T 1111/19 () of 21.11.2022

European Case Law Identifier: ECLI:EP:BA:2022:T111119.20221121
Datum der Entscheidung: 21 November 2022
Aktenzeichen: T 1111/19
Anmeldenummer: 13156077.3
IPC-Klasse: F01N 13/18
F01N 13/08
F01N 1/08
Verfahrenssprache: DE
Verteilung: D
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Bibliografische Daten verfügbar in: DE
Fassungen: Unpublished
Bezeichnung der Anmeldung: SCHALLDÄMPFER-EINHEIT
Name des Anmelders: Purem GmbH
Name des Einsprechenden: Tenneco GmbH
Faurecia Emissions Control Technologies,
Germany GmbH
Kammer: 3.2.06
Leitsatz: -
Relevante Rechtsnormen:
European Patent Convention R 80
European Patent Convention R 139
European Patent Convention Art 123(1)
European Patent Convention Art 100(c)
European Patent Convention Art 123(2)
European Patent Convention R 103(1)(a)
Schlagwörter: Änderung veranlasst durch Einspruchsgrund - (nein)
Berichtigung von Mängeln - offensichtlicher Fehler
Änderungen - Offenbarung durch Zeichnung
Änderungen - unzulässige Erweiterung (ja)
Orientierungssatz:

-

Angeführte Entscheidungen:
G 0003/89
G 0011/91
G 0001/10
T 0657/11
Anführungen in anderen Entscheidungen:
-

Sachverhalt und Anträge

I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung eingelegt, in der diese das europäische Patent Nr. 2 639 423 widerrufen hatte.

II. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 1 bis 11, wovon der Hauptantrag und die Hilfsanträge 1 bis 5 mit Schreiben vom 7. April 2021 und die Hilfsanträge 6 bis 11 mit der Beschwerdebegründung (zu diesem Zeitpunkt als Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 5) eingereicht wurden. Zudem beantragte die Beschwerdeführerin die Rückerstattung der Beschwerdegebühr.

III. Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende 1 und 2) beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen, hilfsweise die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen.

IV. Die Parteien wurden zu einer mündlichen Verhandlung vor der Kammer geladen. In einer Mitteilung zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung wurden die Parteien über die vorläufige Meinung der Kammer informiert. Darin erklärte die Kammer, dass sie die in den zuletzt eingereichten Anträgen (neuer Hauptantrag und Hilfsanträge 1 bis 5) gemachten Korrekturen als Berichtigung offensichtlicher Fehler ansehe und auf dieser Grundlage keine Bedenken hinsichtlich ihrer Zulassung habe. Die Kammer wies jedoch auch darauf hin, dass der neue Hauptantrag einer ausschließlichen Korrektur dieser offensichtlichen Fehler entspreche, weil er keine weitere Änderung der Ansprüche enthalte, sowie dass der Hauptantrag daher nicht in Einklang mit der Bestimmung der Regel 80 EPÜ stehe. Darüber hinaus äußerte die Kammer ihre vorläufige Meinung, dass die Hilfsanträge 1, 2, 7 und 8 bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung hätten eingereicht werden müssen und dass die Kammer daher geneigt sei, diese Hilfsanträge vom Verfahren auszuschließen. Weiterhin führte die Kammer aus, dass das Merkmal M8 eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung des in Figur 2 gezeigten Ausführungsbeispiels darstellen dürfte, sowie dass keiner der Anträge alle im Ausführungsbeispiel gemäß Figur 2 des Streitpatents in funktionellem und strukturellem Zusammenhang stehenden Merkmale definiere.

V. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 21. November 2022 statt. Im Laufe der Verhandlung zog die Beschwerdeführerin ihre Hilfsanträge 1 bis 5 zurück.

