T 2096/19 () of 18.5.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T209619.20220518
Datum der Entscheidung: 18 Mai 2022
Aktenzeichen: T 2096/19
Anmeldenummer: 05009781.5
IPC-Klasse: F03D 1/06
F03D 80/00
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: Windturbine mit gekrümmten Rotorblättern
Name des Anmelders: Siemens Gamesa Renewable Energy Service GmbH
Name des Einsprechenden: Vestas Wind Systems A/S
SUZLON Energy Ltd.
LM WP PATENT HOLDING A/S
Kammer: 3.2.04
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention Art 56
European Patent Convention Art 84
Rules of procedure of the Boards of Appeal 2020 Art 013(2)
Schlagwörter: Erfinderische Tätigkeit - Vorurteil in der Fachwelt (nein)
Patentansprüche - Klarheit nach Änderung (nein)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
T 0936/96
T 1108/16
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerden der Einsprechenden 3 und der Patentinhaberin richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des Hilfsantrags 2 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.

In dieser hatte die Einspruchsabteilung u.a. festgestellt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht, wohl aber der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2.

II. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 hat sich die Kammer vorläufig den Befunden der Einspruchsabteilung hinsichtlich Hauptantrag und Hilfsantrag 1 angeschlossen, jedoch auch bezüglich der Hilfsanträge 2 und 3 mangelnde erfinderische Tätigkeit erkannt. Die gegenüber Hilfsantrag 4 bislang vorgetragenen Einwände der mangelnden Klarheit und erfinderischen Tätigkeit schienen ihr nicht überzeugend.

III. Mit Schreiben vom 28. März 2022 brachte die Einsprechende 3 weitere Klarheitseinwände gegen Hilfsantrag 4 vor.

IV. Am 18. Mai 2022 fand eine mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz unter Beteiligung der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin, der Beschwerdeführerin-Einsprechenden 3 und der verfahrensbeteiligten Einsprechenden 1 statt.

Die ordnungsgemäß geladene weitere Verfahrensbeteiligte Einsprechende 2 ist nicht erschienen. Gemäß Regel 115(2) EPÜ und Artikel 15(3) VOBK fand die Verhandlung ohne sie statt.

Während der Verhandlung ersetzte die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin ihren ursprünglichen Hilfsantrag 4 durch einen neuen Hilfsantrag 4.

V. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des Hauptantrages, hilfsweise eines der Hilfsanträge 1 - 3, eingereicht bereits im Einspruchsverfahren und wieder eingereicht mit Beschwerdebegründung vom 27. September 2019, weiter hilfsweise im Umfang des Hilfsantrags 4, eingereicht während der mündlichen Verhandlung.

Die Beschwerdeführerin-Einsprechende 3 beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents sowie die Nicht-Zulassung des Hilfsantrags 4 als verspätet.

Die weitere Verfahrensbeteiligte Einsprechende 1 beantragt die Zurückweisung der Beschwerde der Patentinhaberin.

VI. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:

"Windenergieanlage (1) mit einem Turm (2), einer auf dem oberen Ende des Turms (2) angeordneten Gondel (3), einem Rotor (5), der um eine Rotordrehachse (4) drehbar außen an der Gondel gelagert ist und der eine Rotornabe (6, 20) und mindestens ein sich von der Rotornabe (6, 20) erstreckendes Rotorblatt (7, 22) aufweist, wobei das Rotorblatt (7, 22) stumpfwinklig zu der Rotordrehachse (4) vom Turm (2) weg geneigt ausgerichtet an der Rotornabe (6, 20) angeordnet ist,

dadurch gekennzeichnet, dass

das Rotorblatt (7, 22) in mindestens einem Längenabschnitt gekrümmt zu der Längsachse (8) ausgebildet ist,

wobei das Rotorblatt (7, 22) so ausgebildet ist, dass es in einem ersten an der Rotornabe (6, 20) beginnenden Längenabschnitt (I) bis zu einem definierten Abstand von der Rotornabe (7, 22) gerade verlaufend ausgebildet ist, und in einem zweiten an den ersten Längenabschnitt anschließenden Längenabschnitt (II), der sich bis zur Rotorblattspitze erstreckt, bereichsweise nach vorn gerichtet gekrümmt ausgebildet ist, und wobei

das Rotorblatt (7, 22) mit einem an der Rotornabe (6, 20) montierten Blattlager (21) drehbar gekoppelt ist, das Blattlager (21) einen Außenring (24) und einen Innenring (23) aufweist, wobei der Innenring (23) fest mit der Rotornabe (6, 20) verbunden ist und der Außenring (24) fest mit dem Rotorblatt (7, 22) verbunden ist."

Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 enthält folgende zusätzliche Merkmale:

"[dadurch gekennzeichnet, dass das Rotorblatt (7, 22)] eine aus Faserverbundwerkstoffen gefertigte Blattwurzel aufweist".

Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 enthält folgende zusätzliche Merkmale:

"[wobei] ... der Außenring (24) eine Außenverzahnung aufweist und der Verstellantrieb außen angeordnet ist".

Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 enthält folgende zusätzliche Merkmale:

"[wobei] .... und der nabenseitige Blattanschluß durch eine umlaufende, undurchbrochene Versteifungsrippe im Flanschinnenraum versteift ist".

Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 enthält folgende zusätzliche Merkmale:

"wobei der erste Längenabschnitt etwa 40% der Blattlänge ausmacht ...

der Außenring (24) eine Außenverzahnung aufweist und der Verstellantrieb außen angeordnet ist".

Anspruch 2 des vorherigen Hilfsantrags 4 lautete:

"Windenergieanlage nach Anspruch 1,

dadurch gekennzeichnet, dass

der zweite Längenabschnitt (II) weniger als ein Drittel der Rotorblatts (7, 22) ausmacht."

VII. Nachfolgend wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:

E1: H.J.T Kooijman et al: "DOWEC 6 MW pre-design - Aero-elastic modelling of the DOWEC 6 MW

pre-design in PHATAS",

DOWEC-F1W2-HJK-01-046/9 öffentliche Ausgabe

September 2003

E9-P1: E. Hau: "Windkraftanlagen", Seiten 268 - 271,

Springer Verlag, 3. Auflage 2003,

E21: DE 101 41 667 A1

E22: US 2003/0116970 A1

E23: EP 1 394 406 A2

E32-A2: T. Burton et al. "WIND ENERGY HANDBOOK",

Seiten 350 - 355, 416 - 419

John Wiley & Sons , Ltd, 2001

AF: Anlagenkonvolut mit Broschüren zu

Windenergieanlagen

VIII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin lässt sich wie folgt zusammenfassen:

E1 sei kein realistischer und geeigneter Ausgangspunkt, weil es sich mit Berechnung und Auslegung eines nicht vollständig definierten, virtuellen pre-design Rotorblatts beschäftige, nicht wie das Patent mit der Gewichtsreduzierung eines bestimmten "wirklichen" Rotorblatts.

Selbst wenn man vom Rotorblatt der E1 ausginge, fände sich nirgends im zitierten Stand der Technik ein Zusammenhang zwischen den Unterschiedsmerkmale in Haupt- und Hilfsanträgen 1 - 4 und der durch sie erzielten technischen Wirkung der Gewichtseinsparung. Ein Fachmann hätte deshalb keine Veranlassung, zur Lösung der objektiven Aufgabe das Dokument E1 mit einem anderen der zitierten Dokumente zu kombinieren.

Der neu eingereichte Hilfsantrag 4 weise keine Klarheitsmängel mehr auf, behebe also vollständig den entsprechenden Einwand und sei deshalb zuzulassen.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin-Einsprechenden 3 lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Bei den in Haupt- und Hilfsanträgen 1 - 4 gegenüber E1 unterschiedlichen Merkmalen handele es sich um übliche Gestaltungen eines Rotorblatts, dessen Anschlusses bzw. Antriebs, die der Fachmann entweder in naheliegender Weise aus ihm bekannten Alternativen wählen würde oder die willkürlich gewählt erscheinen. Eine Synergie zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen im Sinne einer durch alle gemeinsam gelösten Aufgabe liege jedenfalls nicht vor, und sei auch dem Patent nicht zu entnehmen.

Der neue Hilfsantrag 4 sei ohne zwingenden Grund verspätet eingereicht worden, sein Anspruch 1 sei immer noch nicht klar und in der eingereichten Form offensichtlich nicht gewährbar.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin-Einsprechenden 1 lässt sich wie folgt zusammenfassen:

Die Lastverteilung sowie Vor- und Nachteile bei einer Innen- und der im Hauptantrag beanspruchten Außenlagerung seien einem Fachmann aus den Grundlagen der Mechanik vertraut.

Das zusätzliche Merkmal des Hilfsantrags 1 bedeute nicht, dass die gesamte Blattwurzel und ihr Anschluss ausschließlich aus Faserverbundwerkstoff ohne metallische Komponenten bestehen müsse. Dem Fachmann sind geeignete Anschlussmöglichkeiten für eine aus Faserverbundwerkstoff gefertigte Blattwurzel in verschiedenen Konfigurationen bekannt.

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerden sind zulässig.

2. Das Patent und sein technischer Hintergrund

Das Patent befasst sich eigentlich mit einer bestimmten Rotorblattkonfiguration, einer konischen Anordnung der Rotorblätter des Rotors und einer Biegung der Rotorblätter, jeweils "nach vorn" oder in Windrichtung.

Beides trägt dazu bei, dass ein notwendiger Mindestabstand zwischen den Rotorblättern und der Gondel bzw. dem Turm auch bei Starkwind und Windböen eingehalten werden kann, Absätze [0005] - [0008]. Ein zu kleiner Konuswinkel oder eine zu starke Biegung nach vorn allein ist unvorteilhafter als die Kombination beider Maßnahmen in jeweils "gemäßigter" Ausprägung, Absätze [0009] - [0012], [0019] - [0021].

