European Case Law Identifier: | ECLI:EP:BA:2020:T203419.20200917 | ||||||||
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Datum der Entscheidung: | 17 September 2020 | ||||||||
Aktenzeichen: | T 2034/19 | ||||||||
Anmeldenummer: | 08758648.3 | ||||||||
IPC-Klasse: | A61K47/10 A61K47/12 A61K9/00 A61K31/53 A61K33/26 A61K45/06 A61P7/06 A61P33/02 |
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Verfahrenssprache: | DE | ||||||||
Verteilung: | D | ||||||||
Download und weitere Informationen: |
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Bezeichnung der Anmeldung: | FORMULIERUNGEN ENTHALTEND TRIAZINONE UND EISEN | ||||||||
Name des Anmelders: | Bayer Intellectual Property GmbH | ||||||||
Name des Einsprechenden: | CEVA SANTE ANIMALE CEVA Animal Health AB |
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Kammer: | 3.3.07 | ||||||||
Leitsatz: | - | ||||||||
Relevante Rechtsnormen: |
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Schlagwörter: | Erfinderische Tätigkeit - (nein) | ||||||||
Orientierungssatz: |
- |
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Angeführte Entscheidungen: |
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Anführungen in anderen Entscheidungen: |
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Sachverhalt und Anträge
I. Das europäische Patent Nr. 2164496 (Streitpatent) wurde mit 17 Patentansprüchen erteilt.
Der unabhängige Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Formulierung enthaltend Triazinone der Formeln (I) oder (II)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
oder
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
worin
R**(1)für R**(3)-SO2- oder R**(3)-S- steht,
R**(2)für Alkyl, Alkoxy, Halogen or [sic] SO2N(CH3)2 steht und
R**(3)für Halogenalkyl steht
R**(4)und R**(5)unabhängig voneinander für Wasserstoff oder Chlor stehen and [sic]
R**(6)für Fluor oder Chlor steht,
oder ihre physiologisch verträglichen Salze,
und
polynuklearen Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindungen."
II. Ein Einspruch wurde gegen das Streitpatent in seiner Gesamtheit gestützt auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit), Artikel 100 b) EPÜ und Artikel 100 c) EPÜ eingelegt.
III. Die Einspruchsabteilung entschied, den Einspruch zurückzuweisen.
IV. In der Entscheidung der Einspruchsabteilung wurde inter alia auf folgende Dokumente Bezug genommen:
A1: Technical information sheet "Baycox® - Toltrazuril Coccidiocide for piglets"
A2: Mundt H.C. (Bayer Animal Health): 16**(th) Congress of the International Pig Veterinary Society, Melbourne, Australia, September 17-21, 2000 - Baycox® 5%: An anticoccidial for the treatment of isospora suis coccidiosis in piglets.
A6: Gutzwiller: AGRARFORSCHUNG 6 (10): 373-375, 1999 - Eisenversorgung des neugeborenen Ferkels.
A28: SmPC of the European approval of "Baycox® Multi 50 mg/ml oral suspension for cattle, pigs and sheep"; from 2012
A29: Versuchsbericht der Patentinhaberin zur Wirksamkeit der Eisensupplementierung in Kombination mit Eisen(III)-Komplex
A30: Joachim et al. "Comparison of an injectable toltrazuril-gleptoferron (Forceris®) and an oral toltrazuril (Baycox®) + injectable iron dextran for the control of experimentally induced piglet cystoisosporosis", Parasites & Vectors, S. 1-7, 2018
A33: Versuchsbericht der Patentinhaberin zur Pharmakokinetic von Toltrazuril in Kombination mit Eisen(III)-Komplex
A34: Versuchsbericht der Einsprechenden zu EP 2 928 454 vom 19. Juli 2017, einschließlich der Eingabe vom selben Tag
A38: Versuchsbericht von hämatologischen Ergebnissen als Antwort auf A29
A40: Ueda et al., "Prevention of Piglet Anemia by Oral Administration of Iron Dextran", Nicchiku Kaiho 56(11), 1985, 872-877
A41: Übersetzung der A40 ins Englische
A46: CVMP Guideline on Pharmaceutical Fixed Combination Products - 18 Dec. 2006
A49: Versuchsbericht mit infizierten Ferkeln / intramuskuläre Applikation
A50: Versuchsbericht mit infizierten Ferkeln / orale Applikation
A51: Jolliff and Mahan 2011: Effect of injected and dietary iron in young pigs on blood hematology and postnatal pig growth performance, Journal of Animal Science, 89(12), 4068-4080
A63: Statistische Re-Analyse der Ergebnisse der Studien nach A49 und A50 mit der Phoenix® WinNonlin Software
A64: Statistische Analyse der Ergebnisse der Studien nach A49 und A50 zur Beurteilung der Gruppenunterschiede über das Relevanzmaß (Mann-Whitney-Kennwert=MW)
Die Dokumente A1, A2, A6, A38, A40, A41, A46 wurden von der Einsprechenden, die Dokumente A28-A30, A33, A34, A49-A51, A63 und A64 von der Patentinhaberin eingereicht.
V. Insbesondere hat die Einspruchsabteilung Folgendes festgestellt:
a) Weder der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 b) EPÜ noch der gemäß Artikel 100 c) EPÜ stünden der Aufrechterhaltung des Patents entgegen.
b) Sowohl A1/A2 als auch A6 seien gleichwertig als nächstliegender Stand der Technik anzusehen. Das unterscheidende Merkmal bestehe darin, dass Triazinone/Toltrazuril und polynukleare Eisen(III)-polysaccharid Komplexe gemeinsam in einer Formulierung vorliegen.
Die beanspruchte Formulierung sei erfinderisch, selbst wenn kein weiterer technischer Effekt für den Unterschied als die Vereinfachung des Behandlungsschemas anerkannt werde, und die zu lösende Aufgabe die Bereitstellung einer Formulierung sei, die die Administration beider Wirkstoffe vereinfacht.
Die Einspruchsabteilung war allerdings der Auffassung, dass als technischer Effekt eine verbesserte Eisenversorgung bei Ferkeln auch bei zeitlich späterer oraler sowie einmaliger Gabe der gemeinsamen Wirkstoff-Formulierung belegt war, und fand die beanspruchte Formulierung auch gegenüber der Aufgabenstellung der Bereitstellung einer Formulierung, die die Eisenversorgung von Ferkeln auch bei zeitlich späterer, einmaliger Gabe beider Wirkstoffe in einer Formulierung verbessert, erfinderisch. Somit stehe auch der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen.
VI. Zusätzlich den in der angefochtenen Entscheidung zitierten Dokumente wird in der vorliegenden Entscheidung auf folgende Dokumente Bezug genommen:
A072: "Baycox® 5% solution for pigs": Broschüre auf Niederländisch (2003)
A072A: Übersetzung der Seiten 8-9 der A072 ins Englische
A073A: Swineproduktion DK (1999) im dänischen Original
A073B: Übersetzung der A073B ins Englische
A074A: Madaj et al., Efficacy of iron preparations manufactured by Biowet Pulawy in piglet growth and anemia prevention, Medycyna Wet. (2005), 61 (10) im polnischen Original
A074B: Übersetzung der A074 ins Englische
A076: Streyl et al., Field Evaluation of the Effectiveness of an Oral Toltrazuril and Iron Combination (Baycox® Iron) in Maintaining Weaning Weight by Preventing Coccidiosis and Anaemia in Neonatal Piglets, Parasitol Res (2015) 114 (Suppl. 1): S193-S200.
A078: Expert Report of Professor Leo van Leengoed dated 19 November 2019
A085: Stellungnahme von Prof. Dr. Manfred Kietzmann vom 13. August 2019
A092: Versuchsbericht der Patentinhaberin zur Interaktion zwischen Toltrazuril and Gleptoferron
A094: EMA Guideline on clinical development of fixed combination medicinal products
A095: Complaint received by the present Intervener, Ceva Animal Health AB, on December 27,2019
A095 A: Übersetzung der A095 ins Französische
A095 B: Evidence of service of A095
A095 C: Übersetzung der A095B ins Englische
A100: Williams, H. et al. (2018) "Effects of Fe Dosage in Newborn Pigs on Preweaning and Subsequent Nursery Performance," Kansas Agricultural Experiment Station Research Reports: Vol. 4: Iss. 9.