VI. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag ist wortgleich mit Anspruch 1 in der erteilten Fassung und hat folgenden Wortlaut:

"Schalldämpfer-Einheit (1), insbesondere für ein Kraftfahrzeug,

- mit einem zweiteiligen Gehäuse (4) mit einem jeweils schalenartig ausgebildeten ersten und zweiten Gehäuseteil (2, 3),

- wobei in dem Gehäuse (4) eine Auslass- und eine Einlassöffnung (5, 6) vorgesehen ist,

- mit einem Auslassboden (12) und einem Einlassboden (13), welche in die Auslassöffnung (5) bzw. Einlassöffnung (6) eingesetzt sind,

- wobei der Auslassboden (12) und der Einlassboden (13) jeweils als in die Auslassöffnung (6) einsteckbarer Deckel ausgebildet sind,

- wobei die Auslassöffnung (5) und die Einlassöffnung (6) jeweils entlang eines Außenumfangs umlaufend einen Auslass-Kragen (22) bzw. einen Einlass-Kragen aufweisen, der jeweils nach außen von dem Gehäuse (4) vorsteht,

dadurch gekennzeichnet, dass

- der Auslassboden (12) und der Einlassboden (13) jeweils einen zu dem Auslass-Kragen (22) bzw. Einlass-Kragen komplementären Auslassboden-Kragen (23) bzw. Einlassboden-Kragen aufweisen, die jeweils vom Auslassboden (12) bzw. vom Einlassboden (13) weg zum Gehäuse (2) hin abstehen."

Anspruch 7 gemäß Hauptantrag entspricht Anspruch 7 in der erteilten Fassung, beinhaltet jedoch Korrekturen eines Schreib- und eines Syntaxfehlers. Er hat folgenden Wortlaut:

"Schalldämpfer-Einheit (1) nach einem der vorher­gehenden Ansprüche,

dadurch gekennzeichnet, dass

das erste oder/und das zweite Gehäuseteil (2, 3) aus einem austenitischen oder/und ferritischen Werkstoff hergestellt ist."

VII. Die Ansprüche gemäß Hilfsantrag 6 entsprechen der erteilten Fassung.

Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 ist damit wortgleich mit Anspruch 1 gemäß Hauptantrag.

Anspruch 7 ist wortgleich mit Anspruch 7 gemäß Hauptantrag mit der Ausnahme, dass die Syntax in der Wortfolge "oder/und zweite das Gehäuseteil" sowie der Schreibfehler im Attribut "austentitisch" nicht korrigiert sind.

VIII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 7 beinhaltet die Merkmale der Ansprüche 1, 2 (mit der Streichung der beiden Wortfolgen "wenigstens teilweise") und 3 der erteilten Fassung, sowie eine ergänzende Definition der Richtung, in welcher Auslassboden-Kragen und Einlassboden-Kragen abstehen. Er hat folgenden Wortlaut:

"Schalldämpfer-Einheit (1), insbesondere für ein Kraftfahrzeug,

- mit einem zweiteiligen Gehäuse (4) mit einem jeweils schalenartig ausgebildeten ersten und zweiten Gehäuseteil (2, 3),

- wobei in dem Gehäuse (4) eine Auslass- und eine Einlassöffnung (5, 6) vorgesehen ist,

- mit einem Auslassboden (12) und einem Einlassboden (13), welche in die Auslassöffnung (5) bzw. Einlassöffnung (6) eingesetzt sind,

- wobei der Auslassboden (12) und der Einlassboden (13) jeweils als in die Auslassöffnung (6) einsteckbarer Deckel ausgebildet sind,

- wobei die Auslassöffnung (5) und die Einlassöffnung (6) jeweils entlang eines Außenumfangs umlaufend einen Auslass-Kragen (22) bzw. einen Einlass-Kragen aufweisen, der jeweils nach außen von dem Gehäuse (4) vorsteht,

dadurch gekennzeichnet, dass

- der Auslassboden (12) und der Einlassboden (13) jeweils einen zu dem Auslass-Kragen (22) bzw. Einlass-Kragen komplementären Auslassboden-Kragen (23) bzw. Einlassboden-Kragen aufweisen, die jeweils vom Auslassboden (12) bzw. vom Einlassboden (13) weg zum Gehäuse (2) hin, in einer Richtung entgegengesetzt zu einer Richtung (A), in welcher der Auslass-Kragen (22) bzw. der Einlass-Kragen nach außen von dem Gehäuse (4) vorsteht, abstehen, und ferner

