Anschlag des Drehtürflügelprofils vollständig ausfüllten (Profil 110 in Figur 3 der E1, beziehungsweise, das Profil, welches die Magneten 41 und 51 hält, in Figur 3a der E4).
5.1.4 Dieser Vortrag überzeugt ebenfalls nicht.
Die der E8 zugrundeliegende Aufgabe ist, eine Türdichtungsschwelle bereitzustellen, die einen Anschlag von Dichtungselementen sowohl für außen- als auch für innenschließende Türen gewährleistet (siehe Seite 3, Absatz 4).
Den seitlichen Anschlag des Drehtürflügels mittels einem Adapterprofil auszugleichen geht somit direkt gegen die Lehre der E8. Selbst wenn ausgleichende Adapterprofile für Türflügel aus E1 oder E4 bekannt sind, hätte der Fachmann keinen Anlass gehabt, ein derartiges Profil am Drehtürflügel der E8 vorzusehen, zumal es in E1 oder E4 nicht darum geht, eine bestehende Tür derart umzurüsten, dass sie ohne Schwellenanschlag eingebaut werden kann.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher für den Fachmann, ausgehend vom Türschwellensystem der E8, nicht naheliegend.
5.2 Ausgehend von E1
E1 offenbart:
M1 |[Ein] Türschwellensystem für eine Haustür, eine Ladentür oder dergleichen (Figuren 2 bis 4) umfassend |
M2 |einen Türrahmen (implizit) mit einem Drehtürflügel (implizit), |
M3 |wobei das Türschwellensystem eine thermisch getrennte Türschwelle (Stoßleiste 14, Absatz [0068]) umfasst, |
M3.2|wobei die Türschwelle im Einbauzustand an den senkrecht angeordneten Profilenden des Türrahmens adaptierbar ist, so dass die Türschwelle im Einbauzustand geeignet ist, mit dem unteren Drehtürflügelprofil im geschlossenen Zustand der Tür dichtend zusammenzuwirken,|
|wobei |
M4 |zur Bereitstellung einer barrierefreien Tür, bestehend aus montierten Türrahmen mit Drehtürflügel, das Türschwellensystem ferner noch [deleted: ein Aufsatzprofil und ]ein Adapterprofil (110) umfasst, |
M4.2|wobei an das Drehtürflügelprofil das Adapterprofil (110) montiert ist, |
M4.3|sodass [deleted: Aufsatzprofil ][deleted: und ]Adapterprofil (110) im Einbauzustand derart ausgebildet ist, dass es im Schwellenbereich die Türschwelle und den Anschlag des Drehtürflügelprofils unter Bildung eines Spaltes ausgleicht. |
5.2.1 Die Beschwerdeführerin trug vor, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 sich ausschließlich durch Merkmal M3.1 von dem Schwellentürsystem der E1 unterscheidet. E1 sehe nämlich nur zwei Trittprofile vor, während das Merkmal M3.1 mindestens drei Profile verlange.
Das Türschwellensystem der E1 löse im Wesentlichen das gleiche Problem wie das Streitpatent, nämlich ein barrierefreies Türschwellensystem bereitzustellen. Die Anzahl der Profile, aus der die Türschwelle bestehe, habe keinen Einfluss auf diese Erfindung und könne keine erfinderische Tätigkeit begründen. Eine mehrteilige Ausführung der Türschwelle sei dem Fachmann nämlich schon aus seinem Fachwissen bekannt.
5.2.2 Die Türschwelle in den Figuren 2 bis 4 der E1 weist in der Tat nur zwei Profile auf, die als Basisprofil und Trittprofil, oder alternativ beide als Trittprofile, angesehen werden können. Sie weist jedoch kein zusätzliches Profil auf, welches als Aufsatz auf eine bestehende Türschwelle angesehen werden könnte. Ein Aufsatzprofil gemäß den Merkmalen M4 und Merkmal M4.1 ist somit nicht in den Figuren 2 und 3 der E1 offenbart.
5.2.3 Folglich unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 sowohl im Merkmal M3.1 als auch in den Merkmalen M4 bis M4.3 von dem Türschwellensystem der E1.
5.2.4 Das Argument, dass es für den Fachmann naheliegend sei, die Türschwelle der E1 mit weiteren Profilen, darunter einen Aufsatzprofil, zu versehen, überzeugt nicht. Der Fachmann hat keinen Anlass, die Türschwelle der E1 mit einem zusätzlichen Aufsatzprofil zu versehen. Denn dies würde die Höhe der Türschwelle vergrößern, was dem in Absatz [0010] der E1 beschriebenen Ziel entgegenwirkt, eine Dichtungseinrichtung mit einer Stoßleiste bereitzustellen (Türschwelle in den Worten des Anspruchs), welche mit geringer Höhe die Normen für behindertengerechtes Wohnen erfüllt.
Somit ist der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von E1 bei Berücksichtigung des Fachwissens nicht naheliegend.
6. Der von der Beschwerdegegnerin gestellte Antrag auf Erstattung von vergeblich aufgewendeten Reisekosten wegen des kurzfristig vor der ursprünglich anberaumten mündlichen Verhandlung vor der Kammer gestellten Antrags auf Verlegung der mündlichen Verhandlung wird zurückgewiesen.
6.1 Der krankheitsbedingte Verlegungsantrag wurde zwei Tage vor der geplanten Verhandlung beim EPA eingereicht. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beschwerdegegnerin bereits Kosten für die geplante Anreise und den Aufenthalt aufgewendet, von den sie die Beförderungskosten aber nicht mehr rückgängig machen konnte. Es mag zwar sein, dass die Beschwerdeführerin den kurzfristigen Verlegungsantrag auch den anderen Verfahrensbeteiligten hätte direkt und damit zeitsparend zustellen können und der Beschwerdegegnerin dann auch noch die Stornierung der Beförderungskosten möglich gewesen wäre. Jedoch postuliert das EPÜ keine derartige Verpflichtung für die antragstellende Beteiligte. Dieses Verhalten, so unzuträglich es im Einzelfall auch sein mag, kann dennoch auch nicht als verfahrensmissbräuchlich im Sinne von Artikel 16 (1) e) VOBK 2020, die einzige, wenn überhaupt in Betracht kommende gesetzliche Grundlage, angesehen werden. Hierzu fehlt es an einer bewussten und gewollten Korrumpierung des Beschwerdeverfahrens. Derartiges hat auch die Beschwerdegegnerin nicht vorgetragen. Folglich fehlt es an einer Rechtsgrundlage für die beantragte Kostenerstattung.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.