Wegen des größeren Blattwurzeldurchmessers kann bei einer Außenlagerung des Rotorsblatts gegenüber einer Innenlagerung mit gleichem Durchmesser des Verbindungsbereichs, also gleichen Biegelasten, zudem noch mehr Masse und damit Gewicht eingespart werden, Absätze [0025] - [0028].

3. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit

3.1 In Abschnitt 1.1 ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK hat die Kammer die folgende vorläufige Auffassung zu E1 als Stand der Technik und geeignetem Ausgangspunkt vertreten:

"E1 scheint als Entwicklungsstudie für ein Windturbinen-Projekt (siehe Seiten 6 und 9) an sich durchaus als Stand der Technik geeignet zu sein. Auch Patentanmeldungen enthalten eher technische Lehren als real existierende Vorrichtungen und dienen regelmäßig als Nachweis des Standes der Technik.

Für die Bestimmung des nächsten Stands der Technik bieten sich verschiedene Kriterien an, u.a. auch die größte Schnittmenge an gemeinsamen Merkmalen. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin hat dies nichts mit einer unzulässigen ex-post-facto Betrachtung zu tun. Vielmehr zielt es auf den Grundsatz, dass der nächste Stand der Technik den erfolgversprechendsten Ausgangspunkt für den Erhalt des Erfindungsgegenstandes bildet, siehe RSBK I.D.3.1. Insofern vermag das Argument, E4 sei ein "realistischerer" Stand der Technik, von dem aus die beanspruchte Erfindung weniger naheliegend sei als von E1, die Kammer derzeit nicht zu überzeugen."

Da die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin hierzu weder in ihrem nachfolgenden Schriftsatz vom 19. April 2022, noch in der mündlichen Verhandlung Stellung genommen hat, sieht die Kammer E1 weiterhin als geeigneten Ausgangspunkt an.

3.2 Wie von der Einspruchsabteilung in Punkt 13 ihrer Entscheidung festgestellt, offenbart E1 eine Windenergieanlage mit den üblichen Bestandteilen Turm, Gondel, Rotornabe, Rotorblätter (siehe Fig. 1 auf Seite 6).

Die Rotorblätter sind konisch zueinander oder stumpfwinklig zur Rotordrehachse vom Turm weg in Windrichtung geneigt(Seite 6, Fig. 1, Seite 7 "rotor hub cone angle", Berechnung der "blade tower clearance" auf Seite 13; "upwind", also "windaufwärts", hat ein negatives Vorzeichen). Die Rotorblätter sind ferner in einem ersten, 13,8 m langen Abschnitt ausgehend von der Rotornabe gerade und danach nach vorne gekrümmt ausgebildet (siehe Seite 11 - 13, insbesondere Fig. 6).

E1 enthält jedoch keine Angaben zum Blattanschluss, also zur Lagerung der Rotorblätter in einer Blattnabe sowie zu einem Mechanismus zur Verstellung des Rotorblattwinkels.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich folglich unstreitig von der in E1 gezeigten Windenergieanlage dadurch, dass das Rotorblatt mit einem Blattlager an der Rotornabe drehbar gekoppelt ist, dessen Innenring fest mit der Rotornabe und dessen Außenring fest mit dem Rotorblatt verbunden ist.

3.3 Die in Absatz [0006] der Patentschrift angegebene Aufgabe, "eine Windenergieanlage mit einem optimierten Rotor zu schaffen, der so konfiguriert ist, dass er eine möglichst geringe Masse aufweist und dessen Rotorblätter so ausgebildet sind, dass eine Kollision der Rotorblätter mit dem Turm sicher vermieden wird", löst E1 bereits in analoger Weise zum Patent, Absatz [0008], nämlich durch eine Kombination von Konuswinkel und Blattkrümmung.

Da Ziel der E1 ist, ausgehend von einer Vorentwicklung ("pre-design") eine 6 MW Offshore Windturbine bereitzustellen (Seite 9), kann als zu lösende Aufgabe die Auswahl einer geeigneten und vorteilhaften Rotorblattlagerung angesehen werden. Mit anderen Worten stellt sich die Frage, wie ein Fachmann, ein Ingenieur mit besonderen Kenntnissen und Erfahrungen auf dem Gebiet der Rotorkonstruktion und Rotorblattauslegung von Windturbinen, die oben angesprochenen "Lücken" in der Offenbarung der E1 bei deren Umsetzung in die Praxis schließen würde.

3.4 Die dritte, 2003 erschienene Auflage des Fachbuchs E9, von der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin als P1 zitiert, zeigt auf Seite 269 in Bild 8.13 und 8.14 zwei alternative Möglichkeiten der Rotorlagerung, innen und und außen bezüglich eines Nabenkörpers, die dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt des Patents im Jahr 2004 bekannt waren.

Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin zu, dass sich aus E9-P1 keine Präferenz für eine der beiden ableiten lässt, lediglich für die Verwendung von Kugeldrehverbindungen gegenüber Drehkranzlagern mit Zylinderrollen.