- dadurch gekennzeichnet, dass in einem montierten Zustand der Schalldämpfer-Einheit

- eine Außenumfangsfläche (24) des Auslassboden-Kragens (23) an einer Innenumfangsfläche (25) des Auslass-Kragens (22) anliegt, und

- eine Außenumfangsfläche des Einlassboden-Kragens an einer Innenumfangsfläche des Einlass-Kragens anliegt,

sowie dadurch gekennzeichnet, dass

in dem montierten Zustand

- die Außenumfangsfläche (24) des Auslassboden-Kragens (23) mit der Innenumfangsfläche (25) des Auslass-Kragens (22) oder/und mit einem Endabschnitt des Auslass-Kragens (22) verschweißt ist, und

- die Außenumfangsfläche des Einlassboden-Kragens mit der Innenumfangsfläche des Einlass-Kragens oder/und mit einem Endabschnitt des Einlass-Kragens verschweißt ist."

IX. Hilfsantrag 8 entspricht Hilfsantrag 7, mit der Ausnahme, dass in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 8 die beiden Konjunktionen "oder/und" in den letzten beiden Anstrichen durch ein "und" ersetzt sind.

X. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 9 entspricht dem Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, jedoch mit der zusätzlichen Einfügung "senkrecht" im Kennzeichen. Dieses lautet damit wie folgt:

"dadurch gekennzeichnet, dass

- der Auslassboden (12) und der Einlassboden (13) jeweils einen zu dem Auslass-Kragen (22) bzw. Einlass-Kragen komplementären Auslassboden-Kragen (23) bzw. Einlassboden-Kragen aufweisen, die jeweils senkrecht vom Auslassboden (12) bzw. vom Einlassboden (13) weg zum Gehäuse (2) hin abstehen."

XI. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 10 entspricht dem Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, jedoch ergänzt um das folgende zusätzliche Merkmal an dessen Ende:

"[dadurch gekennzeichnet, dass]

das erste oder/und zweite das [sic] Gehäuseteil (2, 3) aus einem austhentitischen [sic] oder/und ferritischen Werkstoff hergestellt ist, und

eine Wandstärke des ersten oder/und des zweiten Gehäuseteils (2, 3) zwischen 0,8 mm und 3,0 mm beträgt."

XII. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 11 entspricht dem Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, jedoch mit der in Hilfsantrag 9 gemachten Einfügung und der in Hilfsantrag 10 gemachten Ergänzung.

XIII. Am Schluss der mündlichen Verhandlung waren die Anträge wie folgt:

Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung auf der Grundlage des Hauptantrags oder eines der Hilfsanträge 6 bis 11. Zudem beantragte die Beschwerdeführerin die Rückerstattung der Beschwerdegebühr.

Die Beschwerdegegnerinnen (Einsprechende 1 und 2) beantragten, die Beschwerde zurückzuweisen.

XIV. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:

Der Hauptantrag sei ins Verfahren zuzulassen. Die Änderungen beträfen lediglich eine Korrektur, die gemäß Regel 139 EPÜ immer zulässig sei. Die Sachlage sei identisch zu jener im Fall T 657/11, in welcher Entscheidung die Kammer unter Randziffer 3.4 festgestellt habe, dass sich die Regeln 80 und 139 EPÜ nicht berührten.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 6 gehe nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Die im Prüfungsverfahren eingefügte Einschränkung stütze sich sowohl auf Figur 2 als auch auf die Beschreibung. Mithilfe der Ausführungen in der Beschreibung und der Figur 2 verstehe der Fachmann den Ausdruck "komplementär" dahingehend, dass er auch die Eigenschaft "in entgegengesetzter Richtung" umfasse. Die Aufnahme des Merkmals, wonach der Auslassboden-Kragen und der Einlassboden-Kragen "jeweils vom Auslassboden bzw. vom Einlassboden weg zum Gehäuse hin abstehen" ohne die Aufnahme aller weiteren in der Figur 2 gezeigten Details stelle daher keine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.

Dies gelte erst Recht für die Hilfsanträge 7 bis 11, die weitere, in Hilfsantrag 7 sogar sämtliche, in Figur 2 in Zusammenhang mit der Befestigung des Auslassbodens gezeigte Merkmale aufwiesen.