A108: Studie der Patentinhaberin zum direkten Vergleich der Co-Formulierung und der Co-Administration nach oraler Administration
A109: Graphische Darstellung der Hb-Werte aus der A29
A114: Trefferliste der (Google) Internetsuche fur ,,Eisendextran"
A115: Trefferliste der Internetsuche in BARSOI ,,Eisen Dextran"
A116: CAS Eintrag zu 9004-66-4
A117: SmPC Ursoferran (benennt Prolongal)
A124: Declaration of Leo van Leengoed on Al08
A128: Declaration Pedersen
VII. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung legte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde ein. In der Beschwerdebegründung verwies die Beschwerdeführerin auf die neu eingereichten Dokumente A072-A081 und brachte vor, dass die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne und dass der beanspruchte Gegenstand keine erfinderische Tätigkeit aufweise.
VIII. Mit Schreiben vom 26. September 2019 beantragte die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) das Verfahren im Hinblick auf anhängige Verletzungsverfahren zu beschleunigen.
IX. In der am 17. März 2020 eingereichten Beschwerdeerwiderung verteidigte die Beschwerdegegnerin das Streitpatent gemäß ihrem Hauptantrag in erteilter Fassung, hilfsweise auf der Grundlage eines der mit Schreiben vom 8. Juni 2018 eingereichten Hilfsanträge 1-7. Sie reichte Dokumente A82-A94 ein.
X. Mit Schreiben vom 18. März 2020 erklärte CEVA Animal Health AB (im folgenden die Beitretende), dass sie dem Einspruchsverfahren beitrete. Die Beitretende legte Dokumente A095-A096 zum Nachweis einer gegen sie vor dem erstinstanzlichen Patent- und Markengericht Stockholm erhobenen Klage wegen Verletzung des Streitpatents vor. Weiter reichte die Beitretende unter anderem die gleichen Dokumente A072-A081 ein, auf die die Beschwerdeführerin Bezug nahm. Der Beitritt stützte sich auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) und Artikel 100 b) EPÜ.
XI. Am 30. März 2020 teilte die Kammer den Parteien den Beitritt mit und setzte für eine Stellungnahme der Beschwerdegegnerin eine Frist von vier Monaten.
XII. Am 17. April 2020 erläuterte die Kammer ihre vorläufige Meinung in einer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020.
XIII. Mit Schriftsatz vom 22. Juli 2020 reichte die Beschwerdeführerin die weiteren Dokumente A097-A104 ein.
Mit ihrer Erwiderung auf den Beitritt mit Datum vom 10. August 2020 reichte die Beschwerdegegnerin die weiteren Dokumente A29a und A105-A119 sowie die Hilfsanträge 1-19 ein.
Die weiteren Dokumente A120-A123, A124-A127 bzw. A128 und A129 / A129a wurden mit dem Schriftsatz der Beitretenden vom 17. August 2020, dem Schriftsatz der Beschwerdeführerin vom 31. August 2020 und dem Schriftsatz der Beitretenden vom 7. September 2020 eingereicht.
XIV. Am 17. September 2020 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Am Ende der mündlichen Verhandlung war die Antragslage wie folgt:
Die Beschwerdeführerin und die Beitretende beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
XV. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin und der Beitretenden lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Nächstliegender Stand der Technik
Die Broschüre A072 sei als nächstliegender Stand der Technik anzusehen. A072 offenbare die Behandlung von Coccidiosen bei Ferkeln durch eine einzige Gabe von der Toltrazuril enthaltenden "Baycox 5%". Gemäß A072 könne diese orale Toltrazuril-Formulierung zusammen und gleichzeitig mit entweder parenteralen oder oralen Eisenpräparaten zur gleichzeitigen Behandlung von Anämie und Coccidiosen während der ersten Lebenswoche des Ferkels verwendet werden.
Obwohl A072 explizit keine polynuklearen Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindungen erwähne, seien diese Eisenverbindungen die am häufigsten verwendete Klasse von Eisenpräparaten.
b) Unterschied und technischer Effekt
Der Unterschied zwischen dem beanspruchten Gegenstand und der in A072 beschriebenen getrennten Verabreichung beider Präparate (nachfolgend: Co-Administration) bestehe darin, dass beide Wirkstoffe gemeinsam in einer Formulierung vorliegen (nachfolgend: Co-Formulierung).
Für diesen Unterschied sei kein technischer Effekt zu erkennen, außer dass die Co-Formulierung die Administration beider Wirkstoffe vereinfache.
Aus den experimentellen Daten des Patents, insbesondere der Tabelle 5, könne keine Schlussfolgerung über den Effekt des Unterscheidungsmerkmals gezogen werden. Angesichts A6, A40/A41, A073A/A073B, A074A/A074B und A075 bestehe im Stand der Technik kein Vorurteil gegen eine spätere orale Gabe von der Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindung Eisendextran. Es sei bekannt, dass kommerziell erhältliche Eisendextranpräparate auch effektiv seien, wenn sie nach dem ersten Lebenstag des Ferkels verabreicht werden. Die beanspruchte orale Formulierung sei überdies für die Behandlung von Anämie weniger effektiv als die Präparate des Standes der Technik.
Keines der von der Beschwerdegegnerin eingereichten weiteren Beweismittel sei dazu geeignet, einen technischen Effekt zu belegen, der auf das Unterscheidungsmerkmal zurückzuführen sei.
A29 enthalte keinen Vergleich zu der oralen Co-Administration des nächstliegenden Standes der Technik A072. Die Studiengruppen in A29 würden sich nicht nur durch die Co-Administration versus Co-Formulierung unterscheiden, sondern auch durch die Dosis an Eisen. Aufgrund des in A51 und A100 bewiesenen Einflusses der Dosis an Eisen können jegliche in A29 beobachtete verbesserte Gewichtzunahme sowie die hämatologischen Parameter nicht auf die Co-Formulierung zurückgeführt werden.
A49 und A50 seien ebenso nicht überzeugend. Zunächst würden die Dosen an Toltrazuril in A49 und A50 deutlich unter den üblichen Dosen von 20 mg/kg liegen. Weiterhin zeige die Analyse A63, dass sich aus der Co-Formulierung keine statistisch relevante Verbesserung ergebe. Im Gegenteil würden A33 (Teil B), A28, A43 und A076 zeigen, dass kein technischer Effekt über den gesamten beanspruchten Bereich vorliege.
Die in A092 beobachtete molekulare Interaktion zwischen Toltrazuril und Gleptoferron sei für die tierärztliche Anwendung nicht relevant.
Gleichfalls belege A108 für die beanspruchten Co-Formulierungen keinen Effekt, insbesondere weil die Studiengruppen schon vor der Behandlung unterschiedliche Werte aufwiesen und mit unterschiedlichen Eisenverbindungen behandelt würden.
Weiterhin seien die Patentansprüche auf orale Formulierungen eingeschränkt auszulegen, weil die Beschreibung nur orale Formulierungen beträfe, und weil parenterale Totrazurilformulierungen weder im Stand der Technik bekannt noch im Patent ausreichend offenbart seien. Folglich seien experimentelle Daten über injizierbare Co-Formulierungen für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen. Auch wenn ein Effekt für injizierbare Co-Formulierungen anerkannt wäre, sei dieser Effekt nicht auf orale Co-Formulierungen zu extrapolieren und gelte somit nicht für den gesamten beanspruchten Gegenstand.
c) Technische Aufgabe und Naheliegen der Lösung
Folglich sei die Aufgabe als die Bereitstellung einer alternativen und vereinfachten Administrationsform für die bekannten Eisensupplementierungen und antiparasitäre Wirkstoffe anzusehen.
Anhand des in A46 widergespiegelten allgemeinen Fachwissens würde der Fachmann diese Aufgabe ohne erfinderisches Zutun durch die Kombination beider Wirkstoffe in einer Formulierung lösen, und würde davon eine Vereinfachung der Administration erwarten. Angesichts A6, A40/A41, A073, A074 und/oder A075 war es für den Fachmann klar vorhersehbar, dass Eisendextran verabreicht am 3. Tag des Ferkellebens zu einem angemessenen Schutz vor Anämie führen würde. Die Beschwerdegegnerin habe nicht bewiesen, dass die beanspruchte Co-Formulierung über diesen zu erwartenden Effekt hinausginge.