3.5 Andererseits ist die Kammer aber auch nicht von einer allgemein ablehnenden oder zumindest skeptischen Haltung der Fachwelt im Sinne eines technischen Vorurteils gegenüber einer Rotoraußenlagerung überzeugt, die die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin geltend macht. Dafür liefern weder das Beispiel der WKA-60 in Bild 8.14 der E9-P1, noch das Anlagenkonvolut AF mit 79 Windturbinen-Beispielen einen überzeugenden Nachweis.

Zwar war die WKA-60 oder Growian II kein großer Erfolg - inwiefern das Scheitern dieses Leeläufer-Projekts letztlich aber mit der in Bild 8.14 dargestellten Außenlagerung des Rotorblätter in Zusammenhang steht, vermag weder die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin darzulegen, noch sind der Kammer derartige Gründe dafür bekannt. Deshalb kann sie die Ansicht der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin, der Fachmann sehe die in Bild 8.14 gezeigte Außenlagerung schon deshalb als nicht praxistauglich an, weil sie Teil der WKA-60 war, nicht teilen.

Von den 53 Windkraftanlagen aus AF mit verstellbaren Rotorblättern verfügen laut Angabe der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin lediglich vier des Herstellers ENERCON über außengelagerte Rotorblätter, siehe AF1, Seite 4. Daraus schließt sie, dass der Fachmann nur zu dieser unüblichen Alternative griff, wenn er aus bestimmten Umständen oder Randbedingungen dazu gezwungen war. Sonst hätte ENERCON selbst sich wohl auch nicht von dem hauseigenen Konzept abgewandt, sobald die Größe der E-112 dies erlaubte, siehe AF4, Seite 404.

3.6 Nach Ansicht der Kammer hatte der Fachmann zum Prioritätszeitpunkt die freie Wahl zwischen den beiden Lageralternativen entsprechend der im Einzelfall vorliegenden Umstände. Dabei waren ihm Vor- und Nachteile beider Konzepte hinsichtlich mechanischer Festigkeit und Zugänglichkeit, z.B. für die Anbringung von Blattverstellorganen und Wartung, bewusst. Dies mag in der Mehrzahl der Fälle zu einer Entscheidung für eine Lagerung am Innenring geführt haben, was aber noch keinen Beleg für ein in der Fachwelt bestehendes Vorurteil darstellt. Auch war eine Lagerung des Rotorblatts am Außenring nicht völlig exotisch, wie durch die Dokumente E22 (Fig. 4) und E23 (Fig. 1) gezeigt, die Blattanschlüsse in beiden Alternativen nebeneinander stellen.

Schließlich gehört auch die Tatsache, dass ein größerer Rohr-Durchmesser bei gleicher Biegesteifigkeit kleinere Wandstärken und damit geringeres Gewicht erlaubt, zu den Grundkenntnissen der technischen Mechanik und stellt für den Fachmann keine überraschende, erst durch das Patent offenbarte Erkenntnis dar, ohne die er eine Lagerung am Außenring für das Rotorblatt der E1 nicht ernsthaft in Betracht gezogen hätte.

3.7 Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin stellt auf die in den Absätzen [0026] - [0028] dargelegten technischen Wirkungen der Unterschiedsmerkmale ab. Die auf den ersten Blick etwas widersprüchlich anmutende Aussage, die Masse des Rotorblatts nehme mit zunehmendem Durchmesser der Rotorblattwurzel, also eigentlich zunehmendem Volumen, ab, beziehe sich in erster Linie auf den Innendurchmesser der Blattwurzel. Aufgrund der vorteilhaften Gestaltung des Rotorblatts, die erhöhte Steifigkeit mit sich brächte, könne die Wandstärke geringer gewählt und so zum einen Gewicht gespart und zum anderen Platz für eine innenliegende Lagerung auf einem Innenring des Nabenkörpers geschaffen werden. Letzterer könne in dieser beanspruchten Konfiguration somit ebenso kleiner und leichter gestaltet werden, Absatz [0029] der Patentschrift.

Als synergetisch gelöste Aufgabe sei demnach eine Gewichtsersparnis beim Rotorblatt anzusehen.

Nun ist das Verhältnis von Durchmesser und Wandstärke der Blattwurzel nicht Gegenstand des Anspruchs 1. Er umfasst also auch Rotorblätter, bei denen die beanspruchte Rotorform nicht notwendigerweise in einer relativen Verkleinerung deren Wandstärke und Vergrößerung deren Durchmessers resultiert, so dass diese Aufgabe nicht über die gesamte Anspruchsbreite in synergetischer Weise gelöst zu sein scheint.

Was die isolierte oder akkumulierende technische Wirkung der Gewichtsersparnis durch Außenlagerung der Rotors betrifft, um "die Masse der Rotors noch weiter zu reduzieren" (Absatz [0026] der Patentschrift), so sieht die Kammer dies, wie oben dargelegt, als einen von mehreren Faktoren an, die der Fachmann bei der Auswahl einer geeigneten Lagerung berücksichtigt, nicht aber als erfinderische Lösung der Aufgabe Gewichtsersparnis.