Durch die fehlende Möglichkeit in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung sich zu den in den Hilfsanträgen 1 bis 3 gemachten Änderungen zu äußern, sei das rechtliche Gehör der Beschwerdeführerin verletzt worden. Die Beschwerdegebühr sei daher zurückzuzahlen.

XV. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerinnen können wie folgt zusammengefasst werden:

Der Hauptantrag sei nicht ins Verfahren zuzulassen.

Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 6 gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. "Komplementär" sei nicht auf die beanspruchte Richtung bezogen zu verstehen. Der Fachmann könne das Merkmal, wonach der Auslassboden-Kragen und der Einlassboden-Kragen "jeweils vom Auslassboden bzw. vom Einlassboden weg zum Gehäuse hin abstehen" ausschließlich aus der Figur 2 entnehmen, die jedoch noch weitere Details zeige. Dieses Merkmal stelle daher eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung dar.

Dies gelte auch für die Hilfsanträge 7 bis 11, die ebenfalls nicht alle in Figur 2 gezeigten Merkmale aufwiesen.

Entscheidungsgründe

1. Zulässigkeit - Hauptantrag

Der Hauptantrag wurde nicht in das Beschwerdeverfahren zugelassen (Artikel 13 (1) VOBK 2020). Auch wenn die Voraussetzungen nach Regel 139 EPÜ erfüllt wären, stellt keine der gemachten Korrekturen eine Änderung dar, die durch einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ veranlasst ist. Die im Hauptantrag gemachten Änderungen stehen daher nicht im Einklang mit Regel 80 EPÜ, welche unabhängig von Regel 139 EPÜ zur Anwendung kommt.

1.1 Die Beschwerdeführerin hatte geltend gemacht, dass eine Korrektur nach Regel 139 EPÜ immer möglich sein müsse und insbesondere unabhängig von den Erfordernissen der Regel 80 EPÜ zu betrachten sei. Sie verwies auf die Entscheidung T 657/11, Rz. 3.4, in welcher die Kammer genau dies festgestellt habe.

Diese Argumentation überzeugt die Kammer nicht. Unter Randziffer 3.4 in T 657/11 wies die dortige Kammer auf die Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 1/10, Rz. 13, hin. Darin hat diese, nachdem sie die Anwendung der Regel 140 EPÜ für eine Korrektur eines Patents ausgeschlossen hatte, Folgendes festgestellt:

"Der Patentinhaber hat jedoch stets die Möglichkeit, im Einspruchs- oder Beschränkungs­verfahren eine Änderung seines Patents anzustreben und dadurch die mutmaßliche Unrichtigkeit auszuräumen. Diese Änderung müsste natürlich alle für Änderungen geltenden rechtlichen Erfordernisse erfüllen, einschließlich derer des Artikels 123 EPÜ."

Die Kammer in T 657/11 merkte auch an, dass eine Änderung mit dem einzigen Ziel, einen Fehler auszuräumen, nicht als durch einen Einspruchsgrund unter Artikel 100 EPÜ begründet anzusehen wäre, sodass diese in Regel 80 EPÜ genannte Bedingung nicht erfüllt wäre. Die Kammer in T 657/11 schloss daher daraus, dass solche Fehler oder Unrichtigkeiten nur im Zuge einer Berichtigung nach Regel 139 EPÜ ausgeräumt werden können, da diese Vorschrift und die besonderen, darin definierten Erfordernisse unabhängig von der Regel 80 EPÜ gelten würden.

1.2 Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Möglichkeit zur Berichtigung nach Regel 139 EPÜ immer, und damit auch im vorliegenden Fall, uneingeschränkt zur Verfügung steht. Berichtigungen nach Regel 139 EPÜ stellen einen besonderen Fall einer Änderung im Sinne von Artikel 123 EPÜ dar (siehe G 3/89 und G 11/91, jeweils Rz. 1). Wie und unter welchen Voraussetzungen diese Änderungen möglich sind, ergibt sich aus der Ausführungsordnung (siehe Artikel 123 (1) EPÜ, erster Satz). Die für Änderungen der europäischen Patentanmeldung zu beachtenden, weiteren Vorschriften sind in Regel 137 EPÜ zu finden, jene für Änderungen des europäischen Patents in Regel 80 EPÜ. Zusätzlich enthält Regel 139 EPÜ Bestimmungen hinsichtlich der Berichtigung offensichtlicher Fehler in den beim Europäischen Patentamt eingereichten Unterlagen.