XVI. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Zur Offenbarung von A072:
A072 offenbare keine Co-Administration von Toltrazuril und Eisendextran zum gleichen Zeitpunkt und über die gleiche Administrationsroute.
Zunächst offenbare A072 nicht spezifisch Eisendextran, sondern gebe lediglich einen allgemeinen Hinweis auf Eisenpräparate.
Weiterhin beschränke sich A072 darauf, die Behandlung der Ferkel gegen Coccidiose und Eisenmangelanämie als zwei separate Probleme auf getrennte Weise zu adressieren. Die beiden Probleme würden nicht zeitgleich gelöst, sondern die Lösungen würden nur in einen zeitlichen Kontext zueinander gestellt, nämlich innerhalb der für die Behandlung von Ferkeln zur Prävention von Eisenmangel und der Coccidiose relevanten ersten Lebenswoche.
Außerdem erfolge in A072 die Behandlung der Ferkel mit einer Eisensupplementierung und mit dem Baycox®-Präparat über zwei unterschiedliche Administrationsrouten. Das zeige die Abbildung in A072 einer Drenchpistole zur oralen Applikation von ,,Baycox® 5% orale Suspension" neben einer Injektionspistole für die intramuskuläre Gabe der Eisenpräparate.
Diese Illustration spiegele das allgemeine Fachwissen wider, dass die Eisensupplementierung zu dem Zeitpunkt der Gabe von ,,Baycox® 5% orale Suspension" (nämlich am 3. bis 5. Lebenstag der Ferkel) standardmäßig über die parenterale Gabe von "Eisen" erfolge.
b) Unterschied
Das Merkmal, dass das Streitpatent von der Lehre der A072 unterscheide, liege in der Co-Formulierung. Eine Co-Formulierung umfasse dabei aber zwangsläufig zwei Merkmale, nämlich die Administration über dieselbe Route und die absolute Gleichzeitigkeit der Verabreichung der Wirkstoffe. Beide Merkmale bildeten hier Unterschiede gegenüber A072.
c) technischer Effekt
Die Tabelle 5 des Patents zeige, dass die (orale) Verabreichung der beanspruchten gemeinsamen Formulierung am Tag 3 nach der Geburt die Prävention der Eisenmangelanämie bis zur Entwöhnung (Tag 21 nach der Geburt des Ferkels) ohne weitere Eisengabe ermögliche. Diese überraschende Erkenntnis widerspreche der Lehrmeinung, nachdem bei der oralen Gabe von polynuklearen Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindungen eine erste Gabe am ersten Lebenstag des Ferkels und eine weitere Gabe ab der zweiten Lebenswoche erforderlich seien. Dieselbe Schlussfolgerung lasse sich auch aus A38 und A076 ziehen.
Diese Lehrmeinung, dass die orale Gabe von Eisendextran zeitkritisch sei, könnten A6, A40/A41, A073/A073A und A074/A074A nicht entkräften.
A073A betreffe Produkte, die sowohl Eisendextran als auch ein aminosäure-chelatisiertes Eisen enthalten, und erlaube deshalb keine Schlussfolgerung auf die Wirksamkeit von Eisendextran allein.
A074A beschreibe, dass Eisendextran zweimal verabreicht wird, nämlich am Tag 3 sowie am Tag 14, und gebe keinen Hinweis auf dessen Wirksamkeit bei einmaliger Gabe am Tag 3. Ein derartiger Hinweis sei auch nicht aus A6 zu entnehmen.
Die Ergebnisse aus der A40, datiert 1985, würden isolierte Beobachtungen darstellen und seien von zweifelhafter Aussagekraft. Weiterhin zeige A40, dass Eisendextran bei späterer oraler Gabe (nämlich 72 Stunden nach der Geburt) eine geringere Effektivität aufweise. Außerdem gestehe der Autor von A40 ein, dass die Ergebnisse seines Versuchs früheren anerkannten Ergebnissen widersprechen.
Zusammenfassend offenbare keines dieser Dokumente die einmalige und alleinige Gabe von Eisendextran später als am Tag 1 für die effektive Verhinderung von Eisenmangelanämie bis zum Zeitpunkt der Entwöhnung der Ferkel von der Muttersau (Tag 21 nach der Geburt).
Diese überraschende Verbesserung der oralen Eisensupplementierung mit Eisendextran könne durch eine molekulare Wechselwirkung mit Toltrazuril in der Co-Formulierung erklärt werden, wie in dem Versuchsbericht A092 qualitativ belegt.
Die Studien A29, A33, A49 und A50 (ergänzt durch die statistische Auswertung nach A63 und A64) und A108 würden die Vorteile der Co-Formulierung in direktem Vergleich mit der Co-Administration weiter bestätigen.
A29/A29a betreffe den direkten Vergleich zwischen der Co-Formulierung und der Co- Administration von Toltrazuril und Gleptoferron auf der parenteralen Route. Obwohl die Behandlungsgruppen in der Studie nach A29 unterschiedliche Mengen Eisen bekommen haben, sei aus A51 und A100 ersichtlich, dass eine Erhöhung der Eisengabe über eine bestimmte Menge hinausgehend keinen weiteren Einfluss auf die Gewichtsentwicklung habe. Somit könnten die in A29 beobachteten Vorteile bei der Gewichtszunahme und bei den Eisenwerten nicht auf die unterschiedlichen Eisenmengen zurückgehen, sondern auf die Co-Formulierung der anspruchsgemäßen Wirkstoffe.
In A33 wurde die Pharmakokinetik von Toltrazuril für eine parenterale (A33 Teil B) und orale (Teil A) Co-Formulierung und Co-Administration untersucht. Diese Studie zeige eine überraschende höhere Bioverfügbarkeit des Toltrazurils in der Co-Formulierung mit einem Eisen(III)-Komplex.
A49 und A50 betreffen in vivo Studien mit Cytoisospora (C.) suis infizierten Ferkeln. In A49 und A50 würde gezeigt, dass die kombinierte Gabe von Toltrazuril und Gleptoferron in einer gemeinsamen Formulierung (Co-Formulierung) gegenüber der separaten Gabe von Toltrazuril und Gleptoferron (Co-Administration) sowohl bei oraler (siehe A50) als auch bei intramuskulärer (siehe A49) Applikation zu einer verbesserten Gewichtszunahme bei den Ferkeln führte. Dies werde von den in A63 und A64 dargestellten statistischen Analysen der Daten der A49 und A50 bestätigt. Es sei ein klarer Trend zum Vorteil der Co-Formulierung erkennbar.
A52 belege die verbesserte Aufnahme von Toltrazuril in der beanspruchten Co-Formulierung in einem Tiermodell (nämlich Ratten).
In der Studie nach A108 werde gezeigt, dass die oral verabreichte Co-Formulierung im Vergleich mit der entsprechenden oralen Co-Administration der beiden Wirkstoffe effizienter sei und zu höheren Mengen der roten Blutzellen (RBC) sowie der Hämoglobin-Werte (Hb-Werte) führe.
Trotz der fehlenden Limitierung auf eine orale Administration seien der technische Effekt und die daraus resultierenden Vorteile über die gesamte Breite des Anspruchs gegeben. Denn die orale Vorteilhaftigkeit sei der technische Effekt und kein technisches Merkmal der beanspruchten Formulierung (im Unterschied zu ihrer Verwendung).
d) Zur objektiven Aufgabe der Vereinfachung und deren Lösung
Mit der Co-Formulierung gehe auch eine deutliche Vereinfachung in der Aufzucht von Ferkeln einher.
Folglich bestehe die Aufgabe (mindestens) darin, eine Formulierung bereitzustellen, die eine Verbesserung in der Schweineaufzucht erlaubt, nämlich eine stressfreiere und arbeitsökonomischere Behandlung der Coccidiose und der Prävention von Eisenmangelanämie.