Im übrigen würde es für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit auch nicht genügen, wenn durch den Gegenstand des Anspruchs 1 eine technische Aufgabe - Gewichtsersparnis - in nicht naheliegender Weise gelöst würde, solange dies bei einer anderen plausiblen technischen Aufgabe - Auswahl einer geeigneten Rotorlagerung - der Fall ist, siehe Leitsatz der T0936/96.

3.8 Aus den voranstehenden Gründen beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von der Windturbine nach E1 und unter Berücksichtigung von Fachwissen, wie insbesondere in der E9-P1 dokumentiert, nicht auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

4. Hilfsantrag 1 - Erfinderische Tätigkeit

4.1 Das zusätzliche Merkmal des Anspruchs 1, "eine aus Faserverbundwerkstoff gefertigte Blattwurzel", ist zunächst nicht auf eine ausschließlich aus Faserverbundwerkstoffen bestehende Blattwurzel beschränkt. So zeigt Fig. 2 der Patentschrift einen Endabschnitt einer Blattwurzel 22, die offensichtlich eine Vielzahl von metallischen Gewindehülsen zur Aufnahme von Gewindebolzen 26 aufweist.

Auch sagt dieses Merkmal nichts über das Material von ggf. an die Blattwurzel anschließenden Adaptern oder Anschlusselementen zu deren Befestigung an der Nabe über einen Lagerring aus. Die Verwendung solcher Adapter ist nicht von Anspruch 1 ausgeschlossen, der keine unmittelbare Befestigung der Blattwurzel am Lagerring fordert.

4.2 Das in E1 offenbarte Rotorblatt ist implizit, also unmittelbar und eindeutig, aus Faserverbundwerkstoff gefertigt.

Davon geht der Fachmann bereits aus, weil es vom Rotorblatthersteller LM Glasfiber Holland als LMH64-5 konzipiert wurde, siehe Seite 9, "1. Introduction".

Auch Form, Größe und Gewicht lassen keine anderen Schlüsse zu. So ist Fig. 10 der E1 ein Gesamtgewicht von knapp 18 t bei einer Blattlänge von ca. 63 m (ohne Blattwurzel, Seite 11, "2.1 Blade Geometry") zu entnehmen und 17648 kg sind als Gewicht auf Seite 19 angegeben (ohne Blattwurzelmasse, "3.2 Mass imbalance"). Das ist in der gleichen Größenordnung wie die in E28 für Rotorblätter aus Faserverbundwerkstoffen desselben Herstellers LM genannten Werte von 19,5 t und 18 t bei einer Blattlänge von 61,5 m (Seite 27, linke Spalte "Pushing Past Glass").

Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin bestreitet dies lediglich mit Nichtwissen, da der Rotorblatt-Werkstoff nicht explizit in E1 erwähnt werde. Sie stimmt mit den Einsprechenden aber darin überein, dass die Blattwurzel in E1 aus dem gleichen Werkstoff wie das Blatt gefertigt ist.

Demnach ist das zusätzliche Merkmal des Anspruchs 1 bereits implizit in E1 offenbart.

4.3 Laut der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin wäre aber die in Bild 8.14 der E9-P1 gezeigte Außenlagerung des Rotorblatts nicht in Kombination mit einer aus Faserverbundwerkstoff gefertigten Blattwurzel realisierbar. Denn die unteren Muttern der Schraubverbindung mit dem Außenring des Blattlagers wären kaum zugänglich für ein Werkzeug, während der auskragende Flansch, auf dem die oberen Muttern anliegen, nicht mit ausreichender Festigkeit in Faserverbundbauweise herstellbar sei. Folglich blieben dem Fachmann wenn überhaupt nur zwei naheliegende Alternativen, die beide nicht unter Anspruch 1 fielen: eine Blattwurzel aus Faserverbundwerkstoff mit einem Innenring, wie z.B. in Bild 8.13 der E9-P1 oder eine Außenlagerung wie in Abb. 8.14 mit einer Blattwurzel aus einem anderen Werkstoff.

4.4 Die Kammer neigt eher zu der Auffassung, dass E9-P1 das allgemeine Fachwissen um eine mögliche Innen- und Außenlagerung der Rotorblätter sowie um mögliche Befestigungen an einem Lagerring widerspiegelt, nicht nur einzig mögliche Kombinationsausführungen. So zeigt z.B. Bild 8.13 eine Befestigung des Außenrings an der Nabe, die sich auch bei einer Blattwurzel anwenden ließe.