Auch wenn Regel 139 EPÜ unabhängig von Regel 80 EPÜ zur Anwendung kommt, bedeutet dies nicht, dass das Erfordernis nach Regel 80 EPÜ nicht erfüllt zu sein braucht. Wenn die beiden Bestimmungen unabhängig voneinander angewandt werden, bedeutet dies für die Berichtigung im Einspruchs- oder Einspruchs­beschwerde­verfahren von beim Europäischen Patentamt eingereichten Unterlagen, dass auch beide Bestimmungen unabhängig voneinander erfüllt sein müssen. Regel 139 EPÜ stellt für sich genommen keine hinreichende Rechtsgrundlage für eine Änderung von Patentansprüchen eines europäischen Patents dar.

1.3 Im dem der Entscheidung T 657/11 zugrundeliegenden Fall waren die Ansprüche über eine bloße Fehlerbeseitigung hinaus dahingehend geändert, dass sie die erteilten Vorrichtungsansprüche nicht mehr enthielten und damit auf die Verfahrensansprüche beschränkt waren. Die Patentinhaberin hatte in dem neu eingereichten Antrag diese Streichung vorgenommen, um die gegen diese Ansprüche vorgebrachten Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ auszuräumen. Damit war dieser Voraussetzung nach Regel 80 EPÜ Genüge getan.

Gleichzeitig hat die Patentinhaberin in dem der Entscheidung T 657/11 zugrundeliegenden Fall in den verbliebenen Verfahrensansprüchen einen offensichtlichen Fehler im Sinne der Regel 139 EPÜ berichtigt. Anders als im vorliegenden Fall waren die Voraussetzungen für eine Änderung der Patentansprüche nach Regel 80 EPÜ allerdings von vornherein durch die Streichung der Vorrichtungsansprüche erfüllt.

1.4 Die Kammer kommt daher zum Schluss, dass im Einklang mit den Ausführungen in T 657/11 (Rz. 3.4) die Bestimmungen und spezifischen Erfordernisse der Regeln 139 und 80 EPÜ getrennt voneinander Anwendung finden. Die ausschließliche Berichtigung von Fehlern in den Patentansprüchen gemäß Hauptantrag erfüllt nicht die Voraussetzung nach Regel 80 EPÜ, weil sie nicht darauf ausgerichtet ist, einen Einspruchsgrund nach Artikel 100 EPÜ auszuräumen.

Die Kammer hat daher von dem ihr in Artikel 13 (1) VOBK 2020 eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht, den Hauptantrag nicht in das Verfahren zuzulassen.

2. Unzulässige Erweiterung - Hilfsantrag 6

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 6 geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 123 (2) EPÜ). Die Aufnahme des Merkmals, wonach der Auslassboden-Kragen und der Einlassboden-Kragen "jeweils vom Auslassboden bzw. vom Einlassboden weg zum Gehäuse hin abstehen" stellt eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung des in Figur 2 gezeigten Ausführungsbeispiels dar.

2.1 Das Argument der Beschwerdeführerin, dass sich die im Prüfungsverfahren eingefügte Einschränkung sowohl auf Figur 2 als auch auf die Beschreibung stütze, und dass der Fachmann vor diesem Hintergrund bereits den Ausdruck "komplementär" als auf die Richtung der Krägen bezogen verstehe, überzeugt die Kammer nicht. Selbst mithilfe der Ausführungen in der Beschreibung und der Figur 2 gelangt die Kammer nicht zu der Auffassung, dass der Ausdruck "komplementär" im Sinne einer Richtungsangabe zu verstehen wäre. Wie auch von beiden Beschwerdegegnerinnen vorgetragen, bezieht sich der Ausdruck "komplementär" auf gegensätzliche, sich ergänzende Eigenschaften von Objekten, welche Eigenschaften insbesondere deren Form betreffen. Da es sich bei den beanspruchten Krägen um solche eines Gehäuses und eines Deckels handelt, versteht die Kammer die Eigenschaft "komplementär" in erster Linie auf die Form der Öffnung im Gehäuse sowie die Form des Deckels bezogen. Die Formen der Krägen sollen sich derart ergänzen, dass die Gehäuseöffnung durch den Deckel verschlossen wird. In welche Richtung die Krägen von Gehäuse und Deckel abstehen, ist für diese Funktion unerheblich.