Obwohl die Anwendung von Toltrazuril und Eisendextran, jeweils separat, zur Prävention und Behandlung von Coccidiose bzw. Eisenanämie bei Ferkeln seit Jahrzehnten üblich sei, habe niemand bis zum Prioritätstag des Patentes eine Co-Formulierung der beiden Wirkstoffe vorgeschlagen oder entwickelt. Für den Fachmann sei nicht naheliegend, diese zwei Wirkstoffe, die für die Prävention und Behandlung zweier medizinisch nicht miteinander in Verbindung stehender Krankheiten, nämlich Coccidiose und Eisenmangelanämie, vorgesehen sind, in einer gemeinsamen Formulierung bereitzustellen, weil er unvorhersehbare Wechselwirkungen nicht ausschließen könnte (siehe die EMA Richtlinien A094 sowie A61, A22, A094. A105-A107 und A46). Aufgrund der herrschenden Meinung zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents wäre der Fachmann davon ausgegangen, dass eine oral gegebene Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindung zu dem für die Administration von Toltrazuril relevanten Zeitpunkt (vom 3. bis zum 5. Lebenstag des Ferkels) nicht mehr ausreichend effektiv für die Prävention der Eisenmangelanämie sei. Der Fachmann hätte daher zum Prioritätszeitpunkt erhebliche Bedenken
gegen die Co-Formulierung und die orale Gabe von Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindungen zu diesem späten Zeitpunkt gehabt. Die Co-Formulierung beider Wirkstoffe könne daher unabhängig von weiteren möglichen pharmakologischen Vorteilen nicht nahegelegen haben.
Entscheidungsgründe
1. Zulässigkeit des Beitritts
Die Beitretende hat Dokumente A095-A096 vorgelegt, aus denen ersichtlich ist, dass gegen sie vor dem erstinstanzlichen Patent- und Markengericht Stockholm Klage wegen Verletzung des Streitpatents von der Beschwerdegegnerin erhoben wurde. Die Klageschrift wurde der Beitretenden am 27. Dezember 2019 zugestellt. Der am 18. März 2020 erklärte Beitritt erfolgte somit innerhalb der 3-Monatsfrist der Regel 89 (1) EPÜ. Die Beitretende ist ein Dritte im Sinne des Artikels 105 (1) EPÜ, d. h. eine von der Beschwerdeführerin getrennte juristische Person. Ferner ist der Beitritt ausreichend begründet und die erforderlichen Gebühren sind entrichtet. Somit erfüllt der Beitritt die Erfordernisse des Artikels 105 (1) a) und der Regel 89 EPÜ.
2. Zulassung der Dokumente A072-A0129a und A29a in das Verfahren
2.1 Die mit dem zulässigen Beitritt eingereichten Dokumente (A072-A081, A095 und A096, wobei A072-A081 auch mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurden) sowie die mit der Stellungnahme zum Beitritt innerhalb der von der Kammer gesetzten Frist eingereichten Dokumente (A29a und A105-A119) sind Teil des Verfahrens und bedürfen keiner gesonderten Zulassung. In Hinblick auf die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Dokumente sah die Kammer keine Veranlassung, ihr Ermessen gemäß Artikel 12(4) VOBK auszuüben.
2.2 Die Zulassung der Dokumente, die nach der Beschwerdebegründung, Beschwerdeerwiderung, dem Beitritt und der Stellungnahme zum Beitritt eingereicht wurden, ist gemäß dem Ermessen der Kammer nach Artikel 114(2) EPÜ sowie den relevanten Artikeln der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, insbesondere des in diesem Fall anwendbaren Artikels 13 VOBK 2007, zu beurteilen. Dabei sind die in Artikel 13(1) aufgelisteten Kriterien nicht erschöpfend.
2.3 Der vorliegende Fall ist durch die besondere Verfahrenslage gekennzeichnet, die sich aus der Verknüpfung des beschleunigten Verfahrens mit dem im März diesen Jahres erklärten Beitritt ergab. Dies führte zu einem sehr raschen Austausch von Schriftstücken mit einer Reihe von neu eingereichten Dokumenten. Da sich dieser Austausch innerhalb des zu diskutierenden Rahmens bewegt hat und sich die Parteien intensiv mit dessen Inhalt beschäftigt haben, wurden die Dokumente in das Verfahren zugelassen.
3. Hauptantrag (Patent in erteilter Fassung), erfinderische Tätigkeit
3.1 Technisches Gebiet der Erfindung
Anspruch 1 des Streitpatents betrifft eine Formulierung enthaltend Triazinone der Formeln (I) oder (II) oder ihre physiologisch verträglichen Salze, und polynuklearen Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindungen. Zweck der Erfindung ist, Formulierungen bereitzustellen, die sich für die gleichzeitige Bekämpfung von Coccidiosen und Eisenmangelzuständen bei Tieren eignen (siehe Streitpatent, [0001]).
Coccidiosen und Eisenmangelzustände sind zwei typische Erkrankungen oder Mangelzustände, die bei Jungschweinen durch die Art der Tierhaltung in Betrieben zur Fleischerzeugung bedingt sind (siehe [0002] und [0003]).
Coccidiosen stellen bei Tieren häufig auftretende, parasitöse Infektionserkrankungen dar. Insbesondere die bei Schweinen wirtschaftlich bedeutsamen Infektionen mit Coccidien der Gattung Isospora verursachen Ferkeldurchfall und reduzierte Gewichtszunahme der Ferkel (siehe [0004]). Toltrazuril ist eine bekannte Triazinone der Formel (I) zur Behandlung der Coccidiose (z. B. Isospora suis) in Schweinen (siehe [0007]-[0021]).
Als Ursachen für Eisenmangelzustände bei neugeborenen Ferkeln werden in dem Streitpatent das schnelle Wachstum in den ersten Tagen nach der Geburt und rasche Erschöpfung der körpereigenen Eisenvorräte erwähnt, die durch externe Quellen nicht ausreichend ausgeglichen wird (siehe [0005]). Gemäß dem Streitpatent wird ein anämischer Zustand durch einen Hämoglobingehalt des Blutes von weniger als 90 g/L gekennzeichnet. Zur Vorbeugung der Eisenmangelanämie sind verschiedene Eisenpräparate bekannt (siehe [0013]-[0016]), darunter polynukleare Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindungen wie zum Beispiel Eisendextran.
Die Erfindung (Anspruch 1) betrifft demnach eine Formulierung enthaltend zwei an sich bekannte Wirkstoffe, nämlich eine Triazinone wie Toltrazuril und eine polynukleare Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindung wie Eisendextran.
3.2 Zu dem Nächstliegenden Stand der Technik A072
3.2.1 Die Broschüre A072 (in niederländischer Sprache; siehe auch die Übersetzung A072A) stellt den nächstliegenden Stand der Technik dar.
A072 betrifft die Formulierung Baycox® 5% Oral Suspension. Baycox® enthält Toltrazuril, d.h. eine Triazinone gemäß Anspruch 1. A072 beschreibt die Behandlung von Coccidiosen bei Ferkeln durch die einmalige orale Gabe von Baycox® am 3. bis 5. Lebenstag des Tieres. A072 vermerkt weiterhin (siehe Seiten 8-9; siehe auch die Übersetzung A072A), dass die orale oder parenterale Gabe von Eisenpräparaten eine bekannte Lösung zum Problem der Anämie bei Ferkeln ist. Ferner offenbart A072, dass die gleichzeitige Verabreichung von Baycox® und Eisenpräparaten innerhalb der ersten Lebenswoche der Schweine zu keinen negativen Auswirkungen führt.
3.2.2 Die Kammer teilt die Meinung der Beschwerdegegnerin, dass A072 nicht spezifisch Eisendextran offenbart, sondern lediglich einen allgemeinen Hinweis auf Eisenpräparate gibt.
3.2.3 Die Kammer kommt allerdings aus den unten angeführten Gründen zu dem Schluss, dass A072 eine Co-Administration von Toltrazuril und Eisenpräparaten zum gleichen Zeitpunkt und über die gleiche Route offenbart.