Dieses Fachwissen wird durch E32-A2 in Fig. 7.19 bestätigt. Die Abbildungen a) und b) zeigen für die Verbindung mit einem Lageraußenring geeignete Schraubverbindungen an der Blattwurzel ohne Flansch, die Abbildungen c) und d) Schraubverbindungen an einem als Flansch ausgebildeten Adapter, mit dem sich die in Bild 8.14 der E9-P1 gezeigte Ausführung unmittelbar realisieren ließe. Nichts, insbesondere keine Bedenken hinsichtlich einer erforderlichen Festigkeit, sprechen dagegen, die aus Faserverbundwerkstoffen gefertigte Blattwurzel der E1 mittels einer der in Fig. 7.19 gezeigten Varianten mit einem Lageraußenring zu verbinden und so unter Berücksichtigung von Fachwissen bzw. E9-P1 unmittelbar den Gegenstand des Anspruchs 1 zu erhalten.

4.5 Aus den voranstehenden Gründen beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

5. Hilfsantrag 2 - Erfinderische Tätigkeit

5.1 Die zusätzlichen Merkmale des Anspruchs 1 beziehen sich auf die Anordnung des Antriebs zur Verstellung des Rotorblattwinkels und die Übertragung der Verstellkräfte auf das Rotorblatt. Wie bereits oben in den Punkten 3.2 und 3.3 dargelegt, enthält E1 keine diesbezüglichen Informationen, so dass der Fachmann bei der Fertigstellung der Windturbine nach E1 hierfür geeignete Komponenten auswählen muss.

5.2 Die WKA-60 aus Bild 8.14 der E9-P1 wies den in Bild 8.15 dargestellten hydraulischen Blattverstellmechanismus auf. Als problematisch bei diesen damals schon "älteren" Modellen wurde die Entfernung der Stellzylinder von der hydraulischen Energieversorgung im Maschinenhaus angesehen, die über lange Versorgungsleitungen und komplexe hydraulische Drehdurchführungen überbrückt werden musste, siehe Kapitel 8.5.2, erster Absatz und letzter Absatz auf Seite 271.

Eine bessere hydraulische Alternative, die diese Probleme mittels einer Schubstange umgeht, ist in Bild 8.16 gezeigt. Die Schubstange greift innen, d.h. an einem innengelagerten Rotorblatt an und ist deshalb für ein außengelagertes Rotorblatt wie in Bild 8.14 nicht geeignet.

5.3 Hydraulische Verstellantriebe waren zum Prioritätszeitpunkt jedoch nicht die einzig möglichen, dem Fachmann zur Verfügung stehenden Alternativen.

So ist in E21 für ein Blattlager des in Bild 8.14 der E9-P1 gezeigten Typs (Fig. 2) ein elektrischer Verstellantrieb vorgeschlagen. Dabei greift ein außen angeordneter Elektromotor 10 über ein Getriebe 12 wie beansprucht in eine Außenverzahnung 16 am Außenring 18 an, Absatz [0012], Fig. 1, 2.

Die Auswahl dieses Verstellantriebs für das Rotorblatt nach E1 bietet sich deshalb bevorzugt für den Fachmann an, da mit der Lösung nach E21 nicht nur die Probleme hydraulischer Antriebe vermieden, sondern ein weiterer Vorteil in Gestalt einer zuverlässigen Schmierung der stark belasteten Lager und des Antriebs erreicht wird, siehe Absätze [0003] - [0005].

5.4 Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin sieht die besondere Gestalt der Schmiermittelkammer 20 der E21 im Gegenteil als einen Grund, der einer Herstellung der Blattwurzel in Faserverbundbauweise noch mehr entgegenstehen, ja sie sogar ausschließen würde. Denn im Gegensatz zu Bild 8.14 der E9-P1 sei hier ein Festziehen der Schraubverbindung "von unten" am Außenring völlig ausgeschlossen, so dass dies nur noch "von oben" unmittelbar an der Blattwurzel geschehen könne. Dann könnte diese jedoch nicht aus Faserverbundwerkstoff hergestellt sein.

Somit führte E21 den Fachmann eher weg von der beanspruchten Merkmalskombination.

Die Kammer sieht jedoch wie bereits beim Hilfsantrag 1 keinen Hinderungsgrund für den Fachmann, Lageranordnung und Antrieb der E21 für die Blattwurzel eines Rotorblatts der E1 aus Faserverbundwerkstoff zu übernehmen. Zur technischen Umsetzung einer solchen Kombination notwendige und geeignete Blattanschlüsse, wie z.B. in Fig. 7.19 (d) der E32-A2 gezeigt, sind ihm bekannt.

5.5 Daher beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 ausgehend vom Rotorblatt der E1 und unter Berücksichtigung von Fachwissen und der E21 nicht auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

6. Hilfsantrag 3 - Erfinderische Tätigkeit

6.1 In Punkt 6.2 ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK hat die Kammer darauf hingewiesen, dass der Fachmann in Fig. 2 der E21 auch das in Anspruch 1 hinzugekommene Merkmal einer umlaufenden, undurchbrochenen Versteifungsrippe im Flanschinnenraum des nabenseitigen Blattanschlusses erkennt. Somit würde eine Kombination mit E21 aus analogen Gründen wie beim Hilfsantrag 2 in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 führen.