2.2 Die Beschwerdeführerin verwies auf den dritten Absatz auf Seite 8 der Beschreibung in der eingereichten Fassung, wo unter anderem Folgendes ausgeführt wird:

"Die Auslassöffnung 5 weist einen entlang eines Außenumfangs umlaufenden Auslass-Kragen 22 auf, der nach außen (Pfeil A in der Fig. 2) vorsteht. Entsprechend weist der Auslassboden 12 jeweils einen zu dem Auslass-Kragen 22 komplementären Auslassboden-Kragen 23 auf."

Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass sich beide Sätze auf dieselben Eigenschaften bezögen, wobei der erste dieser beiden Sätze Eigenschaften des Auslass-Kragens definiere. Insbesondere werde definiert, dass der Auslass-Kragen nach außen vorstehe. Der zweite Satz beschreibe sodann "entsprechend" dazu "komplementäre" Eigenschaften. Sie argumentierte weiter, dass es sich daher im zweiten Satz um eine der Richtung nach außen entsprechende, zu dieser Richtung komplementäre Richtungsangabe handle, in welcher der Auslassboden-Kragen, dann zum Gehäuse hin, vorstehe. Etwas anderes als eine Richtungsangabe ordne die Beschreibung an dieser Stelle den Auslasskrägen nicht zu. Es könne daher den Auslassbodenkrägen auch keine andere Eigenschaft zugeordnet werden.

Auch diese Argumente überzeugen die Kammer nicht. Die Ausdrücke "entsprechend" sowie "komplementär" beziehen sich nicht eindeutig lediglich auf den letzten Satzteil des ersten Satzes, in welchem die Richtung nach außen genannt ist. Vielmehr interpretiert die Kammer den zweiten Satz derart, dass "entsprechend" der im gesamten ersten Satz genannten Merkmale am Gehäuse (das sind die Auslassöffnung 5 und der Auslass-Kragen 22) und zu diesen "komplementär" Merkmale am Auslassboden vorhanden sind. Namentlich ist dann der Auslassboden-Kragen 23 genannt. Mit anderen Worten: Der Auslassboden-Kragen soll eine zu dem Auslass-Kragen passende Form aufweisen, sodass die Gehäuseöffnung verschlossen wird. Diese sich schon aus dem Wortsinn ergebende Interpretation lässt sich genauso auf Krägen lesen, die in derselben Richtung stehen wie auf solche in einander entgegengesetzten Richtungen.

Dass der Auslassboden-Kragen und der Einlassboden-Kragen vom Auslassboden bzw. vom Einlassboden weg zum Gehäuse hin abstehen, lässt sich daher aus der Beschreibung nicht unmittelbar und eindeutig ableiten.

2.3 Diese Eigenschaft ist jedoch auch in der Zusammenschau aus der genannten Beschreibungsstelle mit der Figur 2 dem Ausdruck "komplementär" nicht zwingend zuzuordnen. Die Kammer sieht keinen Grund, den Ausdruck "komplementär" als auf gerade diese in Figur 2 gezeigte Eigenschaft (Richtung des Auslassboden-Kragens) zu interpretieren. Figur 2, obwohl in der Beschreibung als "grobschematisch" bezeichnet, zeigt eine nicht unbeträchtliche Anzahl an Details. Insbesondere wird darin auch das passgenaue Einfügen des Auslassboden-Kragens in die vom Auslass-Kragen umfasste Gehäuseöffnung dargestellt. Die Kammer sieht daher wiederum keinen Grund, den Ausdruck "komplementär" als auf etwas anderes als den üblichen Wortsinn zu interpretieren.