A072 offenbart nicht nur, dass sowohl Baycox® als auch die Eisenpräparate innerhalb der ersten Lebenswoche der Schweine verabreicht werden, sondern vielmehr dass diese Verabreichung zum gleichen Zeitpunkt erfolgt (siehe A072, Seite 9, und Übersetzung A072A: "These tests show that Baycox 5% Oral Suspension, which is administered at the same time as iron preparations, does not lead to adverse effects on the productivity or health of piglets", Hervorhebung hinzugefügt; in der in A072 verwendeten niederländischen Sprache: "gelijktijdig").
Bezüglich der Administrationsrouten dieser Co-Administration werden in A072 generell die bekannten oralen und parenteralen Gaben von Eisenpräparaten erwähnt (siehe A072A, "the administration of iron preparations via injection or in the mouth is simply routine"). A072 offenbart dann die gleichzeitige Verabreichung von Baycox® 5% orale Suspension und Eisenpräparaten ohne die Administrationsroute der Eisenpräparate anzugeben. Somit werden in A072 zwei Alternativen offenbart, nämlich die gleichzeitige Administration von oralem Toltrazuril und oralen Eisenpräparaten sowie die gleichzeitige Administration von oralem Toltrazuril und parenteralen Eisenpräparaten. Die Abbildung (siehe A072, Seite 8) einer Drenchpistole (zur oralen Applikation von Baycox® 5% orale Suspension) neben einer Injektionspistole (für die parenterale Gabe von Eisenpräparate) veranschaulicht eine dieser Alternativen, ohne die Offenbarung von A072 einzuschränken.
3.2.4 Entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerin widerspricht dieses Verständnis der Offenbarung der A072 keiner allgemeinen Lehrmeinung zum Prioritätstag bezüglich Eisensupplementierung.
Gemäß der Beschwerdegegnerin (siehe auch Absätze [0016] und [0024] des Patents) wurden polynukleare Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindungen hauptsächlich parenteral und nur in geringerem Umfang oral appliziert. Bei oraler Anwendung der polynuklearen Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindungen, insbesondere Eisendextran, sei eine ausreichende Wirksamkeit nur dann zu erzielen, wenn den Ferkeln das Eisendextran innerhalb der ersten Lebensstunden verabreicht werde. Die Beschwerdegegnerin vertritt also die Meinung, dass zu dem in A072 relevanten Zeitpunkt, nämlich bei der Gabe von "Baycox® 5% orale Suspension" am 3. bis 5. Lebenstag der Ferkel, die Gabe einer Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindung nur intramuskulär erfolgen könne.
Die Kammer vermag diesem Argument nicht zu folgen. Angesichts des Standes der Technik hätte der Fachmann zwar erwarten können, dass eine orale Gabe von Eisendextran am 3. bis 5. Lebenstag der Ferkel weniger effektiv sein würde als eine parenterale Gabe oder als eine frühere Gabe. Eine angemessene Wirksamkeit war aber auch für die orale Gabe im Stand der Technik angegeben (siehe Stellungnahme A078, Seite 6, Ziffer 25-26; Seiten 10-13).
So wird in A074A (siehe die Übersetzung A074B; Tabelle 1 und Zusammensetzung) beschrieben, dass die orale Gabe von "Suiferrin - paste", eine Zusammensetzung enthaltend Eisendextran, am 3. und 14. Tag nach Geburt gegen die Anämie bei Ferkeln wirksam vorsorgt. Suiferrin enthält keine weiteren eisenhaltigen Wirkstoffe.
A6 zeigt, dass die orale Verabreichung von Eisendextran am zweiten Lebenstag ebenso wirksam ist wie die Verabreichung kurz nach der Geburt (siehe Seite 374, "Orale Eisengabe am zweiten Tag wirksam"). Gemäß A6 fanden ältere Untersuchungen entweder, dass "das Eisen aus einer eisendextranhaltigen Paste von den Ferkeln am 4. Lebenstag gleich gut verwertet wurde wie in den ersten Lebensstunden", oder dass Eisendextran in den ersten Lebensstunden besser verwertet wurde als ein bis drei Tage nach der Geburt. A6 beschreibt weiterhin (siehe Seite 375, 2. Spalte oben), dass im Fall einer späteren oralen Gabe von Eisendextran spätestens in der dritten Woche zusätzliches Eisen angeboten werden sollte. Hier bezieht sich A6 aber nicht auf eine weitere Gabe von Eisendextran, sondern auf Eisen in Form von Wühlerde. Eine solche weitere Eisensupplementierung war in der Praxis üblich (siehe A078, Absatz 23; A078, Annex A, Absatz 36).
A40 (siehe Übersetzung A41) beschreibt die Behandlung von Ferkeln mit oralem Eisendextran. Im Experiment 4 wurde die Gabe von 100mg Eisendextran 3 bis 8 Stunden nach der Geburt mit der Gabe im Zeitraum von 72 bis 96 Stunden verglichen (siehe A041, Seite 3). Zwei Wochen nach der Behandlung von Ferkeln wurde kein Unterschied zwischen den Gruppen festgestellt (siehe A041, Seite 5 und Tabelle 4). Nur 4 Wochen nach der Behandlung wurde ein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen im Hämoglobin- und Hb-Wert beobachtet. Diese Ergebnisse stimmen mit A6 und A074A überein und stellen somit keine isolierten Beobachtungen dar.
Die Kammer bestreitet nicht, dass nach gängiger Praxis bei oraler Anwendung von Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindungen eine Verabreichung innerhalb der ersten Lebensstunden bevorzugt war. Die Kammer ist jedoch der Ansicht, dass im Stand der Technik kein allgemeines Verständnis dergestalt herrschte, dass eine orale Gabe von Eisendextran am 3. bis 5. Lebenstag der Ferkel nicht effektiv sei. Aus diesen Gründen würde der Fachmann die in A072 erwähnte oralen Gabe der Eisenpräparate am Tag der Gabe von Toltrazuril (Tag 3 bis 5 nach der Geburt) nicht als technisch unsinnig abtun. Dabei spielt für die Auslegung von A072 die mögliche reduzierte Wirksamkeit im Vergleich mit der parenteralen Gabe oder früheren Verabreichung, sowie jegliche erforderliche zweite Gabe nach einigen Wochen, keine Rolle.
3.2.5 Zusammenfassend beschreibt A072 als eine von zwei Optionen die Co-Administration von oralem Toltrazuril und oralen Eisenpräparaten zum gleichen Zeitpunkt und auf demselben Administrationsweg.
3.3 Unterschied
3.3.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der in A072 beschriebenen Co-Administration von Triazinone und Eisenpräparate dadurch, dass:
- als Eisenpräparate eine polynukleare Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindung gewählt wird, und
- die Triazinone und Eisenpräparate in einer Co-Formulierung vorliegen.
Die Kammer teilt die Meinung der Beschwerdegegnerin, dass eine Co-Formulierung zwangsläufig zu zwei Merkmalen führt, nämlich einer Administration über dieselbe Route und der absoluten Gleichzeitigkeit der Verabreichung der Wirkstoffe. Keines dieser Merkmale bildet aber einen Unterschied gegenüber A072.
3.4 Effekt
3.4.1 Hinsichtlich der Auswahl der polynuklearen Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindungen als Eisenpräparate teilt die Kammer die Meinung der Beitretenden, dass Eisendextran die üblichste Eisensupplementierung ist. Dies wurde von der Beschwerdegegnerin nicht bestritten. Weiterhin hat die Beschwerdegegnerin bezüglich dieser alleinigen Auswahl keinen besonderen technischen Effekt nachgewiesen.
3.4.2 Aus den unten aufgeführten Gründen kommt die Kammer zu dem Schluss, dass die beanspruchte Co-Formulierung zu keinem besonderen Effekt im Vergleich zu der aus A072 bekannten Co-Administration führt.
Wenn Vergleichsversuche durchgeführt werden, um eine erfinderische Tätigkeit mit einer verbesserten Wirkung im gesamten beanspruchten Bereich nachzuweisen, muss der Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik so angelegt sein, dass die angeblichen Vorteile oder günstigen Wirkungen überzeugend auf das Unterscheidungsmerkmal der Erfindung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik zurückgeführt werden.
a) Tabelle 5
Gemäß der Beschwerdegegnerin zeige die Tabelle 5 des Patents (siehe Seite 31), dass die (orale) Verabreichung der beanspruchten gemeinsamen Formulierung am Tag 3 nach der Geburt die Prävention der Eisenmangelanämie bis zur Entwöhnung (Tag 21 nach der Geburt des Ferkels) ohne weitere Eisengabe ermögliche. Diese überraschende Erkenntnis widerspreche der Lehrmeinung, nachdem bei der oralen Gabe von polynuklearen Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindungen eine erste Gabe am ersten Lebenstag des Ferkels und eine weitere Gabe ab der zweiten Lebenswoche erforderlich seien.