6.2 Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin hat hierzu weder in ihrem nachfolgenden Schriftsatz vom 19. April 2022, noch in der mündlichen Verhandlung Stellung genommen, in der sie lediglich auf ihr diesbezügliches schriftliches Vorbringen verwies.

6.3 Folglich ist die Kammer nach wie vor der Ansicht, dass ein Fachmann zur Bereitstellung eines geeigneten Verstellantriebs für das Rotorblatt der E1 in naheliegender Weise den gesamten vorteilhaften Blattanschluss aus E21 mit außen angeordnetem Elektromotor 10, Schmiermittelkammer 20 und Versteifungsrippe im Flanschinneren der Blattnabe übernehmen würde, und so unmittelbar den Gegenstand des Anspruch 1 erhielte.

Dieser beruht demnach ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.

7. Hilfsantrag 4 - Zulassung

7.1 Im vorletzten Absatz auf Seite 2 ihres Schreibens vom 28. März 2022 hat die Beschwerdeführerin-Einsprechende 3 auf einen Widerspruch zwischen den Ansprüchen 1 und 2 des ursprünglichen Hilfsantrags 4 hingewiesen.

Anspruch 1 gibt als Länge eines ersten Längsabschnitts, in dem das Rotorblatt gerade verlaufend ausgebildet ist, etwa 40% der Blattlänge an. Dieses Merkmal stammt aus Absatz [0021] der Patentanmeldung, der Absatz [0022] der Patentschrift entspricht. Für den an den ersten anschließenden und bis zur Blattspitze reichenden zweiten Längsabschnitt des Rotorblatts ergibt sich daraus eine Länge von etwa 60% der Blattlänge. Demgegenüber sollte dieser zweite Längsabschnitt, in dem das Rotorblatt bereichsweise nach vorn gekrümmt ist, laut Anspruch 2 aber weniger als ein Drittel des Rotorblatts ausmachen, also weniger als etwa 33% mit verbleibenden mehr als 67% für den ersten Längsabschnitt.

Im folgenden Absatz ihres Schreibens führt die Beschwerdeführerin-Einsprechende 3 mit Verweis auf Absatz [0022] der Patentschrift weiter aus, dass zudem nicht klar definiert sei, wo bzw. "wann" denn die Vorkrümmung beginne. Dort stehe das fragliche Merkmal des Anspruchs 1 in unmittelbarem Zusammenhang mit der Aussage, dass eine bei 40% des Rotorradius beginnende beginnende Vorkrümmung "in der Praxis ... ausreicht". Zum einen stellten Blattlänge und Rotorradius zwei unterschiedliche Bezugsgrößen dar, zum anderen deute die Wortwahl "ausreichen" an, dass die Vorkrümmung auch erst jenseits der 40% Blattlänge, also "weiter außen" beginnen könnte.

Insgesamt leide Anspruch 1 deshalb nicht nur an mangelnder Klarheit, sondern sei auch entgegen Artikel 84 EPÜ nicht von der Beschreibung gestützt (vorletzter Absatz auf Seite 3 des Schreibens).

7.2 Nachdem die Kammer den offensichtlichen Widerspruch im ursprünglichen Hilfsantrag 4 in der mündlichen Verhandlung thematisiert hat, ersetzte ihn die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin durch einen neuen Hilfsantrag 4.

In diesem ist der widersprüchliche Anspruch 2 des ursprünglichen Hilfsantrags 4 gestrichen. Darüber hinaus enthält Anspruch 1 an seinem Ende eine Wiederholung des Merkmals, dass "der Außenring (24) eine Außenverzahnung aufweist und der Verstellantrieb außen angeordnet ist".

7.3 Nach Artikel 13(2) VOBK werden Änderungen nach Zustellung der Ladung nur ausnahmsweise bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände berücksichtigt.

Diese sieht die Kammer vorliegend als nicht gegeben an.

Zwar scheint der Widerspruch zwischen den Ansprüchen 1 und 2 des ursprünglichen Hilfsantrags 4 erstmals im Schriftsatz der Beschwerdeführerin-Einsprechenden 3 vom 29. März 2022 aufgezeigt worden zu sein - im Einspruchsverfahren hatte die Einsprechende 2 auf Seite 17 ihres Schreibens vom 14. Februar 2019 lediglich auf einen anderen Widerspruch zwischen den Absätzen [0022] und [0043] der Patentschrift hingewiesen, die beide als Grundlage für Merkmale des Anspruchs 1 dienten, aber einerseits eine vergleichsweise hohe Steifigkeit und andererseits eine hohe Nachgiebigkeit der Rotorblattwurzel postulierten.

Dennoch hätte die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin davon Kenntnis haben und bereits darauf reagieren können, als sie ihre Eingabe vom 19. April 2022 verfasste. Dass eine Partei die Schriftsätze der Gegenpartei nicht sorgfältig analysiert und die mündliche Verhandlung abwartet, bevor sie auf einen Einwand reagiert, widerspricht dem aus dem Gebot der Verfahrensökonomie folgenden Prinzip des frühzeitigen und vollständigen Vorbringens der Parteien (Artikel 106(1) EPÜ, Regel 99(2) EPÜ und Artikel 12(2) VOBK), siehe auch T 1108/16, Abschnitt 4.3 der Entscheidungsgründe.

Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin gibt an, sie sei bedauerlicherweise erst bei der unmittelbaren Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung auf diesen Widerspruch aufmerksam geworden. Es hätte keinen Unterschied gemacht, wenn sie den neuen Hilfsantrag 4 noch knapp zuvor eingereicht hätte, weil nicht sichergestellt gewesen wäre, dass die Kammer und die anderen Beteiligten rechtzeitig Kenntnis davon erhalten hätten.

Selbst dann hätte sie jedoch nach Ansicht der Kammer einen neuen Hilfsantrag 4 zumindest bereits vorbereiten und für die Verhandlung bereithalten können. Von den Parteien kann dies im Rahmen ihrer prozessualen Sorgfaltspflicht im Vorfeld einer mündlichen Verhandlung erwartet werden, weil es zur Vermeidung von durch Zeitdruck verursachten Flüchtigkeitsfehlern und damit einhergehenden weiteren Verfahrensverzögerungen beiträgt.

Zusammenfassend stellt die Kammer deshalb fest, dass die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin nicht durch einen außergewöhnlichen Umstand, wie z.B. einen erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebrachten Einwand, veranlasst war, ihren neuen Hilfsantrag 4 erst in einer Verhandlungspause zu erstellen.

7.4 Gemäß der Grundsätze der Verfahrensökonomie, der Artikel 13 VOBK vorrangig dienen soll, könnte die Kammer gegebenenfalls einen verspätet eingereichten Antrag zulassen, falls unmittelbar offensichtlich ist, dass ein bestehender Einwand durch diesen vollständig ausgeräumt wird, ohne dass er Anlass zu neuen Einwänden gibt.

Auch diese Kriterien sind vorliegend nicht erfüllt.

Die in Anspruch 1 des neuen Hilfsantrags 4 vorgenommenen Änderungen in Gestalt der versehentlichen Wiederholung eines Merkmals an dessen Ende führen zu einem neuen Einwand mangelnder Klarheit gemäß Artikel 84 EPÜ. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin erkennt in der Wiederholung eines Merkmals einen ofensichtlichen und unter Regel 139 EPÜ korrigierbaren Fehler, der auf die Klarheit des Anspruchs keinen Einfluss hat. Dem kann die Kammer nicht pauschal und uneingeschränkt zustimmen. Aber selbst wenn dem so wäre, bleibt die Tatsache bestehen, dass Anspruch 1 in der während der mündlichen Verhandlung eingereichten Form prima facie nicht gewährbar ist.

Außerdem scheint auch der ursprüngliche Klarheitseinwand durch die Streichung des früheren Anspruchs 2 nicht vollständig ausgeräumt zu sein. Während die Beschwerdeführerin-Einsprechende 3 Absatz [0022] der Patentschrift entnimmt, dass die Krümmung des Rotorblatts im zweiten Längsabschnitt später als bei 40% der Blattlänge einsetzen kann, geht für die Kammer daraus hervor, dass das Ende des ersten Längsabschnitts mit dem Beginn der Vorkrümmung des Rotorblatts zusammenfallen muss. Dies liest die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin auch im folgenden Absatz [0023]. Allerdings ist hier eine Krümmung des Rotorblatts, die sich nur teilweise über den zweiten Längsabschnitt erstreckt, nicht als notwendiges Merkmal der Erfindung, sondern nur als "vorteilhafte Ausführung" dargestellt. Die in Anspruch 1 gewählte Formulierung, das Rotorblatt sei im zweiten, bei 40% der Blattlänge beginnenden Längsabschnitt lediglich "bereichsweise nach vorn gerichtet gekrümmt", stützt keine dieser Aussagen und Interpretationen. Insbesondere bleibt nach wie vor offen und unklar, wie die Vorkrümmung des Rotorblatts mit dem hinzugekommenen Merkmal der relativen Länge der beiden Längsabschnitte zusammenhängt.

7.5 Aus den voranstehenden Gründen hat die Kammer den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrag 4 in Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13(2) VOBK nicht zum Verfahren zugelassen.

8. Ergebnis

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Einsprechende 3 erfolgreich gegen die in der Einspruchsentscheidung getroffene Feststellung, das Patent genüge in der Fassung des Hilfsantrags 2 dem Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 56 EPÜ. Die angefochtene Entscheidung ist somit aufzuheben.

Dass auch unter Berücksichtigung der in Hilfsantrag 3 vorgenommenen Änderungen das Patent nicht dem Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit genügt und Hilfsantrag 4 nach Artikel 13(2) VOBK nicht zum Beschwerdeverfahren zugelassen worden ist, führt letztlich zum Widerruf des Patents unter Artikel 101(3)b), 111(1) EPÜ.

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

2. Das Patent wird widerrufen.

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