2.4 Die Eigenschaft, dass der Auslassboden-Kragen und der Einlassboden-Kragen vom Auslassboden bzw. vom Einlassboden weg zum Gehäuse hin abstehen, lässt sich auch nicht von den anderen in Figur 2 dargestellten Details herauslösen, ohne dass dabei eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung entstünde. Zwar ist diese Eigenschaft eindeutig und unmittelbar der Figur 2 zu entnehmen, jedoch nur in Zusammenhang mit weiteren, sowohl untereinander als auch mit der Orientierung der Krägen in strukturellem und funktionellem Zusammenhang stehenden Merkmalen. Insbesondere sei auf die im Wesentlichen gleiche Höhe der Krägen von Auslass und Auslassboden hingewiesen, auf deren im Wesentlichen rechtwinklige Ausbildung, auf die Verschweißung als solche und auf die besondere Position der Schweißnaht, auf die vollflächige Anlage der Krägen aneinander, sowie darauf, wie weit der Auslassboden in die Gehäuseöffnung eingesetzt ist.

All diese Eigenschaften entnimmt der Fachmann der Figur 2 unmittelbar und eindeutig, auch wenn sie nicht in der Beschreibung namentlich aufgeführt sind.

2.5 Das in Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 6 genannte Merkmal, wonach der Auslassboden-Kragen und der Einlassboden-Kragen vom Auslassboden bzw. vom Einlassboden weg zum Gehäuse hin abstehen, stellt daher eine unzulässige Zwischenverallgemeinerung der Ausführungsform nach Figur 2 dar. Der in diesem Anspruch definierte Gegenstand geht damit über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.

Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ steht daher einer Aufrechterhaltung des Patents gemäß Hilfsantrag 6 (d.h. in der erteilten Fassung) entgegen.

Hilfsantrag 6 ist somit nicht gewährbar.

3. Zulassung Hilfsanträge 7 und 8

In Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 hat die Kammer die Hilfsanträge 7 und 8 in das Verfahren zugelassen. Die Gründe hierfür können dahingestellt bleiben, da diese Anträge in der Sache keinen Erfolg haben.

4. Unzulässige Erweiterung - Hilfsanträge 7 bis 11

Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsanträgen 7 bis 11 geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (Artikel 123 (2) EPÜ). Die Aufnahme der weiteren Merkmale kann diesen Umstand nicht heilen, da in keinem dieser Anträge alle unter Punkt 2.4 aufgeführten, aus der Figur 2 unmittelbar und eindeutig in strukturellem und funktionellem Zusammenhang stehenden Merkmale aufgenommen sind.

Der in dem jeweiligen Anspruch 1 definierte Gegenstand geht damit über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Das Erfordernis nach Artikel 123 (2) EPÜ ist daher nicht erfüllt.

Keiner der Hilfsanträge 7 bis 11 ist daher gewährbar.

5. Rückerstattung der Beschwerdegebühr

Der Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr aufgrund eines wesentlichen Verfahrensmangels wird zurückgewiesen.

Es ist aus dem Protokoll zur mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung nicht ersichtlich, ob der Patentinhaberin ausreichend Gelegenheit gegeben wurde, sich dazu zu äußern, inwiefern die Einfügung von "senkrecht" in den den nunmehrigen Hilfsanträgen 7 und 8 entsprechenden Anträgen die Einwände nach Artikel 123 (2) EPÜ hätte ausräumen können. Es ist auch nicht klar, ob in der Verhandlung eine Diskussion über diesen Punkt stattgefunden hat, bevor die Einspruchsabteilung ihre negative Entscheidung über alle Anträge verkündet hat.

Ob diese behaupteten Unzulänglichkeiten jedoch einen wesentlichen Verfahrensmangel darstellen, kann für die Entscheidung über eine Rückerstattung der Beschwerdegebühr dahingestellt bleiben, da die Beschwerde in der Sache keinen Erfolg hat und dem Antrag somit nicht stattgegeben werden kann (Regel 103 (1) a) EPÜ).

Entscheidungsformel

Aus diesen Gründen wird entschieden:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

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