Die Kammer teilt diese Auffassung nicht. Die Tabelle 5 zeigt die Ergebnisse der oralen Verabreichung am Tag 3 nach der Geburt von Toltrazuril/Eisendextran Co-Formulierungen gemäß Anspruch 1 (siehe Formulierungen nach Beispielen 2 und 3). Diese Tabelle zeigt, dass diese Behandlung zu Hb-Werten führt, die am 21. Tag über 9 g/100ml bleiben (nämlich 10,78 bzw. 11,61 g/100ml), d.h. nach den Konditionen dieser Experimente zu einer effektiven Prävention der Anämie. In der Tabelle 5 werden aber diese anspruchsgemäßen oralen Co-Formulierungen nicht mit einer entsprechenden Co-Administration auf demselben Administrationsweg verglichen, sondern lediglich mit der parenteralen Gabe von Eisendextran (ohne Toltrazuril). Die orale Gabe am 3. Tag der anspruchsgemäßen eisendextranhaltigen Co-Formulierung erweist sich als weniger effektiv als die parenterale Gabe von Eisendextran (Hb-Wert 12,51 g/100ml am Tag 21). Diese Ergebnisse entsprechen der Lehre des Standes der Technik (siehe 3.2.4 oben), laut deren die orale Gabe von Eisendextranpräparaten am Tag 3 bis 5 zwar weniger wirksam als die parenterale Gabe ist, aber nicht ineffektiv. Die Tabelle 5 bietet keinen direkten Vergleich zwischen Co-Administration und Co-Formulierung. Sie zeigt daher nicht überzeugend, dass in direkt vergleichbaren Konditionen die Co-Administration eine weitere Gabe von Eisen erfordert, die Co-Formulierung aber nicht.
Die von der Beschwerdegegnerin behauptete Schlussfolgerung lässt sich auch weder aus A38 noch aus A076 ziehen. A38 (siehe Seite 5, Absatz "Dose rates") und A076 (siehe "Abstract") enthalten keinen direkten Vergleich zwischen einer anspruchsgemäßen Co-Formulierung und einer entsprechenden, zeitgleichen Co-Administration auf demselben Administrationsweg. Hingegen zeigen A38 (siehe Figuren 3-7) und A076 (siehe Tabelle 4), dass eine anspruchsgemäße orale Co-Formulierung weniger effektiv als die Kombination von oralem Totrazuril und parenteralem Eisendextran ist.
b) A29/A29a
Gemäß der Beschwerdegegnerin zeige A29, dass die Co-Formulierung der anspruchsgemäßen Wirkstoffe gegenüber der Co-Administration zu Vorteilen sowohl bei der Gewichtszunahme als auch bei den Eisenwerten führe.
A29 (und die mit Schreiben der Beschwerdegegnerin vom 10. August 2020 eingereichte Korrektur A29a) betrifft einen Vergleich zwischen der Co-Formulierung und der Co-Administration von Toltrazuril und Gleptoferron auf der parenteralen Route. Nachfolgend wird das Behandlungsschema von A29, wie auf Seite 17 des Schreibens der Beschwerdeführerin vom 22. Juli 2020 dargestellt, basierend auf Tabelle 2 und mit den mittels der Ferkelgewichte von Tabelle 4 berechneten Eisenmengen, zusammengefasst. Die Korrektur A29a betrifft lediglich einen Irrtum bei der Nummerierung der Studiengruppen in den Tabellen, und ändert nichts an der Schlussfolgerung der Kammer.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Aus dieser tabellarischen Zusammenfassung ist ersichtlich, dass die mit der Co-Formulierung behandelten Ferkel eine höhere Eisenmenge erhalten haben, nämlich 265 mg bzw. 258 mg (Gruppe 2 und 3; in A29a auf Gruppe 1 und 2 korrigiert), während die Kontrolltiere (Gruppe 4; in A29a auf Gruppe 3 korrigiert) lediglich 200 mg bekamen. Folglich ist die strittige Frage, ob die angeblichen Effekte bezüglich Gewichtszunahme (siehe A29, Tabelle 4) und Eisenwerten (siehe Tabellen 5-8) trotz dieser unterschiedlichen Eisenmengen auf das Unterscheidungsmerkmal (Co-Formulierung versus Co-Administration) zurückzuführen sind.
Anhand der Dokumente A51 und A100 argumentiert die Beschwerdeführerin, dass eine Erhöhung der Eisengabe über eine bestimmte Menge hinausgehend, keinen weiteren Einfluss auf die Gewichtsentwicklung habe. Folglich könnten die in A29 beobachteten erhöhten relativen Gewichtszunahmen nicht auf die unterschiedlichen Eisenmengen zurückgehen. Die Kammer vermag diesem Argumente nicht zu folgen. Aufgrund des unterschiedlichen Designs der Studien in A51 und A100 können aus diesen Dokumenten keine Schussfolgerungen über den Einfluss (oder Abwesenheit davon) der Gabe von erhöhten Eisenmengen auf die Gewichtszunahmen, oder auf die Eisenparameter, im Rahmen der Studien von A29 gezogen werden. Insbesondere wurden den Tieren in der Studie nach A29, entgegen der Studien nach A51 (siehe Tabelle 1) und A100 (siehe Seite 3, vorletzter Absatz), kein eisenhaltiges Zusatzfutter (Creep Feed) gegeben.
Bezüglich des vorteilhaften Effekts auf die Eisenparameter der anspruchsgemäßen Co-Formulierung im Vergleich zu der Co-Administration verweist die Beschwerdegegnerin weiterhin auf die graphische Darstellung A109 der Werte der Studiengruppe 1-4 aus der Tabelle 5 der A29a.
Die Kammer ist aber der Auffassung, dass keiner der von der Beschwerdegegnerin gemachten Vergleiche (Studiengruppen 1 und 2 versus Studiengruppen 3 und/oder 4; Studiengruppe 3 versus Studiengruppe 4; Studiengruppe 1 versus Studiengruppe 2; siehe Absätze [67]-[81] des Schriftsatzes vom 10. August 2020) aussagekräftig ist. Insbesondere unterscheiden sich die Studiengruppen 1 und 2 nach A29a von den Studiengruppen 3 und 4 durch die Eisenmengen und durch eine Co-Formulierung statt einer Co-Administration bzw. durch die Anwesenheit von Toltrazuril. Folglich können weder aus A29a noch aus deren graphischen Darstellung A109 Schlussfolgerungen über den Effekt der alleinigen Co-Formulierung gezogen werden. Die Kammer teilt die Meinung der Beschwerdeführerin und der Beitretenden dass die von der Beschwerdegegnerin beobachteten länger anhaltenden hohen Hb-Werte bei den Co-Formulierungsgruppen 1 und 2 eher durch die erhöhten Eisenmengen erklärt werden können.
c) A33, A34
In A33, Teil A, werden die pharmakokinetischen Ergebnisse zur oralen Gabe der erfindungsgemäßen Co-Formulierung vorgelegt (siehe Tabelle 4, Seite 6). Diese Co-Formulierung wird aber nicht mit einer Co-Administration von Toltrazuril und Eisendextran, sondern mit der alleinigen oralen Administration von Toltrazuril verglichen.
In A33, Teil B, wurde die klinische Studie wie in A29 durchgeführt (siehe A22, Seite 7), d.h. den Versuchsgruppen wurden unterschiedliche Mengen an Eisen verabreicht (siehe b) oben).
In A34 werden die parenteralen Gaben von Toltrazuril mit und ohne Eisenverbindungen verglichen.
Somit können weder A33 noch A34 einen Effekt beweisen, der überzeugend auf das Unterscheidungsmerkmal der Erfindung gegenüber A072 (nämlich die Co-Formulierung) zurückzuführen ist.
d) A50
In der in vivo Studie A50 wurden vier Gruppen jeweils von acht bis zehn Cytoisospora (C.) suis infizierten Ferkeln mit den folgenden oralen Co-Administrationen bzw. oralen Co-Formulierungen behandelt (siehe A50, Seite 3):
- Studiengruppe B: Co-Administration von 5 mg/kg Toltrazuril und 100 mg/kg Eisen
- Studiengruppe C: Co-Administration von 7.5 mg/kg Toltrazuril und 100 mg/kg Eisen
- Studiengruppe D: Co-Formulierung von 5 mg/kg Toltrazuril und 100 mg/kg Eisen
- Studiengruppe E: Co-Formulierung von 7.5 mg/kg Toltrazuril und 100 mg/kg Eisen.
Der Bericht A49 bezieht sich auf eine ähnliche Studie für die intramuskuläre Applikation der Formulierungen. In A63 und A64 wurden die Daten der A49 und A50 statistisch analysiert.
Demnach sind die in A50 verabreichten Mengen an Toltrazuril (5-7,5 mg/kg) deutlich niedriger als die standardmäßige Dosierung (20 mg/kg). In ihrem Brief vom 2. September 2020 (siehe Absatz [22]) erklärte die Beschwerdegegnerin, dass diese Versuche jeweils für sich genommen so konzipiert waren, und die jeweiligen Dosierungen so gewählt wurden, dass sie bei der jeweiligen Administrationsroute einen möglichst deutlichen Gruppenunterschied gegenüber der entsprechenden Co-Administration der Wirkstoffe aufzeigen können.
Trotz dieser optimierten Dosierung ergibt sich aber kein statistisch relevanter Unterschied zwischen Co-Administration und Co-Formulierung, wie aus den statistischen Daten der A63 und A64 ersichtlich. Die relevanten Daten (AUC0-8 und AUC0-29, jeweils mit Standardabweichungen) der A63 sind nachfolgend wie auf Seite 27 des Schreibens der Beschwerdeführerin vom 22. Juli 2020 zusammengefasst.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Daraus wird ersichtlich, dass diese pharmakokinetischen Werte innerhalb einer Standardabweichung voneinander liegen. Dies zeigt sich in A64 (siehe Figuren 3 und 4) auch daran, dass sich die Konfidenzintervalle deutlich bis unter der Gleichheitslinie ausbreiten.
In dieser Hinsicht möchte die Kammer betonen, dass eine Partei, die experimentelle Daten einreicht, weder verpflichtet ist, eine statistische Analyse dieser Daten durchzuführen, noch feste statistische Regeln zu erfüllen. Bei der Feststellung, ob ein bestimmter von einer Partei behaupteter technischer Effekt erzielt wurde, muss das EPA den allgemeinen Grundsatz der freien Beweiswürdigung anwenden (siehe G 1/12, OJ 2014, A114, Punkt 31; siehe auch T 2717/17, Gründe 4.3.5).
Dennoch muss die Kammer im vorliegendem Fall nicht nur die niedrige statistische Relevanz der Dateien sondern auch die auf unrealistische Weise optimierten Mengen an Wirkstoffen in Betracht ziehen. Es ist zu erwarten, dass die bei niedrigen Toltrazuril Dosierungen kaum sichtbaren Effekte noch weniger oder möglicherweise gar nicht mehr bei standardmäßigen Dosierungen auftreten würden. Die Kammer kommt aus diesen Gründen zu dem Schluss, dass A50 keine eindeutige Verbesserung der Pharmakokinetik des Toltrazuril durch die Co-Formulierung für die orale Gabe zeigt.
e) A108
In A108 wird die Effizienz einer oral applizierten Co-Formulierung in Vergleich mit einer oralen Co-Administration untersucht. In der Gruppe I (Kontroll-Gruppe) wurden die Ferkel mit einer Co-Administration von 20 mg/kg Körpergewicht Toltrazuril und 91,2 mg/kg Körpergewicht Ursoferran (enthaltend Eisendextran (Gleptoferron)) behandelt. In der Gruppe II erhielten die Ferkel eine Co-Formulierung von 20 mg/kg Körpergewicht Toltrazuril und 91,2 mg/kg Körpergewicht Eisendextran. In beiden Gruppen erfolgt die Behandlung der Tiere oral am 3. Lebenstag der Ferkel (d.h. am Tag D0).
Nachfolgend werden die Ergebnisse zusammengefasst, wie in der Tabelle 1 von A108 (Seite 6, Mengen der roten Blutzellen (RBC)) und in der mit Schreiben vom 3. September 2020 korrigierten Tabelle (Hämoglobin-Werte) dargestellt:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Die Kammer teilt die Meinung der Beschwerdeführerin und der Beitretenden, dass die Ergebnisse bei den zwei Gruppen nicht direkt vergleichbar sind, und zwar aus folgenden Gründen.
Während die Ferkel in Gruppe II mit Eisendextran behandelt wurden, bekamen die Ferkel der Gruppe I ein anderes Eisenpräparat, nämlich Gleptoferron, welches ein Eisen(III)-hydroxid-Dextran-Glucoheptonsäure-Komplex ist (siehe die Gutachten A124 und A128). Die Beschwerdegegnerin hat nicht bestritten, dass beiden Gruppen unterschiedliche Eisenpräparate verabreicht wurden. Die Beschwerdegegnerin hat auch nicht gezeigt, dass dieser Unterschied bei den Eisenpräparaten keinen Einfluss auf die Ergebnisse der in A108 beschriebenen Versuche hat. Dies wird auch nicht in den von der Beschwerdegegnerin eingereichten Dokumenten A114-A117 bewiesen: A114-A117 versuchen lediglich zu zeigen, dass die Gruppe der Eisen(III)-Dextrane auch Gleptoferron umfasst.
Weiterhin weisen die Gruppen I und II schon vor der Behandlung unterschiedliche RBC und Hämoglobin-Werte auf. Die Kontroll-Gruppe I ist schon am D-2 und D0 durch deutlich niedrigeren RBC und Hämoglobin-Werte als die erfindungsgemäße Gruppe II gekennzeichnet. Eine Diskussion über das Verfahren zur Randomization der Gruppen erübrigt sich, da die durch dieses Verfahren erzeugten Gruppen I und II unterschiedlich sind.
Folglich zeigt A108 nicht überzeugend, dass jegliche in A108 beobachteten Verbesserungen bei der Gruppe II im Vergleich zur Kontroll-Gruppe I auf das Unterscheidungsmerkmal der beanspruchten Co-Formulierung gegenüber der aus A072 bekannten Co-Administration zurückzuführen sind.
f) A49, A092
Mit A49 versucht die Beschwerdegegnerin eine Verbesserung der Pharmakokinetik des Toltrazuril durch die Co-Formulierung für die parenterale Gabe auf ähnliche Weise wie A50 zu demonstrieren (siehe d) oben). Die Frage, ob A49 überzeugend die behauptete Verbesserung zeigt, kann offen bleiben, weil der Nachweis dieses Effekts auf jeden Fall nicht für den gesamten beanspruchten Gegenstand gilt.
Entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerin stellen die orale Gabe und die parenterale Gabe nicht nur unterschiedliche Verwendungen desselben beanspruchten Gegenstandes dar, sondern erfordern separate Merkmale von der Formulierung selbst. Eine parenterale Formulierung soll zum Beispiel eine geeignete Viskosität aufweisen (siehe A085, Seite 2; siehe auch A078, Annex D, Punkte 37-45). Da die Ansprüche nicht auf eine parenterale Formulierung eingeschränkt sind, können jegliche Effekte, die nur bei einer parenteralen Gabe auftreten, nicht für die Formulierung der technischen Aufgabe verwendet werden, da sie nicht notwendigerweise auch bei einer oralen Gabe auftreten
In der in vitro Studie A092 wird die molekulare Interaktion zwischen Toltrazuril und Eisendextran (Gleptoferron) anhand einer kolorimetrischen Methode und einer Emissionsspektroskopie untersucht.
Auf der Grundlage der A092 argumentierte die Beschwerdegegnerin, dass die Interaktion zwischen den Toltrazuril und Eisendextran in der Co-Formulierung die Verbesserung der pharmakologischen Eigenschaften sowohl für die orale als auch für die parenterale Gabe erklären könnte. Die Kammer ist aber der Meinung, dass kein Zusammenhang zwischen der angeblichen molekularen Interaktion und der behaupteten Verbesserung nachgewiesen wurde. A092 kann weder dazu dienen, jegliche für injizierbare Zusammensetzungen geltend gemachten Effekte auf orale Zusammensetzungen zu extrapolieren, noch einen solchen Effekt oder eine Verbesserung per se zu zeigen.
3.4.3 Zusammengefasst wurde keine Verbesserung nachgewiesen, die sich im gesamten beanspruchten Bereich aus dem Unterscheidungsmerkmal ergibt, außer der Vereinfachung des Behandlungsschemas.
3.5 Technische Aufgabe
Die Aufgabe besteht darin, eine Formulierung bereitzustellen, die eine Verbesserung in der Schweineaufzucht erlaubt, nämlich eine stressfreiere und arbeitsökonomischere Behandlung der Coccidiose und der Prävention von Eisenmangelanämie.
Dass diese Aufgabe durch den beanspruchten Gegenstand gelöst wird, ist unter den Parteien nicht strittig.
3.6 Naheliegen der Lösung
3.6.1 Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin und der Beitretenden zu, dass der Fachmann ohne erfinderisches Zutun die Aufgabe durch die beanspruchte Kombination beider Wirkstoffe in einer Formulierung lösen würde, und zwar aus den folgenden Gründen.
Der für die beanspruchte Erfindung relevante Bereich der wirtschaftlichen Schweinaufzucht zeichnet sich durch eine intensive Bewirtschaftung aus. Der Fachmann war sich also dem Bedarf an einem möglichst geringeren Arbeits- und Zeitaufwand bei der Behandlung der Ferkeln bewusst.
Für die standardmäßige Behandlung der Coccidiose und der Prävention von Eisenmangelanämie wird schon in A072 die Co-Administration von Toltrazuril und Eisenpräparaten zum gleichen Zeitpunkt und über die gleiche (orale) Route vorgeschlagen. Ferner offenbart A072, dass diese gleichzeitige Verabreichung zu keinen negativen Auswirkungen führt.
Daher würde der Fachmann, ausgehend von A072, die Verabreichung einer Fixkombination beider Wirkstoffe anstreben, um die bekannte getrennte Gabe in einem einzigen, vereinfachten Arbeitsgang durchzuführen.
Dies wird durch die EMA Richtlinien zu Veterinärprodukten (A46) bestätigt. A46 offenbart, dass die Verabreichung einer Wirkstoffkombination vorteilhaft in einer klinischen Situation sein kann. Insbesondere wird in A46 eine Vereinfachung des Behandlungsschemas erwähnt (siehe A46, Punkt 4.3.3). Folglich ist ausgehend von A072 angesichts des in A46 widergespiegelten allgemeinen Fachwissens eine Fixkombination der anspruchsgemäßen Wirkstoffe naheliegend.
Die Beschwerdegegnerin vertritt die Meinung, dass der Fachmann nur eine Kombination von Wirkstoffen für identische oder zumindest pathologisch miteinander verwandte therapeutische Indikationen betrachtet hätte. Die Kammer ist davon nicht überzeugt. Entgegen der Meinung der Beschwerdegegnerin enthalten die Richtlinien zu Veterinärprodukten A46 keine solche Einschränkung. Die von der Beschwerdegegnerin eingereichten Richtlinien A094 beziehen sich dagegen nicht auf Veterinärprodukte sondern auf menschliche Arzneimittel. Auf jeden Fall hätte der Fachmann von einer Toltrazuril-Eisenpräparate Wirkstoffkombination keinen Abstand genommen, auch wenn Anämie und Coccidiose als nicht-verwandte Krankheiten anzusehen wären, weil die kombinierte Behandlung dieser Krankheiten schon in A072 vorgeschlagen ist. Aufgrund der in A072 erwähnten Abwesenheit von negativen Auswirkungen waren keine unvorhersehbaren Wechselwirkungen zu erwarten.
3.6.2 Die Kammer ist auch davon überzeugt, dass der Fachmann als Eisenpräparate die üblichste Eisensupplementierung Eisendextran gewählt hätte. Die von der Beschwerdegegnerin geltend gemachten möglichen Nachteile und Vorurteile ändern an dieser Schlussfolgerung nicht.
Zunächst teilt die Kammer nicht die Meinung der Beschwerdegegnerin, dass die orale Gabe von Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindungen wie z.B. Eisendextran zu dem Zeitpunkt der Toltrazurilgabe (3. bis 5. Tag) im Gegensatz zu der zum Prioritätszeitpunkt herrschenden Lehrmeinung stand.
Die Beschwerdegegnerin behauptet, dass die Absorption von Eisen(III)-Polysaccharidkomplexe wie Eisen-Dextran bekanntlich zeitkritisch war, d.h. Eisendextran soll vor dem Darmschluss ("gut-closure") in den ersten 10-12 Stunden verabreicht werden um im Dünndarm über Pinozytose aufgenommen zu werden. Aus den oben genannten Gründen stellt die Kammer aber fest, dass es für den Fachmann vorhersehbar war, dass Eisendextran verabreicht am 3. Lebenstag der Ferkel zu einem angemessenen Schutz gegen Anämie zumindest für den ersten 2 Wochen führen würde (siehe 3.2.4). Somit bestand zum Prioritätzeitpunkt keine herrschende Lehrmeinung, dass die orale Gabe von Eisen(III)-polysaccharid-Komplexverbindungen am 3. bis 5. Tag unwirksam sei.
Die Beschwerdegegnerin bezieht sich weiter auf die Lehrmeinung, dass bei oraler Verabreichung von Eisendextran eine zweite Verabreichung nötig wäre, um Anämie effektiv zu verhindern. Die Beschwerdegegnerin hat aber nicht gezeigt, dass durch die beanspruchte Co-Formulierung ein solches Vorurteil überwunden wurde, d.h. dass in direkt vergleichbaren Konditionen die Co-Administration eine weitere Gabe von Eisen erfordert, die Co-Formulierung aber nicht (siehe 3.4.2 a) oben). Anders gesagt hat sie nicht gezeigt, dass die zu erwartenden Nachteile bei der beanspruchten Co-Formulierung nicht auftreten.
Ebensowenig überzeugend ist das Argument der Beschwerdegegnerin, laut dessen die Dosiergenauigkeit von Toltrazuril (20 mg/kg Körpergewicht) dem Fachmann kritisch erscheinen würde, und der Fachmann daher Toltrazuril für eine Fixkombination mit einem zweiten Wirkstoff für ungeeignet gehalten hätte. Hier hat die Beschwerdegegnerin nicht gezeigt, dass es diesen behaupteten Nachteil tatsächlich nicht gab, und dass er - sollte es ihn geben - durch die beanspruchte Co-Formulierung vermieden wurde.
3.6.3 Die Beschwerdegegnerin argumentierte weiter, dass niemand bis zum Prioritätstag des Patents eine Co-Formulierung der beiden Wirkstoffe vorgeschlagen oder entwickelt habe, obwohl die Anwendung von Toltrazuril und Eisendextran, jeweils separat, zur Prävention und Behandlung von Coccidiose bzw. Eisenanämie bei Ferkeln seit Jahrzehnten üblich sei. Die Kammer stellt aber fest, dass der Ausgangpunkt der vorliegenden Begründung zur fehlenden erfinderischen Tätigkeit, nämlich die Offenbarung einer zeitgleichen Co-Administration von Toltrazuril und Eisenpräparaten über den gleichen Administrationsweg bereits in A072, aus dem Jahr 2003, gegeben war. Daher kann die Zeit zwischen dem Tag des Bekanntwerdens dieser Co-Administration und dem Prioritätstag kein Anzeichen für erfinderische Tätigkeit bilden.
3.7 Folglich beruht der Gegenstand des Hauptantrags nicht auf einer erfinderischer Tätigkeit. Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) EPÜ steht der Aufrechterhaltung des Patents entgegen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Das Patent wird widerrufen.